Das blinkende Herz unserer Autobau-Gesellschaft

von Anne Peter

Berlin, 12. April 2009. Shakespeare ist Pop. Seine Sonette gäben heutzutage schöne Texte für melancholische Balladen oder, bei gesellschaftskritisch bissiger Botschaft, auch einen angeschrägten Song mit Dreigroschenoper-Sound ab. So sieht das zumindest Rufus Wainwright, der kanadisch-amerikanische Folk-Rock-Star, der jetzt 25 der insgesamt 154 shakespearschen Vierzehnzeiler für Robert Wilsons "Shakespeares Sonette" vertont hat.

Geschlechter in Verwirrung

Und leider kann er es nicht lassen. Er muss den Schauspielern, die seiner live-gespielten Musik zuvor drei Stunden lang virtuos ihre Stimmen geliehen haben, am Ende noch ein bisschen die Show stehlen. Was Georgette Dee, jene als Mann geborene Drag-Diseuse, bereits schöner, brüchiger gesungen hatte, jenes Lied (nach Sonett Nr. 20) von dem schönen Mann mit dem Frauengesicht, den die Natur als Weib plante und ihm dann, weil sie sich in ihn verliebte, noch ein männliches Ding anhängte, auf dass er die Frauen entzücke, muss Wainwright mit geschlossenen Augen und innig gehaltenem Mikro noch einmal nachsingen und den Jubel des Publikums abkassieren, das ihn vor der Vorstellung im Foyer schon mit Digitalkameras bestürmte. Aber das ist bloß das eitle Nachspiel.

Georgette Dee ist an diesem Abend im Berliner Ensemble mit ihren trockenhumorigen Zwischenauftritten der Fremdkörper in der ansonsten gewohnt perfekt abschnurrenden, verkünstelten Wilson-Show. "400 Jahre Sonette und wir sitzen immer noch da und hören uns das an", seufzt sie und behauptet ihrerseits gänzliche Gegenwartstauglichkeit von Shakespeares Poesie. "Liebe, Leidenschaft, Hass", fasst sie deren Spektrum lakonisch zusammen – "voll meine Themen". Auch das: eine Diven-Variation, aber ungleich selbstironischer als Wainwright.

Augenklappern, spitzmündeln, fingerzeigen

Außerdem ist die männlich-weibliche Kunstfigur Georgette so eine Art bodenständige Kleinkunst-Verkörperung der von Wilson hervorgehobenen Geschlechterverwirrung. Er extrahiert aus den Sonetten ihr vermeintlich autobiographisches Personal, u.a. den Autor selbst, den von diesem besungenen Jüngling, die Dark Lady und den Dichterrivalen und besetzt die Rollen geschlechtsverkehrt.

Da ist die fabelhaft kühl Konsonanten ausstoßende Inge Keller ein Shakespeare mit aufgeklebtem Bart, Jürgen Holtz mit Reifrock-Bauschkleid, Halskrause und aufgesteckter Rothaarfrisur gibt Queen Elisabeth. Christopher Nell kann irritierend hochstimmig singen, und Christina Drechsler stattet ihren Knaben mit denselben schwebenden Kiekslauten aus wie die Polly in Wilsons "Dreigroschenoper".

Die heiter-weise Ruth Glöss steckt unter einer Narrenkappe, der drollig dickbauchige Cupido von Georgios Tsivanoglou hat am Rücken kleine Flügelchen und Anke Engelsmann eine überlange Nase. Sie alle stecken in elisabethanisch stilisierten Kostümen und haben jene schwarz-weiß geschminkten Wilson-Gesichter, mit denen sich so schön effektvoll Augen-klappern und spitzmündeln lässt.

Aufleuchtende Motive

Man ist puppenhaft tänzelnd gestimmt, bohrt Zeigefinger in die Luft und kann – dank präzise bereiter Tontechnik – per Gliederschwung lautstark Geräusche erzeugen. Dazwischen immer wieder übergroße Zeichen, Symbole, Verheißung von Bedeutsamkeit: Ein Paradiesbaum nebst einer androgynen Eva, die eine Gummischlange in der einen, den Apfel in der anderen Hand hält – die Sünde winkt. Cupido lässt einen Pfeil per Draht auf die Königin herniederfahren ­– eher abgenutzter Amor-Einsatz. Und immer wieder begegnet Phallisches, vom Tankzapfhahn bis zu Spargelstangen.

So bedient sich Wilson zwar manch aufleuchtender Motive und Figuren der Sonette, deren Verse er oft wiederholen und variieren lässt, schüttelt diese dann aber bunt durcheinander und baut autonome Bildstrecken, oft in einlullend schönfarbiges Licht getaucht, die den Text bisweilen gänzlich verschlucken, überlagern, quasi auslöschen, statt ihn etwa kommentierend zu stören.

Selbst über anbrutalisierte Bilder wie den zugezogenen Strick um den Hals oder Stock-schlagende Dominas klickert die Wilson-Maschine seltsam glatt hinweg. Text, Bilder, Musik sind wie Zahnräder, die wie am Schnürchen laufen, aber nur selten und wie durch Zufall ineinander greifen.

Durchschlagkraft des Pop

Manchmal jedoch reichen die Bilder unerwartet ins Heute. Zwei Münder bewegen sich langsam zum Kuss, und als sie sich treffen, leuchtet dahinter rot ein Autowrack auf, das von einem Holzpfahl durchbohrt wird – so wie das liebend-leidende Konsum-Herz unserer Autobauer-Gesellschaft angesichts der jetzigen Krise? Das scheint weit hergeholt. Und doch lässt Wilson auffallend oft das berühmte Sonett Nr. 66 skandieren, in dem das lyrische Ich einzig um des Geliebten willen der verkehrten Welt nicht gen Tod den Rücken kehrt: "All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei. / Ich seh es doch: Verdienst muß betteln gehen / Und reinste Treu am Pranger steht dabei / Und kleine Nullen sich im Aufwind blähn".

Am Schluss versammelt sich das gesamte Ensemble und spricht dies als chorische Anklage gen Parkett. Doch dort kommt kein Gegenwind an. Zu übermächtig ist die Kulinarik der Melodien, die Dekoration der Bilder. So bleiben es drei zauberhafte Stunden vor poetischer Verskulisse. Schön anzuschauen, schön anzuhören. Und von der Durchschlagkraft eines Popsongs.


Shakespeares Sonette
nach William Shakespeare
Übersetzt von Christa Schuenke und Martin Flörchinger
Regie, Bühne, Lichtkonzept: Robert Wilson, Musik: Rufus Wainwright, Kostüme: Jacques Reynaud, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg und Stefan Rager, Musiker: Domenic Bouffard, Andreas Henze, Yun Ui Lee, Sangha Hwang, Min Kim, Yeo Hun Yun.
Mit: Christina Drechsler, Anke Engelsmann, Ruth Glöss, Anna Graenzer, Ursula Höpfner-Tabori, Traute Hoess, Inge Keller, Sylvie Rohrer, Dejan Bucin, Jürgen Holtz, Christopher Nell, Sabin Tambrea, Georgios Tsivanoglou, Georgette Dee.

www.berliner-ensemble.de


Mehr zu Robert Wilson: Am Berliner Ensemble hat er im September 2007 Brechts Dreigroschenoper inszeniert, über die wir berichteten.

 

Kritikenrundschau

Shakespeare und Rufus Wainwright passen nicht immer zusammen, berichtet Hartmut Krug auf Deutschlandradio in der Sendung "Fazit – Kultur vom Tage" (12.4.) über Robert Wilsons "Shakespeares Sonette". Es sei an diesem Abend immer wieder ein Problem, dass die Poesie der Sprache von den Noten, aber auch von Wilsons artifiziellen Gesten und Posen übertönt werde. "Es ist eine typische Robert Wilson-Inszenierung. Da sind Figuren, die sehr skurril und sehr weiß geschminkt sind, mit ausgestellten Bewegungen (...) Phantasiefiguren, die dadurch wirken, dass sie sehr witzig sein sollen." Man bekomme bei den 25 Sonetten nur ganz schwer mit, was stattfindet, "außer dass man einzelne Gefühle und Haltungen mitbekommt". Georgette Dee ist für die Umbaupausen zuständig und macht, was sie immer macht, "rotzig frech und rumnölend", die ironische Brechung des Abends gelinge ihr allerdings sehr kunstvoll. Die Sonette seien eine reine Gefühlswelt, "Wilson stülpt eine Kunstwelt darüber, unter der die Texte verschwinden", und man wisse nie so recht, "was geht mich das an".

Wilson nutzt die Sonette als assoziative Steilvorlage für seine typischen surrealen Traumwelten, schreibt Christine Wahl in spiegel online (13.4.). Shakespeare trete höchstpersönlich auf: in Person der 86-jährigen Inge Keller, "die mit ihrem grauem Pagenkopf überm weiß geschminkten Gesicht tatsächlich jeden Shakespeare-Doppelgänger-Wettbewerb gewinnen könnte". Bei Wilson stünden androgyne Gestalten – "Frauen werden an diesem Abend von Männern gespielt und umgekehrt" – an stilisierten weißen Tankzapfsäulen und "rocken sich das Bekenntnis schwindender Liebeskraft" von der Seele. Rufus Wainwright liefere den Soundtrack, der das gesamte musikalische Feld durchmisst "von redundanten Weisen, die an mittelalterlichen Minnesang erinnern, bis zur zeitgeistigen E-Gitarre". Fazit: "Einmal mehr ist so zu beobachten, wie Wilsons in den sechziger und siebziger Jahren tatsächlich wahrnehmungsverändernde Bilderwelten zum idealen kulinarischen Feiertagstheater für die ganze Familie geworden sind. Das ist edel anzusehen, mit drei Stunden etwas lang bemessen und tut keinem weh."

Für Rüdiger Schaper vom Berliner Tagesspiegel (14.4.) ist Wilsons Inszenierung hingegen ein wahres "Traumspiel", vor allem aber "eine Hommage an drei alte Berliner Schauspieler": Inge Keller throne "wie eine Königin der Nacht" und strahle "vor Gedankenkraft". Ruth Glöss als Narr schwebe "leicht und heiter". "Sensationell" auch Jürgen Holtzs "Verpuppung als Queen Elizabeth I. (und II., mit Handtasche!)". Im Ganzen gelinge dem Regisseur "etwas Wunderbares": Es sei, als schaue man "einer Märchentruppe zu, die sich backstage vorbereitet. Shakespeares Sonette als Privatissimum des Theaters". So frei habe Wilson lange nicht assoziiert. In diesem "arkadisch-ballettösen Durcheinander" gelinge anfangs einfach alles. Nach der Pause sei an diesem Abend, "der lange Zeit wie ein Meisterwerk aussah", jedoch nichts mehr, wie es war, "dahin der paradiesische Zustand gespielter Unschuld! (...) Der Theaterapparat schlägt zurück, man ist in der Realität einer teuren und anfälligen Riesenproduktion gelandet", der man ansehe, dass sie nicht zu Ende geprobt sei. Die Aufführung zerfalle "in eine Nummernrevue, und plötzlich ist ein aggressiver Ton im Spiel, klingt es nach einer bissigen Brecht-Weill-Parodie". Erst als Wainwright am Ende noch mal in Shakespeares Sprache singe, kämen "noch einmal die Engel zurück".

Dirk Pilz schreibt in der Berliner Zeitung (14.4.), Wilson, "einmal der Vertreter einer Vorzeige-Avantgarde", produziere mittlerweile "Konfektionsware für maßgeschneiderte Warenhausemotionen". "Alles so schön!", ironisiert er, "lauter eingängige Bilder" und dazu die "marionettenhaften Figuren aus der fehlerfrei arbeitenden Wilson-Fabrik: Pling, und sie tippeln herein, doing, und sie grinsen ins Publikum, klick, und sie trollen sich hinaus". Wainwrights "Geräuschkulisse" sei "von bloßem Eklektizismus durchwest" und lediglich damit beschäftigt, "einer schwammigen Sentimentalität Ausdruck zu verleihen". Dringlichen Grund gebe es nicht, warum den Sonetten hier mit viel perfektionistischem Aufwand das Gewand des Kulinarischen umgehängt wurde. Sonett 66 gerate da zur "Selbstoffenbarung: 'Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat' (...) – das nachhaltige Abtöten aller Poesie durch mechanisiertes Szenenverrichten", bei dem "die Verse in eine Zwangsvorrichtung gesperrt" wirkten, "die ungnädig wie ein Eierschneider operiert: Jedes Wort und jedes Gefühl wird in die immergleichen Kitsch-Scheibchen zerlegt" – bloßes "Kunstgewerbe".

Ganz anders sieht das in der tageszeitung (14.4.) Pop-Spezialist Jens Friebe, der zunächst befürchtet, "eine Schar singender Schauspieler und theatralischer Einfälle" könnte "feindlich zwischen Wainwright und Shakespeare treten". So fühlt er sich zunächst denn auch "etwas zu penetrant bezaubert" und die Musik scheint ihm "zur reinen Untermalung für einen öden Rezitationszirkus und einen pauschaltouristischen Blick auf das 16. Jahrhundert degradiert". Das ändere sich allerdings im Verlauf des Abends: "Dichtung, Musik und Schauspiel kamen sich immer näher", erster großer Moment bei Sonett 76, das Sylvie Rohrer "mit dem androgyn-quecksilbrigen Trickster-Witz eines Sommernachtstraumkobolds" deklamiere und das nächste Sonett so singe, dass man zum ersten Mal Wainwrights unverwechselbar "zarten Ton zwischen Folksong und Spätromantik" heraushöre. Shakespeares "queere Seite" verhandele Wilson mit diesem "dem erotischen Idealismus geweihten Abend" nicht nur durch die umgekehrte Geschlechter-Besetzung, sondern "auch durch gezielt gesetzte, kongeniale Highlights" wie beim "gendertechnisch (...) spektakulären" Sonett Nr. 20, in dem die Natur das geplante Mädchen zum schönen Jungen umschafft, der sich bei Wilson selbst eine Spritze gibt, "Metapher für das süße Gift narzisstischer Selbstbefruchtung" oder auch "hormonelle Vorbereitung auf eine operative Geschlechtsumwandlung".

Einen "endlos hübsche Bildchen ausspeiendem Performance-Zirkus" mit "flauschigem Soundtrack" und allerhand Stars, hat Reinhard Wengierek von der Welt (14.4.) gesehen, in dem Georgette Dee "zur Bildwechselfüllerin gestutzt" sei. Epoche machend bleibt für den Kritiker die szenische Sonett-Adaption durch Wolfgang Engel, ein "geistig-körperliches Anfass- und Loslass-Spiel, in dem drei Personen in vehementestem, ganz und gar heutigem Schlagabtausch das Glück und Leid dreier Paare variierten". Wilson, der im verkopften deutschen Bildungstheater einst einem Paradigmenwechsel gleichkam, wiederhole seine "Schaufenster-Ästhetik" mittlerweile "geradezu fabrikmäßig", "im Technischen stets perfektionistisch, im Dramaturgischen aber notorisch unkonzentriert verspielt". Zur "kleinlich-niedliche Musik des Pop-Jüngelchens Wainwright: historisierend renaissancehaft, kokett schönbergisch, wienerisch kaffeehäusig, gelegentlich rappig und immer aber zuckersüß einlullend" verliere Wilson sich nun "rettungslos" in den Zeilen der Sonette "sowie im Klingklang der (...) liebevoll gespielten, doch lieblos seichten Kompositionen". "Statt dramatisch wuchtiger Poesie – lauter slapstickhafte Possierlichkeiten. (...) Keinerlei mächtige, das Drama verstärkende Bilder, bloß Bildgeriesel".

Georgette Dee sei hier irgendwie hineingeraten, "ohne dass man wüsste, welchen dramaturgischen Zweck das haben könnte", meint Jürgen Otten in der Frankfurter Rundschau (14.4.). Manchmal sei in Wilsons Bildern "sehr viel weltanschauliche Sinnhaftigkeit, manchmal ist es sehr wenig, was darin zum Ausdruck gelangt, und manchmal sind die Bilder schlichtweg nichts als Embleme". Immerhin eine erlesene Besetzung: "Inge Keller als Shakespeare, das genügt, um gerührt zu sein." Streng schaue die "Grande Dame des BE" in die Welt, "manchmal sagt sie einige raue Sätze, meistens aber schweigt sie, weil sie ja streng gucken muss als Verseschmied". Jürgen Holtz hingegen sehe meist "verdrießlich in die Welt, wie eben unglücklich verliebte Tugendbewahrerinnen so gucken", und wenn er dann das 18. Sonett vom "Sommertag"-Vergleich deklamiert, sei das "schon sehr komisch". Einer "konkreten Zuschreibung" weiche Wilson aus und kreiere mit seinen Bildern "Situationen und Assoziationen", die Wainwrights Musik "in schlimmster Affirmation einfach doppelt", das klinge "immer hilf- und saftlos, bemüht, infantil, kurz: grottenschlecht". Die Sonette seien der Inszenierung "nurmehr Requisit", obwohl die Worte doch "so vieles von dem, was die Bilder unnötig aufpumpen, konkret ausdrücken könnten".

"Was für ein schöner Abend das hätte werden können", offenbart sich für Gustav Seibt, der für die Süddeutsche Zeitung (14.4.) schreibt, erst als Wainwright beim Schlussapplaus selbst singt und das BE "doch noch zu einer Art von Pop-Arena" mache. Dass Wilsons Ästhetik "aufs allerbeste zu Shakespeares Sonetten passe", hält er für eine falsche Dramaturgen-Idee. Der Regisseure lasse des Dichters Metaphern-Schatz-Kästchen zu und baue "einen zweiten, womöglich noch kunstvolleren großen Kasten darum herum, den wunderbaren, kalten und zweckfrei-zwecklosen Bob-Wilson-Kasten, den er um alles herumbaut". Darin geschlechtslose, "angemalte Puppen", "jedes Molekül Erotik wegsterilisiert" – eine klinisch keimfreie Jahrmarkts-Nummernrevue. Zu diesem "kultivierten Kitsch" passe auch Wainwrights Musik, der "nichts Teures fremd" sei. Die Effekte dürfe man sich dabei "keineswegs subtil vorstellen" (für das gesellschaftskritische Sonett Nr. 66 etwa baue Wilson "eine Sündenfall-Szenerie", die Wainwright "mit überdeutlichen Anklängen an den Haifisch, der da Zähne hat", unterlege). Dass es im aseptischen Wilson-Kasten "doch immer wieder zu ergreifenden Momenten kam", liege maßgeblich "an der lebenserfahrenen Redekunst" der alten Großschauspieler Keller, Holtz und Glöss, "die allein durch die Kraft ihre Stimmen den Edelkitsch um sie herum versinken ließen". Da fragt sich der Kritiker: "Warum überhaupt so viel Regie, wenn richtig gesprochene Verse schon das Glück machen könnten?" "Ach ja, und für die schwule Wellness gab's dann noch Georgette Dee".

Wo Wilson Shakespeares Sonette "in die Sprache seines lichtsinfonischen Theaters" übersetzt, sei es jedes Zuschauers Pflicht und Lust, "das Gesehene mit den Maßgaben seiner eigenen Fantasie wiederum zu übertragen", schreibt Hans-Dieter Schütt im Neuen Deutschland (14.4.). Wer hingegen "wissen will, will das Falsche, Kunst ist nicht Erkenntnis, sondern Erfahrung", und die Formulierungen der Poesie seien "immer nur durch neue Bilder ersetzbar". Wilsons "Verwandlung von Worten in sichtbare Welt ist eine "Überwältigung aus Licht, Farben und Tönen", die einen zuschauen lasse, "wie Poesie die Gewissheiten der Aufklärung, der landläufigen Wahrnehmungen unterläuft". Mit den "Uneindeutigkeiten der Lyrik" träume Wilson sich "ins Kryptische" und choreografiere es zu "Gedankenkomödien" und "Empfindungskollisionen von betörender Eindringlichkeit". Jedes Sonett sei hier "ein anderes Drama, und im Rausch der Musik, die viel Melancholie ist, auch dröhnender Rock, geht kein Text verloren".

 

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