Presseschau vom 3. September 2009 – Der große Intendanten-Ringtausch

Odradek und die Tapetentüren

Das Theater sei wie Kafkas Odradek, eine "lebende Zwirnrolle", die nichts "produziert", nichts kann, ein "huschendes Mischwesen aus sinnloser Mechanik und freiem Willen", sagt Ulrich Khuon, in Peter Kümmels Zeit-Artikel (3.9.) über das Intendantenkarrussell. "Die Intendanten", schreibt Kümmel weiter, "die jetzt den Ton angeben, sind undramatische Naturen: keine Egomanen, sondern kluge Taktiker, keine Machiavellisten, sondern Künstler der Kräfteverteilung und des Multitasking... Symbolfiguren des Neuanfangs sind sie nicht. Dass es ihnen auch um so etwas schweres wie 'Unsterblickeit' und das Schreiben von 'Theatergeschichte' gehen könnte, geben sie eher am Rande zu. Dass sich einer von ihnen als pralle Theaterfigur bewähren könnte, ist schwer vorstellbar, am ehesten bei Matthias Hartmann; er wäre ein toller 'Zerrissener'."

Der Held in Kümmels Geschichte aber ist Frank Baumbauer, der in Basel, Hamburg, München immer alles richtig gemacht habe. Und auch jetzt macht er es richtig, er verschwindet durch eine "Tapetentür", während sein künstlerischer Erfolg noch anhält. Ein Patriarch wie die Intendanten von früher, wollte Baumbauern nie sein. Baumbauer, schreibt Kümmel, sei der "Intendant als Essayist", der sich nicht in "einzelnen Inszenierungen verwirklicht, sondern in der Erzeugung eines übergeordneten Geistes, einer höheren Autorenschaft." Erfunden, schreibt Kümmel, habe diese Rollenauslegung des Intendanten-Berufes Ivan Nagel, der Lehrmeister, dem Baumbauer einst Dramaturg diente.

Als "total depressiver Mensch" - "ohne diese Depression wäre ich wohl Banker" - darf sich Matthias Hartmann präsentieren, der von Kümmel leicht spöttisch als Karrierist, wenn auch ein liebenswerter, verdächtigt wird. Hartmann bekommt in dem Artikel ein kleines Extra-Portrait, als Spätzünder und Autodidakt, der bei seinem "Seiteneinstieg" ins Theater, die türkische Putzfrau fragen musste, wie man einen Probenplan macht. "Es fiel sofort auf, dass ich nicht wusste, was ich tat"; letzten Endes habe man ihn nur wegen seiner Sturheit nicht rausgeschmissen. Nun, schreibt Kümmel, sitze Hartmann als Intendant des Burgtheaters "ganz oben mit dem Gestus des Mannes, der sich wundert, dass man ihn hinaufgelassen hat."

 

Über das Intendantenkarussell schreibt auch Matthias Heine in der Berliner Tageszeitung Die Welt (3.9.). Nur findet er die Metapher, die er vom Fußball mit seinem "Trainerkarussell" hergenommen sieht, ziemlich kraus. Wo andere ein Karussell entdecken, sieht er eher eine Salatschleuder oder eine Zentrifuge. Außerdem hätten Karussells keine Spitze wie die Theaterlandschaft mit ihren großen Häusern wie der Burg oder dem Deutschen Theater in Berlin. Mindestens diese beiden Spitzen hat Heines Intendanten-Salatschleuder, Spitzen, die nun mit dem wahrlich "selbst bei Wohlwollenden keineswegs als Regiegenie" geltenden Matthias Hartmann und dem in Hamburg "schon jetzt vom Strahlenkranz der Heiligkeit umgebenen" Ulrich Khuon besetzt sind, wobei Letzterer, laut Heine, bereits die berüchtigte "Berliner Muffeligkeit" gegen sich aufgebracht habe wegen seines "geradezu apokalyptisch misslungenen neuen Theaterdesigns" fürs DT. Wenn der Wechsel nach Wien für Hartmann einer Beförderung gleich komme, Khuons Gang nach Berlin dagegen keine rechte Vorwärtsbewegung darstelle, die aber nichtsdestotrotz durch die Mitnahme fast aller weiblicher Stars bereits abgesichert erscheine, mache Wilfried Schulz, der von Hannover nach Dresden geht, eher einen Schritt zur Seite, schreibt Heine. Ein Schritt der Schulz jedoch gewiss frommen werde, weil Holk Freytag das Dresdner Theater zwar grundsolid' aber sterbenslangweilig geführt habe. Nun, wir werden sehen.

 

Auch Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (3.9.) äußert sich zum großen Bäumchen-wechsle-Dich-Spiel im deutschen Theater. Über den "Zerrissenen"  Matthias Hartmann und seinen Antritt in Wien etwa schreibt sie: "Hartmann hat für seine erste Wiener Spielzeit in der Nachfolge von Klaus Bachler alles eingekauft, was gut, durchgesetzt und teuer ist - sein 27-Gänge-Menü ist reichhaltig, aber weitgehend überraschungsfrei". In Zürich habe Hartmann zwar eine "stattliche Bilanz, aber auch viel Unmut" hinterlassen. Das gipfelte in einer "Ermittlung" wegen Schwarzarbeit, Amtsmissbrauchs und Begünstigung. "Hartmann beschäftigte, durchaus mit Duldung der Regierung, ein bulgarisches Kindermädchen, das keine Arbeitsbewilligung besaß."  Als geborene Schweizerin dürfte es Hartmanns Nachfolgerin in Zürich, Barbara Frey, leichter haben, glaubt Dössel. Frey, Jahrgang 1963, habe "eine überaus freundlich-patente Art, das hilft". In Hannover wird Lars-Ole Walburg Intendant, "mit 44 Jahren der Jüngste im Intendanten-Wechselspiel, und, wie es bisher den Anschein hat, der Mutigste, will er doch seinen Spielplan mit stadtbezogener Projektarbeit und jungen, weniger bekannten Künstlern ganz bewusst von einem Betrieb absetzen, in dem 'überall die gleichen Leute das Gleiche inszenieren'."

 

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.9.) berichtet Dietrich Worbs über den Stand der Dinge beim Streit um die beiden Ku'damm-Bühnen im Ku'damm-Karree zu Berlin. 220.000 Besucher im Jahr, "eine Zahl, die keine andere Schauspielbühne der Stadt erreicht", so viel erst einmal zur Bedeutung der von alleweil anrollenden Touristenbusbesatzungen gefüllten Boulevard-Bühnen. Und natürlich sind Bürgerschaft wie Bezirk gegen den Abriss, nur der Senat "starrt gebannt auf die hohe Investitionssumme" von einer halben Milliarde Euro, die der Besitzer des Kudamm-Karrees, die Ballymore Properties Ltd. aus Dublin im Berliner Westen verbauen will. Dabei spielt keine Rolle, dass das Konzept für die drei Geschosse füllenden Ladenstraßen zweifelhaft ist und die beiden Theater so etwas wie "Ankermieter" sein könnten, die Leute, also Konsumenten in das zukünftige Ladenparadies ziehen könnten - alles egal, die angeblich das gepflegt ungestörte Einkaufen störenden Bühnen sollen weg, wenn es nach Ballymore geht. Stattdessen soll es ein Theater im zweiten Stock des Neubaus geben. Vielleicht.

 

In der Frankfurter Rundschau (3.9.) führt Sylvia Staude ein lesenswertes Gespräch mit der Choreografin Helena Waldmann über ihre Theaterarbeit in Afghanistan - "Wie in Iran darf auch in Afghanistan in der Öffentlichkeit nicht getanzt werden. Singen ist möglich, aber Tanz ist verboten"-, Frauen mit und ohne Burka und ihr neues Stück "BurkaBondage - no ordinary experience", das sich mit "Gesellschaftsentwicklungen in Afghanistan und Japan" beschäftigt.

 

 

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