Zwischen Morgentreppe und Duftmarkt

von Sabine Leucht

München, 2. April 2009. Schon nach der Lektüre des neuen Stückes von Botho Strauß klingt dessen Titel wie eine magische Beschwörung: "Leichtes Spiel" hätte eigentlich besser zu einigen frühen Strauß-Stücken gepasst, worin sich Paare und Passanten noch fast natürlich in jener flirrenden Atmosphäre bewegten, in der alles möglich scheint: Völliges Abheben ins Traumverlorene oder Straucheln im Alltagskampf. Und im wahrscheinlichsten Fall eine elegante Grätsche zwischen beidem.

Doch "Leichtes Spiel: Neun Personen einer Frau", ist weder "Kalldewey, Farce" noch der "Schlusschor". Zwar ist es genauso selbstreferenziell und vollgepfropft mit bildungsbürgerlichen Zitaten, dazu aber auch fast krampfhaft darum bemüht, monetäre mit amourösen Problemen zu verstricken. (So dürfte es schwer werden, mit dieser Vorlage die Leichtigkeit zu erreichen, die Dieter Dorn so gut kann.)

Dorn, der in mittlerweile dreißig Jahren zehn Botho-Strauß-Stücke auf die Bühne gebracht hat - die Hälfte davon Uraufführungen - , betrachtet "Leichtes Spiel" als die Fortsetzung der "Ernsten Scherze" von "Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia". Wieder wollen Facetten eines Welttheaters Szene für Szene aufgefächert werden, und das Welttheater ist diesmal das Phänomen Frau.

Rheintochter mit Reitgerte

Dass es sich um eine einzige handeln könnte, ist nach den skizzierten Typen quer durch alle Gesellschaftsschichten unwahrscheinlich, wird aber von den Namen der involvierten Damen heftigst suggeriert. In München sind sie alle ziemlich blond und heißen Kattrin oder Katja, Kathinka, Käthchen, Kathie, Kitty und Katharina. Und bevor sich die Bühne bis zur weiß gestrichenen Brandmauer öffnet, schreiben sie es schnell noch mit Kreide auf den eisernen Vorhang.

Unter anderem sind dabei: Eine süße "Ängstliche" mit Einkaufswagen, eine träge Barbiepuppe mit Verdauungsbeschwerden, "Die Stilbewusste" in der Vorhölle des dräuenden Ruins - und Shakespeares "Katharina Minola", die sich als habsüchtige Rheintochter mit Reitgerte outet, im Duftmarkt ihr Geld gemacht hat, mit Bloggern im Clinch liegt und vielleicht aus purer Neugierde einen heiraten wird, dessen Urgroßvater "an der Erfindung des Blankoschecks beteiligt" war.

Strauß hat so viel hineingepackt in seine "Personen" und deren Sätze, dass sich die Sinn-Gepäckstücke gegenseitig neutralisieren. Doch Dorn trennt sich von gar nichts, auch wenn ihm zur schwächsten Szene des Stücks nur aufgeschminkter Gossen-Realismus einfällt und es selbst der vitalen Cornelia Froboess nicht gelingt, für die finale, aber leider nicht zugespitzte Lebensklage des "späten Mädchens" zu interessieren. Kein Einzelfall, obwohl Dorn seine Darsteller genau da einsetzt, wo sie theoretisch brillieren könnten.

Die Männerdomäne im Frauenstück

Auf der Bühne des Residenztheater, wo der warme Groove einer ganzen Jazzband Atmosphäre verbreitet, schieben Dorn und sein Lieblingsausstatter Jürgen Rose immer wieder große, effektvolle Bilder zwischen die Szenen, denen sie scheinbar auch nicht durchweg trauen. Zu Beginn fahren die neun Hauptdarstellerinnen ganz in Rot aus dem Bühnenboden herauf, dann wimmelt der ganze weite Raum von hektisch herumkurvenden Einkaufswagenfahrern - und nach der Pause begegnet "Tommi, die Nebenrolle" auf der "Morgentreppe" einer ganzen Neunerschaft Kathrinen, deren Spiegelbilder später effektvoll durcheinander purzeln.

Die Stahlseile an der Bühnendecke sind im Dauereinsatz, gespart wurde an nichts, und doch hinterlassen Einzelleistungen von Schauspielern bei weitem den tiefsten Eindruck - und zwar auf Strauß' und Dorns ureigenstem Feld, dem hochgradig gesteigerten Bewusstsein über die Tücken der Sprache.

Allerdings bleibt selbst in diesem vermeintlichen "Frauenstück" voller Kunstfiguren der Parcours für schauspielerischen Glanz und Reflexionsvermögen eine reine Männerdomäne. "Eher springt das Kamel aus dem Gleichnis, als dass sich der Reichtum meines Innenlebens durch das Ör meines Mundes zwängen lässt." Dies sagt Peter Lenz alias Thomas Loibl, der den Weg zum Herzen der Geliebten über ihr Geld zu finden sucht und auf dem schlittrigen Parkett dieser Regelwidrigkeit ein komödiantisches Feuerwerk entfacht. Die ganz eigene Komik stiller Implosionen dagegen kann man erneut bei Jens Harzer entdecken, der als Hamlets Geist und vor allem als "Der Umständliche" kopfschüttelnd die Kanäle und Folgen der Kommunikation betrachtet. War Hamlet, wie Harzer sagt, "der Zauderprinz für viele Generationen", so könnte er selbst der der heutigen werden.


Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau (UA)
von Botho Strauß
Regie: Dieter Dorn, Bühne und Kostüme: Jürgen Rose, Musik: Claus Reichstaller. Mit: Sibylle Canonica, Cornelia Froboess, Katharina Gebauer, Nadine Germann, Katharina Hauter, Gina Henkel, Stephanie Leue, Barbara Melzl, Lisa Wagner, Ulrike Willenbacher, Gerd Anthoff, Victor Asamoah, Ulrich Beseler, Rainer Bock, Jens Harzer, Thomas Loibl, Felix Rech, Arnulf Schumacher, Rudolf Wessely und Stefan Wilkening.

www.bayerischesstaatsschauspiel.de


Zuletzt berichtete nachtkritik.de über Botho Strauß-Aufführungen am Wiener Burgtheater, wo Stefan Bachmanns die Trilogie des Wiedersehens inszenierte, und am Staatstheater in Mainz, wo Jürgen Bosse Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle aufführte.

 

Kritikenrundschau

Es ist wie im Traum", schreibt Barbara Villiger-Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (4.4.2009) über diese "unglaublich dichte Inszenierung". Alles hänge zusammen und doch wieder nicht. Zahllose Details verwöben eine Szene fein mit der andern. In Strauß' Drama gebe keine Handlung, dafür werde die Welt ins Visier genommen, Leben, Altern und Tod und mittendrin das menschliche Wesen. Jürgen Rose, Dorns Ausstatter, vervielfache die Bezüge durch Kulissenelemente, deren Aufbau und Transport zum leichten Spiel gehören. "Ein Theaterabend?", frage Cornelia Froboess am Schluß. "Oder ein Lebensabend voll Theater? Leicht ist das Spiel nur zum Schein. Der Schein aber glänzt."

Dieser Inszenierungstil sei inzwischen so festbetoniert, wie einst die durch Modellinszenierungen vorgegebene Brechtspielweise", schreibt Matthias Heine in der Tageszeitung Die Welt (4.4.2009), der den Eindruck, daß auch jüngere Strauß-Stücke immer noch in den Achtziger Jahrern spielen würden, einigermaßen fatal für diesen Abend findet. "Immer muss die Bühne zunächst leer und weiß sein wie ein Innenarchitektentraum aus den Zeiten der Neuen Deutschen Welle" - ganz egal, wer nun Regie führe. "Immer sind irgendwelche Neonröhren oder leuchtenden Kunststoffobjekte dabei. Immer ist ein abstrakter Quader mit im Spiel - gerne schwarz." An diesem Abend bringt lediglich die "virtuos zwischen Alltagsjargon und Poesie changierende Sprache" Heine immer wieder neu zum Zuhören. Die Schauspieler des Residenztheater-Ensembles sprächen so schön und gepflegt, "wie sie es sich in Jahrzehnten strenger Klassikeranbetung unter dem Intendanten Dorn antrainiert haben". Das aber sei nicht immer gut für das Stück, "denn allzu große Klarheit enthüllt manchmal einfach das Belanglose" daran.

Die Uraufführung des neuen Stücks von Botho Strauß gleicht aus Sicht von Christopher Schmidt von der Süddeutschen Zeitung (4.4.2009) einer Großoffensive. Besonders die Spezialeffekte von Jürgen Rose lassen Schmidt "Bauklötze staunen": Da schwebe "ein voll bestuhlter Konferenztisch aus dem Himmel herab, als wär's ein Konfettischnipsel, Spiegelwände wirbeln à la Cirque du Soleil durch die Lüfte, und kubische Kulissen kugeln sich ballettös in Grundstellung, um Podesterien zu weichen, die wie Luftkissenboote geisterhaft durch den Raum flutschen. (...) Trompe-l'Oeil-Effekte narren den Betrachter, schwerstes Gerät verleugnet sein Gewicht (...) Und wenn dann eine Eiskunstläuferin spukhaft ihre Bahnen zieht, dürfte niemand mehr Jürgen Rose den Rang als Magus seines Fachs streitig machen." Zum zehnten Mal liessen Dorn und Rose nun ein Stück von Botho Strauß steigen, vereinen sich die alten Meister, um dem schäbigen Rest der Theaterwelt zu zeigen, was fliegen ist. Geschlagen wird eine puristische Materialschlacht, jedes Bild ist eine glasklare Setzung, austrainiert wirken die Szenen, sehnig, von jeder Stegreif-Schlabbrigkeit entschlackt. Dass der Abend darüber nie seine Lockerheit verliert, dass er Zug hat und doch phantasieoffen bleibt wie lange keine Dorn-Inszenierung, ist eine seiner Tugenden." Dorn und Roses "gelehrte Camouflage" hat der Text aus Schmidts Sicht auch bitter nötig, der "zum Teil läppisch, zum Teil albern, mal schlüpfrig, mal einfach nur verspult - aus sämtlichen Poren ranzige Altmännerphantasien ausschwitzt."

Auch Gerhard Stadelmaier bejubelt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.4.2009) Dorns "großes Weltweibertheater". Bereits das Straußstück findet er "tollmundig" geschrieben, und "Leichtnehmer Dorn" ist für den Kritiker "der kongeniale Regie-Partner des Dramatikers Strauß, der das Schwerste leicht nimmt, weil er es nicht löst, sondern in der Schwebe hält, in der es nach allen Seiten Anschluss und Durchlass hat: nach unten und oben ins Himmlischhöllische, Mythologische, in die Hirnhinterzimmer der Ängste und Entzückungen, der Denkabenteuer hinein, in die Katakomben hinunter, in denen unterm Boulevard die archaischen Götter und Göttinnen des Gemetzels die glatten republikanischen Gesellschaftswesen narren." Noch bevor es losgeht sieht Stadelmaier die neun Katharinen aus der Versenkung empor fahren, in die die ganze Gesellschaft am Ende auch wieder hinabfährt: "neun teuflisch komische Damen auf der Suche nach dem richtigen Leben mit den falschen Männern. Dorn sperrt sie in sein Bühnenhaus. Er entlässt sie nicht in die Welt. Er gibt ihnen den Spielraum. Den Welt-Raum müssen sie sich selber erobern." Botho Strauß sei ein traurig lächelnder Prophet der weiblichen Utopie. Dieter Dorn aber ihr fröhlich lachender Prediger.


"Der Dialog ist zart, das Bühnenbild gewaltig", schreibt Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau (4.4.2009) für den jedes der zehn Szenenbilder dieses Abends locker für eine ganze Aufführung reichen würde. Insgesamt geht Dieter Dorns Beeindruckungsregie für Michalzik bestens auf. Das Stück, das sich an sich selbst aufzulösen droht, erscheint klar, leuchtend vor uns. Dorn geht daneben mit großer Detailfreude zu Werke, das vielköpfige Ensemble hat keinen einzigen Ausfall." Allein, für den Kritiker bleibt natürlich die Frage: "Was soll's? Mal geht's um die Krise, mal tritt jemand aus anderen Sphären in das Stück, mal sieht man, wie sich eine Motivkette kunstvoll hindurch zieht, vom Tisch bis hin zum O (Mund, Sprechen, Küssen, Tod). Der gesellschaftsanalytische Ertrag ist äußerst gering, der Unterhaltungswert der dreieinhalb Stunden nur momentweise beträchtlich."

Als einen "über weite Strecken gelungener Theaterabend voll Komik, Tempo, Leichtigkeit, voll berührender Momente und bedenkenswerter Gedanken", lobt Michael Schleicher im Münchner Merkur (4.4.2009) die Inszenierung. Trotzdem ist sein Zuschauerglück nicht ungetrübt: "Es gibt auch Geschwätziges, Unausgegorenes und Szenen im Leerlauf. Allein: Die Stärken der Inszenierung, die tolle Ensemble- Leistung machen dies alles fast vergessen."

Peter Kümmel geht leider fast nur noch zu Stein, Bondy, Zadek und Breth. Das "Textflächentheater" ist ihm "Ödniss", von den alten Meistern erwartet er sich offenbar eine Verwirklichung seines persönlichen Theaterglücks. Trotzdem: auch anlässlich Dieter Dorns Botho Strauß-Uraufführung macht der Theaterredakteur in seiner Zeitung Die Zeit (8.4.2009) wie üblich hochinteressante Bemerkungen. Wie zum Beispiel die, dass die "Bühnenwelt von Botho Strauß" sehr alt sei, "überladen mit Bildungsgut", und die Einzigen die das nicht wahrnähmen, seien die "aufgekratzten" Figuren. Nicht der Auftritt präge dieses Theater, sondern der Abgang, es handle sich um eine "Dramatik des Vorbeiwehens". Und solcher Dinge mehr gibt es bei Kümmel. Zur Aufführung selbst schreibt er den ebenso bitterbösen, wie schönen Absatz: "... in einem nichtdramatischen Text, sozusagen mit eigener Stimme, schrieb der Autor einmal: 'Wie lange erträgt man es zu wissen, daß nichts dahinter steckt?' Das kommt ganz auf den Regisseur an." Dorn versuche "nach Kräften", den Gegensatz zwischen "der alten, von Abgründen versehrten Strauß-Welt" und den "zuversichtlich darin herumirrenden Figuren" ins "helle Boulevardlicht" zu tauchen. Kümmel scheut ja das klare Wort, wenn es um seine bevorzugten Theatermacher geht, aber diesmal wird er vergleichsweise deutlich: Dorn "nimmt das schwermütige, von Abschiedsstimmung gesättigte Stück als Anlass einer Publikumsüberwältigung."

 

Kommentare  
Leichtes Spiel in München: Altherrenphantasie
„Eine Überraschungs- und Unvorhersehbarkeitsdramaturgie, die die Leichtigkeit ihrer Fügungen noch einmal extra betont, in dem sie die beiden Titelworte in jeder Szene wie auf einem Suchbild im Text versteckt.“ Wenn es nicht im Programmheft stehen würde, wir müssten dumm sterben. Leicht soll sich alles fügen, aber warum dafür 9 Frauen sich einer Altherrenphantasie beugen müssen, verstehe wer will. Das Stück beginnt banal im Supermarkt, eine unbedarfte Hausfrau gewinnt und verliert, ehe sie es begriffen hat, einen Verehren an ihre Schwester. „Mit ihr hätten Sie leichtes Spiel gehabt.“ Sie ist halt die Ängstliche. Und so geht der Reigen der Peinlichkeiten weiter, über die schöne Träge, die erst von einem Hamletgeist gesagt bekommen muss, das sie doch lieber den interessanten Gast nehmen soll, bevor sie Opfer eines schlaffen Greislein wird. Die Kreative muss erkennen, als sie der Teamleiter nicht mag, dass sie lieber auf den umständlicher Briefeschreiber hätte setzen sollen. Jens Harzer ist einziger Lichtblick als Hamletgeist und Umständlicher. Was nicht heißen soll, dass sich die Damen nicht gut schlagen, sie werden aber wie schon gesagt, nur als Schablonen für eine merkwürdige männlich gesehene Lebensphilosophie verbraucht. Die nächsten Stationen heißen Frühlingsopfer, eine völlig nebulöse Männerrunde will einer Angetrunkenen mal nicht an die Wäsche, sondern altkluge Ratschläge erteilen. Die Zungenfertige erliegt aus lauter Neugier einem windigen Typen, der sogar vorgibt, sie nur wegen des Geldes zu nehmen. Dies passiert auf glattem Grund, schlüpfrig wie der Text dazu. Danach ist Pause und man hätte nichts versäumt, wenn man gegangen wäre, denn nun geht es steil bergab, nicht nur über die Bühnentreppe, sondern auch mit Sprachwitz und dem Intellekt der dargestellten Frauen. Nun sind sie in den Fängen der Männer angekommen, es geht nur noch um Geld und den Erhalt des Status Quo. Das ist langweilig und uninteressant, Tiefpunkt ist die Szene der Ungehörigen, die einen Vortrag eines Mörders ständig unterbricht und sich dann mit dem schon aussortierten Alten verbündet. Das haben die Frauen nicht verdient, Botho Strauß entsorgt ca. 40 Jahre Emanzipationsversuche der Frau in den Bühnenabgrund. Zum Schluss darf auch noch Dieter Dorn als braver langjähriger Umsetzer der Straußschen Texte zeigen, was er für ein Frauenbild hat. Er steckt Cornelia Froboess in einen roten Kasten mit rotem Ballett-Tütü. Als spätes Mädchen darf sie 8 Bände Memoiren von verpassten Chancen und einem schönen Lachen vortragen. Danach ist es finster und vorbei. Leichtes Spiel, sauber. Es bleibt zu hoffen, das Martin Kušej den Staub des Botho Strauß aus diesem Haus fegen wird.
Kommentar schreiben