So aber leben sie hin

von Regine Müller

Recklinghausen, 12. Mai 2009. Das Drama findet nicht statt: Hedda Gabler spielt fahrig mit ihrer Pistole und kichert irre. Und raucht lieber eine, statt sich zu erschießen, wie es bei Ibsen geschrieben steht. Als Farce endet bei Alice Buddeberg in Recklinghausen der Amoklauf der Generalstochter Hedda, die aus halbherzigem Kalkül eine Versorgungs-Ehe einging und schon nach den Flitterwochen am Mittelmaß und den sie umgebenden Lebenslügen erstickt.

Doch in Recklinghausen bleibt ihre Verzweiflung beiläufig, fast lächerlich und kann sich nicht zum Selbstmord durchringen. Auch Eilert Lövborgs Tod findet nicht so recht statt: Er versucht bloß immerzu vergeblich, sich an einer der über der Szene baumelnden Wärmelampen hochzuziehen, um immer wieder klatschend in den Schnee zu fallen. So lange, bis er erschöpft liegen bleibt. Und sich vermutlich eine Erkältung, aber sicher nicht den Tod holt. Auch Lövborg mangelt es ganz buchstäblich an Fallhöhe, sonst könnte er sich wenigstens das Genick brechen. So aber leben sie hin.

Die Vergletscherung der Gefühle
Ibsens Bürgerwelt des 19.Jahrhunderts ist vom Lebensgefühl heutiger Mittelstandsmenschen nicht weit entfernt, die zwischen gesellschaftlichem Ehrgeiz, Sicherheitsdenken und Abstiegsangst auch noch individuell und irgendwie bedeutend sein wollen. Die junge Regisseurin Alice Buddeberg meidet jedoch die Verortung in einem konkreten heutigen Milieu und sucht in reduzierter Abstraktion ihr Heil. Wohl zum Zeichen der Vergletscherung der Gefühle ist Cora Sallers Bühne mit Schnee bedeckt, der unter schaukelartigen, orange leuchtenden Wärmelampen einfach nicht schmelzen will. So wie die knapp 90 gestrafften Minuten oft zäh werden.

Lediglich ein grünes Sofa steht auf der Bühne, und anfangs schleppt Heddas ungeliebter Ehe-Trottel Jörgen Tesman stapelweise Bücher heran. Das grüne Sofa ist Heddas Leben: Constanze Becker lungert träge darauf herum, döst, dämmert und wälzt sich hin und her. Einmal mehr füllt Becker, die "Schauspielerin des Jahres 2008" zwar mühelos den ganzen Raum allein mit ihrer sirenenhaften Körperlichkeit und Präsenz. Eine tierhafte, schwerblütige Hedda, deren bohrende Langweile wie aus einer Laune heraus in zynische Zerstörungslust umschlägt. Die verzweifelte Gier nach dem wahren Leben und das Pathos beschworener Bedeutungstiefe gehen dieser Hedda ziemlich ab.

Schillernde Ambivalenz
Im Gegenteil, man wird den Verdacht nicht los, dass bloß wieder mal nichts im Fernsehen läuft, und deshalb die Laune sinkt. Als der einst ob seiner Instabilität abgeblitzte Ex-Liebhaber Lövborg wieder auftaucht, weiß Hedda nicht, was sie mit ihm anfangen soll. Schließlich zeigt sie ihm Dias von der Hochzeitsreise und verhaspelt sich laufend, weil sie Orte und Namen vergessen hat und durcheinander wirft. Ein gelangweiltes Dummerchen, das sich für nichts interessiert.

Doch selbst in der gewollten Lethargie dieser Hedda ist Constanze Beckers Intensität bezwingend, und von schillernder Ambivalenz. Das macht den anderen das Bühnenleben spürbar schwer, zumal Buddebergs Personenführung grober Holzschnitt bleibt: Isaak Dentler ist ein allzu unbeholfener, devoter Ehemann, für den man nicht das leiseste Mitleid entwickeln mag, Bettina Hoppe gibt Frau Elvsted als verhärmte Neurotikerin und Thomas Huber bleibt als intriganter Amtsgerichtsrat Brack harmlos.

Sébastian Jacobi indes gelingt, den in alte Laster zurück fallenden Lövberg mit zurückhaltender Nachdenklichkeit auszustatten, die dem Klischee des lärmend Maßlosen widersteht. Fazit: Ibsen "light", ohne Risiken und Nebenwirkungen. Constanze Becker lohnt immer. Retten kann sie den Abend jedoch nicht.

 

Hedda Gabler
von Henrik Ibsen
Deutsch von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen
Regie: Alice Buddeberg, Bühne: Cora Saller, Kostüme: Martina Küster, Musik: Stefan Paul Goetsch, Licht: Jan Walther.
Mit: Isaak Dentler, Constanze Becker, Bettina Hoppe, Thomas Huber, Sébastien Jacobi.

www.ruhrfestspiele.de
www.schauspielfrankfurt.de


Mehr lesen? Die Eröffnungsinszenierung der Ruhrfestspiele, Anton Tschechows Der Kirschgarten, besorgte Hollywoodregisseur Sam Mendes. Die Regisseurin Alice Buddeberg inszenierte im Dezember 2008 in Bremen Molières Der Menschenfeind.

 

Kritikenrundschau

Alice Buddeberg inszeniert Ibsen als "Albtraumspiel, ohne bürgerlichen Psychorealismus", berichtet Stefan Keim (Die Welt, 14.5.). Manche Bilder gerieten dabei "etwas harmlos, aber immer wieder verdichten sich die Szenen". Von Constanze Becker weiß er zu berichten, dass sie "wispert und wimmert, lockt und lästert, bricht schluchzend zusammen und lacht sich kaputt, als ihr Ehemann (Isaak Dentler als überforderter Möchtegernprofessor) vor Mitleid zerfließt". Denn "Hedda Gabler manipuliert ihre Umwelt, aber sie hat keinen Spaß mehr daran". Ibsens Stück werde so als "Gespenstergeschichte" erzählt, was für Keim "einigen Reiz" hat. Denn dies rücke es in die Nähe Strindbergs. "Es geht nicht mehr um genaue gesellschaftliche Zuordnungen, um soziale Umstände, die Tragödien hervorrufen. Diese Strukturen haben sich längst aufgelöst. Alice Buddeberg zeigt Weltekel und Traurigkeit, die keinen konkreten Grund haben und damit keine Möglichkeit der Therapie."

Laut Manfred Strecker (Neue Westfälische, 14.5.) veranstaltet Buddeberg dagegen "allerlei, um das seelische Unterfutter des notorischen Klassikers aus dem 19. Jahrhundert hervorzukehren". Gleichwohl wandle "das Konversations-Kammerspiel" zum "Körpertheater; die schmähliche Wahrheit kommt hier weniger im beiläufigen wörtlichen Bekenntnis als im geilen Miteinander-Ringen an das rot-trübe Licht der Heizspiralen, die aus dem Bühnenhimmel hängen". Diese "Dramaturgie der Dekonstruktion" verzichte "auf manches Stück der Vorlage, weshalb sich die Aufführungszeit auf erträgliche 100 Minuten vermindert". Und "weil vieles an Vorgeschichte und Vorbereitung fehlt, wirkt manches unmotiviert". Den Charakter der Hedda modelliert Constanze Becker dabei "in launischer Wechselhaftigkeit, von flüchtigen, schnell erlöschenden Impulsen umgetrieben. Nichts bleibt dieser Hedda von emotionalem Interesse mehr als Sekunden, auch nicht der Erfolg ihrer ingeniös ins Werk gesetzten Menschenvernichtung".

Bettina Jäger (Ruhr Nachrichten, 14.5.) wiederum vermeldet, dass dieser Inszenierung zeige, was das Regietheater kann. Ihr zufolge war die Inszenierung "sensationell gut". Denn: Constanze Becker ist Hedda Gabler. "Und was für eine! Eine Gestalt wie eine Amazone. Eine Schauspielerin, die schillert vor Facettenreichtum. Sie verwandelt das Weib, das Henrik Ibsen 1891 beschrieb, in eine moderne Lady Gaga - eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, ein irres Bündel Gegensätze." Sie gehe"volles Risiko" ein: "Constanze Beckers Hedda ist hilflos, ängstlich, neidisch, aber auch unverschämt komisch". Aber nicht nur sie, alle "gehen volles Risiko ein, wenn sie über die glitschige Bühne stolpern, schlindern und stürzen".

"Was hat die junge Frau?", fragt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.5.) und kommt danach zweieinhalb Absätze lang aus dem Fragen nicht mehr heraus: "Träumt sie schlecht? Träumt sie überhaupt?" Und wenn sich an diesem Abend alles "nur im weich und beliebig Ausgeträumten, sozusagen auf der eingeschlafenen Rückseite des Lebens, nicht in Wahrheit und Härte der wachen Vorderseite des Lebens abspielte, wäre es zwar auch feige, aber es wäre doch immerhin ein Kunststück". Aber, so Stadelmaier, "es war wohl nichts als Regieeinfalt". Buddeberg "symbolt" nämlich "mit viel Eis" das Stück "nach fünf Minuten in Grund und Boden. Hedda on the Rocks. Geschüttelt. Nicht gerührt." Denn sobald Constanze Becker den "Gletscherschlaf der Hedda Gabler beendet hat", fällt "die Symbolkonstruktion" in sich zusammen. Sie gebe ihrer Hedda nur "kalt-strohfeuerhafte schlechte Launen mit auf den Lebensweg". Dass aber "Daseinsverzweifelteres, Traumschöneres, Liebestolleres" in Hedda stecke, deute Becker immerhin an.

"Noch bevor Hedda spricht, ist sie klar als Kältequell ausgemacht", schreibt Vasco Boenisch (Süddeutsche Zeitung, 14.5.). Constanze Becker ist dabei "kein sinnliches Ennui-Girlie wie Katharina Schüttlers Hedda an der Berliner Schaubühne. Becker ist die Berliner Schnauze mit kratzbürstiger Widerspenstigkeit". Und das tödliche Spiel mit ihren Mitmenschen erwächst "nicht als Nervenkitzel aus Langeweile, es ist die Rache einer traurig verbitterten, einer bösen Frau". Doch "diese Akzentuierung nimmt der Figur einiges an perfider Faszination". Alice Buddeberg zeige "Hedda" "nicht als One-Woman-Show, sondern als ein frostiges Gesellschaftsbild, in dem alle permanent präsent sind und sich belauern (oder bedauern). Das ist spannend, nur sind die Akteure so drauf aus, emotionale Eisschränke zu sein, dass sie selbst für ihre eigenen Figuren nicht mehr recht brennen".

 

 

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