Ein Ensemble für Zürich

von Andreas Klaeui

Zürich, 19. Mai 2009. Der Ort ist Symbol: Nicht auf der angestammten Pfauenbühne, wie bisher, fand die Medienkonferenz zur Saisonvorschau statt, sondern im Schiffbau. In der wunderbaren Industriehalle in Zürichs Westen, die Christoph Marthaler einst für das Schauspielhaus fand und die seither nicht wenig zur internationalen Ausstrahlung des Theaters beigetragen hat; zum Beispiel Jürgen Goschs "Hier und Jetzt", eben am Theatertreffen, entstand für diese Halle. Und deren finanzielle Zukunft nach wie vor unsicher ist - geradeso wie die ästhetische, das Schauspielhaus ist weit entfernt von einer künstlerischen Oberhoheit, der Schiffbau soll vielmehr in Zukunft verstärkt "kommerziell genutzt" werden.

Barbara Frey hat jetzt bei der Präsentation ihres ersten Spielplans nur unaufgeregt gesagt, der Schiffbau bleibe ein "auch für die Zukunft wichtiger Ort". Und es scheint, sie will jetzt vor allem ästhetisch für den Schiffbau argumentieren: mit einem  künstlerischen Hauptgewicht auf Schiffbau-Produktionen, in der grossen Halle wie der Box (die jetzt auch wieder Box heisst und nicht mehr Halle 2), angefangen mit der Eröffnungspremiere, ihrer eigenen Inszenierung von Schillers "Maria Stuart".

Wir

Weiter hat die Intendantin gar nicht viel gesagt - die Vorstellungsrunde ging zwischen ihr und den fünf Dramaturgen hin und her, Barbara Frey hat im Grunde von allen am wenigsten gesprochen, zwar war sie sehr präsent auf dem Podium, aber überhaupt nicht aufdringlich im Vordergrund. Repräsentiert hat: das komplette Leitungsteam. Das absolut häufigste Wort war: "Wir". Chefdramaturgin Andrea Schwieter, die beiden Schriftsteller-Dramaturgen Lukas Bärfuss und Thomas Jonigk sowie die Dramaturgen-Dramaturgen Katja Hagedorn und Roland Koberg stellten das Programm vor; nicht zu vergessen Petra Fischer, bekannt vom ehemaligen Theater an der Sihl und der ZHdK, die neu das Junge Schauspielhaus leitet. Was bringt es?

Eine geballte Eröffnungsrunde, Barbara Freys "Maria Stuart" mit einer blutjungen Maria (was nebenbei ganz im Sinne Schillers war); dann im Pfauen eine Uraufführung von Thomas Jonigk nach einem sehr zürcherischen Stoff: Gottfried Kellers Geschäftemacher-Roman "Martin Salander"; in der Box ein neues Projekt von Stefan Kaegi, "Heuschrecken", der phänomenologische Blick auf eine Müntefering-geschädigte Spezies. Und gleich auch die erste Inszenierung einer ZHdK-Abgängerin (die sich allerdings in der hiesigen Szene schon einen Namen gemacht hat), Heike M. Goetze mit "Warum läuft Herr R. Amok?" nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder.

Ensemble

Ein Ensembleprojekt sei dies, bekräftigte, ich glaube, es war Roland Koberg (und dies "ich glaube" scheint mir durchaus symptomatisch für den neuen Geist am Schauspielhaus: viele Kräfte, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten!). Überhaupt sei, und das wird jetzt schon niemand mehr überraschen, das Ensemble zentral. "Wir sind alle so im Theater sozialisiert, dass wir ans Ensemble glauben", sagte Barbara Frey - ein Ensemble, aufgestockt auf 27 Positionen, "das wir auch in der Stadt verankern wollen".

Insgesamt 32 Produktionen stehen auf der Affiche (darunter zwei Übernahmen aus dem DT, die Barbara Freys Regie-Facetten zeigen, und einige Koproduktionen) - zum Beispiel René Polleschs neuester Wurf, "Calvinismus Klein", was ja eine durchaus vielversprechende Mischung aus Unterwäsche und protestantischem Arbeitsethos verheißt; Euripides' "Alkestis" inszeniert von Karin Henkel als Vorgeschmack auf einen Antiken-Schwerpunkt in der zweiten Saison; Barbara Freys "Was ihr wollt" in Koproduktion mit dem Burgtheater (welches ja jetzt Zürichs Exintendant Matthias Hartmann leitet); ein neues Stück von Lukas Bärfuss zu Saisonende "über den schwierigen Umgang der Schweizer mit der Erinnerung".

Bye Bye Geisterschiff

Und Sasha Waltz, die kurioserweise auf der ganzen Welt auftrat, aber kaum in der Schweiz und nun regelmäßig im Spielplan auftauchen wird, mit Gastspielen und einer eigens für den Schiffbau entstehenden Neuproduktion; eine Zusammenarbeit, die vorderhand für die erste und die zweite Spielzeit gesichert ist. Und, und, und: eine Uraufführung von Heiner Goebbels, J. M. R. Lenz' "Hofmeister" zum ersten Mal in Zürich in der Regie von  Frank Castorf, ein Lesezyklus mit dem schönen Namen "Nachtmahr-Abtei", Bärfuss' Diskursreihe "Weiße Flecken" über ebendiese.

Nachdem das Schauspielhaus zuletzt ein wenig wie ein Geisterschiff wirkte - der Chef schon in Wien, die Darsteller (von Ensemble konnte man die letzten vier Jahre ja nicht reden) in alle Winde -, geht der alte Dampfer nun wieder mit voller Kraft voraus. Heimatwerft: Schiffbau.


Und hier geht's zum neuen Ensemble und weiter zum Spielplan.

 

 

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