Das Gelobte Land - Jan Klata inszeniert den Roman von Wladyslaw Reymont
So sind sie, die herrischen Menschen
von Thomas Irmer
Lodz, 10. September 2009. "Greed is Good" steht gleich mehrfach in bunter Leuchtschrift über einer Table-Dance-Bar, die Justyna Lagowska samt Billard-Tischen und Glasplastikmobiliar in einer ruinösen Halle aufgestellt hat. Sie gehört zur alten Scheibler-Fabrik und ist damit selbst einer der Schauplätze von Wladyslaw St. Reymonts Roman "Das gelobte Land", der vor allem das rücksichtsloseste Profitmachen in der Textilmetropole Lodz am Ende des 19. Jahrhunderts zum Hintergrund hat.
Damals gehörte die Stadt zu Russland und blühte zu einer Art Oligarchen-Paradies auf. Mit der Industriearbeit wurden unglaubliche Reichtümer aufgehäuft, die wahrhafte Paläste neben Slumquartieren entstehen ließen, und ging es mit den Gewinnen einmal abwärts, wurde die Fabrik als Versicherungsbetrug einfach abgefackelt.
Im Kern erzählt Reymont jedoch die Geschichte dreier Studienfreunde – der polnischen Adlige Karol Borowiecki, der Deutsche Maks Baum und der jüdische Finanzexperte Moryc Welt –, die quasi in ethnischer Symbiose um eine eigene Fabrik kämpfen und obendrein manchmal glauben, sie könnten diesem Rabaukenkapitalismus mit etwas edleren Vorsätzen entgehen.
Bum, Bum, Gier!
Das Buch des polnischen Literaturnobelpreisträgers wurde 1974 durch Andrzej Wajda genial verfilmt, so dass zumindest Filmkenner sofort wissen, worum es bei einer Theateradaption des Stoffs geht. Klata hat nun aber einen anderen Film zum Bezugspunkt seiner Inszenierung nach Reymont gewählt, und der steht uns wesentlich näher als die Geschichte aus dem Industriezeitalter. Denn "Greed is Good" ist ein (von Ronald Reagan abgewandelter) Slogan aus Oliver Stones "Wall Street", wo Börsenspekulanten die Enthemmung des Marktes als sein einziges Gesetz predigen.
Das ist jetzt 25 Jahre her und lässt gerade heute vielleicht aufhorchen, dass man auch aus dieser recht anschaulichen Kapitalismuslektion nichts gelernt hat – oder nichts dagegen tun konnte. Jedenfalls lässt Klata seine Inszenierung mit der berühmten Gier-Rede von Michael Douglas beginnen, vorgetragen von einer als Bum Bum bezeichneten Figur im weißen Ganzkörperanzug wie bei Katastropheneinsätzen, während die Fabrikanten der Reymont-Personage an ihren Plastik-Tischen an grauen Laptops fingern.
Der Unternehmer Bucholc, ein alter "Master of the Universe", sitzt im Rollstuhl und lässt sich von seinem leitenden Angestellten Borowiecki Bittgesuche von Leuten vorlesen, die ihren Ernährer bei Arbeitsunfällen verloren. Ins Feuer damit!
Geschäfte, Katastrophen, Feuer!
Der edle Borowiecki hat also einen Grund mehr, dieser Welt etwas entgegenzusetzen. Eine Chance, das macht Klatas den riesigen Stoff in prägnante Szenen zusammenraffende düstere Deutung schnell klar, hat er dafür kaum. Schon die nächste Szene zeigt ihn in der verhängnisvollen Beziehung zu Lucy Zuker, einer frustriert lüsternen Fabrikantengattin. Die Gier der Emotionen wird dem Streben nach geschäftlichem Erfolg, wie bereits bei Reymont angedeutet, scharf gleichgestellt.
Klata findet dafür ein recht ruppiges Bild, wenn er die beiden mit einem Schlagzeug zur Musik von Phil Collins' "In the Air Tonight" gleichsam kopulieren lässt. Beinahe alle verwendeten Musikstücke lassen sich als period music zu Oliver Stones Film erkennen – bis hin zu Whitney Houstons Heulbojen-Nummer "I will always love you" in einer extrem demolierten Version, wenn die Geschichte mit Lucy bereits in die Katastrophe, das Abbrennen der gerade gegründeten Fabrik durch den rätselhaften Bum Bum, führt.
Die Bezüge zur Wall Street der achtziger Jahre sind freilich nur eine Art Echoraum, in dem sich das alte Lodz verständlich und zeitnah entfalten soll. Denn die insgesamt 17 Figuren verbleiben ansonsten in ihrer psychologischen Ausstattung (samt Kostümen) weitgehend in der aus dem Ruder laufenden Gründerzeit mit Reymonts ethnologischen Beobachtungen: wer in welcher ethnischen Konkurrenz wem Kredit und vielleicht auch eine familiäre Verbindung gewährt.
Grotesk, brutal und gnadenlos
In der Besetzung und Figurenzeichnung, vor allem aber in der Auswahl der Szenen, rückt Klata die Geschichte vom Freundschaftsbund der idealistischen Fabrikgründer hin zu einem grotesken Panoptikum. Im Mittelpunkt steht der kühl agierende Bartosz Porczyk, der als Karol mit seinem kleinen Schnäuzer an Wajdas später weltberühmten Protagonisten Daniel Olbrychski erinnert, während Maks (Jakub Giel) und Moryc (Michal Majnicz) schon nur noch als Nebenrollen zu sehen sind.
Der brutale Kessler (Edwin Petrykat) und der gnadenlose Bucholc (Zdzislaw Kuzniar) sind mit ihren Mir-gehört-die-Welt-Gesten indes Karikaturen des Zylinderhutkapitalisten. Der Regisseur hat die weiblichen Figuren jedoch auf eine herausfordernde Art neu gesehen, wenn sie mit Netzstrumpfhosen im Table-Dance-Ambiente ihre sozialen Unterschiede verwischen müssen und gegen diese Zuweisung aufbegehren.
Die Mada Müller der Anna Ilczuk, in den Vorlagen das etwas dümmliche Neureichentöchterchen, wird in einer dafür zentralen Szene von Borowiecki buchstäblich immer wieder fallen gelassen, um wie in einer Pantomime in seine Arme zurückzuspringen. Zugleich eine Hommage an Pina Bauschs "Café Müller".
Die in einem kalten, häßlichen Licht ausgeleuchtete Inszenierung mit ihren drastischen Bildern (am Ende rennt Bum Bum als menschliche Fackel durch den fahlen Raum) ist eindringlich, ja sogar aufreizend. Als Geschichte vom Kapitalismus liefert sie den Befund, dass er eigentlich schon immer so war: 1899 (Reymont), 1974 (Wajda), 1984 (Stone) und nun also Klata. Genauer: die herrischen Menschen waren schon immer so. Alles Gier?
Ziemia obiecana (Das Gelobte Land)
nach Wladyslaw St. Reymont
Teatr Polski Wroclaw in Koproduktion mit Festiwal Dialogu Czterech Kultur und HAU Berlin
Regie und Musik: Jan Klata, Bearbeitung: Jan Klata, Sebastian Majewski, Bühnenbild und Lichtregie: Justyna Lagowska, Kostüme: Mirek Kaczmarek.
Mit: Paulina Chapko, Wieslaw Ciechy, Marcin Czarnik, Marian Czerski, Dominika Figurska, Jakub Giel, Miroslaw Haniszewski, Anna Ilczuk, Zdzislaw Kuzniar, Michal Majnicz, Michal Mrozek, Edwin Petrykat, Bartosz Porczyk, Ewa Skibinska, Andrzej Wilk, Wojciech Ziemanski.
www.4kultury.pl
Offenlegungstatbestand
Das Festival "Dialogu Czterech Kultur" hat für Thomas Irmer die Übernachtungskosten übernommen.
Mehr über das Theater in Polen? In seinem Theaterbrief schreibt Roman Pawłowski über die Chancen und Risiken eines politischen Theaters. Szymon Wróblewski erklärt, warum dieses politische Theater jetzt auch in Polen Dramaturgen braucht und Anna R. Burzyńska weiß, dass Jan Klata auch dem Theater in der Provinz zu neuer Aufmerksamkeit verholfen hat. Im Januar 2007 inszenierte Klata Transfer!, ein Stück über Vertreibung, im Oktober 2007 zeigte er seine Orestie beim Dialog-Festival in Wroclaw.
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Ausführliche Einschätzung in Bälde.
"Peaches Christ Superstar" hat mich leider total gelangweilt. Am Ehesten konnte ich mich da noch für das Klavierspiel von Gonzales begeistern.
Also, was Thomas Irmer mit dieser Beschreibung wahrscheinlich meint, ist die Tatsache, dass hier alle Frauen, egal aus welcher Schicht in besagten Netzstrumpfhosen rumhüpfen müssen und so vom Anschein her gleichgestellt sind, als gespiegelte Männerphantasie der Gier. Daher mein Verweis auf Castorf, bei dem dies ja ähnlich auffällig ist. Das hat aber nichts mit Bordell in diesem Sinne zu tun, sondern dient nur als Bild, wie aus Begehren durch bestimmte Reize erst Gier entsteht. In Polen ist das wahrscheinlich noch eher eine Provokation als in Deutschland, aber darüber denke ich noch ein wenig nach.
Aber was verstehen Sie unter einer klassenlosen Frauengesellschaft im Bordell? Meinen Sie das Verhalten der Frauen untereinander oder gegenüber dem Freier, dem seine Phantasie vorgespielt wird? Was er will bekommt er, hart oder weich. Das wäre aber in jedem Falle wieder eine Hierarchie der Lust.
Fakt ist: Im Bordell müssen sich Frauen so kleiden, um das Geldgeschäft buchstäblich anzuheizen. Und darauf verweist Klata hier möglicherweise in kritisch-politischer und nicht allein provozierender Absicht. Ausserhalb des Bordells basiert das auf der individuellen Entscheidung jeder einzelnen Frau und hat absolut gar nichts mit dem männlichen Blick bzw. Begehren zu tun. Oder: Wir ziehen uns nicht so an, weil ihr es wollt, sondern weil wir es wollen. Euch wollen, das wollen wir deswegen aber noch lange nicht.