Das letzte Band des Politikers

von Ralf-Carl Langhals

Mannheim, 28. Februar 2009. Am Aschermittwoch soll ja alles vorbei sein. In Mannheim haben sich der politische Aschermittwoch und der große Kehraus bis zum Wochenende gehalten. Auf der Bühne des Nationaltheaters, wenige Tage zuvor noch Ort frohsinniger Ordensverleihungen, wird statt der Fasnacht ein Politiker begraben. Statt Hering gibt es Haxen, schließlich befinden wir uns szenisch irgendwo im tiefsten Bayern, wo, so will es Albert Ostermaier, eine linke Partei auf dem Vormarsch ist. Kurios.

Ob links oder rechts spielt dann aber doch keine Rolle, auch wenn es zur Schrammelmusik in den Herrgottswinkeln freilich kräftig stoibert und haidert. Es geht lediglich um Macht, genauer gesagt um "Fratzen", die sie zeigen oder verbergen und – wie meist in Ostermaiers Dramen - um viel zu viel.

Als Flüchtlingskind kam Rainer mit seiner Mutter in die bayerische Provinz und ist in der (Landeshaupt-) Stadt als René zum charismatischen Politiker gereift, ja sogar überreif verfault. Irgendwann ist er ausgebrannt, erkrankt, steigt aus und kehrt zurück zur Herkunft, die ihm eine lausige Heimat war. Ein verratener Freund und eine wütende alte Knabenliebe, die Tim Egloff und Taner Sahintürk mit zynischem Leben füllen, sind die einzig erträglichen Konstanten.

Lügen auf Beerdigungen und Parteitagen
Lyriker Ostermaier schwelgt hierzu in Bildern um Brennen, Fäulnis und Kälte, lässt aber offen, warum Rainer gegangen und wie er umgekommen ist. Auch der Krimi sagt grüß Gott. Korrupt, zynisch, verlogen und bestechlich war Rainer-Réné. Politisch allerdings heikler sind die Attribute schwul, pädophil und krank. Dennoch ist er uns in den drei Monologen, die als live gesprochene Tonbandaufnahmen das überdrehte zweieinhalbstündige Tohuwabohu rund um die Beerdigung gliedern, die angenehmste Person – zumindest innerhalb seiner komplett angereisten Parteispitze. Nirgends wird soviel gelogen wie auf Beerdigungen und Parteitagen, heißt es.

Rainers Tonbänder werden für die "Parteifreunde" zum explosiven Erbe. Während Klaus Rodewald seinen Verfehlungen und Einsichten auf den letzten Bändern noch menschliche Farbe gibt, werden Generalsekretär (Jacques Malan), Schatzmeister (Reinhard Mahlberg), "Rock hoch, Liste rauf"-Assistentin (Ragna Pitoll) und Parteivorsitzender (Edgar M. Böhlke) zu traurigen Kasperlfiguren. Dabei müht sich Kosminskis Ensemble redlich, in den von Großhirnrinde zu Zungenwurzel reichenden Texten Ostermaiers kreative Haken zu schlagen.

Auch die Landbevölkerung hat es da nicht leichter. Ob kauzig-bayerischer Stiefbruder (Hans Fleischmann), Schlaganfall-Mutter (Anke Schubert), Ossi-Schlampen-Nichte (Luisa Stachowiak), sie alle schwanken zwischen Acker und Rhetorikseminar. Spannende Brechungen sehen anders aus. Wenn Volkstheater heißt, weg von der Textfläche hin zu den Apercu-durchsetzten Klischees - und immer kräftig blasen, abtreiben und saufen, dann mag man den neuen Typus des Volkstheaters, den Burkhard C. Kosminski so programmatisch pflegt, in "Fratzen" gefunden haben.

Ewig rauschen Macbeths Wälder
Als wäre das alles nicht genug, sattelt Ostermaier noch das Theaterpferd und reitet mit bayerischen Perchten durch Macbeth'sche Wälder, in denen "kein Wintermärchen, kein Sommernachtstraum" stattfindet, aber die Commedia del'Arte durch die schwankenden Bretterbäume des beeindruckenden Bühnenbilds von Florian Etti lugt. Natürlich braucht's dabei noch einen doppelten Boden: Erst wer die Maske aufsetzt, zeigt sein wahres Gesicht. Dass Schauspieler bessere Menschen sind als Politiker, haben wir bereits vermutet. Mit finaler Leichenschändung und Mord geht Ostermaier dann doch lieber auf Nummer sicher.

Ostermaiers Kenntnis-, Ideen- und Aphorismen-Reichtum ist ihm beim dramatischen Schreiben offensichtlich weiterhin hinderlich. Ein Stück, das ohne Kino- und Theaterversatzstücke auskommt und auf kalkulierte, originalitätsbesoffene Spielerei zwischen den Genres verzichtet, ist ihm nach "Schwarze Minuten" auch mit "Fratzen" nicht gelungen. Burkhard C. Kosminki hat kräftig eingegriffen, auch ein obligates Indie-Liedchen (Meridian Winterberg) wie einen albernen Ensembleaufmarsch eingebaut, scheitert aber ebenso an der stilistischen Ungreifbarkeit des Stoffes, der zum Fernsehkrimi taugte - triebe man ihm so manch geschwollenen Übermut aus.

 

Fratzen. Ein Requiem
von Albert Ostermaier
Regie: Burkhard C. Kosminski, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik: Hans Platzgumer.
Mit: Klaus Rodewald, Anke Schubert, Hans Fleischmann, Edgar M. Böhlke, Reinhard Mahlberg, Ragna Pitoll, Jacques Malan, Tim Egloff, Louisa Stachowiak, Meridian Winterberg, Taner Sahintürk, Navid Akhavan.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Mehr zu Burkhard C. Kosminski? Im Oktober 2008 inszenierte er in Mannheim Tracy Letts Eine Familie/August: Osage County, das von unseren Lesern für das nachtkritik-Theatertreffen 2009 nominiert wurde. Im Dezember 2008 brachte er mit Monsun im April Theresia Walsers neues Stück zur Uraufführung.

 

Kritikenrundschau

"Fratzen" habe "so gar nichts mit dem bisherigen Schaffen" Albert Ostermaiers gemein, meint Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (2.3.2009). Ostermaier warte "nun mit einer realistischen, standort- und handfesten Handlung auf" und begebe sich "tief in die bayerische Provinz, die er aus eigener biographischer Erfahrung kennt. Mit 'Fratzen', könnte man sagen, legt Albert Ostermaier sein erstes Heimatstück vor." Doch es sei auch "ein Bastard von einem Stück, Heimat-, Familien- und Politdrama zugleich, aber unausgegoren (…) Es will viel zu viel und stolpert auf dem für Ostermaier ungewohnten Terrain, auf dem ihm nicht einmal seine sonst so poetische Sprachkraft Trittsicherheit verleiht. Die Figuren bleiben seltsam schematisch, die Politiker bloße Abziehbilder." Bei Burkhard C. Kosminski und seinem "beachtlichen" Mannheimer Ensemble sei das Stück immerhin "in guten Händen." Denn "Kosminski, das ehrt ihn als Uraufführungs-Regisseur, verrät keine der Figuren, treibt sie einmal zwar in eine alptraumartige Winke-Winke-Polonaise, aber nie in die Karikatur".

Bei Ostermaiers "Fratzen" handle es sich, "vorsichtig gesprochen, um drei Dramen in einem", meint Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau (2.3.2009): es sei "das Psychogramm eines Mannes aus kleinen Verhältnissen", dann "fast ein Volksstück in der Nachfolge von Kroetz oder Achternbusch" und eine "Politikersatire". Die Handlung sei "sowohl verworren als auch überdeterminiert", das Stück "zum einen metaphorisch und überhöht", auf der anderen Seite "gut realistisch-satirisch gedacht". Das alles sei "viel, viel zu viel, und verdeckt, dass Ostermaier etwas für ihn durchaus Neues wagt: Ein Stück, das persönlich und realistisch ist. (…) Es ist überdeutlich, dass es hier eines Lektors bedurft hätte. (…) So aber schreibt einer sein zwanzigstes Stück, und es wirkt so vollgepackt wie das Werk eines Anfängers." Immerhin schafften der Mannheimer Schauspielchef Kosminski und "seine schauspielenden Mannen, was nach Lektüre nicht mehr möglich schien. Sie konzentrieren das Stück, sie geben ihm, wenigstens bis zur Pause, Linie."

 

Kommentare  
Kosminskis Fratzen: Kritik, die sich selbst feiert
Wieder mal eine Kritik, die nur sich selbst feiert.
Wer nicht im Stück gewesen ist, rafft gar nichts von dieser Besprechung. (Ich war drin) Kann man als Kritiker nicht seine Aufgabe erfüllen, nämlich ein Stück zu erläutern und vorzustellen für die, die eine Hinführung wünschen? Statt sarkastischen Apercus mal konkrete Informationen zu geben? a) Worum geht es? b) Welche Stärken und welche Schwächen hatte die Inszenierung? c) Welche Stärken und Schwächen hatte das Stück? d) Wie reagierte das Publikum? (in diesem Fall sehr verhalten!) Ihr Informationswert ist gleich null, man hat den Eindruck, Sie wollen nur Ihre Mitkritikerkollegen beeindrucken. Schade, denn das Stück war zwar gedehnt und stellenweise leider zu platt und nicht an Kroetz heranreichend, aber doch auch bemerkenswert in Inszenierung und Absicht. Man braucht eine differenziertere kritik!
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