Trauer um Jürgen Gosch

Berlin, 11. Juni 2009. Wie das Berliner Ensemble mitteilt, ist Jürgen Gosch in der Nacht vom 10. auf den 11. Juni in seiner Berliner Wohnung in Folge seiner schweren Krebserkrankung gestorben. Er ist 65 Jahre alt geworden. Voller Hoffnung hatte Jürgen Gosch bis zuletzt für seine Neuinszenierung der "Bacchen" des Euripides probiert, die am 26. Juli bei den Salzburger Festspielen und am 10. September am Berliner Ensemble rauskommen sollten.

Jürgen Gosch, am 9. September 1943 in Cottbus geboren, war in den letzten fünf Jahren, seit seiner Inszenierung von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" am Deutschen Theater Berlin, zum wohl wichtigsten Regisseur des deutschsprachigen Theaters avanciert.

Seine Tschechow-Arbeiten Onkel Wanja (Januar 2008) und Die Möwe (Dezember 2008), beide wiederum herausgebracht am Deutschen Theater, begeisterten Kritik und Publikum gleichermaßen. In der Kritiker-Umfrage von Theater Heute wurde Gosch 2004 für seine Düsseldorfer Inszenierung der "Sommergäste" zum Regisseur des Jahres gewählt und sein "Onkel Wanja" 2008 als Inszenierung des Jahres erkoren; 2009 erhielt er zusammen mit seinem Bühnenbauer Johannes Schütz den Berliner Theaterpreis.

Lange hatte es gedauert bis Jürgen Gosch zu einem von allen Regie-Zutaten weitgehend abgerüsteten Menschentheater vorgestoßen war. Nach seinem Studium an der Ernst Busch-Schauspielschule in Berlin begann er als Schauspieler unter anderem im mecklenburgischen Nowhere-Land von Parchim, wo er unter Fritz Marquardt spielte und nicht weiter auffällig wurde. Nach seinem Wechsel ins Regiefach kam er an die Berliner Volksbühne, wo seine Inszenierung von "Leonce und Lena" 1978 wegen unbotmäßiger Modernisierung und politischer Anspielungen von den Amtswaltern der DDR abgesetzt wurde. Gosch zog darauf in den Westen um, wo er laut Wikipedia mit seinen Kölner Inszenierungen "Nachtasyl" (1981), "Der Menschenfeind" (1982) und "Oedipus" (1983) Erfolge feierte.

Umso überraschender und enttäuschender scheiterte er als Nachfolger von Peter Stein und Luc Bondy in der Leitung der Schaubühne. Schon nach seiner ersten statuarisch misslungenen Inszenierung von "Macbeth" (1988) waren das Theater und sein neuer Leiter praktisch am Ende. Gosch verließ die Schaubühne und arbeitete als freier Regisseur, in der Leitung der Schaubühne folgte Andrea Breth nach.

Ironischerweise erregte Jürgen Gosch ausgerechnet mit einer neuen Inszenierung von "Macbeth", 2005 am Düsseldorfer Schauspielhaus herausgebracht, wiederum die Öffentlichkeit. Er ließ seine Schauspieler, Männer allesamt, nackt auftreten, was dem Boulevard und der Illustriertenpresse, schreibtätermäßig nach Kräften vom "Spiegel" unterstützt, den Anlass gab, über das deutsche Theater im Allgemeinen die so genannte Ekeltheater-Debatte anzuzetteln. Die naturgemäß nach einigem Lärmen im Sande verlief.

Neben seinen erfolgreichen Inszenierungen moderner Klassiker unterhielt Jürgen Gosch eine besondere Zuneigung zu dem um zwei Jahrzehnte jüngeren Autor Roland Schimmelpfennig. Fast alle Schimmelpfennig-Uraufführungen der letzten zehn Jahre wurden von Jürgen Gosch inszeniert.

Oliver Reese, bisheriger Intendant des Deutschen Theaters und Dramaturg vieler Gosch-Inszenierungen, würdigte Gosch als einen Theatermacher, "der Schauspielern den Glauben an ihren Beruf zurück geben konnte. Keiner konnte seinen Darstellern so viel Spielfreude und Glaubwürdigkeit entlocken wie er. Gosch hat sich in den letzten Jahren als Regisseur neu erfunden – und er hat dabei auch das Theater zu neuer Wahrheit geführt."

Peter Michalzik, Theaterkritiker der Frankfurter Rundschau, nannte Jürgen Gosch einmal einen der "größten Künstler unserer Zeit".

 

(Theaterkanal/ Deutsches Theater/ jnm)

Am Montag, den 22. Juni um 12 Uhr, findet auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte die Beisetzung von Jürgen Gosch statt. Außerdem wird das Deutsche Theater dem Regisseur mit einer Matinee am 28. Juni um 12 Uhr gedenken.

Hier lesen Sie den Nachruf von Katrin Bettina Müller.

Erinnerungen an Jürgen Gosch auf YouTube:

In Erinnerung an Jürgen Gosch (Zusammenschnitt)

"abgeschminkt"-Porträt Jürgen Gosch (Beitrag zdfTheaterkanal)

Jürgen Gosch beim Berliner Theatertreffen ("Foyer"-Beitrag 3sat)

 

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Kommentare  
Zum Tod von Jürgen Gosch: Gegen ihn waren alle Zwerge
wie schrecklich.
gegen ihn waren alle anderen solche zwerge.
bin so unglaublich traurig.
Jürgen Gosch: wieso sterben eigentlich alle?
Dass es dieses Jahr passieren würde, nun ja- das war leider nicht mehr auzzuschließen nach den Bildern beim Theatertreffen. Aber dass es bereits Wochen später eintritt....

Wieso sterben eigentlich alle (...) !??!!
...


Ein letzter Abschiedsgruß auf Youtube, wenn der Verweis erlaubt ist:

http://www.youtube.com/watch?v=34ho-na2Vq8
Jürgen Gosch: traurig
unendlich traurig - unendlich traurig...
Jürgen Gosch: Theatergrunderlebnis "Leonce und Lena"
LEONCE UND LENA 1978 an der Ostberliner Volksbühne war ein Theatergrunderlebnis für mich. Diese Inszenierung hat mein Theaterverständnis geprägt: so etwas hatte ich vordem nicht gesehen!
Der Regisseur Jürgen Gosch, den ich nie persönlich kennen gelernt habe, wurde damals ein künstlerischer Bezugspunkt für mich.
Die Aufführung war schliesslich nicht lediglich politisch provozierend, weil sich ein überalterter Staatsrat mit seinen Gehstöcken klappernd aus dem Dunkel des Kellers einen Weg auf die Bühne bahnte ; sie war SUBVERSIV, weil es um Leonce und Lena ging, um Stillstand, Langeweile, LIEBE!
Mit Jürgen Gosch ist ein ein Regisseur von uns gegangen, der nie laut war, künstlerischen Charakter bewies und der wahrhaftig einen Grund hatte, warum er Theater machte.
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Drei Schwestern 2005 in Hannover und schließlich Virginia Woolf als Gastspiel am Thalia Hamburg haben mein Theaterverständnis grundlegend verändert. So etwas hatte ich nie und nicht wieder gesehen.
Jürgen Gosch: Trauerfeier wann?
Kann jemand sagen, ob und wann es eine Trauerfeier für Jürgen Gosch geben wird? Oder wird eine Beisetzung im engeren Kreis werden? Das würde ich sehr gerne wissen?
Vielen Dank für eine Auskunft? Josip Soblar
Jürgen Gosch: Beerdigung am 22. Juni
Wie das Deutsche Theater soeben mitteilt, wird Jürgen Gosch am Montag, den 22. Juni um 12 Uhr auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte beigesetzt.
Außerdem wird das Deutsche Theater dem Regisseur mit einer Matinee am 28. Juni um 12 Uhr gedenken.

(ape)
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