Konsens der Anspruchslosen

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 24. August 2009. Die Rabiat-Sensibelchen unter den 'Sich selbst und die anderen'-Suchern können zufrieden sein. Der Niederländer Dries Verhoeven hat für seine Produktion You Are Here am heutigen Montag bei den Salzburger Festspielen den Preis des Young Directors Project bekommen.

Die Jury hat das Programmheft ganz genau inhaliert und sich das dort Beschriebene flugs auch selbst gedacht: Es sei eine Produktion, heißt es in der Begründung, "die Sehgewohnheiten im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellt". Die Arbeit überzeuge "durch ein originelles Konzept und ein atemberaubendes Bühnenbild" (es ist eine Riesen-Spiegelfläche, die über den "Hotelzimmern" hochgeht und Blicke auf die anderen Zuschauer freigibt). "Der Besucher ist einerseits ganz auf sich selbst zurückgeworfen und mit den eigenen Gedanken und Assoziationen allein gelassen, andererseits nimmt er sich als Teil einer Gemeinschaft wahr. Die Gleichzeitigkeit von Intimität und Öffentlichkeit irritiert und fasziniert nachhaltig." Das ist schön gesagt.

Dauendecke gegen Ungemach

Gut, dass Verhoeven mit seiner anspruchslosen Produktion beim Young Directors Project vertreten war. Sich darauf zu einigen, sollte den Jurymitgliedern – Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, Nobel-Galerist Thaddaeus Ropac, Kulturkritiker Wolfgang Kralicek sowie die Schauspieler Sunnyi Melles und Peter Simonischek – nicht schwer gefallen sein. Schließlich gab es im Fall von "You Are Here" keine offensichtlichen Widerhaken.

Im Grunde hatte das Young Directors Project heuer nichts Brauchbares anzubieten: Zu introvertiert-versponnen des New Yorkers Kenneth Collins eingeschachteltes Road-Movie Welcome to Nowhere. Zu offensichtlich Provinztheater des Ungarn Viktor Bodós mit dem Ensemble des Grazer Schauspielhauses umgesetzte "Alice" (im bewegungsturbulenten Wunderland). Und Jette Steckels Eins-zu-eins-Bühnenübersetzung von Ilija Trojanows Roman Die Welt ist groß und Rettung lauert überall krankte auch an den Textunsicherheiten der Darsteller vom Thalia Theater, ist also schon im Handwerklichen daneben gegangen.

Da kam also "You Are Here" gerade recht, ein Stück, bei dem keiner wirklich gezwungen wird, mitzudenken. Da kann man sich nicht nur zurücklehnen, sondern darf sich sogar hineinlegen ins gemachte Bett. Die Daunendecke schützt vor Regietheater-Ungemach. Warum fehlte bloß Kehlmann bei der Premiere?

Mutlos in der Schmuddelecke

Schade, dass die Jury nicht Mumm gezeigt und keinen Preis vergeben hat. Das wäre freilich ein Affront gewesen gegen den verdienten Sponsor des Young Directors Project, die Füllhalter- und Pretiosen-Firma Montblanc. Wie stünde der Geldgeber da? Wie viel sich Montblanc das seit 2002, heuer also zum achten Mal durchgeführte YDP kosten lässt, wird beharrlich verschwiegen.

So funktioniert's: Die Füllfeder-Sonderedition "Hommage à Max Reinhardt" ist nicht nur Trophäe für den Gewinner des Young Directors Project (nebst 10.000 Euro). Das kostbare Schreibgerät, das bei jedem einschlägigen Salzburger Pressegespräch wohlfeil hinter Panzerglas ausgestellt wird, wird noch zwanzig weitere Mal produziert und ausschließlich in der Salzburger Montblanc-Filiale angeboten: für schlappe 17.500 Euro, von denen auch wieder ein Betrag zurückfließt ins Young Directors Project.

Wer würde einen solchen Sponsor vergraulen wollen, indem er die Preissumme glatt ausschlägt? Es wäre ein Eigentor für die Festspiele. Was aber allemal möglich und längst an der Zeit wäre: Nachzudenken über Ausrichtung und Auswahl. Wäre es nicht denkbar, jährlich den Kurator zu wechseln? Reicht der Horizont von Martine Dennewald auf Jahre? Und überhaupt: Das YDP erinnert ein wenig an die Erfindung der "Probebühnen" landauf, landab in den sechziger und siebziger Jahren. Im Republic, dem ehemaligen Stadtkino, haben die Festspiele mit drei Jahrzehnten Verspätung eine Schmuddelecke fürs (angeblich) Neue, Ungesehene eingerichtet. Irgendwie ist das Young Directors Project ein liebenswürdiger Anachronismus.

 

 

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Kommentare  
Young Directors Award: ortsabhängig
lieber herr kriechbaum,
nur ein paar anmerkungen: vielleicht ist es schlicht schwierig, etwas "ungesehenes" zu finden, zur zeit, vielleicht ist das nicht die problematik des YDP, sondern der derzeitigen jung-theaterlandschaft mit wahnsinnig viel autorenförderung und wahnsinnig vielen handwerklich guten 1:1-inszenierungen. vielleicht muss man das YDP auch interpretieren als eine erweiterung des schauspielprogramms der eben relativ konservativ ausgerichteten salzburger festspiele, die per definitionem weit weniger progressiv sein wollen und sollen als z.B. die wiener festwochen in ihrer gesamtheit. vielleicht sollte man dries verhoeven nicht vorhalten, dass er kein theater zum "nachdenken"/ analysieren macht, sondern nach eigener aussage nun mal erfahrungstheater, und dementsprechend gar keine direkt-intellektuelle auseinandersetzung führen will. vielleicht darf auch "poesie" einen platz finden - schwer zu bewerten, sicher, und immer etwas haltlos schwebend - ich kann dementsprechend auch sehr gut verstehen, dass man das nicht mag, dass das beliebig bleibt - das heißt nun aber nicht, dass es illegitim ist.
sie schreiben ein wenig so, als wäre seit 10 jahren die gleiche kuratorin unterwegs, YDP hat aber schon sehr unterschiedliche ausprägungen gehabt in eben diesen letzten 10 jahren und sollte meiner meinung nach in einem bestimmten kontext gesehen werden, nicht unabhängig von dem ort, an dem es nun mal stattfindet - da es ein publikum hat, da es menschen interessiert, da es ganz sicher nicht für die sponsoren veranstaltet wird. sch.
Young Directors Award: provinziell?
was war an der wunderland-vorstellung provinziell?????
Young Directors Award: neugierig geworden
"Provinztheater aus Ungarn", diese Wortwahl des Herrn Kriechbaum muss nicht unbedingt abwertend gemeint sein, Herr nachomann.
Obwohl er, zugegebener Maßen, eine sehr abwertende Schreibe hat.
Mich hat sein Bericht eher neugierig gemacht auf das Young Directors Project, nächstes Mal fahre ich hin.

Er hat einfach Freude am verbalen Niedermachen, das ist ja auch zu schön...Für manche kann es ein Fetisch sein, wie ich las. Lassen wir ihm seine kleinen Freuden.
Gruß H.
Young Directors Award: Erwartung versus Erlebnis
Danke Schillerchen für die Erweiterung des Horizonts. Auch ich denke, es gibt nicht nur Herrn Kriechbaums Wahrheit. Leicht wäre es den Spieß umzudrehen und ähnlich abwertend über seine hier anklingende Vorstellung von richtigem Theater zu schreiben. So etwas ist immer leicht. Dass die Jury keinen Preis vergeben sollte, weil er selbst die Stücke nicht mochte, finde ich irgendwie rührend.
Vielleicht liegt sein Problem mit "You are here" ja ganz woanders. Es gibt Stücke, die sollte man einfach anschauen, nicht kritisieren. Ja, wenn man aber all die Stücke ansehen MUSS und überhaupt keine Lust darauf hat (vielleicht sogar sowieso schon vorher eine dezidierte Meinung, was da alles schief läuft beim YDP und eine persönliche Abneigung gegen die Probebühnen der 70er), dann entziehen sich solche Stücke. Je weniger Holzhammer, desto leichter passiert das. Man kann im übrigen viel denken bei diesem Stück, nur kriegt man es nicht vorgekaut und - wie Herr Kriechbaum sagt, man wird auch nicht dazu gezwungen. Es ist mutig von Dries Verhoeven solche Stücke zu wagen, denn das hier so schön gezeigte Problem mit dem Apparat der Kritik wird er immer haben. Und dort auch die ewige Verwechslung von fehlendem (Pseudo-)Intellektualismus mit Bedeutungslosigkeit. Und er wird sicher vielen Kritikern begegnen, die zwar erwarten, dass ihnen etwas vorgesetzt wird und dass Sie zum denken gezwungen werden, die auch alle Hintergründe des Festivals kennen und sich selbst als die einzig verbleibenen Anspruchsvollen wahrnehmen; aber lange schon nicht mehr in der Lage sind selbst zu schauen.
Der Schluss, dass das Stück kein besonderes Erlebnis sei, erstaunt mich persönlich, aber ich weiß nicht, was Herr Kriechbaum schon alles gesehen hat oder gar was er selbst für Ideen mit sich trägt. Am Rande sollte aber selbst ein Kritiker erwähnen, dass es ein Publikum gibt, welches seine Ansicht keineswegs teilt. Und dass dieses Publikum nach der Vorstellung mit einem Lächeln den Platz verlässt, das vorher nicht da war. Und zwar nicht als esotherisch-verklärte Sensibelchen, wie er ihm unterstellt, sondern durchaus angeregt diskutierend.
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