Presseschau vom 10. Juni 2009 – Christopher Schmidt über die Verausgabungstendenzen der Theater

Kurz vorm Verglühen

"Allen Sparrunden zum Trotz haben die Theater in den vergangenen Jahren die Schlagzahl stetig erhöht und ihren Ausstoß an Produktionen stetig gesteigert": Mit 40 Premieren ist Oliver Reese in Frankfurt der Spitzenreiter, aber auch in Zürich, Hannover, Hamburg, Wien und Berlin ist man mit um die 30 gut dabei. Es ist, als solle in diesem "Wettrennen der Intendanten" "das Betriebsgeräusch alle Alarmglocken übertönen". Dabei gehe ein "Mehr an Produktionen bei gleichbleibenden oder sogar bereits geschrumpften Ressourcen zwangsläufig auf Kosten der Zeit und Sorgfalt" der einzelnen Produktion.

Wer genauer hinsehe, erkenne außerdem "dass die wichtigsten der so vielen Premieren von einer immer kleiner werdenden Schar tonangebender Regisseure inszeniert werden", die "als feste Marken eingekauft" werden und das Risiko mindern. Indem die Theater allerdings ihr Angebot "zielgruppengerecht" diversifizierten, werde immer unklarer, "zu welcher Ästhetik sie sich eigentlich bekennen, mit welcher Art von Theater sie nachhaltig in Verbindung gebracht werden möchten".

Diese "mangelnde Profilschärfe" werde durch Spielzeitmotti oder diskurs-steuernde "Verlautbarungsorgane" wett gemacht. Was auf der Bühne nicht mehr entziffert wird, "übersetzt eine anschwellende Traktatliteratur für den Zuschauer. Diese Form von betreutem Sehen ist dabei nur ein Teil des Versuchs, die Außenhaut des Theaters in alle Richtungen zu vergrößern, um dadurch ein Maximum an Berührungsfläche herzustellen." Daran wirkten auch die Kritiker kräftig mit, indem sie immer häufiger nicht mehr über, sondern "in den hauseigenen Publikationen" für das Theater schrieben und dadurch ihre Unabhängigkeit preisgäben. "Wer sich hier verdingt, wird naturgemäß auch sonst darauf achten, seinen Bauchladen nicht durch allzu rigorose Maßstäbe ins Schwanken zu bringen".

 

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