Leute im Dunkeln betrachten Leute im Licht

von Shirin Sojitrawalla

3. März 2009. Für Peter Michalzik, Kritiker und Theaterredakteur der Frankfurter Rundschau, ist das Theater eines der schönsten Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann. Das schreibt er in seiner "Gebrauchsanweisung fürs Theater" und hätte es gar nicht sagen müssen, ist doch das Buch Beweis genug für seine Leidenschaft. Es ist auch eine Liebeserklärung an das Theater, an seine Schauspieler, Regisseure und Marotten und eine Handreichung für diejenigen, die sich freudig hineinbegeben möchten. Ein Theaterverführer, kein Theaterführer, wie er schreibt.

Dabei wendet sich Michalzik nicht ans Fachpublikum, schließt es aber auch nicht aus. Er stellt zuweilen einfache Fragen: "Was ist ein Schauspieler?" oder "Was ist ein Drama?". Fragen, die niedlicher klingen, als sie leicht zu beantworten wären. Das Buch präsentiert keine letzten Wahrheiten, sondern versucht eher, dem Phänomen Theater auf die Spur zu kommen. Dem Land mit der höchsten Theaterdichte der Welt attestiert Michalzik eine starke Theaterunlust, die er nicht an der Zahl tatsächlicher Theatergänger festmacht, sondern am diffusen Unbehagen des Publikums, das für ihn auch darin begründet ist, dass dessen Kenntnisse über das Theater schwinden.

Werbung um Publikum

Mit seinem Buch, das einen Überblick bietet, möchte er erste Abhilfe schaffen. Zu viel wird seiner Meinung nach über Nacktheit und Blut geredet, wenn das Theater zur Sprache kommt. Auch er leitet sein Buch mit den obligatorisch gewordenen Nackten und Blutpanschern ein, macht aber doch einem breiten Publikum deutlich, dass die Aufregung darum nicht den Kern der Sache berührt. Den trifft seiner Meinung nach schon eher der französische Choereograf Jerôme Bel: "Some people sitting in the darkness, watching other people sitting in the light."

Mit dieser vorgeblich simplen Definition dessen, was das Theater im Innersten zusammenhält, möchte Michalzik etwas vom unfassbaren Zauber dieses Mediums verdeutlichen. Er wirbt um Publikum, und das macht er gut. Dabei ist es für ihn nicht der Regisseur, sondern der Schauspieler, der das Theater in den Rang der Kunst erhebt. Stellvertretend verbeugt er sich in dem Buch vor Joachim Meyerhoff, fügt aber dann noch eine Liste mit Schauspielern an, die er richtig gut findet.

Trotzdem geht es im Weiteren vor allem um Regisseure. Fast ausnahmslos Männer werden bedacht: Castorf, Marthaler, Kriegenburg, Perceval, Petras, Pollesch, Pucher, Rimini Protokoll, Schlingensief und ein paar andere. Die Altvorderen, wie Stein und Zadek, aber auch Peymann, Bondy und Breth finden sich unter der Überschrift "Alte Meister" wieder. Seine Auswahl ist so anfechtbar wie die Nominierungsliste fürs Theatertreffen. Auch bei Michalzik sind es die großen Namen, denen seine Aufmerksamkeit gilt. Regisseure, die eine eigene Theatersprache entwickelt haben, einen eigenen Stil. Er stellt die unterschiedlichen Regiekonzepte kurz vor, schlägt sich aber auf keine Seite.

Ehrfurcht und Erregung

So plädiert er nicht für eine bestimmte Form von Theater, sondern begeistert sich einfach für vieles. Man könnte auch sagen: Er verdirbt es sich mit niemandem. Vielmehr begegnet er dem Theater mit ansteckender Ehrfurcht und Erregung. Andere mögen unterhaltsamer und wortmächtiger schreiben, Michalzik aber bleibt fair. Und vieles von dem, was man gegen seine Gebrauchsanweisung einwenden könnte, listet er lieber selbst auf, beispielsweise die hemmungslose Subjektivität und Unvollständigkeit des Ganzen.

Das Buch möchte keine Debatte anstoßen und auch keine neuen Thesen in die Welt blasen. Es möchte ganz einfach Lust auf Theater machen. Für das es übrigens auch Benimmregeln gibt. Wenn man als Zuschauer den Husten schon nicht unterdrücken zu können meint, hat man in die angewinkelte Armbeuge zu husten, lernt man. Und dass man auf dem Weg zu seinem Platz denjenigen, die aufstehen müssen, nicht Rücken und Hinterteil zuwendet.

Manches von dem, was Michalzik schreibt, lädt zum Widerspruch ein, etwa die Behauptung Schauspieler seien lustiger als andere Menschen. Da meint man doch einige zu kennen, die bei aller Liebe gar nicht lustig sind. Und auch die Sicht auf das Theater als Arbeitsplatz, an dem jeder Mensch so sein kann, wie er ist, möchte man nicht unterschreiben. Doch Michalzik liebt das Theater, und wie die meisten Liebenden idealisiert er seinen Gegenstand. Da wird das Theater dann zuweilen zum utopischen Ort, an dem Unmögliches möglich scheint. Schön wäre es ja.

 

Peter Michalzik
Die sind ja nackt! Gebrauchsanweisung fürs Theater.
Dumont Verlag. Köln 2009.
260 Seiten. 14,96 Euro.

 

 

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