Andere Sicht auf ein Politdrama

von Jens Wellhöner

Kiel, 19. April 2009. Es ist der September 1987: Der schleswig-holsteinische Minsterpräsident Uwe Barschel wird beschuldigt, seinen Gegenkandidaten von der SPD, Björn Engholm, ausspioniert zu haben. Im Laufe der Affäre kommen immer mehr unappetitliche Einzelheiten ans Tageslicht. Schließlich tritt Barschel zurück und wird wenige Wochen später tot aufgefunden.

 

Diese Chronik der Affäre ist das Handlungsgerüst des Stücks "Die Statisten des Skandals". Die Darsteller schlüpfen in die Rollen von Zeitzeugen, die damals in die Barschel-Affäre hineingezogen wurden. Nicht als Hauptverantwortliche, sondern als Nebenfiguren wie zum Beispiel Barschels Fahrer und seine Sekretärin.

Forschungsarbeit mit den Mitteln des Theaters

Das Stück haben Regisseur Tobias Rausch und sein Team von der Berliner Künstlergruppe "Lunatiks" geschrieben. Diese seit 2001 bestehende Gruppe aus Regisseuren, bildenden Künstlern und Musikern will historische Forschungsarbeit mit den Mitteln des Theaters betreiben. Ausgangspunkt sind dabei stets umfangreiche Recherchen, Gespräche mit Beteiligten und Experten sowie Archivarbeit.

Rausch will in der jetzt in Kiel entstandenen Arbeit vor allem der Frage nachgehen, wie die Beteiligten, scheinbare Randfiguren des Politdramas, die Barschel-Affäre durchlebt haben. Als Vorbereitung haben der Regisseur und sein Team mit diesen "Statisten des Skandals" lange Interviews geführt. Und aus ihnen den Text für ihr Stück gestaltet. So kommen diese Zeugen durch die Darsteller quasi selbst zu Wort und erzählen ihre Sicht des Geschehens.

Der Skandal, das Stück, die Kunst

Uwe Barschels Fahrer berichtet (sehr intensiv: Stefan W. Wang) fast weinend von den langen Verhören im Untersuchungsausschuss des Landtags. Und der Stern-Reporter (Gerrit Frers) schildert, augenscheinlich noch immer geschockt, von seinem Fund der Leiche Barschels in der Badewanne. Dabei werden die einzelnen Berichte collagenhaft aneinandergereiht. Dankenswerterweise folgen die einzelnen Szenen der chronologischen Reihenfolge des Skandals, so dass man als Zuschauer nicht den Überblick verliert.

Dabei arbeiten die Darsteller aus dem Ensemble des Kieler Schauspielhauses an einigen Stellen die ganze Tragik der einzelnen Beteiligten heraus, die ohne ihre Schuld, in die Affäre hineingezogen wurden. Und vor der Presse und vor Untersuchungsbehörden die Nerven verlieren.

Regisseur Tobias Rausch will die Barschel-Affäre aber nicht nur als Drama, sondern als Tragikomödie darstellen, grotesk und absurd. So schwebt zum Beispiel Uwe Barschel (Stefan W. Wang) über die Bühne zu leisen Musikklängen, seinen Traum vom Fliegen auslebend. Oder die "Elefantenrunde" aus den Parteivorsitzenden kommentiert augenrollend den Ausgang der schleswig-holsteinischen Landtagswahl 1987. Selbst die damals Beteiligten könnten heute manchmal über diese Zeit lachen, wenn auch mit bitterem Unterton, so der Regisseur.

Umgang mit den Gefühlen

Diese Bitterkeit wird aber auf der Bühne allerdings vom Klamauk zugedeckt.  Darsteller Gerrit Frers wirbelt mitunter schreiend und Grimassen reißend über die Bühne und erinnert dabei nicht nur äußerlich sehr an den Komiker Bastian Pastewka. Doch bevor das Stück ganz in die Komik abgleitet, folgen glücklicherweise auch wieder stille, sehr intensive Szenen. Ein Hintergrundchor gibt dem Ganzen formale Anleihen einer griechischen Tragödie.

Alles in allem ein sehr unterhaltsames Stück. Vergangenheitsbewältigung. Tragisch und (manchmal arg übertrieben) lustig zugleich. Das nie langweilig wird und bisher noch unbekannte Facetten der Barschel-Affäre zu Tage fördert, weil die scheinbar unbedeutenden Randfiguren aus ihrer Sicht Geschichte nacherzählen und klar machen, mit welchen Gefühlen man als unfreiwillig Beteiligter in einen Politskandal zu kämpfen hat.


Statisten des Skandals
Text/Regie: Tobias Rausch, Musikalische Leitung/Ausstattung: Matthias Herrmann, Ausstattung: Katja Reetz.
Mit: Jennifer Böhm, Eva Krautwig, Gerrit Frers, Stefan W. Wang.

www.theater-kiel.de

 

Kritikenrundschau

Auf der Webseite der Kieler Nachrichten (20.4.) schreibt Christoph Munk: kein neues "Investigations- oder Aufklärungsstück" werde vorgeführt, "vielmehr konzentrierten sich die Recherchen auf die Erlebnisse und Erinnerungen von Personen, die damals nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen". In 39 Interviews seien im Vorfeld der Arbeit "individuelle Eindrücke gesammelt, Spuren der Geschichte" gesichert worden. In der Inszenierung von Tobias Rausch agierten die SchauspielerInnen Jennifer Böhm, Eva Krautwig, Gerrit Frers und Stefan W. Wang mit "gezirkelter Künstlichkeit". Sie suchten nicht "die Ähnlichkeit mit den dargestellten Figuren; statt auf dokumentarische Genauigkeit richten sie ihr Spiel exemplarische Wirkung". Szenisch habe Tobias Rausch "den Textvortrag vielfältig gegliedert": Er setze auf bewegtes Spiel, lasse "groteske Momente und sogar Komik zu". Eine "tiefere Dimension" erreiche die Aufführung durch die Mitwirkung des Thomaschores aus Schulensee, der das gesprochene Wort mit Teilen aus Bach-Kantaten kommentiere. Nach "klassischem Vorbild" erklänge auf diese Weise "Widerspruch, Strenge, Mahnung, Andacht". So nehme die theatralische Lektion nach 80 Minuten doch noch Stellung: "Eine Schuld Barschels sei juristisch nicht nachweisbar… Die Frage der politisch-moralischen Verantwortung bleibt bestehen".

 

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