Leonce und Lena - Hannes Rudolphs Büchner-Entzauberung
Schlechtgelaunter Weltekel
von Shirin Sojitrawalla
Mainz, 28. März 2009. Georg Büchner veralbert in seinem Lustspiel "Leonce und Lena" zwei Kinderseelen, die auf ihren Träumen seiltanzen als wären sie das Leben. Zwei träge Schnösel, die mit dem freien Fall kokettieren, den Kopf immerzu anderswo. Sie wollen nichts, und die Langeweile umfängt sie wie ein gemachtes Nest. Alles scheint ihnen entsetzlich sinnlos. Am Ende begeben sie sich dann in ihr Schicksal wie auf ein Kettenkarussel und lassen über ihren übergeschnappten Visionen die Beine baumeln.
Der junge Regisseur Hannes Rudolph (Jahrgang 1977) macht aus Büchners kindsköpfigen Lebensdienstverweigerern großspurige Sinnsucher, die ihren Lebensüberdruss mit abgefuckter Lässigkeit auftragen. Im Programmheft erklärt der Schriftsteller Michel Houellebecq das Gefühl universeller Leere, und Juli Zeh wird mit ihrem Pubertätsdrama "Spieltrieb" zitiert. Kurz: Die Gegenwart hat Leonce und Lena eingeholt.
Lauter Langeweile
In der Mitte der spielfreundlichen Bühne steht ein mit Federbetten und -kissen gefüllter Kasten, Sand verteilt sich drumherum. Aus der blütenweißen Bettwäsche schält sich zu Beginn ein geschniegelter Leonce im Anzug und mit Seidenschal um die schmalen Schultern. Er ächzt, stöhnt und aus lauter Langeweile zündet er sich erst mal eine Zigarette an, schluckt "Jim Beam" und zieht eine Kokslinie zwischen sich und die Welt.
Lukas Piloty spielt Leonce als verwöhntes Einzelkind, das sich das Leben mit Ironie vom Leib hält. Im Gegensatz zum Original ist er von agiler Aggressivität, die freilich eine Energie voraussetzt, die Büchners Leonce nie aufbringen würde. Sein Kumpel Valerio (Felix Mühlen) indes erscheint als blasser Zeitgenosse, der so gar nichts gemein hat mit Büchners funkensprühendem Valerio. Er ist vielmehr die Unspritzigkeit in Person, agiert steif und kommt nur sehr allmählich in Fahrt. Wenn er nicht gerade kokst, pisst er eine Flasche voll, die der Präsident trinken soll.
Rudolph vergrobschlächtert den Text um den klassischen Dreisatz "Ficken, Pissen, Blasen" und füllt ihn mit heutigen Zitaten auf. Lena, die Verena Bukal mit gespenstischem Prinzessinnenliebreiz und zauberhafter Entrücktheit auszustatten versteht, rotzt mit ihrer Gouvernante (Katja Hirsch) um die Wette, aus Langweile versteht sich. Das ist ein bisschen ekelerregend, aber nicht weiter aufregend.
Umwerfend sachte Traurigkeit
Auf jeden Fall weicht Büchners fast fröhliche Spottlust in Mainz schlecht gelauntem Weltekel. Seine aufgekratzte Leichtigkeit und seinen poetischen Zauber büßt das Stück ein. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Rudolph das Stück gar nicht mag. Zumindest aber möchte er eine andere Geschichte erzählen.
Dabei gelingen ihm in seiner, nebenbei bemerkt, kurzweiligen Inszenierung, so einige eindringliche Szenen. Das Aufeinandertreffen von Rosetta und Leonce umweht umwerfend sachte Traurigkeit, und das Erkennen von Leonce und Lena ist ein reizender Augenblick verknutschter Liebesblödigkeit. Immer wieder aber möchte Rudolph zu viel. Dann schraubt er Szenen humoristisch hoch, wo das Stück kein solches Tuning nötig hätte. König Peter ist ja schon bei Büchner nur die Karikatur seiner selbst. In Mainz spielt ihn Zlatko Maltar als argen Puppenkasper mit Atemnot, der im Rollstuhl sitzt und wie ferngesteuert re(a)giert. Wett gemacht wird das höchstens von der wieder einmal wunderbar auf den Punkt spielenden Johanna Paliatsou, die nicht nur Rosetta, sondern auch den gesamten Hofstaat verkörpert.
Im schönen Finale gruppieren sich dann Leonce, Lena, Valerio und Lenas Gouvernante zum schmollenden Bollwerk. Leonce überlegt lässig, was man so anstellen könnte mit dem Leben, der Liebe und überhaupt. Unter anderem schlägt er vor, ein Theater zu bauen, worauf Lena nur "Nee, danke" sagt. Mehr spinnerte Ideen hat Leonce in Mainz leider nicht auf Lager. Dabei wäre es doch wirklich allerhöchste Zeit, "das Ländchen mit Brennspiegeln" zu umstellen.
Leonce und Lena
von Georg Büchner
Regie: Hannes Rudolph, Bühne: Tobias Schunck, Kostüme: Caroline Jarczyk.
Mit: Verena Bukal, Katja Hirsch, Zlatko Maltar, Felix Mühlen, Johanna Paliatsou, Lukas Piloty.
www.staatstheater-mainz.de
Mehr lesen zu Leonce und Lena? Jan Bosse sah Georg Büchners trauriges Lustspiel im März 2009 in Köln ganz anders. Dimiter Gotscheff ließ im September 2008 in Hamburg seine Bühnenbildnerin Katrin Brack das träge Prinzenpaar Leonce und Lena samt Hofstaat in Schlafsäcke packen.
Kritikenrundschau
Dass die jungen Leute sind wie sie sind und sich aus Langeweile auch mal blutig hauen, habe hier "nicht zwingend" mit dem "Druck durch die alten Knalltüten" zu tun; der Königshof spiele in Hannes Rudolphs Büchner-Inszenierung am Staatstheater Mainz "nur am Rande eine Rolle", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (30.3.). Der "Dreh ins Handgreifliche, in die Aggression, die dem Nichtstun auf den Fuß folgt", ziehe sich durch den gesamten Abend. Die Jugend von heute, auf die der Regisseur hier abziele, tendiere also "zu einem Mix aus Schlaffheit und Brutalität". Eine Botschaft allerdings, die Rudolph "mit einer für Mainzer Schauspielverhältnisse unerwarteten Schwerfälligkeit transportiert", was nicht nur am Bühnen-Bett, sondern auch daran liege, dass Büchners Sprache "nur bisweilen in Fluss" komme. Außerdem wirke das Ensemble "immer wieder unbeweglich". Dass sich "Unwohlsein in Zähigkeit ausdrückt, habe zwar etwas, aber nicht allzu viel für sich, "Text und Handlungsverlauf sind viel zu vertraut für ein halbentschlossenes Herantreten".
Eine Art "neuzeitlicher Yuppie", der "bis zu einer unerträglichen Form von Selbstmitleid daran krankt, dass ihm alles egal ist", ist dieser Leonce für Christopher Scholz von der Allgemeinen Zeitung (30.3.). Die beiden Fahnenflüchtigen seien hier "bis Oberkante Unterlippe desinteressiert am Weltgeschehen, auf sich selbst fixiert, arrogant und asozial", allein die Liebe ändere da "wenn nicht alles, so doch vieles". "Unauffällig aktualisiert, mit Verzicht auf allzu hippes Gehabe und Vulgarismen, bleiben allenfalls die weiblichen Rollen etwas schwach, wobei das Stück ohnehin auf Leonce zugeschnitten ist", der bei dem tollen Lukas Piloty einen "modernen Egozentriker" abgibt, "depressiv und verantwortungsscheu".
Als "gutausgebildeten Jungmenschen der Generation Null", die "Fremdwörter in ihre Rede" und "Koks auf die Bettkante" streuen, beschreibt Eva-Maria Magel in der Rhein-Main-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen (30.3.) die Protagonisten. Rudolph fülle "in den gekürzten Büchner, was die Lebensüberdruss-Literatur jüngster Zeit hervorgebracht hat": Houellebecqs "Ausweitung der Kampfzone", Juli Zehs "Spieltrieb". Das sei zwar plausibel, treibe dem Spiel den "leichten Charme" allerdings gründlich aus; dafür gebe es "allerhand Regieeinfälle". Wobei die Figuren Büchners Text misstrauten, die Witze kämen oft, "postdramatisch, aus dem kurzen Heraustreten der Figuren aus ihren Rollen und aus dem Zitat": König Peter als Peter Sellers alias Dr. Seltsam im Rollstuhl, über den man ebenso lachen müsse "wie über Johanna Paliatsou in wechselnden komischen Rollen". Die gleichfalls von ihr gespielte tragische Figur Rosetta sei hingegen "zur Unkenntlichkeit gekürzt". Dafür sei Lena, die Leonce zu Küssen wahrlich hinreiße, der "Zauber" nicht abhandengekommen.
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