Redaktionsblog - Die Kehlmann-Regietheater-Debatte
Murmler und Rauner
4. August 2009. Das ist doch lustig. Daniel Kehlmann hat eine Rede gehalten. Über Theater. Gegen das Regietheater. Für seinen Vater. Jeder weiß, dass diese Rede niemand interessieren würde, wenn Kehlmann nicht viele Bücher verkauft und die Salzburger Festspiele ihm nicht die Plattform geboten hätten. Weil Kehlmann aber ein Erfolgsschriftsteller ist und die Salzburger Festspiele, sommer- und promibedingt, alljährlich viel Aufmerksamkeit erheischen, meint (fast) jeder, zu dieser Rede was sagen zu müssen. Aber gut, so funktioniert das eben.
Wirklich lustig ist jedoch, was da alles gesagt wurde: Der eine, Tilman Krause von der Zeitung Die Welt, glaubt, Theater sei ein gesunkenes Kulturgut und meint das tatsächlich ernst, ein anderer, der Schriftsteller Joachim Lottmann glaubt, das Theater habe sein Theaterpublikum verloren, dafür aber ein Zirkuspublikum gewonnen und meint auch das ernst, wieder ein anderer, Gerhard Stadelmaier, Kritiker der FAZ, glaubt, nicht das Regietheater, sondern das "Regisseurtheater" sei an der Gegenwartstheatermisere schuld und meint das so ernst, dass er allen Würdeanstand vergisst, indem er diese seine Meinung aus Anlass des Todes von Peter Zadek verkündet. Alle wissen sie jedenfalls Bescheid, kein Zweifel nirgends. Peter Michalzik, für die Frankfurter Rundschau tätig, erkennt in der Kehlmann-Rede ein "Musterbild dumpf-reaktionären Denkens", Kehlmann selbst denkt, er habe lediglich ein Plädoyer für ästhetische Offenheit gehalten, und Tobi Müller weiß in der Welt am Sonntag, was das Wesen des Theaters ist, der Eingriff in die Vorlage, das Verändern und Vereinnahmen des Textes nämlich.
Herrlich. Denn offenkundig braucht es noch viele solcher lustigen Sommertheaterreden, wenn die öffentliche Reaktion auch diesmal wieder, wie regelmäßig bei derlei Debattenanlässen, in Grabenkampfgemaule mündet. Die Bereitschaft, der jeweils anderen Position etwas Nachdenkenswertes abzuringen, ist ersichtlich stark unterentwickelt.
Womöglich liegt es daran, dass es, wieder einmal, auch jetzt nicht um das Theater geht, sondern um sehr verschiedene und sehr eigene Dinge, nämlich darum, sich das Theater so herbeizureden, wie man es gern haben möchte, es naturgemäß aber nie ist, weil das Theater ja immer wer anderes, nie man selber macht. Zumindest den Theaterdebatten steht deshalb eine heitere Zukunft bevor. Denn so lange allseits das wahre, wirkliche, echte Wesen des Theaters beschworen wird, wird dieser Streit über das Wesen der Regie nicht aufhören, auch bei uns nicht – die Kommentatorinnen und Kommentaroren haben es bislang, Stand am 4. August um 12 Uhr 34, auf 77 Einträge gebracht.
In einem Interview hat Thomas Oberender, Schauspielchef der Salzburger Festspiele und also Kehlmann-Einlader, übrigens die Ansicht vertreten, die Kehlmann-Rede sei ein Protest gegen unreflektierte Auffassungen vom "Fortschrittlichen". Recht hat er. Aber ohne das unreflektierte Gemurmel und Geraune gäbe es halt auch keine so lustigen Regietheaterdebatten.
(dip)
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