Im Suff mit zärtlichem Kern

von Willibald Spatz

München, 28. Mai 2009. Amerika im Zweiten Weltkrieg: eigenartige Situation – die Männer sind beim Kämpfen oder irgendwie anders weg oder dem Alkohol verfallen und taugen zu nichts, die Frauen müssen das zum Überleben Wesentliche regeln und werden dabei hart. Sie benutzen die Männer zu ihren Zwecken und lassen sie dann als Gefühlswracks im Präriesand liegen. Diese Umstände haben auch die Literatur damals geprägt. Eugene O’Neill wusste, wovon er schrieb, er hatte selbst eine Menge mitgemacht. Sein spätes Stück "Ein Mond für die Beladenen" spielt zwar im Jahr 1923 und verarbeitet den Alkohol-Tod des Bruders, spiegelt aber auch stark diese Kriegsstimmung seiner Entstehungszeit wider.

Es geht um einen alten Farmer, der mit seiner Tochter in Connecticut eine Farm gepachtet hat und bewirtschaftet. Er säuft maßlos und sein Mädchen Josie ist ein derber, ordinärer Brocken. Manfred Zapatka und Anna Schudt können noch so viel fluchen, sie bleiben zärtliche Menschen, die laut gegen ihren liebenswerten Kern anbrüllen.

Die Farm, der Whisky, das Geld

Sie quält ein Schmerz: Ihre Farm gehört dem ebenfalls arg trinksüchtigen, verkrachten Broadway-Schauspieler James Tyrone, der ihnen zwar versprochen hat, sie niemals zu vertreiben, dessen Versprechen aber bereits nach einer Flasche Whisky überhaupt nichts mehr wert sind. Michael von Au benutzt eine extra rauchige Stimme, um uns den Dauerkater dieses Mannes glaubhaft zu machen.

In dieser Welt wird vor allem vom Alkohol und der Härte gefaselt, letztlich bringt aber doch das Geld die Menschen zum Handeln und macht sie – darin liegt auch ein bisschen Aktualität des 65 Jahre alten Stücks – korrumpierbar. Da gibt's noch einen Schnöselnachbarn, einen Ölmillionär, der kreuzt mal kurz auf, um sich über frei laufende Schweine auf seinem Grundstück zu beschweren. Dem heizen der Vater und seine Tochter kräftig ein, bedrohen ihn mit einem Knüppel und bringen ihn zum Stolpern auf der Bühne, was das Publikum freut und worüber sich auch James Tyrone sehr amüsiert.

Hier triumphiert der kleine Mann gegen das große Kapital, freilich nur kurz. Denn James Tyrone redet davon, das Land und die Farm zu verkaufen, er habe bereits einen Interessenten, der einen hohen Betrag biete. Jetzt muss Josie was unternehmen. "Komm heute Abend einfach vorbei, dann schmusen wir ein bisschen miteinander im Mondschein, und du erzählst mir alles, was du so denkst", sagt sie zu James, dann hat sie ihn schon bei sich, dann bringt sie ihn auch dazu, ihr alles Mögliche zu versprechen, denkt sie. Dumm nur, dass sie gern ein wenig mehr hätte von James, eventuell ein größeres Versprechen sogar.

Posen und eine schöne Seele

Es ist eine hübsche Idee, die Weite der Prärie mit gemalten Breitwandplakaten zu simulieren und den strengen Naturalismus des Stücks so ein wenig zu brechen. Auf diesen Plakaten sieht man die Protagonisten der jeweiligen Szene in großen Kinoposen – das Abbild eines amerikanischen Traums. Währenddessen nimmt die Bühne, die Stefan Hageneier eingerichtet hat, nur einen kleinen Raum unter dem Plakat ein und besteht im Prinzip lediglich aus einer kleinen Treppe und zwei Gartenstühlen.

Dort passiert alles, das ganze Elend, das dann von außen betrachtet gar nicht so groß ist: Die zwei, Josie und James, gehören zusammen, schaffen es aber nicht zueinander, weil jeden ein Fleck auf der Seele hindert. Sie hält nichts von sich. Als er ihr sagt: "Du bist schön", kann sie nur antworten: "Du meinst eine schöne Seele". Sie sagt, sie könne jeden Mann rumkriegen, aber keinem ein echtes Gefühl gestehen.

Er hat sein Alkoholproblem. Einst hat er seiner Mutter geschworen, nicht mehr zu trinken, dann aber doch wieder damit begonnen, als sie krank wurde. Zum Sterben hat sie die Augen noch mal aufgemacht und einen besoffenen Sohn gesehen. Das macht ihn nun immer noch ziemlich fertig.

Die Nacht vergeht, zwischen den beiden geht nichts; das Haus ist gerettet, war aber in Wirklichkeit gar nicht richtig bedroht, wie sich dann auch noch herausstellt in einer der plötzlichen Wendungen gegen Ende, die einen dann schon nicht mehr so richtig überraschen, geschweige denn interessieren.

Kommt da noch was?

Man bekommt das alles nett vorgespielt; Michael von Au zeigt große emotionale Eruptionen, reißt an Anna Schudt dermaßen herum, dass die gleich in Tränen ausbrechen muss. Manfred Zapatka als Vater hat sich meist im Griff und ist ein mäßigendes Element im Treiben, auch wenn er laut wird. Nur wenn er besoffen spielt, zappelt er steif und unangenehm, was aber dann – wie erst nach und nach klar wird – auch im Spiel gespielt war.

Allein in einem selbst wächst die Ratlosigkeit: Was soll mit all dem erzählt werden? Und kommt da noch was, was nicht schon gesagt wurde? Kommt nicht wirklich und lässt dieses munter-schwermütige Treiben dann nach zweieinviertel Stunden doch etwas zäh werden.

 

Ein Mond für die Beladenen
von Eugene O'Neill, deutsch von Leopardi und Eckstein
Regie: Thomas Langhoff, Ausstattung: Stefan Hageneier, Musik: Rudolf Gregor Knabl. Mit: Anna Schudt, Michael von Au, Frederic Linkemann, Marcus Widmann, Manfred Zapatka.

http://www.bayerischesstaatsschauspiel.de/


Mehr zu Thomas Langhoff können Sie hier lesen: etwa zu seiner Inszenierung von Lorcas Doña Rosita oder über seine Arbeit an Thomas Bernhardts Am Ziel mit Cornelia Froboess.

 

Kritikenrundschau

Sven Ricklefs antwortet in Fazit auf Deutschlandradio (28.5.2009) auf die Frage, warum denn dieses Stück heute noch interessant sei mit Ratlosigkeit. Ein "derbes" Stück, das mit einer "burlesken" und einer "romantischen Seite" daher komme, mit einer Liebe, die heute nur noch "etwas Kitschiges" habe, eigentlich sei "das Haltbarkeitsdatum" seit Jahren abgelaufen. Und warum, wird Ricklefs weiter gefragt, habe sich Thomas Langhoff dafür interessiert? Ricklefs findet, dass Langhoff in den letzten Jahren immer mehr einen Hang zu "einer etwas derben Komik" bekommen habe, und das Stück komme ihm dabei entgegen. Man fühle sich im Bayerischen Staatschauspiel wie in einem Komödiantenstadl in der Prärie. Da kann auch die Rückkehr von Manfred Zapatka nicht helfen. Er spiele den "derben Typen mit Kitschkern", Langhoff habe ihm, wie den andren Schauspielern, wirklich "keine Peinlichkeit" erspart. "Lange", sagt Ricklefs, habe er "nicht mehr so einen hemdsärmeligen Naturalismus auf einer Bühne gesehen" und eigentlich wollte er so etwas auch nicht mehr sehen.

Wie auf "ausgestorbene Lebewesen unter Glas" hat eigenem Bekunden zufolge Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (30.5.2009) auf dieses Requiem O'Neills auf sein eigenes Leben geschaut. Das Besondere an dieser Inszenierung besteht für ihn lediglich darin, daß Thomas Langhoff den versoffenen Protagonisten Phil Hogan mit Manfred Zapatka besetzt habe. Alle Ingredienzen, die Zapatka einst zu einem der markantesten Spieler des Ensembles machten, wie Härte und monolithische Einsamkeit, sieht Tholl ihn auch diesmal einbringen. Und doch ist er für Tholl "mit diesem Hogan noch lange nicht so tief gesunken, wie sich das O"Neill vielleicht gedacht" habe. Auch sei, was Unterschicht 1947 oder 1923 bedeutet habe, "aus heutiger Sicht längst ein mildes Klischee geworden. Abgestanden sind die Säuferwitze, sie wirken wie verbale Herrengedecke." Wenn man etwas über das Prekariat hätte erzählen wollen, wäre aus Sicht des Kritikers "eines der härteren Briten-Stücke" die bessere Wahl gewesen. Auch "die historische Relevanz von ' Mond für die Beladenen' ist für ihn nicht ersichtlich: "Weil O'Neill bei aller Detailfreude gerade in den Szenenanweisungen, die Langhoff stilisiert aufnimmt, den Naturalismus verweigert und etwas vage Poetisches im Sinn hat, erzählt dieses Stück wenig über die Zeit, in der es entstand, oder über jene, in der es spielt." Die wenigen beklemmenden Momente würden von Klischees schnell beiseite gewischt.

 

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