... und zum Blutbad sich ergieße ...

Berlin, 15. September 2009. Man könnte die Kritik von Marius von Mayenburgs Nibelungen statt mit dem Anfangsbild auch mit dem Schlussbild beginnen. Wieder wäre man bei der großen Treppe, auf der die Akteure – wie die wild gewordenen Besenstiele in Goethes Gedicht Der Zauberlehrling – Eimer um Eimer Blut die Stufen hinunter gießen. Ferngesteuerte Knechte einer außer Kontrolle geratenen Gewaltspirale, die sie selbst in Gang gesetzt haben: weil sie einmal so cool sein wollten, wie die Helden ihrer Fiktionen. Seien es nun Filmhelden oder Counterstrike-Avatare. Die, um diesem Bild entsprechen zu können, erst mit Täuschung und dann, um die Täuschung aufrecht zu erhalten, mit Gewalt operieren und am Ende eine Kränkung die nächste zur Folge hat.

Und da jeder stets nur das Maß seiner Gekränktheit zum Maßstab seines Handelns macht, sind dann die Dinge nicht mehr aufzuhalten. Auch, weil bei Marius von Mayenburg am Ende eben kein Zaubermeister kommt, um dem Treiben Einhalt zu gebieten und kein Dietrich von Bern am Ende König Etzel erhört, der ja, (nachdem im Original Dietrichs Waffenmeister Hildebrandt Kriemhild erschlagen hat), bei Hebbel sagt: "Nun sollt ich richten – rächen – neue Bäche/ Ins Blutmeer leiten – Doch es widert mich,/ Ich kann's nicht mehr – mir wird die Last zu schwer/ Herr Dietrich nehmt mir meine Krone ab/ Und schleppt sie auf Eurem Rücken weiter –".

Doch selbst vom Ende führte durch diese Inszenierung kein schlüssiger Weg zu seinem Anfang. Denn auch dieser Abend krankt an der Grundschwäche der Schaubühne, keine, beziehungsweise eine unterkomplexe Dramaturgie zu haben. Eine Dramaturgie, die große Regie- und Interpretationsansätze immer wieder erstickt, weil sie sich zu schnell in zu simpel gestrickte Weltbilder einrichtet. Weil sie immer bloß auf das Unglück, auf das Elend der anderen zeigt. Und es dann natürlich auch stets nur die anderen sind, die für die Verhältnisse verantwortlich sind, auf die die Schaubühne so gern mit dem Finger weist, ohne je zu bekennen, von wo aus sie selbst eigentlich spricht.

Dieser Abend jedoch, darin liegt auch seine kleine Größe und sein Mut, sagt: Die Nibelungen sind wir! Wir, die wir stets fremden Bildern nachjagen, ohne uns selbst anzusehen. Wir, die wir so schwach sind, dass wir uns Stärke borgen, oder durch das Mittel der Täuschung, des Als-Ob aneignen müssen. Doch hält der Abend seine Perspektive nicht lange durch. Das "Wir" gerät schnell in Vergessenheit, und die Nibelungen werden wieder zu den üblichen anderen, zu Theaterhelden, die nur von der Wirklichkeit abgeschaut, aber nicht mehr von ihr durchdrungen sind. Und doch ist eben ein Rest des Anfangs im Schlußbild aufgehoben, in dem manisch-mechanischen Vergießen von Blut, das nicht mehr aufzuhalten ist und an der Schaubühne leider trotzdem umsonst vergossen wird.

(sle)

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