Wie im Leben, so in der Stube

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 20. März 2009. Der Ortsgruppenleiter im steirischen Eisenerz sagt von sich, er sei "wirklich eine arme Sau: keine Juden zu deportieren, nicht mal Zigeuner". Ein anderer heißt Wenzel, will aber Adolf genannt werden und hat es über die Maßen eilig mit dem Hitlergruß. Der österreichische Roman- und Bühnenautor Franzobel spart nicht mit deftigem Personal.

Dagegen steht Milli, die Provinz-Antiheldin. Wild entschlossene Widerstandskämpfer sehen anders aus als sie, die eigentlich ganz beiläufig hineingezogen wird. Da steht plötzlich eine ehemalige Schulkollegin vor der Tür und bittet um Unterschlupf, weil die SS hinter ihr her ist. Zwei weitere Partisanen schneien herein. Weil Millis Schwiegereltern überzeugte Nazis sind (der Ehemann kämpft in Russland), ist das Versteckspiel nicht einfach. Und noch komplizierter wird es, als auch eine Freundin aus früherer Zeit, eine Berlinerin, ins Haus steht. Milli wäre das Grüppchen liebend gerne los, aber sie zeigt eben doch Zivilcourage.

Hohelied auf eine Konspirantin
So konstruiert der Plot wirkt: Das Leben hat ihn geschrieben. Die Geschichte hat sich genau so zugetragen, und wie Franzobel drauf stieß, ist mindestens so eigentümlich wie die Story selbst: In seinem Stück "Hirschen" (2006 ebenfalls im Grazer Schauspielhaus uraufgeführt) hatte Franzobel Nazi-Widerstandskämpfer zum Thema gemacht. Danach meldete sich besagte Milli Deutsch beim Autor und erzählte ihre Geschichte. Es war das erste Mal, dass sie, die jetzt in Graz lebt, überhaupt darüber sprach.

Die quicklebendig wirkende 88-Jährige taucht nun, in der Ur-Inszenierung von "Prinzessin Eisenherz" durch Georg Schmiedleitner, nicht nur in ein paar Videosequenzen selbst auf der Bühne auf. Sie war auch Gast der Uraufführung und bekam spontan Standing Ovations. In "Prinzessin Eisenherz" wird also das Hohelied auf eine Konspirantin gesungen. Was wären denn die "echten" Kämpfer ohne Sympathisanten, ohne die Helfer, die logistische Unterstützung und Unterschlupf gewähren? Milli Deutsch war eine von diesen Unverzichtbaren, denen die Nachwelt keine Kränze flicht. Nebenbei: In Österreich wurde auch den Widerstandskämpfern keine Ehren zuteil: Als Alt-Nazi hatte man es hier deutlich leichter.

Taumelnder Danse Macabre
Franzobel ist keiner, der eine solche Geschichte einfach so erzählt. Er ist ein Sprachspieler, der mit Wörtern jongliert wie einst Nestroy. Milli erfährt vom Heldentod ihres Mannes: "Gefallen? Mir hat er gefallen. Ich bin kein gefallenes Mädchen." Ein Nazi-Sympathisant versichert: "Wenn'st nicht hasst, hast nichts!" Die Hitler-Schergen haben eben "alles kahlgefressen, nicht nur die Speisekammern, auch das Gewissen, die Moral".

Aus der Diskrepanz hurtig gezwirbelter Formulierkunst (der Regisseur setzt sprechtempomäßig noch eins drauf, was dem Grazer Ensemble gelegentlich zu schaffen macht), schneidend-bösartiger Psychoanalyse und farcenhaftem Slapstick entsteht ein eigenartig taumelnder Danse Macabre. Der Wahnsinn hat Methode. Zu Beginn fahren die Darsteller, wie eine Schulklasse an Pulten sitzend, aus dem Graben hoch. Lokale Zeitgeschichte steht auf dem Stundenplan, vermutlich fächerübergreifender Unterricht, denn man kommt bald ins Spielen. Fulminant die Bühnen-Lösung (Stefan Brandtmayr): Viele Szenen sind um eine Puppenstube herum arrangiert. Da reichen die Protagonisten einander Mini-Requisiten zu. Hin und her geht es vom Kleinformat vorne auf die Drehbühne hinten, wo plötzlich die Bedrohung in echtem Maßstab lauert.

Denn das Geschichtsbild ist Privatsache
Schwarzer Humor wird in aller Buntheit ausgemalt. Verena Lercher spielt Milli – und sie tut das auffallend leise, zurückhaltend. Eben wie eine, die der Umstände wegen und nicht aus Vorwitz zur Heldin wird: Ich bin so politisch wie ein Guglhupf", sagt sie einmal von sich. Mitzi (Susanne Weber), Lipp (Gerhard Liebmann) und Titsch (Alexander Rossi) geben hingegen ein entschiedenes Kämpfer-Trüppchen ab. Als Karikaturen gezeichnet: Millis Schwiegereltern (Seraphine Rastl und Sebastian Reiß), vor allem aber Thomas Frank als Ortsgruppenleiter, der auch als Hebamme überdrehte Auftritte hat. Steffi Krautz (Kuppi) muß Berlinerisch reden, und das wirkt  in etwa so, wie wenn sich der eine oder die andere im steirischen Dialekt versucht. Sprechtechnisch hinkt die Aufführung dem Text etwas unbeholfen nach.

"Meine KZs lass ich mir nicht nehmen", versichert trotzig am Ende ein künftiger Ewiggestriger, und er werde auch die Existenz von Gaskammern leugnen, denn "das Geschichtsbild ist Privatsache".

 

Prinzessin Eisenherz (UA)
von Franzobel
Regie: Georg Schmiedleitner, Bühne: Stefan Brandtmayr, Kostüme: Cornelia Kraske.
Mit: Thomas Frank, Steffi Krautz, Verena Lercher, Gerhard Liebmann, Seraphine Rastl, Sebastian Reiß, Alexander Rossi, Susanne Weber.

www.buehnen-graz.com/schauspielhaus/


Mehr über Georg Schmiedleitner lesen Sie in der Kritik zu seiner Inszenierung von Schillers Jungfrau von Orléans im Januar 2009 in Mannheim und zur Orestie des Aischylos im Oktober 2008 in Nürnberg. Im Juli 2008 zeigte er im Sommertheater Hausruck Franzobels Z!pf.

Kritikenrundschau

Es hätte ein großes Stück sein können, befindet Michael Tschida in Österreichs größter Regionalzeitung Kleine Zeitung (online 21.3. 23.20 Uhr). Denn Franzobel hättte mit dieser wahren Geschichte einer jungen Schwangeren, die 1943 eine verfolgte Schulfreundin bei sich versteckt, kein spannender Stoff in die Hände fallen können. Doch aus Angst "vor einem Rührstück, einer Heldensaga, die eine Menschensaga ist", breche der Autor immer wieder "mutwillig die Tiefe dieser außergewöhnlichen privaten Zeitgeschichte mit Oberfläche" und billigen Witzen. Trotzdem haben Text und Inszenierung aus Tschidas Sicht ihre starken und berührenden Momente. Leider werde aber gut Ensemble durch die vielen "lärmenden Textzeilen" teilweise zum "Outrieren" verführt.

Mit "Prinzessin Eisenherz" sei am Schauspielhaus Graz "Geschichte aufgearbeitet" worden, und zwar "nah dem Alltag, mit dem für Franzobel typischen Maß an Skurrilität", schreibt Norbert Mayer in der Presse (22.3.). Franzobel lasse "bei bösen Kalauern die Sau raus". Doch die Übertreibungen seien "in überzeugende dokumentarische Passagen eingebettet", harmonisch fügten "sich Details zum Ganzen", und der Regisseur Georg Schmiedleitner habe "das Schauspiel behutsam und geschickt umgesetzt" und "den zuweilen doch amorphen Text in Form gebracht".

 

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