Für Männer und andere Widerspenstige

von Christian Rakow

Greifswald, 9. August 2009. Es herrscht gemütliche Ruhe auf dem farbenfrohen Marktplatz von Greifswald an diesem Sommervorabend im August. Ein paar Studenten radeln vorüber. Barfuß. Die Kopfsteinpflaster sind noch warm. Von der wuchtigen Hallenkirche St. Marien folgt man den breiten hanseatischen Altstadtgassen zum Museumshafen. Es ist fast wie zu Shakespeares Zeiten: Am Wasser sind die Gaukler.

Neben Buden mit Räucherfisch spielt eine Nachwuchspunkband auf einem ausgemusterten Kahn für einige Dutzend Interessierte, die am Ufer abhängen und grillen. Unweit vom Kai erhebt sich die Open-Air-Bühne der Ostseefestspiele mit wuchtigen Häusertürmen. Ein Stinkefinger weist den Weg vom Einlass zur Bühne, und ein orangefarbener Trabant kündigt das Programm an: "Der Widerspenstigen Zähmung" vom Theater Vorpommern.

Historisches für Kehlmann, Modernes von da Vinci
Drinnen entdeckt man noch eine Penisskulptur, die von weitem wie eine Schnecke ausschaut – Na, das kann ja heiter werden. Allerdings, das soll es ja auch. Und gute zweieinhalb Stunden später werden wir sagen: "Wer hätte das gedacht, so heiter!" Es ist Sommertheater at its best, das hier unter der Regie von Matthias Nagatis (seit 1998 Schauspieldirektor des Theaters Vorpommern) geboten wird. Vital, schnell, wortgewandt und garantiert "nicht zu kopflastig", wie die Schauspielertruppe im Intro selbst bekennt.

In luftige Höhe ist das Spielpodest gebaut, ein Graben trennt es von den nahezu ausverkauften Rängen (940 Plätze). Vor einer mittelalterlich grauen Häuserfront agieren die Komödianten in Plusterhosen und historischen Trachten, dass den Verschworenen um Daniel Kehlmann das Herz aufgehen dürfte (Bühne: Ines Nadler, Kostüme: Esther Bätschmann). Alle modernen Requisiten – ein Motorroller, ein Grammophon, eine Polaroidkamera – werden als "Erfindungen eines Herrn da Vinci" ein- und vorgeführt.

Walter an die Vogelweide!
Running Gags tollen mit Zoten und Kalauern ("Ich häng den Walter an die Vogelweide"). Und doch wird's nicht platt; keine der Chargen zündet zu knallig, niemand wird für den billigen Effekt an die Rampe geprügelt. Mit liebevoll steifer Inbrunst ringen die jugendlichen Freier um die sittsame, ungewitzte Bianca (Elke Zeh): der Troubadour bzw. "Klampfendödel" Hortensio (Hannes Rittig, der mit blonder Perücke an den Zug-nach-Nirgendwo-Schlageristen Christian Anders gemahnt) und der entflammte Poesieliebhaber Lucentio (Lukas Goldbach).

Derber und kecker geht es zwischen dem "widerspenstigen" Käthchen, "Paduas schlimmster Zunge", und ihrem Rüpelgatten und selbsternannten Dompteur Petruchio zu. "Er bricht sie mit ihren eigenen Waffen" lautet die Brachiallektion, die er Käthchen zukommen lässt. Doch so schlicht ist es nicht. Anja Taschenberg und Grian Duesberg gelingt ein andauernder, stets unentschieden verlaufender Wettstreit mit feiner Klinge. Und das ohne vordergründige Aktualisierungen. Mal duellieren sich die beiden mit Florettdegen, mal mit Celli.

Eheliches Brainwashing
Selbst als sich Käthchen am Schluss des ehelichen Brainwashings bis in den Staub erniedrigt, hat sie noch einen Trumpf auf der Hand. Unrat reibt sie sich ins Antlitz und fordert ihren Gatten auf: "Nun küss mich, Geliebter." Und ein Rufer aus dem Publikum kommentiert: "Ja, da hast du's!" So eingetaucht, so involviert hat man Zuschauer schon länger nicht erlebt.

Es wird dunkel, aber das Greifswalder Ensemble glänzt – mit Tänzen (Choreographie: Sabrina Sadowska) und wohl dosiertem Trara. Ein behände plappernder Narr (Eva-Maria Blumentrath als Biondello) streut Witze für die Ewigkeit: "Ich kannte mal ein Mädchen, das ging in den Wald und sammelte Pilze. / Jetzt stillt se." Alte Väter stützen sich rückwärts auf Krücken, als seien sie mit einer Lizenz aus dem 'Ministerium für Silly Walks' ausgestattet. Überall treibt der Unsinn seltsam kostbare Blüten.

Es ist ein turbulentes, launiges Sommerfest des Volkstheaters. "Hätte man gewusst, dass es so lustig wird, dann wäre mein Mann bestimmt auch mitgekommen", meint eine Frau beim Rausgehen. Für Männer und andere Widerspenstige gibt's eine neue Chance im nächsten Jahr, dann mit "Romeo und Julia".

Der Widerspenstigen Zähmung
von William Shakespeare
Fassung des Theaters Vorpommern nach Schlegel/Tieck
Regie: Matthias Nagatis, Bühne: Ines Nadler, Kostüme: Esther Bätschmann, Gefechte: Jan Bernhardt, Choreographie: Sabrina Sadowska, Musikalische Einstudierung: Andreas Kohl, Dramaturgie: Catrin Darr.
Mit: Lutz Jesse, Gabriele M. Püttner, Lukas Goldbach, Grian Duesberg, Jörg F. Krüger, Hannes Rittig, Markus Voigt, Eva-Maria Blumentrath, Jan Bernhardt, Matthias Nagatis, Jürgen Meier, Christian Holm, Anja Taschenberg, Elke Zeh, Emilia Lepadatu, Katja Klemt, Jürgen Meier, Lutz Jesse.

www.theater-vorpommern.de


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