Im Versagen sind alle gleich

 von Anna Hahn

Kaiserslautern, 15. Mai 2009. Egal, welche guten Vorsätze er auch fassen mag:  Am Ende ist der Mensch doch immer wieder zum Scheitern verurteilt. Da nützen hehre Ziele nichts, wenn individuelles Machtstreben sich Bahn bricht und der eine am anderen schuldig wird. Genau das passiert in Tankred Dorsts "Merlin oder Das wüste Land".

Am Anfang fällt ein senffarbener Felsbrocken ins Auge, der mittig am Rand zum Orchestergraben platziert ist. Er allein symbolisiert das wüste Land, die urwüchsige Bedrohung, die jegliches Zivilisationsstreben im Menschen wieder zunichte macht. Schlicht ist auch die berühmte Tafelrunde gestaltet: ein metallener Kreis, der am Ende wie ein überdimensional großer Kronleuchter über der Bühne schwebt – bedrohlich zwar, aber irgendwie auch ein Relikt aus alten Zeiten, das niemand mehr beachtet. Im Hintergrund baut sich aus Mauersteinen die Burg von König Artus auf, die auch gern genutzt wird, um räumliche wie emotionale Distanzen zwischen den Akteuren oben auf dem Balkon und denen zu ihren Füßen zu schaffen.

Große Ideen gehen nicht in Erfüllung
Wie sein Bühnenbildner Jürgen Höth, setzt auch Regisseur  Murat Yeginer auf Abstraktion, verschachtelt ursprünglich einzeln stehende Bilder klug miteinander, lässt Szenen fast unmerklich ineinander übergehen oder simultan ablaufen. Die Kostüme bieten dafür Ausstattungsspektakel pur, mit prächtigen Rüstungen für die Ritter und langen wallenden Stoffen für die Damen rücken sie das Stück ins Märchenhaft-Romantische.

Dabei geht es schon bei Merlins Geburt nicht friedlich zu. Zuckende Blitze auf dem schwarzen Stoff (Video: Carsten Woike) begleiten den großen Magier auf seinem Weg ins buchstäblich nackte Leben. Henning Kohne gibt den König-Flüsterer als Saubermann im weißen Anzug. Ein großes Kind zunächst, das wie auch Artus (Stefan Kiefer) die Verantwortung erst einmal scheut und von sich weisen will. Später wird Merlin dann zum leisen Lenker, der sich auch so manchen persönlichen Spaß mit den anderen Figuren erlaubt, Konfettischnipsel zu seinen Zaubersprüchen wirft und am Ende seine großen Ideen doch nicht in Erfüllung gehen sieht.

Schwäche allgemeingültiges Schicksal
An Merlin knüpft sich auch ein zentraler Konflikt des Stückes und der Inszenierung an: der Kampf der Generationen, der sich im Duell Merlin gegen den Teufelsvater (Rainer Furch) und Artus gegen seinen unehelichen Sohn Sir Mordred (Michael Klein) gleich doppelt entfacht. Den Alten fehlt dabei trotz ihrer optischen Pracht die Energie, die Jungen sprudeln über vor Angriffslust, die sich vor allem bei der tragikomischen Figur des Parzival in impulsiver Gewalt entlädt. Besser als ihre Eltern werden sie es wohl nicht machen.

Gegen die  Verschlagenheit, die Mordred an den Tag legt, um die schöne Ginevra (Antje Weiser) für sich zu gewinnen, nimmt sich die fehlende Charakterstärke seines Vaters geradezu harmlos aus. Die menschliche Schwäche wird zum allgemeingültigen Schicksal erhoben. Im Versagen sind alle gleich.

Die essenzielle Botschaft des Stückes hat natürlich etwas Tragisches, das schnell ins Pathetische kippen könnte. Die Pfalztheater-Aufführung, die Regisseur Murat Yeginer von circa sieben auf vergleichsweise verträgliche drei Stunden (mit einer Pause) eingedampft hat,  tut gut daran, auch das in der Vorlage von Dorst ja bereits angelegte komische Potenzial zu entfalten. Nur schießt sie dabei in ihrer Erheiterung des Publikums auch mal über das Ziel hinaus. Warum Merlin in einer Szene mit Mordred als Hündchen von Sir Galahad herhalten muss, leuchtet inhaltlich nicht ein, sondern kann allenfalls als müder Gag verbucht werden. Auch irritiert es, wenn der dramatische Gehalt einer Szene mit flapsig gespielten Bemerkungen durchbrochen wird. In solchen Momenten hätte man sich dann doch ein bisschen mehr, der Tragweite des Stoffes angemessene Ernsthaftigkeit gewünscht.

 

Merlin oder Das wüste Land
von Tankred Dorst
Regie: Murat Yeginer, Bühne: Jürgen Höth, Kostüme: Beate Zoff, Video: Carsten Woike.
Mit: Henning Kohne, Stefan Kiefer, Antje Weiser, Björn Büchner, Reinhard Karow, Susanne Ruppik, Rainer Furch, Christian Ruth, Michael Klein, Jan Henning Kraus, Brigitte Urhausen, Harald Pfeil u.a.

www.pfalztheater.de

Mehr lesen? Am Pfalztheater, das den Else-Lasker-Schüler-Preis vergibt, wurde im Dezember 2008 Almut Baumgartens Siegerstück von 2008 Tank uraufgeführt.

 

Kritikenrundschau

Theo Schneider auf Südwestrundfunk 2 (16.5.2009) spricht von einer "bravourösen Inszenierung", in der die Ritter der Tafelrunde als "Agenten einer besseren Welt", zugleich aber als "unbelehrbare Helden des Scheiterns" mit "markigen Sprüchen" in die nächste Niederlage marschierten. Regisseur Murat Yeginer parallelisiert die Ritter mit den 68ern, die von den Jüngeren sehr "harsch und barsch" von den Schalthebeln der Macht verdrängt werden.  Der Spagat, den die Inszenierung zwischen "Unterhaltung und Botschaft" unternimmt, gelinge "vorzüglich". Merlin ist bei Hening Kohne der große Zauberer als "Politiker", der Gutes tun will, aber daran scheitert;  "zwei Seelen wohnen auch in seiner Brust", Kohne zeige seine Figur "ganz wunderbar" als "mächtig und unentschlossen", als "hellsichtig und hilflos". Die auf Verdichtung setzende Inszenierung finde "klare, eindringliche Bilder", biete "Spannung, Witz und Leidenschaft" und auch die Bedeutung komme dabei "nicht zu kurz".

In der Zeitung Die Rheinpfalz (18.5.2009) schreibt Fabian R. Lovisa: Die Inszenierung lasse "keine Langeweile aufkommen", verliere sich aber in "der Vielzahl" ihrer Themen.  "Voller Idealismus", schreibt Lovisa über den Inhalt des Stückes, "will Merlin Artus und seine Tafelrunde dazu benutzen, die Welt vom Bösen zu befreien. Das ihm das nicht gelingen will, liegt nahe. Denn Dorst weiß um die Natur des Menschen …". Doch zu unentschlossen, besonders im zweiten Teil, sei die Inszenierung, wenn sie alle Thermen von "Generationskonflikt  im Allgemeinen" , "Vater-Sohn-Beziehung im Besonderen", "Religion, Tragik und Einsamkeit der Mächtigen, Ödipal-Komplexe sowie das "zwangsläufige Scheitern des Idealismus" zugleich verhandeln wolle. Die Aufführung schwanke unentschlossen zwischen Komödie und Drama, zwischen Monty Python und Shakespeare, Otto Waalkes und Hamlet. Trotzdem: unterhaltsam sei das Ganze, Yeginer zünde "ein Feuerwerk der Ideen", auch habe er "ein Händchen für eindrucksvolle Bilder" und eine "geschickte Verschränkung der Ebenen und Erzählstränge".

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