Pompöses Böses

von Theresa Valtin

Edinburgh, 19. August 2009. Für den Fall, dass die Finanzkrise mittlerweile auch Rumänien erreicht hat, scheint Regisseur Silviu Purcarete noch nichts davon mitbekommen zu haben. Seine monumentale Inszenierung von Goethes "Faust" geht mit allen Mitteln überaus verschwenderisch um. Die spektakuläre Produktion wird von einer 100 Mann starken Besetzung auf mehreren Bühnen in einer Landwirtschaftshalle außerhalb der schottischen Hauptstadt dargeboten. Der Effekt bleibt nicht aus, mit seinem Radu Stanca Nationaltheater Sibiu raubt Purcarete dem Publikum des Edinburgher Festivals den Atem.

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Der Hölle entstiegen
Die freie Adaption des Goethe-Stücks beginnt in einem Klassenzimmer. Hier bekennt Faust (Ilie Gheorghe), dass sein Wissensdurst keine Grenzen kennt, bevor ein schwarzer Hund sich in Mephisto verwandelt, einen barbusigen Hermaphroditen, gespielt von Ofelia Popii. Vor ihrer starken Darstellung verblasst der aschfahl geschminkte, an einen alternden Zirkusclown erinnernde Gheorghe als Faust ein wenig. Popii fesselt mit einer überwältigenden Stimme und einer Beweglichkeit, die ihr selbst in Momenten, in denen sie im Schatten lungert, eine enorme Präsenz auf der Bühne verleihen – ein Wesen, das wahrlich der Hölle entstiegen scheint.

Im zweiten Akt teilt sich die Bühne und macht den Weg zu einer alptraumartigen Walpurgisnachtszene frei, zu der das Publikum seine Plätze verlässt und Faust folgt. Inmitten Feuerspielen, fliegenden Hexen und kopulierenden Teufelslakaien befriedigt Faust seine wildesten Begierden. Die Orgie, untermalt von dämonisch dröhnender Musik, erinnert an die Gemälde Hieronymus Boschs – eine gewaltige Abbildung des Bösen. Und eine der visuell schwindelerregendsten Aufführungen beim diesjährigen Edinburgher Festival.

Betäubend übersinnlich
Purcarete stellt mit dieser Produktion einmal mehr sein Talent für opulente Inszenierungen unter Beweis. Die Üppigkeit, der Reichtum an Eindrücken sind geradezu betäubend. In dem übersinnlichen Spektakel gehen originelle, auch intelligente Einfälle, beispielsweise die gespenstische Darstellung Gretchens durch sieben präpubertäre Schulmädchen, die Fausts Sünden eine Note der Pädophilie hinzufügen, leider ein wenig unter. Und nach einer Weile scheint das pompöse Festspiel fast so leer wie Fausts Leben; von Goethes Ideen von Erlösung und Verhängnis bleibt kaum etwas übrig – es scheint beinahe so, als habe Purcarete die Seele des Stückes auf Kosten des Spektakels verkauft.

 

Faust
freie Adaption nach Johann Wolfgang von Goethe
National Theatre ‘Radu Stanca' Sibiu
Regie: Silviu Purcarete, Bühne: Helmut Stürmer, Komposition: Vasile Sirli, Kostüme: Lia Mantoc, Video: Andu Dumitrescu.
Mit: Ilie Gheorghe und Ofelia Popii.

www.eif.co.uk


Mehr über das Teatrul National Radu Stanca? 2007 gastierte es beim Heidelberger Stückemarkt mit einer Inszenierung von Fritz Katers "zeit zu lieben, zeit zu sterben". Beim diesjährigen Internationalen Festival in Edinburgh sahen wir bislang auch Diaspora, ein Projekt des singapurischen Regisseurs Ong Keng Sen. Und in der vorletzten Saison haben wir uns angeschaut, wie Goethes "Faust" auf deutschen Bühnen gespielt wird.

Kritikenrundschau

Für Gina Thomas (Frankfurter Allgemeiner Zeitung, 26.8.) wurde Goethes "Faust" in dieser Inszenieurung auf "zwei wirre Stunden" gestutzt. Man erlebe ein "verderbtes Zirkusspektakel". Auf Bildschirmen links und rechts der Bühne in einer riesigen Messefläche erscheine "eine minimierte englische Übersetzung des ins Rumänische übertragenen Stücks. Um sie zu lesen, muss man den Blick von der Bühne wenden". Und wenn man sehen wolle, was sich in Fausts "mit staubigen Bänden und zusammengeknüllten Zeitungsfetzen übersäten Studierzimmer abspielt, wo Schüler über ihre Laptops gebeugt sind, während der Meister Drogenexperimente an geschändeten Mädchen ausführt, versteht man immer nur Bahnhof". Den "kahlköpfigen, stiernackigen Faust Ilie Gheorghes" treibe weniger die Lust nach Erkenntnis, "mehr die Lust auf allerlei Kitzel, den dieser grotesken Commedia dell' Schwarte die schlangenhaft schillernde Ofelia Popii verschafft". Mit "kesser Brust und prallem Hosenbeutel" verkörpere sie einen androgynen Mephisto, "der den geilen Faust in sein Unheil treibt".

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