Nur noch ein Party-Gerücht

von Eva Maria Klinger

Wien, 2. April 2009. Kleinbürger-Party im Wohnblock. Drei Paare versuchen Konversation zu machen, schlagen Zeit tot, grillen Mitgebrachtes. Ihre Sätze sind unvollständig, ihre Worte banal. Ewald Palmetshofer, der 30jährige, gehypte Dramatiker aus Oberösterreich trifft mit seinem Mosaik aus Floskeln den Ton des Mittelmaßes.

Das Fragmentarische, das Unvollkommene dieser Kunstsprache verweist auf die Degeneration des Geistes. In den besten Momenten gelingt es ihm, die Defizite gleißend bloßzustellen. Da darf dann auch gelacht werden. Dass ausgerechnet "Faust" ins Spiel gebracht wird, ist eine reizvolle Paradoxie.

Schauerdrama im comedy-Format

Worüber würden diese Durchschnittsbürger schon reden, wenn es nicht das unglückliche Schicksal einer Freundin zu beschreiben gäbe? Sie hat sich auf einer dieser Partys in einen Schweigsamen verliebt, der sie schwängert und verschwindet. Das Baby verscharrt sie im Wald, sucht selbst dort den Tod. Das Schauerdrama hat den Autor mehr interessiert als die Tragödie des ewig Suchenden. Goethes Faust liefert nur Versatzstücke für eine TV-Comedy. Die Worte "Kern", "Wette", "Verweile doch", "Wie hast du's?" tauchen auf und wirkungslos wieder ab. Ein Spaß nur.

Herr Faust ist ein Außenseiter auf dieser Spießer-Party. Ansatzweise spricht er von der Unmöglichkeit, Glück, Wahrheit oder Liebe zu finden. Leere überall. Nicht so geschliffen klug wie von Elfriede Jelinek sind diese Ein-Satz-Ungetüme, die sich zu Monologen bauschen und nicht so abgründig witzig wie von Werner Schwab sind diese Wortschöpfungen. Aber Palmetshofer, schon Jelineks Kronprinz genannt, findet in der Komposition von Halbsätzen und Mäandersätzen einen originellen, eigenständigen Ausdruck.

Die Titelfiguren kommen nicht vor. Man erzählt von ihnen. Für die wenigen Faust-Szenen fällt einer der drei Schauspieler aus der Rolle, rauft sich die Haare und stülpt ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift Heinrich über, was ein witziger Einfall der Regisseurin Felicitas Brucker ist. Ebenso wie das Grete-Röckchen, das die Damen abwechselnd überziehen. Das bringt Übersicht in das Spiel mit Rollen und wechselnder Realität. Überhaupt findet die Regisseurin für die munteren Stilbrüche eine schlüssige ästhetische Form.

In der Verneinung zieht es noch hinan

Diese neuen Texte, denen sich das Schauspielhaus so enthusiastisch verschreibt, benötigen Interpreten, die dem Abstrakten und Vertrackten Glanz, Reiz, ja Charme verleihen. Die sechs SchauspielerInnen, die das Jahr über so gut wie alles spielen, können nicht hoch genug geschätzt werden. Nicola Kirsch, Katja Jung, Bettina Kerl, Max Mayer, Steffen Höld, Vincent Glander sind mit Intelligenz, spielerischer Freude und sprachlicher Präzision die wahren Stützen dieser risikoreichen Unternehmungen.

Hamlet und Faust, zwei große Stoffe hat sich Ewald Palmetshofer also schon vorgeknöpft. "hamlet ist tot. keine schwerkraft", diese gewalttätige Seifenoper, schrill und herzlos, hat vor zwei Jahren dem neuen Leiter des Schauspielhauses, Andreas Beck, einen Eröffnungs-Erfolg beschert. Hamlets zerrüttete Familiengeschichte wurde auf Boulevard-Standard getrimmt, ein unerschrockener Zugang zu Shakespeares Vermächtnis, der in Elogen gerühmt wurde. Zwar sind die Vorbilder übermächtig und selbstverständlich unerreichbar. Aber sie verleihen dem allzu Irdischen eine Sehnsucht nach Höherem. Wenn nur noch Materialismus gilt, so schwingt die Metaphysik zumindest in der Verneinung mit.

 

faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete (UA)
von Ewald Palmetshofer
Regie: Felicitas Brucker, Bühne: Steffi Wurster, Kostüme: Irene Ip, Video/Musik: Samuel Schaab, Dramaturgie: Brigitte Auer. Mit: Katja Jung, Bettina Kerl, Nicola Kirsch, Vincent Glander, Steffen Höld, Max Mayer.

www.schauspielhaus.at

 

 

Mehr zu Ewald Palmetshofer: ein Autorenporträt von Andreas Klaeui, die nachtkritiken von hamlet ist tot. keine schwerkraft in Wien, Luzern und Mannheim, von wohnen. unter glas in Graz und München und von Helden in Mülheim an der Ruhr.

 

Kritikenrundschau

Palmetshofer legt seinen sehr "freien Faust-Remix als radikale Außenseiter-Studie an", so Karin Cerny in der Süddeutschen Zeitung (16.4.2009). Die Hausgemeinschaft versuche in einer Art "Aktenzeichen XY"-Rückblende die Geschichte von zwei Menschen zu rekonstruieren, "die nicht so recht ins Bionade-Biedermeier passen mögen". Mit den zwei höchst unterschiedlichen Seelen, die im Dramatiker Palmetshofer wohnen, müsse eine Regie erst einmal zu Rande kommen, so Cerny. Vor zwei Jahren gelang es Felicitas Brucker den sperrigen "hamlet ist tot" als "aufgekratztes Volksstück im Stil von Thomas Jonigk zu erden." In "faust hat hunger" stößt Bruckers "ironischer Tonfalls allerdings auch an Grenzen: Ans Herz gehen einem diese harmlosen Karikaturen kaum. Zu cool wird über Existentielles hinweg gewitzelt, zu lose sind die vielen Anspielungen an den Faust-Stoff, die eher skizzenhaft im Raum herumschwirren." Der Abend unterhalte über lange Strecken gut, und auch das energetische Schauspieler-Ensemble sei in Höchstform, "aber der Stoff wirkt auf der Bühne braver, kleiner und biederer, als er eigentlich sein müsste".

Ewald Palmetshofer werde bereits häufig mit "seinen dramatischen Vätern und Müttern" verglichen, beobachtet Barbara Villiger Heilig von der Neuen Zürcher Zeitung (6.4.2009): mit "Thomas Bernhard, Werner Schwab, Elfriede Jelinek, Marlene Streeruwitz … Das Erbe solcher Vorfahren echot unüberhörbar durch seine formal virtuosen Texte (…) Was die Inhalte oder eher den Inhalt angeht, reicht Palmetshofer aber kaum an diese Schwergewichte heran." Und so biete auch Palmetshofers postmodernes "Faust"-Remake "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" inhaltlich nur "dürftige Nahrung", der "postulierte Ideologieverlust wirkt wie ein penetrantes Feigenblatt." Palmetshofers "theatralische Kritik an der voyeuristischen Verkommenheit – der Menschen insgesamt? oder seiner Altersgenossen? –" sei "reichlich abgestanden". Der Autor habe sie "jedoch gewieft verpackt. Sprachlich stehen dem begabten Jungdramatiker viele Mittel zur Verfügung". Und die Palmetshofer'schen Versatzstücke würden von den sechs "hochmotivierten" Schauspielern des Wiener Schauspielhauses, "gebremst vom Schock, getrieben von Skandallüsternheit, nach und nach wie Apérohäppchen" serviert, "die uns manchmal im Hals stecken bleiben".

Als "Kultautor" wird Palmetshofer von Barbara Petsch in der Presse (4.4.2009) bezeichnet, und "faust hat hunger" sei denn auch "herrlich subversive Poesie im Gewand einer Soap". Palmetshofers These laute: "Wenn Gott tot ist, der Materialismus in Form eines Güterstroms durch Leiber zieht, deren Schluckmechanismus ausgeschaltet ist, bleibt als Erlösung nur die Liebe. Doch sie findet keinen Halt mehr in inwendig gekachelten Körpern." Auch wenn das kein Spaß sei, müsse man trotzdem oft lachen. Die Schauspieler seien "neuerlich hinreißend. Sie lassen diesen schwierigen Text, der gelesen eher wirr wirkt, dermaßen mit jugendlichem Temperament springlebendig werden, dass es einen vom Sitz reißt."

Als "schmerzliches Downgrading" empfand Ronald Pohl im der Wiener Tageszeitung Der Standard (4.4.2009) Ewald Palmetshofers "reizvoll zersplittertes" Fauststück. Palmetshofer, den er halbironisch den Mühlviertler "boy wonder" der Gegenwartsdramatik nennt, beschrifte seine Textschnitzel mit sämtlichen gängigen Reizwörtern, wobei manches Reizwort dem Kritiker gegen den Strich zu gehen scheint. So räsoniere die Figur "Fritz" allen Ernstes über eine "Menschen-Wert-Schöpfung". Aus Pohls Sicht geht die dramatische Rechnung Palmetshofers nicht immer auf, da sich "die alten metaphysischen Zentralbegriffe - Seele, Liebe, Innerlichkeit" mit dem Jargon der neuen Ökonomie nicht in jedem Fall nicht gewinnbringend zusammenschrauben lassen würden. In Felicitas Bruckers Uraufführungsinszenierung hat er dann vor allem "viele turnerische Details und ein prächtig aufgelegtes Ensemble" bestaunt. Die beiden Protagonisten aber bleiben aus seiner Sicht Leerstellen: "durch das Überstreifen von Namens-T-Shirts lässig herbeizitiert". Palmetshofers Stück sei eine einzige Verlustanzeige: "Wir haben nicht nur unsere Sinnquellen zum Versiegen gebracht, wir amüsieren uns auch nicht mehr prächtig." Diese "heftig akklamierte Ausstellung eines betrüblichen Befundes" fand Pohl allerdings insgesamt "mit zahlreichen Längen und Redundanzen eigentlich doch recht schmerzlich erkauft".

 

Kommentare  
Palmetshofers Faust: richtiges Wort
"Gehypt" ist bei Palmetshofer wirklich das richtige Wort!
Palmetshofers Faust: letzter Nadelstich nach Draußen
@ Wiener. Warum wird mit dem Label "gehypt" eigentlich immer gegen die Guten gestichelt? "Hype" ist der letzte Nadelstich nach Draußen, bevor sich der Kleinbürger zum Wollsockenhäckeln an den Kamin verabschiedet!
Palmetshofers Faust: dramatisches Gejammer
Die Vorwürfe sind immer die gleichen, also langweilig. "Kleinbürger" ist wohl eher Herr Palmetshofer. Hinter all dem korrekten Gejammer seiner Stücke steckt dann doch der kleinkarierte Mitdreißiger, der aus seiner Haut und Welt nicht raus kann und dieses Gefühl gerne zur politischen und sozialen Weltsicht aufblasen möchte. Es ist wie der von den Eltern ausgehaltene Endlosstudent, der pseudophilosophisch über den furchtbaren Zustand der Welt schwadroniert. Insofern passt der Vergleich mit Elfriede Jelinek, denn die kann das auch. Nur hat sie dann auch die schneidende Schärfe, diesen eigenen Zustand selbst zu sezieren und der Lächerlichkeit Preis zu geben. Palmetshofer bleibt drin hängen und das macht ihn für mich so unerträglich. Insofern stimmt die Kritik von "Wiener" schon - Palmetshofer wird, finde ich, tatsächlich gehypt, weil er einen sehr eingeengten Blick präsentiert, der sehr schnell sehr platt wird (und dem man mit den angeblich von Palmetshofer kritisierten Floskeln doch recht einfach zu Leibe rücken kann, wie man in den Kritiken immer wieder sieht).
Palmetshofers Faust: Qualität, die man anerkennen sollte
Palmetshofer ist ein Dramaturgenliebling, aber warum nicht? Sehr theoretisch und klangvoll und gekonnt abgemischt. Well designed und das ist eine Qualität, um die viele sich bemühen und die man neidlos anerkennen sollte. Ich persönlich finde das abstoßend. Aber es trifft Bedürfnisse des Dramaturgen Andreas Beck und anderer. Eigentlich traurig, mehr nicht.
Palmetshofers Faust: War nur das T-Shirt augenfällig?
Was heißt eigentlich "witziger Regieeinfall" und "schlüssige ... Form" für "munteren Stilbruch? Klingt a bisserl nach Ikea-Ballwiese. Gelbes T-Shirt mit Aufschrift Heinrich, das einzige, was Nachtkritik bei der Regie augenfällig war? Hossa. Theater kann aus allem was machen, wenn wer zupackt. Palmetshofers Texte sind als Angebote nix schlechtes, nur sehr störrisch. Aber zupacken halt - nuja - witzig... munter... schlüssig... gelbes T-Shirt... hmpf.
Palmetshofers Faust: blutleere Sprachkörper
Die ewig in ihren Wohlstandsproblemchen kreisenden "Figuren" sind mir nicht in dem Maß zuwider wie die Haltung des Autors ihnen gegenüber. Palmetshofer erschafft blutleere Sprachkörper, um sie sodann von seinem wackligen theoretischen Hochsitz aus mit dem Feldstecher zu begaffen und mit dem Luftgewehr zu beschießen. Etwas von der tatsächlich am ehesten als kleinbürgerlich zu bezeichnenden Perversion dieses Vorgangs ist noch zu hören in den aufplatzenden Lachern des Publikums. Da wird ein Theater vorexerziert, das in wunderbarer Weise die dramaturgische Fachmesse mit der Sehnsucht des Theatergängers nach ein bißchen Dschungelcamp zu kombinieren weiß. Offenbar reicht dann in einer vor Gegenwartsdramatik bis zum Knistern aufgeladenen Atmosphäre, wie das Schauspielhaus sie zu schaffen versteht, der Anblick eines "Heinrich T- Shirt"s, um bei der Kritik die Endhandlung samt obligatorischem Ensemblelob auszulösen. Ja, das ist sehr traurig und hat mit Klugheit und Liebe und, ach, auch mit Mut und Risiko leider nicht so viel zu tun...Was bleibt einem also anderes, als ein wenig mephistophelisch in dieses Forum zu grinsen.
Palmetshofers Faust: virtuose Wortkaskaden
"Blutleer" kann man ein Drama nur nennen, wenn man eine naturalistische Messlatte anlegt. Dass diese dem Virtuosen Palmetshofer mit seinen eliptischen, von Tautologien satten, hoch komischen Wortkaskaden nicht im Entferntesten gerecht wird, fällt manchem Kritiker schwer einzusehen. Nicht überall, wo Theater ist, müssen glaubhafte, echte, menschliche Figuren - mit viel Sympathie des Autorvaters gezeugt - die Bühne beleben.
Im Übrigen fällt auf, dass Künstler, die sich mit moderner bzw. überhaupt mit philosophischer Theorie befassen, stets auf Schelte hoffen dürfen. "Hamlet ist tot" war ja, neben vielem anderen, auch eine äußerst intelligente Deleuze-Rezeption. Aber offen zur Schau gestellte Intelligenz gilt vielen Theatergängern nicht viel (Pollesch kriegt hier ja auch gerade wieder sein Fett weg).
Palmetshofers Faust: Spannungsfeld Theorie und Theater
Liebe/r Palmström, Sie sagen "Intelligenz" und insinuieren Anti-Intellektualismus. Aber Sie werden zugeben, dass nicht eben populäre, im Sinne von "leicht verständliche" Theorie (wie von Deleuze) mit dem doch auch irgendwie immer zirzensischen, spektakelhaften Medium Theater in einem, na, sagen wir Spannungsverhältnis steht.
Judith Butler oder Deleuze zu zitieren, zu variieren oder "anzuwenden" ist ja noch nicht per se Ausweis von packendem, gutem, klugem, reflektiertem Theater, oder?
Und es ist vorstellbar, dass Menschen ins Theater kommen, nicht in erster Linie um zu lernen, sondern um sich intelligent zu unterhalten. Ohne zuvor verschiedene Seminare absolviert zu haben. Man muss diesen Anspruch ans Theater nicht teilen, wirklich nicht. Aber man könnte ihn als legitim akzeptieren.
Gruß
Hauber
Palmetshofers Faust: ein klein wenig lernen von der Bühne?
Lieber Herr Huber, nichts gegen den Pluralismus der Ansätze, und nichts gegen bloße Unterhaltung im Theater. Aber ein klein wenig lernen dürfen wir von der Bühne gelegentlich auch, nicht wahr (prodesse et delectare)? Es ist ja nun wirklich nicht so, dass unsere Gegenwartsdramatik vor herausfordernder Reflexion strotz. Da sollte man die wenigen, die es probieren, sich auf ein Niveau zu erheben, das seit bald 30 Jahren an den Universitäten grundkurstauglich (sic!) ist, nicht so zerreden, wie es hier gerade geschieht. Und wer - wie Palmetshofer - so packend und anschaulich über die Verwandlung des Himmels zur Maschine zu schreiben vermag ("Hamlet ist to"), dem unterstelle ich gern Intelligenz. Der hat seinen Deleuze verstanden.
Palmetshofers Faust: Theoriearbeit, Praxisarbeit, Kunstarbeit
Hauber, liebe/r Palmström,der Name ist Hauber,
klar, auch mal etwas lernen von der Bühne; klar, auch soll man die Palmetshofer und Pollesch nicht dummdreist abtun, - wir sind da einig.
Aber dann sprechen Sie wieder von dem Niveau, "das seit bald 30 Jahren an den Universitäten grundkurstauglich ist" und den wenigen (Dramatikern), die sich versuchen auf dieses Niveau zu erheben. Liebe/r Palmström, und doch ist, auch darin sind wir gewiss einig, das Theater nicht die Universität. Und doch würde es gelten, die Theoriearbeit der Universität in Praxisarbeit, also auch in Kunstarbeit zu übersetzen und nicht einfach zu zeigen, dass man wenigstens auf diesem Niveau sich bewegt. Nicht immer wenn der Alltagsmensch mit der Universitätstheorie zusammenstößt, klingt notwendig der Alltagsmensch hohl, oder?
Gruß
Hauber
Palmetshofers Faust: geklauter Pollesch
Also Palmetshofer ist doch einfach geklauter Pollesch, nur leider selbstgefälliger und dümmer. Ansonsten die gleichen Schleifen und Loops und der künstlerische Mehrwert durch enteignetes Fremdwissen. Eigenes Denken, wie bei Schwab, Müller oder Jelinek wäre gefragt und nicht Bedeutungshuberei durch Deleuzezitate. Das ist Theater für haltungslose Dramaturgen, die hinter dem berühmten "Sound" ihre Feigheit und Beliebigkeit kaschieren. Mit Intelligenz hat das übrigens wenig zu tun, eher mit gut verpacktem, angeberischem Halbwissen, früher auch bekannt unter dem Terminus Technicus "Blender".
Palmetshofers Faust: Der Mensch lebt auch von Diskursen
Lieber Herr Hauber (entschuldigen Sie bitte das Versehen)!
Dass ich die Kunstform, die Palmetshofer pflegt, für eine eigenständige und höchst interessante Aneignung von Theorie halte, habe ich ja nun gesagt. Und dass diese ästhetische Form, die von anderer Seite als "leer" und blutarm diskreditiert wird, vermutlich genau der genauen theoretischen Auseinandersetzung entspringt, ist doch wohl ebenso offensichtlich. Damit erfüllt Palmetshofer, meinem Empfinden nach, genau die von Ihnen angemahnte "Übersetzung" von Theorie "in Kunstarbeit".
Mein Punkt, um es noch einmal zu sagen: Nicht überall, wo Theater ist, muss auch der "Alltagsmensch" erscheinen, ob er nun hohl oder voll klingt. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern er lebt mindestens ebenso von den Diskursen, in denen er steht. Wieso sollte man da nicht auch jenseits der Figurendramatik eben auf diese Diskurse fokussieren? Und merke: Was uns "alltäglich" scheint, ist selbst nur ein Effekt eingeschliffener Rede- und Denkweisen (da sind wir dann auch wieder bei Pollesch). Besten Gruß, Ihr Palmström
Palmetshofers Faust: bildungsbürgerliches Gehupe
ich weiß immer gar nicht, was die theorie im theater zu suchen hat oder in der kunst (ich weiß dass jetzt wahrscheinlich einige die hände über dem kopf zusammenschlagen jetzt). natürlich sollte man ein reflektierter mensch sein, der sich über seine welt gedanken macht und dann je nach dem auch was liest, was ihn vielleicht bereichert, aber für künstler gibt es schon mal gar keinen kanon, keine zwingende theorie. theorie und damit meine ich die wissenschaftliche sezierung, der versuch einer objektiven weltbetrachtung, hat für mich nichts mit kunst zu tun, sondern ist ihr quasi gegenteil. und als letztes würde ich von der kunst erwarten, dass sie mir theorie aufs theater bringt und ich dann hinterher sagen kann: ach, lacan, ach, hier hat er foucault gelesen und wie nett es in eine form gegossen.
ins theater gehe ich doch um eine völlig subjektive sicht auf die welt oder einen ausschnitt zu bekommen. etwas, dass sich nicht beweisen muss und das dann trotzdem verweist und trotzdem auch weist auf eine wirklichkeit/wahrheit/wahrhaftigkeit, eine ahnung davon vielleicht?
gerade jelinek hat jahrelang nur fernsehdialoge mitgeschrieben und daraus sind ganz wunderbare texte entstanden, für die ich kein lexikon brauche, für die ich nicht gebildet sein muss, weil sie so direkt unserer welt entspringen und trotzdem etwas zeigen, was noch niemand sonst gezeigt hat. das hat gar nichts mit wissenschaft zu tun, auch wenn man sagen könnte, was wir hier lesen, lesen wir vielleicht auch da.
kurzum: dieses bildungsbürgerliche gehupe geht mir auf die nerven. sowohl in der rezeption, als auch in der produktion, das ist abgeschmackt und langweilig, das ist die reine nabelschau, denn theorie ist eben am besten, wo sie theorie ist und nicht kunst. und ich mag nicht ins theater gehen um mir zu beweisen, was fürn toller, gebildeter typ ich bin.
damit will ich jetzt nichts zu dem konkreten abend gesagt haben, ich werde ihn mir gern angucken, aber in anderen palmetshofetexten ging es mir schon so, und vor allem hier in der diskussion.
Palmetshofers Faust: alles traurig
Es wäre toll, eine geistesfunkelnde Deleuze- Rezeption auf einer Theaterbühne zu sehen! Auch sei nichts gegen raffiniertes intellektuelles Blendwerk eingewandt, so es denn betört, irrlichtert, ver- und entzaubert. Man muss eben nicht reaktionär und Apologet eines überholten Naturalismus sein, um den besprochenen Dramatiker skeptisch zu sehen. Es reicht dazu im Gegenteil völlig aus, den Anspruch an sich zu haben, ein halbwegs neugieriger Theatergänger auf der Suche nach Herausforderung, Kick und Perspektiverweiterung zu sein. Ich erhoffe mir von der Gegenwartsdramatik
anderes und mehr als den trüben Chic eines meinetwegen auch elliptisch- virtuosen Rampentheaters. Nicht dem Autörchen sein Preischen und dem Häuschen sein Erfölgchen- der Zeit ihre Kunst! Aber was bin ich schon? ...Ein trauriges Bewußtsein in einem traurigen Forum auf einer traurigen Webpage...Hinaus in den Park. Über Ostmitteleuropa scheint die Sonne.
Palmetshofers Faust: Quasi im Rhizom versteckt
Recht so Trauriges Bewusstsein. Der Abend dämmert und mir langsam aber sicher: Dieses Theoriegehupe ist die Macht, ist der Diskurs, ist der Mainstream. Wie soll man Pollesch&Palmetshofer (klingt wie ein Kabarettduo) denn kritisieren, wenn man dann Foucault, Deleuze, Butler kritisieren müsste ? Da haben die 2 sich gut getarnt und mit Fremdkleidern aus dem Philosophiefundus kostümiert und aufgerüstet, ihren altmodisch-autoritären Wissensbaum, der soviel Fallgeld abwirft, quasi im Rhizom versteckt.
Palmetshofers Faust: nicht mit kalter Macht
@ "alles was der fall ist". Gegenfrage: Warum soll man Foucault, Deleuze und Butler denn nicht kritisieren dürfen? Damit bestätigen Sie im Grunde nur Ihre eigene Autoritätsgläubigkeit. Aber wie schon Nietzsche in der "Fröhlichen Wissenschaft" schrieb, muss Wissen nicht mit kalter Macht in Zusammenhang gebracht werden. Sie kann im Gegenteil auch Spaß machen: "In der That kann man mit der WISSENSCHAFT das eine wie das andere Ziel fördern! Vielleicht ist sie jetzt noch bekannter wegen ihrer Kraft, den Menschen um seine Freuden zu bringen, und ihn kälter, statuenhafter, stoischer zu machen. Aber sie könnte auch noch als die GROSSE SCHMERZBRINGERIN entdeckt werden! - Und dann würde vielleicht zugleich ihre Gegenkraft entdeckt sein, ihr ungeheures Vermögen, neue Sternenwelten der Freude aufleuchten zu lassen!"
Palmetshofers Faust: Nullsummentheater
Das Wesen der Sprache ist die Sprache des Wesens

Der für die Diskussion relevante Punkt scheint mir eher die kalte Macht des Erfolgs als die kalte Macht der Wissenschaft zu sein (obgleich herzlich gedankt sei für die leuchtenden Nietzsche- Worte). Der Erfolg des jungen Autors in Wien beruht doch offensichtlich nicht auf einer nennenswerten theoretischen Begabung oder einem ausgeprägten Hang zur Wissenschaftlichkeit, sondern auf einer spezifischen Form von deren Abwesenheit. Statt der Wonnen des Appolinischen ist das Diktat eines nervtötenden Wummersounds vorherrschend, der allenfalls im dürftigen Obertonspektrum theoretischen Verweischarakter trägt. Mit Differenzierungskunst und Erkenntnisgewinn hat das indessen so viel gemein wie die Nil-Zigaretten der Kulturwissenschafts-Studentin mit der Dekonstruktion.
Die Leistung des jungen Autors ist mithin klar auf einer performativen Ebene anzusiedeln - sprich: Als theorielastig zu gelten, ohne theorielastig zu sein. Dieser performative Akt, der ohne die dialektische Affirmation durch die im Sinne von Andersens berühmten Märchen gleichzeitig anerkennende und verkennende Kritik oder Dramaturgie nicht gelänge, schafft eine marktstrategisch hochgradig relevante Schnittmenge mit (unser aller) bildungsbürgerlichen Phantomschmerzen. Hierfür sind Konstrukte wie der Faustus absconditus oder der flottierende Hamlet unabdingbar. Sie suggerieren ein imposantes philosophisches Gebäude im Halbdunkel der Hinterbühne und erlauben dem von den Aporien der Wohlstandsbiographie arg gequälten Subjekt, die Abwesenheit von existentiellen Problemen auch im Sinne avancierter Theorie als problematisch zu empfinden. Weh tut, was nicht wirklich da ist. Und auf dem Dumpingtheater verkauft sich eben am besten, was insofern auch nicht wirklich weh tun kann.
Allein, was Adorno über die Unkritisierbarkeit des Schlechten gesagt hat, gilt auch und mehr noch für das Erfolgreiche. Zu kritisieren ist das Erfolgreiche nicht, da es mit kalter Macht jede Kritik an sich zur Tautologie degradiert. Wenn sämtliche Strukturelemente des Erfolgreichen blanke Funktion des Erfolges sind, der sich schließlich einstellt, kann man dem Erfolgreichen letztlich nichts anderes als seinen Erfolg vorwerfen. Das Erfolgreiche das Wahre. Dies klar und deutlich veranschaulicht zu haben, darf als die fragwürdige Leistung des hier diskutierten (inhaltlichen) Nullsummentheaters gelten. Am besten ist, man geht gar nicht erst hin. Es gibt so viele schöne Dinge zu tun.
Palmetshofers Faust: Paradox des erfolgreichen Autors
@ "Das Wesen der Sprache...": Ich könnte es vielleicht nicht so prägnant formulieren wie Sie, aber ich erahne, was Sie meinen könnten. Das ist wohl das ewige Paradox des Erfolgreichen (Autors): Die Pein des nun sorgenfreien und im Grunde langweilige Lebens versperrt die Bearbeitung des eigenen Lebens aus einem MÜSSEN heraus. Das diffuse Leiden an der eigenen Existenz kann folglich nicht mehr sein als das Sahnehäubchen auf der Torte der Abwesenheit von existentieller Dringlichkeit. Ein Songbeispiel aus der Populärkultur mag dies verdeutlichen:

"Nothing thrills us
Anymore
No one kills us
Anymore
Life is such a chore
When it's…
Boring"
(The Pierces)

Also, lassen wir uns mal wieder anschießen vom Leben, dann kehrt der Schmerz von ganz allein zurück.
Palmetshofers Faust: Scheiße ist nicht rosa
Das ist ja das Schöne! Sie haben vollkommen recht, Johnny Cash (wie mit so vielem, was Sie auch in Ihren eigenen Songs schon gesagt haben). Die wirkliche Scheiße ist nicht rosa und duftet auch nicht nach Hugo Boss. Wer das nicht sehen mag, wird es vielleicht irgendwann riechen.
Palmetshofers Faust: Light-Ära
Ja liebes Wesen der Sprache und hochgeschätzter Johnny Cash, und ist es nicht ein Produkt der "void ära", wie es Zizek ausdrückt? Cola light, Zigaretten light, Bier ohne Alkohol, Schokolade ohne Zucker, Diskurs ohne Diskurs. Das entspringt vielleicht einem Funktionaltheater, einem Theater der immer wichtiger werdenden Dramaturgen, die ja auch Künstler ohne Kunst sind, ebenfalls geschmacklos und neutral, bereit Avantgarde ohne Avantgarde zu produzieren. Ganz der Zizekschen Analyse entsprechend: ich will die Moderne, das Sperrige, ich will den Schmerz, ich will den Diskurs, ich will den Schmutz, ich will die Dekonstruktion, ich will die Rebellion, ich will den fremden Gedanken, weiss aber um die (medialen, politischen, bürgerlich-moralischen, finanziellen) Nebenwirkungen und will und bekomme deswegen alles gesund und munter, sauber, schmerzfrei, revuehaft, aphoristisch und brav serviert. Theater light eben.
Palmetshofers Faust: mehr Leben, weniger Theorie!
Ein ganz einfacher Vorschlag: Vielleicht sollte sich Palmetshofer weniger mit Theorie beschäftigen und mehr mit Leben. Denn alle Theorie sollte ja dazu dienen, dieses Leben zu untersuchen. Nur habe ich bei Palmetshofer das Gefühl, da gibt es gar kein Leben mehr, nur noch Theorie. Weil er nur noch hinter seinem Schreibtisch sitzt.
Und dann sitze ich in seinem Stück - ich rede von "hamlet ist tot" - und all die Behauptungen von wegen "Gegenwartsdramatik muss sein, die hat mit uns zu tun!" (die ja Andreas Beck vom Schauspielhaus immer aufstellt), brechen in sich zusammen, denn die auf der Bühne haben nichts mit mir und meinem Leben zu tun. Und - sehr seltsam - dann sitze ich wenig später in einem Strindberg und dann in einer Janacek-Oper und das hat alles viel mehr mit mir zu tun als Palmetshofer. Und spricht auch viel direkter mit mir. Vielleicht, weil hier Menschen mit den Mitteln des Theaters gezeigt werden - und nicht Überlegungen aus Dramaturgiestuben.
Und da würde ich Pollesch vor Palmetshofer in Schutz nehmen - denn mit den Menschen bei Pollesch habe ich (so geht es zumindest mir) sehr viel zu tun. Und Pollesch kann auch Theater - mit Lust, Frust und Boulevard. Drum: Vielleicht das viele Denken (und ich weigere mich zu glauben, dass frühere Dramatiker so viel dümmer waren) mal wieder in Theater fett verwandeln, nicht immer in diese trockenen Schauspielhaus Halbinszenierungen.
Palmetshofers Faust: Pollesch ist kein Schreibtischtäter
@ Das Wesen der Sprache: Wie kommen Sie eigentlich vom Thema Bauchschuss zum Thema rosa Scheisse? Sind Sie vielleicht Rosa von Praunheim?
@ Theater fett: Würde ich auch unterschreiben, dass Pollesch kein Schreibtischtäter ist. Wie käme er sonst auf solche Formulierungen?: "Aber keine Utopie der Welt ist damit zu erreichen, dass wir beschließen, gute Menschen zu sein. Das hier ist nun mal ein Nachtclub mit Kontakten zur Mafia und so. Das geht auch alles zu regeln, ohne zu beschließen, gute Menschen zu sein, es gibt auch einen Sozialismus jenseits seiner sentimentalen Sorte." Kein KOMMENTAR.
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