Theaterinfotainment

von Jürgen Reuß

Freiburg, 3. April 2009. Auf der, in dieser Spielzeit zur Festung Europa ausgerufenen Kammerbühne des Theater Freiburg teilt diesmal ein Fahnenvorhang in den Farben der Serbischen Republik die Bühne ab und ein paar gerahmte Bildchen historischer Serben kleben auf den, in den vorangegangenen Inszenierungen zum Thema bepinselten und beschrifteten Wänden.

 

Aus dem Off verkündet eine weibliche Stimme die "Kultur der Lüge" im ehemaligen Jugoslawien und beschuldigt die "Großen Manipulatoren und ihre Teams (also Schriftsteller, Journalisten, Soziologen, Psychiater, Philosophen, Generale)", das multikulturelle Land demontiert, nationalisiert und ethnisch gesäubert zu haben.

Die Show seines Lebens

Einer dieser Manipulatoren, Radovan Karadzic, erhebt dann aus den Reihen des Publikums seine Stimme und erzählt vom Tag seiner Verhaftung. Da ist er schon nicht mehr Präsident der von Bosnien-Herzegowina abgespaltenen Republika Srpska, sondern nennt sich Dr. Dragan Dabic und gibt sich als Alternativmediziner mit Wunderheilerqualitäten aus - entsprechend ausgestattet mit den Insignien eines Gurus: langes, weißes Haar, langer grauer Bart, hinter denen lange niemand den gesuchten Kriegsverbrecher vermutete.

Beim Schauspieler Frank Albrecht ist das lange Haar zum Pferdeschwanz gebunden, und der Bart hängt sichtbar falsch am Hängegummi. Er schäkert mit der Sitznachbarin, kommt dann auf die Bühne und führt wie ein humorfreier Latenight-Talker durch die Show seines Lebens. Hauptsächlich gymnastisch unterstützt wird er dabei von einer zauberhaften Assistentin (Vanessa Valk), die vor allem reizend lächeln muss.

Theaterthemenabend à la Arte

Gemeinsam lassen sie dann sein Leben und das der Serbischen Republik mit ihrer, auf Kosten Tausender Toter imaginierten Historie collagenartig Revue passieren: die Amselfeld-Schlacht, die dubiose David-Wellbeing-Methode, mit der Karadzic alias Dr. Dabic seinen Patienten Potenz und ewige Jugend versprach, Autobiographisches, ein paar Gedichte, ein Dialog mit der Mutter, Kriegsbilanzen, Tribunal, Puppenspiel und ein serbisches Volkslied.

Bestünde der Abend lediglich daraus, hinterließe er wohl kaum mehr als den Eindruck eines etwas willkürlichen, oberflächlichen und belanglosen Psychopolit-Potpourris. Aber mit dieser Beurteilung täte man Regisseurin Katrin Hentschel Unrecht. Denn in zwölf Probetagen lässt sich wahrscheinlich kaum etwas Profunderes auf die Beine stellen.

Doch das Theater will mit der Kammerbühne in dieser Spielzeit auch etwas anderes, nämlich eine Art theatrales Infotainment nach Manier der Arte-Themenabende bieten, bei dem die Diskussionsrunde statt mit Filmeinspielungen durch Schauspielszenen eingeleitet wird. Im Theater Freiburg heißt dieses Format "Brandherd". Erst ein bisschen geschauspielerte Informationen, dann die Expertenrunde.

Öffentlich-rechtliches Theaterinfotainment

Nach einer Pause folgt also der längere Diskussionsteil mit Prof. Dr. Marie-Janine Calic als wissenschaftlicher, Ute Becker als Nichtregierungs-Expertin auf der Bühne und den per Skype zugeschalteten Vorort-Spezialisten Erich Rathfelder (taz-Korrespondent), Jasmina Redzepagic (Sozialarbeiterin aus Tusla) und Nihad Mess, Organisator des Sarajevo-Theaterfestivals.

Das alles ist im Prinzip nicht uninteressant - gerade auch als Versuch zur Frage, ob das Theater mit seinen Mitteln der omnipräsenten Konfliktverarbeitung in Funk und Fernsehen nicht etwas Eigenes entgegenzusetzen hat. Allerdings müsste es sich dazu dann erstens auch deutlicher auf seine theatralische Stärke konzentrieren und zweitens nicht die Fehler des öffentlich-rechtlichen Häppchen-Infotainments wiederholen.

Ersteres, eine konzentriertere Inszenierung, könnte schwierig werden, weil das mehr Zeit und mehr Geld erfordern würde. Vielleicht ist da das Festhalten am Low-Budget-Experiment vorerst also nicht das schlechteste Rezept. Die Fehlervermeidung beim Theatertainment ist dagegen relativ einfach: Wenn man fünf Experten hat, die alle sehr spannende Sachen zu erzählen haben, braucht man entweder fünf Stunden Zeit, weniger Experten, oder man gibt jedem Einzelnen mehr Raum, in dem man die unterschiedlichen Experten auf die einzelnen Aufführungstermine verteilt.

 

Karadzic. Guru
ein Ensembleprojekt von Katrin Hentschel
mit Texten von Slavenka Drakulic, Peter Köpf, Dubravka Ugresic, Felix Steinbrenner, Radovan Karadzic, Erich Rathfelder, Emir Kusturica, Emir Suljagic, Carla de Ponte u.v.a.
Regie: Katrin Hentschel, Raumkonzept: Moritz Müller, Kostüme: Birgit Holzwarth, Dramaturgie: Viola Hasselberg, Arved Schultze.
Mit: Frank Albrecht, Vanessa Valk.

www.theater.freiburg.de
www.festungeuropa.eu

 

Mehr aus der Freiburger Festung Europa? Im Oktober 2008 startete das Projekt mit Christoph Fricks Die Europäische Verfassung. Eine Verzettelung. Zuletzt adaptierte Tanja Krone im März 2009 Saša Stanišics Erfolgsroman Wie der Soldat das Grammofon repariert.

 

Kritikenrundschau

Mit seiner "einstündigen, virtuosen Selbstbetrachtung" faszinierte besonders der Schauspieler Frank Albrecht als Karadzic Ulrich Herrmann von der Frankfurter Rundschau (11.4.), und zwar als eitler," im eigenen Mittelmaß versinkender Komödiant, basierend auf den wenigen, bekannten Belegstücken seiner Existenz, schwülen Gedichten, esoterischen Therapieempfehlungen, biographischen Aussagen". Aber auch Puppenspieleinlagen können ihm den Alptraum, in dem das multinationale Experiment in Jugoslawien endete, höchst intensiv vor Augen führen. Der Kritiker bedauert sehr, dass das spannende Freiburger Projekt "Festung Europa" lediglich an einem unscheinbaren Nebenspielort des Theaters stattfindet. "Karadzic. Guru". hat ihm auch noch einmal auch die Widersprüchlichkeit des Grauens deutlich gemacht.

 

 

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