So schön wird's nie wieder gewesen sein

von Stefan Bläske

Wien, 25. April 2009. Es mag weit hergeholt sein, zugegeben, aber stellen Sie sich vor, Sie fliegen nach Wien, um eine Wittenbrink-Premiere zu sehen. Sie verbringen einige Zeit in der Wartehalle eines Flughafens und beobachten Alltäglichkeiten: eine Securitybeauftragte verbietet das Rauchen, ein Handwerker pfeift einer Stewardess hinterher, eine Gruppe Japaner blubbert durchs Bild wie ein orientierungsloser Fischschwarm, und ein Anzugträger telefoniert verärgert, er muss seine Geschäftsreise nach Mexiko abblasen, da – Achtung, Wirtschaftskrise – ein Auftrag geplatzt ist. Ein Kaffeautomat bedankt sich für den Einkauf und ein Pilot erfragt den Weg "to the next Whiskey Bar", aber statt einer Bar taucht ein Bär auf, ein großer brauner, der mit glockenheller Stimme singt "Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar." Denn Eisbären müssen nie weinen.

Im warmen Burgtheater weint nur das Wetter. Unablässig rinnen Regentropfen über die große Fensterfront der Flughafenhalle, die Thomas Dreißigacker auf die Bühne gestellt hat. In neongelben "Follow me"-Westen lotsen Franz Wittenbrink und seine Musiker (Klavier, Gitarre, Bass, Gebläse, Drums) die Schauspieler durch den musikalischen Abend, eine Nummernrevue voller Klischeefiguren.

Big Mutti

Aber die Schauspieler füllen ihre faden Rollen mit so viel Energie, dass es eine Freude ist. Das Dreamteam bilden Kirsten Dene und Markus Meyer als ihr Sohn, ein seitengescheitelter Biologie-Professor, der mehr Ahnung vom Logos als vom Bios hat und schlagernd Trost findet: "Wenn früh oder spät Dein Schatz von Dir geht, Deine Mutter bleibt immer bei Dir". Mamas Rockzipfel hält eine fulminante Überraschung bereit, ein Mutter-Söhnchen-Streit eskaliert im Rock ’n’ Roll, das Premierenpublikum johlt, wenn Meyer akrobatisch durch die Luft zappelt und Dene den Elvis gibt, den "Hound Dog". Ausgerechnet: Der Song ward einst für Bluessängerin "Big Mama" geschrieben und erster erfolgreicher Crossovertitel der US-Charts.

Crossover ist das Etikett des Abends. Zumindest in musikalischer Hinsicht, weil Wittenbrink mal wieder meisterlich mischt und manscht, mit Zutaten aus zwei Jahrunderten Musik- und Literaturgeschichte, von Eichendorff bis Lindenberg. Bob Dylan und Peter Ahorner verschmelzen in einem Song, "Waltzing Mathilda" und "Am Brunnen vor dem Tore" in einem anderen. Da wird zusammengebracht, was nun mal zusammen gehört.

Ach, wir müssen Abschied nehmen

Nur den Figuren gelingt kein Crossover. Ihre Wege kreuzen sich, aber es gibt kein Miteinander, letztlich bleiben alle mehr oder weniger allein. So transportiert der Abend ein einsames Ungenügen, das wehmütiger macht als alle Abschiedsarien. Obgleich Julia Hartmann und Bernd Birkhahn mit ihrem Sternenstaub-Duett berühren, und auch sonst in Moll und Melancholie einige Verluste besungen werden: Die Inszenierung bietet mehr Lachnummern als Trauerarbeit.

Wittenbrink ist der Mann für die leichte Kost, den Amüsierbetrieb, und das wird dankbar aufgenommen. Wie wird gelacht, wenn der adrette Schauspieler trällert, er haue den jungen Mädchen auf den Popo. Hoho. Applaus und Bravo-Rufe, am Ende ist alles gut. Mit einem energischen "Can’t stand the rain" wurde der Regen vertrieben, man blickt auf Wien unter sternenklarem Himmel. Hübsch. Das war's.

Das war's dann also

Zwei Stunden Musikmix mit einer Prise Humor und Schwermut, zu genießen mit einem Augenzwinkern. Noch an der Straßenbahnhaltestelle erkennt man die beschwingten Wittenbrink-Fans, sie summen "Bye Bye Love, bye bye Happiness". Das also soll der Abschied einer "Ära" gewesen sein, einer zehnjährigen Direktion? Nun ja, es ist nicht der erste, bereits vor einem Monat hat Carmen Brucic die "Symmetrien des Abschieds" in einer rotplüschig-atmosphärischen Mischung aus Tag der offenen Tür und Schwarzmarkt für Abschiedswissen zelebriert.

Und strenggenommen ist die letzte Burgtheater-Premiere dieser Spielzeit ja auch gar kein richtiger Abschied. Der Wittenbrink-Abend wird in die nächste Spielzeit übernommen, die Mehrheit der Darsteller auch im künftigen Ensemble engagiert.

"Gehen, wenn's am schönsten ist?" Der im Programmheft abgedruckte Text stammt von Sibylle Berg. Die hat gut schreiben, sie kommt ja erst. So viel Neues aber wird es sonst nicht geben. Matthias Hartmann lässt (zunächst einmal) vieles beim Alten. Und Klaus Bachler? Der pendelt die ganze Spielzeit ohnehin schon zwischen Wien und München und dürfte sich insofern vom Flughafen-Ambiente durchaus angesprochen fühlen. Also bleiben wir auf dem Boden. Trinken, was Flügel verleiht, träumen vom Flug zum Mond und vom Sternenstaub.

S'hilft eh nix, was vorbei is, is vorbei, Baby Blue. So leben wir und nehmen immer Abschied


So leben wir und nehmen immer Abschied, Uraufführung
von Franz Wittenbrink 
Regie: Franz Wittenbrink / Stephanie Mohr, Musikalische Leitung: Franz Wittenbrink Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüme: Nini von Selzam, Licht: Friedrich Rom, Leiter der Band: Andreas Radovan, Korrepetition: Stefan Kallin
Mit: Kirsten Dene, Ulli Fessl, Julia Hartmann, Pauline Knof, Delia Mayer, Tamara Metelka, Bernd Birkhahn, Johannes Krisch, Juergen Maurer, Markus Meyer, Moritz Vierboom. Musiker: Franz Wittenbrink, Stefan Kallin, Andreas Radovan, Bernhard Moshammer, Otmar Klein, Lenny Dickson.

www.burgtheater.at


Mehr lesen? Das letzte Großereignis am Burgtheater war im März 2009 Christoph Schlingensiefs Ready-Made-Oper Mea Culpa.

 

Kritikenrundschau

Für Norbert Mayer von der Presse (27.4.) hat sich beim Wittenbrink-Abend "So leben wir ..." einer jener "raren Momente" ereignet, in denen "sich selbst im staatstragenden Burgtheater herzergreifende Intimität" einstelle, "Clubatmosphäre im großen Haus". Das "von Ironie gebrochene Pathos" des Abends reize zum Lachen. Wittenbrink/Mohr bescherten dem scheidenden Intendanten Bachler, der "seit einer Saison schon öfter im neuen Job an der Bayerischen Staatsoper zu finden war als beim Abschiednehmen in Wien", nichtsdestotrotz "ein fantastisches Abschiedsgeschenk". Regie und Musiker sorgten für "perfekten Sound, der mühelos an die 50 musikalisch-literarische Schmankerln zu einer zweistündigen Abschiedssymphonie verwebt" – "abgründige Schnulzen vereinen sich zum großen Tschüss", während die Burg-Darsteller "wie am Broadway" spielten. An diesem Abend glänzten sie alle. Oft endeten Sequenzen "in schöner Vielstimmigkeit", und dann gibt's sogar "Momente, die einen zum Weinen bringen".

Ein "Highlight der heurigen Burgtheater-Saison" hat auch der Rezensent von den Oberösterreichischen Nachrichten (27.4.) gesehen. Noch nie habe man eine so komische Mutter-Sohn-Beziehungen auf der Bühne gesehen wie die von Kirsten Dene und Markus Mayer, da bleibe "kein Auge trocken". Und auch Jürgen Maurers Besingen der "RigipsWänd" sei "zum Niederknien". Das Ensemble demonstriere "grandioses musikalisches Können, Augenzwinkern und einen Spaß an der Freud’, der auf das Premierenpublikum ansteckend wirkte". So dass am Ende "mit viertelstündigen Ovationen" gar noch einige Zugaben "erklatscht" würden.

 

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