Redaktionsblog - Moritz Rinkes Plädoyer fürs Dramenlesen
Buch und Busen
8. Mai 2009. "Stell die Milch auf den Tisch, aber klapp kein Buch zu." Das ist ein toller Satz, und ich habe ihn mir bis heute gemerkt. Ebenso: "Das ist Giuseppe. Er weiß rein gar nichts, weil er nicht in die Schule geht, weil er keine ganze Hose hat." Auch so ein Satz. Ich kann ihn nicht vergessen. Weil ich ihn gelesen habe.
Gestern, bei der Eröffnung des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens, hielt Moritz Rinke, an einem "Expertentisch" sitzend, ein Plädoyer für das Lesen von Theaterstücken, für ihr Erscheinen im Reclamformat, mithin auch für die Anerkenntnis ihres literarischen (und nicht nur theatralischen) Werts. Und er beschwor ein Bild herauf, dessen Teil er selbst gewesen sein will und das nun auch meinen Erinnerungsvorrat bereichern wird.
Er, Rinke, habe sich nämlich einmal als schriftstellernder Beobachter auf einer "Aida"-Kreuzfahrt aushalten lassen, offenbar durfte er sich auf dem Luxusschiff sogar frei bewegen. Und da habe es ihn auch auf das FKK-Deck des Dampfers verschlagen, dort lag eine Frau – wir supponieren, sie war nackt – mit soo (andeutende Handbewegung) einem Silikonbusen. "Und diese Frau, ja, also diese Frau lag da und las ein Drama von Einar Schleef. Das war ein schönes Bild … (lange Pause) …: Ich glaube, dieses Drama wird nicht verschwinden."
Angenehmer Schwindel erfasst einen: Aida, FKK-Deck, Silikon, Schleef – ja, da ist was dran. Wenn ein Drama so gebettet ist, dann ist es – Aufführung hin oder her – zur Unsterblichkeit verdammt. Es hat seine souveräne Leserin gefunden.
Die eingangs zitierten Sätze stammen übrigens aus Brechts "Leben des Galilei". In dem Kellerraum, in dem ich als Kind Tischtennis zu spielen pflegte, standen einige Regale mit alten Büchern, und wenn der Tischtennisball in einem Fach liegen blieb, dann schnappte man sich manchmal ein Buch und las aufs Geratewohl einen Satz vor. Meine erste Begegnung mit Brecht war das, sie war sehr schön (wie haben wir gelacht damals!), und ich kenne diese Sätze bis heute. Rinke hat recht: Ein Drama gehört ins Bücherregal (resp. auf den Silikonbusen). Auch. (wb)
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