Redaktionsblog - Zur Resolution der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins
Das Erbe deutscher Kleinstaaterei
7. Juni 2009. Eben bekomme ich eine Mail von Peter Uehling, Musikkritiker der Berliner Zeitung. Sie hebt an mit der Frage: "Behrens, hast du diesen Wisch auch bekommen?" Mit dem Wisch meint Uehling eine Resolution der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins.
Deren Inhalt kann wohl nicht vorausgesetzt werden, daher hängt die Resolution unten noch einmal dran. Nun aber weiter im Text der Uehling'schen Mail:
"Ich finde den Satz: 'durch die Kunst erfährt die Gesellschaft einen inneren Zusammenhalt' so falsch wie nur irgendwas. Nirgends gibt's mehr Kunst als hier, und das ist das Erbe deutscher Kleinstaaterei und hat schon ab ovo nix mit Zusammenhalt zu tun. Und so komisch das im deutschen Ohr klingen mag: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die von Patriotismus zusammengehalten wird, von mir aus auch Verfassungspatriotismus, oder um es vom Schlagwort zum Begriff zu bringen: von einem Bewusstsein für das Gemeinwesen, und nicht von Kunst, das ist die typisch deutsche Überforderung von Kunst. Sie kann das Große und Ganze nicht retten, nicht zusammenhalten, nicht einigen. Hier west die Tradition deutschen Unpolitisch-Seins fröhlich fort. Und die Kunst-Beamten interessiert das doch auch nur ihrer Gehälter wegen. Nichts darf sich ändern, alles muss möglichst starr sein. Oder rede ich Unsinn?"
Tja. Derb gesprochen. Aber redet er Unsinn?
(wb)
Anfang der weitergeleiteten E-Mail:
> Von: "Riedel, Sonja"
> Datum: 6. Juni 2009 16:03:59 MESZ
> An:
> Betreff: Resolution der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins
Kunst gegen Krise: Ensemble und Repertoire unverzichtbar
Der Deutsche Bühnenverein hat sich auf seiner Jahreshauptversammlung 2009 in einer sehr engagierten Diskussion mit den Gefahren für das Ensemble- und Repertoiretheater befasst. Diese liegen insbesondere in dem dauerhaften Abbau von Arbeitsplätzen und der zunehmenden Anzahl von Gastverträgen. In den letzten 15 Jahren gingen 7.000 Arbeitsplätze bei den Theatern und Orchestern verloren. Gleichzeitig ist die Anzahl der Gastverträge von 8.000 auf 18.000 Verträge gestiegen. Diese Entwicklung darf sich aus Sicht des Bühnenvereins gerade angesichts der globalen Finanzkrise, die zugleich auch eine Gesellschaftskrise ist, nicht fortsetzen. Einstimmig haben sich alle in Leipzig versammelten Intendanten, Kulturdezernenten und Verwaltungsdirektoren für den Fortbestand des Ensemble- und Repertoirebetriebs ausgesprochen.
Denn:
• Ensemble und Repertoire stehen für eine kontinuierliche künstlerische Arbeit
• diese kontinuierliche Arbeit erlaubt die notwendige Reflexion der gesellschaftlichen Realität
• diese Reflexion ist gerade in Krisenzeiten unentbehrlich, um der ökonomischen Ideologie des ewigen Wachstums ästhetische Werte entgegenzusetzen
• durch die Kunst findet die Gesellschaft einen inneren Zusammenhalt
• zu dieser Arbeit am gesellschaftlichen Zusammenhalt gehört eine kontinuierliche ästhetische Bildung, vor allem von Kindern und Jugendlichen
• die kontinuierliche ästhetische Bildung wird ausschließlich durch Ensemble und Repertoire vor Ort gewährleistet
Leipzig, 6.Juni 2009
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es ist quatsch, dass stadttheater abschaffen zu wollen. aber die argumente, es zu behalten, sollten nicht so windelweich sein wie die des bühnenvereins. wenn peter uehling einen einzigen punkt herausgreift, trifft er mit vollem recht bereits die ganze beknackte resolution.
Genau wie bei anderen Gruppen u.a. Ärzte und Apotheker geht es dem Bühnenverein um Bewahrung des Status Quo, obwohl Reformen überfällig und zwingend sind.
Empfehle folgende Webside:
www.guerrillanews.com
Wie kommt man nun von (1)+(2) auf (3)?
Einwände:
(a) Die Anzahl der Gastverträge liegt doch um 3000 Ziffern über dem Betrag der abgebauten Stellen. Heisst das nicht, dass 3000 neue "Verwendungsbereiche" hinzugekommen sind? Warum sich Sorgen bereiten?
(b) Was hier als Entwicklung zwischen 1994 und 2009 beschrieben wird, ist der nach dem Beitritt der DDR zum Gebiet der BRD erwirkte bundesweite (europa- und vielleicht sogar weltweite) politische Wille, den öffentlichen Raum weitestgehend zu privatisieren; dies parallel zur "Standortbestimmung" (sprich: besten Verwertungsbedingungen). In der ökonomischen Theoriebildung sind neben anderen die Worte "Effizienzkriterium" sowie "Eigentumsrechte" als diesen Prozess legitimierende Ausdrücke eingeführt wurden, "neo" und "liberal" wurden kombiniert. 1994 hätte das bereits allen heutige Intendanten, Kulturdezernenten usw. bekannt und klar sein können: 1994 wurde das Wirtschaftsgebiet der ehemaligen DDR bereits zielstrebig in den Zustand eines Dritte-Welt-Landes umgebaut. Der Prozess war auch für die alte BRD absehbar, gerade mit Blick auf Lafontaines Rücktritt. Warum also wird nach außen feierlich deklariert, man spreche sich für den Fortbestand des Ensemble- und Repertoirebetriebs aus?
(b.1) Was heisst hier Fortbestand? Fortbestehen wie bisher? (Also Steigerung der Gastverträge und Senkung der Normalarbeitsverträge?) Wird nicht gesagt.
(b.2) Vermengt mit (b.1) ist die in der Deklaration mitgesagte Behauptung: Die globale Finanzkrise nehmen wir für einen Stopp des Abbaus von Normalarbeitsverträgen zum Anlass. - Was ich mich Frage: Warum hat man nicht 1994 protestiert?
(b.3) Die Brücke: "angesichts der Finanzkrise" - ergo "Fortbestand des Ensemble- und Repertoirebetriebs" muss wohl ein Vorwand sein. Nur für was?
Rätselraten.
(c.1) Im Gegenteil, die Entwicklung wude mitgemacht. Und bis heute werden beispielsweise Praktikanten an Theatern nicht zum Mindestlohn bezahlt, sondern für Nasse ausgebeutet, obwohl sie Assistenzaufgaben übernehmen (müssen).
(c.2) Was wurde reflektiert?
(d) Punkt 3 "Diese Reflexion ist gerade in Krisenzeiten unentbehrlich, um der ökonomischen Ideologie des ewigen Wachstums ästhetische Werte entgegenzusetzen" - macht die zu lesende Art klarer: Eben nicht die Reflexion, sondern ästhetische Werte sind der "ökonomischen Ideologie des ewigen Wachstums" engegengesetzt.
(e) In Punkt 4 heisst es nun: "durch die Kunst findet die Gesellschaft einen inneren Zusammenhalt" - was in Anbetracht von (b), (c) und (d) nichts weiter heißen kann, als: Wenn wir vergessen haben zu reflektieren, dann müssen wir uns ästhetischen Werten hingeben. Humorvoll wird die Behauptung vom "inneren Zusammenhalt" angesichts des Tagebuches in Deutschland Denis de Rougemonts. Da heisst es sinngmäß: Sie zelebrieren ihren Kult.
Was sollen denn ästhetische Werte sein, wenn nicht kultische? Muss man jetzt denken, dass der "ökonomischen Ideologie vom ewigen Wachstum" ein Kult entgegengesetzt werden muss?
Wie soll der aussehen? Ewige Sehnsucht zur Romantik? Joseph Goebbels als Kultmeister?
Die Frage also, ob der Musikkritiker P.U. Unsinn redet, ist auf jeden Fall berechtigt. Die vom DB getroffene Formulierung ist ohne Sinn. Und die Konsequenz für P.U., dass er in einer Gesellschaft leben möchte, die von Patriotismus (= Verfassungspatriotismus = Bewußtsein für das Gemeinwesen) zusammengehalten wird, muss wohl bedeuten, dass P.U. den Punkt 4 zumindest anerkennt. Braucht er allein deswegen einen Kultmeister?
Rätselraten.
"Das Schweigen der Belämmerten" titelt Der Freitag vom 10. Juni auf Seite 6: Wochenthema: Stillstand in der BRD und Rest-Europa geiselt Manager (Frankr.) [oder prügelt sich seit Dezember mt der Polizei (Griech).
Eben nicht weiter machen, sondern stoppen und gegenfragen und - natürlich - fordern: Mindestlohn an Theatern für die arbeitenden nichtprivilegierten Leibeigenen und Knechte! Statt Arbeitslose auf die Bühne zerren, um Hartz IV als großes Desaster abzufeiern - samt hochkultureller Valuta-Deko für diverse Kunstschaffende -, neue Theater und Mediatheken bauen! Wir brauchen kulturellen Austausch in Europa und darüber hinaus! Wir brauchen keine Ästhetikdebatten gegen die Krise - und schon gar keine Kunst gegen die Krise! (Beispielsweise)
Belämmert ist, wer sich einlullen läßt von der arterhaltenen Sprache des DB. 1989 waren die DDR-Bürger mündig genug und widersprachen den Sprachschablonen der Arbeiter- und Bauern-Diktatur. 20 Jahre später könnten auch die zu diesem Widerspruch hinzugestoßenen endlich Demokratiefähigkeit beweisen. Bitte, kein falscher Durchhaltewille und kein Patriotismus mehr, das ging schon mindestens einmal schief!