Im Zwielicht der Taschenlampen

von Jürgen Reuß

Basel, 20. Februar 2009. Die Bühne ist dunkel. Taschenlampen funkeln, Mädchen kichern und keuchen, tanzen und wälzen sich, ziehen sich aus. Plötzlich geht das Licht an. Sie erschrecken, klauben ihre Sachen zusammen und rennen davon. Am Theater Basel beginnt Arthur Millers "Hexenjagd" als hitziges Spiel übermütiger Mädchen. Am Ende sind hundert Menschen verhaftet, neunzehn erhängt und einer von Steinen erdrückt.

 

Millers Stück beruht auf einer wahren Begebenheit in Salem, einer kleinen Küstensiedlung in Massachusetts. Eingekeilt zwischen dem unergründlichen Meer auf der einen Seite und dem endlosen Urwald der Wilden auf der anderen köchelt die Paranoia einer puritanisch aufgeheizten Notgemeinschaft und entlädt sich 1692 in einem Gewaltexzess gegen ihre eigenen Mitglieder.

Verschmutzung und Reinigung
Ein Pastor, der um seine Autorität bangt, eine Obrigkeit im Umbruch und der opferreiche Alltagskampf ums Überleben, machen überspannte Mädchen zum Instrument einer kurzen und grausamen Willkürherrschaft, die außer Kontrolle gerät und die Siedlung an den Rand des Kollapses bringt. Dieses spannende Kapitel der amerikanischen Geschichte muss man allerdings im Programmheft nachlesen.

Florentine Kleppers Inszenierung zielt weder auf eine historische Aufarbeitung, noch auf eine Anspielung auf die Schauprozess der McCarthy-Ära, unter deren Eindruck Miller sein Stück schrieb, noch auf eine irgendwie sonstig motivierte Aktualisierung einer plötzlich aufkochenden Pogromstimmung. Ihre Stilmittel sind eher Abstraktion und Stilisierung.

Die Bühne (Martina Segna) ist ein klaustrophobisch kahler Bankschließfachkeller, bei dem sich die Decke nach unten und der Boden nach oben wellt, wie ein Schutzwall gegen den Matschgraben am vorderen Bühnenrand. Damit sind auch die beiden Pole genannt, zwischen die Klepper ihre Inszenierung spannt – Verschmutzung und Reinigung.

Erst vernascht, dann verschmäht
Lustvoll brechen die Mädchen zu Beginn aus ihrem puritanisch reinen Schließfach aus und wälzen sich im schwachen Zwielicht der Taschenlampen im Schlamm. Als das Licht angeht, steht Pastor Parris (Peter Schröder) auf dem Wellenkamm und wäscht sich am einsam aus der Wand ragenden Wasserhahn die Hände. Kurz darauf wird er die Hexentreibjagd in Gang setzen und am Ende sowohl von den Auswüchsen seiner Tat als auch von deren geringer machtpolitischen Wirksamkeit erschrocken sein. Und welche Farbe hat das Wasser dann am Ende, wenn er seine Hände nochmal in Unschuld waschen will? Rot. Selbstverständlich.

Mit der gleichen Beiläufigkeit, mit der die Mädchen ihre beschmutzen Sachen in die Schließfächer der hinteren Bühnewand stecken, zieht Regisseurin Klepper die Motive der verschieden Akteure dieses Dorfdramas hervor: Die Wortführerin der Mädchen, Abigail Williams (Katharina Schmidt), wurde vom Hauptgegenspieler der Inquisiteure, John Proctor (Pascal Lalo) erst vernascht, dann verschmäht. Jetzt kann sie Proctors Frau Elisabeth (Chantal Le Moign) denunzieren.

Pastor Parris hat durch die Hexenjagd erstmals Macht über seine Schäfchen. Unterstatthalter Danforth (Jörg Schröder), zur Exekution der Urteile herbeigezogen, exerziert mit kalter Grausamkeit, wer eigentlich die Fäden der Macht in den Händen hält. All diese Motivationsstränge werden seziert und dem Zuschauer zur Betrachtung vorgelegt. Die Synthese muss er selbst herstellen. Die Inszenierung liefert nur eine Art Vorsortierung: Matsch gut, Reinheit böse.

Denken, was man will
Das Ehepaar Proctor, die aufgeklärten Widersacher der Hexenjagd, haben ein ungetrübtes Verhältnis zum Matsch. Noch bevor der Konflikt sie erreicht sitzen sie gemütlich im Schlamm, greifen gelegentlich hinein und kauen ihn genüsslich. Pastor Parris und Ann Putnam (Claudia Jahn), die den wiederholten Tod ihrer Neugeborenen benutzt, um den Konflikt zu schüren, hüten sich vor dem Matsch. Der Statthalter macht sich zur Not mal die Stiefel dreckig, um seine Autorität durchzusetzen.

Die interessanteste Gestalt ist der zugezogene Hexenspezialist Pastor Hale (Raphael Traub). Zu Beginn eher so eine Art Jack Bauer der Inquisition mutiert er gegen Ende zum Anwalt der willkürlich zum Tode Verurteilten. Hinweisen zur möglichen Motivation dieses Sinneswandels enthält sich die Inszenierung konsequenterweise. Aber sie verrät ja auch nicht, warum das ganze Drama sich in diesem seltsamen Schließfachkeller abspielen muss.

Was bleibt von einem derartig sezierten Stück hängen? Dass das Denkmuster von Reinheit und Verschmutzung für paranoide Exzesse anfällig macht, die letztlich nur niedern Motiven wie Neid und Rache nützen und von einer kalten Obrigkeit immer im Sinne von Willkürherrschaft ausgenutzt werden? Die Zuschauer applaudierten jedenfalls begeistert.

Vielleicht waren sie froh, in einem gut gespielten Stück ohne besondere Eigenschaft gewesen zu sein, über das sie frei von allzu großer inszenatorischer Einmischung denken konnten, was sie wollten.

 

Hexenjagd
von Arthur Miller
Regie: Florentine Klepper, Bühne: Martina Segna, Kostüme: Eva Butzkies, Video: Bastian Trieb, Musik: Tobias Hofmann.
Mit: Pascal Lalo, Katharina Schmidt, Chantal Le Moign, Peter Schröder, Raphael Traub, Barbara Lotzmann, Jörg Schröder, Eleni Haupt, Urs Bihler, Bastian Semm, Claudia Jahn, Florian Müller-Morungen, Hendrik Heutmann, Marie Jung, Pascale Pfeuti, Anja Schreiber, Sarah Speiser.

www.theater-basel.ch


Mehr lesen über jüngere Arthur-Miller-Inszenierungen? Im September 2008 inszenierte Thomas Schulte-Michels Hexenjagd in den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters. In Bonn bezog Michael Helle das Stück aus der McCarthy-Zeit im März 2008 auf Bushs Antiterror-Krieg. Claudia Bauer setzte im Mai 2008 Millers Spätwerk Auferstehungsblues bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen in Szene.

 

Kritikenrundschau

Der politische Bezug von Arthur Millers "Hexenjagd" bleibe "theatralisch eine Kopfgeburt" und wirke auch in Basel "szenisch gestelzt und thesenhaft", meint Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (23.2.2009). Doch die große Stärke der Inszenierung von Florentine Klepper liege "in der fein herausgearbeiteten Psychologie des privaten Beziehungsgeflechts. Schlicht grossartig ist Pascal Lalo als John Proctor. (…) Die Vielfalt und Konzentration dieser Figur bei gleichzeitig höchster Entspanntheit zu erleben, ist ein Genuss." Chantal Le Moign als seine Frau Elizabeth stehe ihm "in ihrer verhaltenen Intensität in nichts nach". Schön kontrastiv gezeichnet sei auch Katharina Schmidt "als dominant-berechnende, kühl-laszive Abigail". So werde "aus der eher hölzernen Polit-Botschaft des Stücks im Ganzen des Abends ein menschlich berührendes Erlebnis". Dass Florentine Klepper ab der kommenden Spielzeit neue Hausregisseurin am Theater Basel werde, sei "ein Versprechen – für Ensemble und Publikum".

"Was die Basler 'Hexenjagd' mit dem Jahr 2009 zu tun haben könnte, bleibt marginal", moniert Stephan Reuter in der Basler Zeitung (23.2.2009). Das Regieteam stochere "im Atmosphärischen. Zu viele Szenen wirken hingestellt statt lebendig." Doch für einen Mann leuchte das Licht in dieser Inszenierung: "Pascal Lalo heisst er und trifft für John Proctor traumwandlerisch sicher die ideale Mischung aus Verknorztheit und Coolness, aus Eitelkeit und Verzweiflung, die den Helden des Stücks so standhaft macht und doch stürzt." Und dann gebe es noch "diese zwei gigantischen Szenen, in denen Proctor seiner Frau und Pascal Lalo der wunderbaren Chantal Le Moign begegnet".

 

 

Kommentare  
Hexenjagd Basel: selber hingehen, selber denken!
Es ist immer wieder die Basler Zeitung, die glaubt, "Ihr" Theater schlechter machen zu müssen, als es ist!
Die Inszenierung war genau deshalb so bemerkenswert, weil sie vom Publikum verlangt, selber denken zu müssen. Was in der BaZ als "hingestellt" beschrieben wurde, ist viel mehr jenes brillante "Sich Zurücknehmen" der SchauspielerInnen, welches den Zuschauenden so unter die Haut ging. Aus der Betroffenheit heraus entwickelte sich dann auch der Schlussapplaus nur zögernd - aber auch daraus hat Herr Reuter die falschen Schlüsse gezogen...
Einmal mehr empfiehlt es sich: "Selber hingehen und selber denken!"
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