Hilfe, ich will nach Hause!

von Kerstin Edinger

Oberhausen, 18. September 2009. Dass hier nichts echt ist und auch nicht so erscheinen soll, das steht von Anfang an fest. Theater ist Lüge und die Schauspieler, die während dieser fast dreistündigen irren Hochzeits-Verfolgungsjagd auf der Bühne stehen, geben wahrlich nicht den Anschein wirklichen Lebens.

Perückenungetüme auf dem Kopf, Riesenschleifen an den Kleidern, dicke Schminke im Gesicht und Körper, die sich verdrehen, Fratzen ziehen, schreien und am Boden winden – Herbert Fritsch und seine Kostümbildnerin Victoria Behr spielen mit Übertreibungen und Klischees, dass es nur so kracht. Es ist die reine Lust am irren Spiel, an einem Skurrilitätenkabinett, das die geheuchelte Moral biederer Bürgerlichkeit vorführt, deren aufgesetzter Wahn jedoch auch den Zuschauer manchmal wahnsinnig werden lässt. Denn das nahezu ekstatische Spiel treibt oft unkontrolliert Blüten.

Überlebensgroße Silhouetten, pantomimische Möbel
"Pferd frisst Hut!" heisst der Titel dieser Bearbeitung von Eugène Labiches 1851 entstander Komödie "Ein Florentinerhut": Denn ein Pferd ist an allem schuld. Es frisst den Hut von Madame Beauperthuis, die gerade ein Techtelmechtel mit einem Offizier hat. Damit ihr Ehemann nichts von dem Malheur erfährt, muss der Besitzer des  Pferdes, Fadinard, der gerade im Begriff ist zu heiraten, einen neuen Hut besorgen. Gefolgt von der kompletten Hochzeitsgesellschaft samt hysterischer Braut, betrunkenem Schwiegervater, schwerhörigem Onkel und einem schmierigen Cousin geht nun die Jagd nach dem Florentinerhut los.

Herbert Fritsch, der von Anfang an auf Tempo setzt, bedient sich der Drehbühne, verzichtet aber, bis auf eine sich ständig durch Videoprojektion verändernde bunt gestreifte poppige Hinterwand, auf sämtliche Möbel. Wenn mal doch ein Stuhl gebraucht wird, wird er einfach pantomimisch mitgespielt. Hinter der Wand erscheinen die Schauspieler als überlebensgroße Silhouetten, agieren als Schatten ihrer selbst in überzogener Manier, vorne sind sie dann zumindest physische Realität. Jedes theatrale Mittel wird offengelegt.

Der Witz des doppelten Spiels
Fritsch zwingt seine Schauspieler Distanz zu ihren Rollen einzunehmen, ihre eigene Beobachtung immer mit zu spielen. Doch nicht allen gelingt diese Gradwanderung. Henry Meyer als Fadinard und Torsten Bauer als Schwiegervater zeigen wie es gehen kann und wie viel Witz aus diesem doppelten Spiel zu ziehen ist. Doch der Rest des Ensembles hinkt dem Versuch oft nur hinterher, schauspielert, wo es nicht schauspielern soll.

Otto Beatus und Ingo Günther haben eine rasante Beatmusik komponiert, die mit acht Musikern lautstark dominiert von Blechbläsern schmissig vorgetragen wird, aber zum allgemeinen Wirrwarr noch beiträgt. Herbert Fritsch geht es nicht um das genaue Pointensetzen, selten wird innegehalten und den Worten Raum gelassen. Einzig Fadinard wird hin und wieder dieser Luxus gegönnt, über sein eigenes Tun reflektierend vor sich hin zu sinnen. So geht viel an Dichte und Intensität verloren, doch an allgemeiner Spielwut mangelt es dieser Inszenierung nicht.

Ein Ensemble im Fritsch-Fieber
Und die schwappt auch über die Bühnenrampe und kommt beim Publikum an. Gags wie "Klaro Clara?" oder "Adieu, Monsieur Ficksau" finden Zuspruch. Zwischen Slapstick und Persiflage gibt es so manchen Kalauer zu ergattern, durchgängige Komik wird auf diesem Weg allerdings nicht erreicht. Herbert Fritsch zwingt so manchen Witz in die Länge, was trotz des Tempos dann redundant und schleppend daherkommt.

Labiches Vorlage dient der Truppe als Spielfläche und Experimentierfeld. Das Ensemble ist wie im Fritsch-Fieber. Es flucht und grimassiert, schreit und singt, koste es, was es wolle. Nicht das Stück und seine Figuren stehen bei Fritsch im Vordergrund des Interesses, sondern schlicht und einfach seine Liebe an den Ausdrucksformen des Theaters.

Am Ende ruft die komplette Hochzeitsgesellschaft "Wir können nicht mehr auf den Beinen stehen. Wir wollen nach Hause. Ach, wäre diese Hochzeit endlich aus." Wieder treibt Fritsch mit uns das Spiel ums Spiel im Spiel – und der Zuschauer ist versucht, mitzurufen: "Lasst mich doch bitte auch nach Hause."

 

Pferd frisst Hut!
Musikalische Komödie nach Eugène Labiches "Ein Florentinterhut"
Neuübersetzung und Liedtexte von Sabrina Zwach
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Otto Beatus, Ingo Günther. Mit: Nora Buzalka, Angela Falkenhan, Karin Kettling, Anna Polke, Annika Meier, Anja Schweitzer, Torsten Bauer, Mohammad-Ali Behboudi, Marek Jera, Caspar Kaeser, Henry Meyer, Martin Müller-Reisinger, Jürgen Sarkiss, Hartmut Stanke, Peter Waros, Klaus Zwick.

www.theater-oberhausen.de


Mehr lesen? Herbert Fritsch, Träger des Oberhausener Theaterpreises 2009, inszenierte dortselbst im Mai 2009 Joe Ortons, von René Pollesch übersetztes Stück Beute und im September 2008 Molières Tartuffe.

 

Kritikenrundschau

Auf dem Portal Der Westen (20.9.) berichtet Helen Sibum davon, wie Herbert Fritsch in seiner neusten Oberhausener Inszenierung "Pferd frisst Hut!" sich die Freiheit nehme, "dem Zwang der Bedeutungsschwere zu entsagen". Herauskommt "eine absurde Odyssee durch Paris, mit Slapstick und Klamauk, mit Kalauern und Frotzeleien auf Französisch. Eine Tour de Farce, ein Defilee des Irrsinns." Autor Eugène Labiche hätte an dieser "knalligen Komödie, die sich immer auch selbst belächelt", wohl seinen Spaß gehabt, mutmaßt die Kritikerin und berichtet weiß, wie groß die Erwartungen vor der dritten Fritsch-Produktion in Oberhausen waren. Seit Freitag jedoch wisse man: "Es geht immer noch ein bisschen schräger." Dabei seien es "die Typen, die der frivolen Posse ihren wahren Reiz verleihen", übrigens "wortwitzig" übersetzt von Sabrina Zwach. Außerdem stecke "eine ganze Menge moderner Technik (...) kaum merklich in dieser Inszenierung, die sich doch vor allem auf eines verlässt: Spielfreude, toujours".


Michael Schmitz schreibt in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (20.9.): "In die Begeisterung über eine großartige Ensembleleistung und eine Inszenierung, die wie so typisch für Fritsch ungeniert in die Klamottenkiste greift und bewusst die Farce über die Spitze treibt", mische sich "Kritik an der überlangen Aufführungsdauer". Vor allem vor der Pause könne die Inszenierung "eine deutliche Straffung vertragen", die das "irrwitzige Tempo noch forcieren würde". Doch davon abgesehen, sei es eine "höchst unterhaltsame, den Klamauk vorzüglich adelnde Aufführung", die übrigens auch "topaktuelle Facetten etwa mit einem scheinbar beiläufig platzierten Seitenhieb auf Ministerpräsident Jürgen Rüttgers" zeige.

 

Kommentare  
Herbert Fritschs Labiche: too much is not enough
..ganz hinten am Hof des Theaters Oberhausen sthet sicher eine Maschine mit dem Namen Kompaktor oder Compactor oder so. Die hätte Herr Fritsch zum Wohle des Ganzen benutzen dürfen.
So hiess die Devise wahrscheinlich "too much is not enough"
Herbert Fritschs Labiche: es ging um die Erzählweise
ich habe lange nicht mehr ein musical gesehen, weil das eigentlich nicht mein lieblingsgenre ist, aber das oberhausener theater hat gestern ein musical gezeigt, ich habe, liebe redaktion, übrigens 7 musiker gehört, und ein ensemble gesehen, choreografien bestaunt und chöre gehört und tolle soli (wie von der hutmacherin oder dem salonlöwen) und eine geschichte wurde mir erzählt, um die es nicht so sehr ging, wie die erzählweise. das theater habe ich als maschine wahrgenommen, die die schauspieler und das publikum durchwalkt, alle sinne fordert, überfordert und einen am ende wieder ausspuckt.... einen kompensator habe ich mir nicht gewünscht.
Herbert Fritschs Labiche: am Rad der Theaterzeit gedreht
überall wird das theater als proseminaristische philosophieklasse missbraucht, landauf landab werden so genannte diskursfelder auf der bühne gepflügt. gott sei dank, liebes theater oberhausen und lieber herr fritsch, haben sie das rad der theaterzeit endlich ein wenig weiter gedreht. danke.
Herbert Fritschs Labiche: Kostüme und Bühne!
kostüme und bühne.... bitte sofort ein preis dafür!
Herbert Fritschs Labiche: einen Gärtner fürs Genie!
Liebe Gemeinde, Sie können ja hier ruhig lobhudeln. Ich war gestern auch da und enttäuscht. Der Tartuffe war ein Quantensprung. Aber das gestern war nur doof. Auch der Text und die dünnen Liedchen, au weia. Warum sucht sich Fritsch nicht einen Gärtner für sein Genie, anstatt es mit Kunstdünger ins Belanglose wuchern zu lassen? Diese faszinierende anarchistische Faantasie, die immer wieder an der Avanatgarde entlangschrammt, sollte er nicht mit Schwachsinn verwässern, sondern fein dosieren. Dann wäre er wirklich groß. So rennt er bloß im Hamsterrad des Wahnwitzes und ruiniert seine eigenen Ideen.
Herbert Fritschs Labiche: rasendes Stück
Ich war auch da!!an dieser premiere!und war sehr begeistert,vor allem von diesem wunderbaren Ensemble !!! Selten habe ich auch der Bühne eine so kraftvolle und musikalische theatergruppe erlebt!!! ich fand die lieder überhaupt gar nicht dünn, sondern sehr klug und spritzig!! Und echte elemente des rasenden Stückes! Bravo Oberhausen!!weiter So!!!
Herbert Fritschs Labiche: in jedem Gesicht eine Figur
ich sah gestern Abend bei der Premiere von "Pferd frisst Hut" super Schauspieler,die mich für drei Stunden total in ihre Welt verführten.ich litt mit dem Hauptdarsteller,und fieberte mit der Hochzeitsgesellschaft mit!Und.....ich konnte in jedem Gesicht das Leben einer Figur erkennen!!!sehr konzentrierter,reicher Abend!!!Danke!!!
Herbert Fritschs Labiche: grandioses Ensemble
Ich war bei der Premiere von PFERD FRISST HUT.
Eine glänzende Inszenierung! VOR ALLEM DER CHOR!
Beeindruckend diese Leistung. Die Hutmacherin und der Kousin Bobin waren Glanzlichter, ebenso auch der Onkel (auch wenn dieser oft zu laut und platt rüberkommt). Ein grandioses Ensemble. Danke Herbert Fritsch
Herbert Fritschs Labiche: super
Ich war gestern in Fritschs neuestem Streich und fand die Lieder und Chöre super. Großes Kompliment!
Herbert Fritschs Labiche: Einwurf
Ihr lobhudelnden Fritsch-Klone. Ihr schadet mit Euren argumentfreien und dämlichen Postings eher, als ihr nützt, weil man denkt: der Abend ist nur was für geistig Arme. Ist es das, was Ihr erreichen wollt? Dann macht mal weiter.
Herbert Fritschs Labiche: gestolpert und gefummelt
Hätte es eine Pause gegeben, ich wäre wohl frühzeitig gegangen.
Zugegeben, die Musik war gut, die Anfangsszene war vielversprechend, die Aufführung konnte daran jedoch nicht anknüpfen, auch wenn es hier und dort sehr unterhaltsam zuging.
Auch nach einem längerem Gespräch im Anschluß an diese Aufführung, war die Motivation der Figuren nicht zu ergründen, das mag auch an akustischen Problemen gelegen haben.
Mit dem Abstand einer Nacht bleibt der überwiegende Eindruck, dass gesprungen, gestolpert, geschlagen und gefummelt wurde, verfeinert mit deftigen Beleidigungen (der taube Onkel) und abgekupferten Slogans (Géramont und Gauloises).
Vielleicht bin ich zu blöd, das ganze Große dahinter zu erfassen, vielleicht ist die Inszenierung auch einfach in die Hose gegangen - der Funke ist nicht übergesprungen.
Herbert Fritschs Labiche: Meinungstotalitarismus
ich verstehe den meinungstotalitarismus nicht. offenbar gefällt ein paar leuten nicht, dass ein paar andere leute richtig viel spaß in der aufführung von pferd frißt hut hatten. diese äußerungen darüber, dass das stück spaß macht, dürfen wohl nicht sein? was heißt hier "argumente"? was ist das für ein gehirnjogging? braucht man argumente, um etwas schön zu finden? warum ist hier in diesem forum so viel aggression, bösartigkeit und missgunst?
Herbert Fritschs Labiche: durchgeschlafen?
elianne....es gab eine pause....warst du wirklich drin? oder durchgeschlafen?
Herbert Fritschs Labiche: Meinnungsmanipulation
lieber geramont, die aggression entsteht, weil hier dieses forum offensichtlich von lobbyisten zu werbezwecken und meinungsmanipulation mißbraucht wird und die leute nicht so dumm sind, wie andere vielleicht glauben.
Herbert Fritschs Labiche: wechselseitig in die Weichteile
Ehm, ich war wirklich gestern im Theater und ich kann ganz klar sagen, die Türen gingen nach 2 Stunden auf und nach einem kurzen Höflichkeitsapplaus haben wir das große Haus verlassen. Es herrschte kurze Verwirrung, aber mein Eindruck war schon der, dass es nun ein Ende gefunden hatte.

Bei allem Respekt, ich finde es eben nicht amüsant wenn sich drei Leute gegenseitig ins Gesicht schlagen, andere wechselweise in die Weichteile und dann eine über den Kopf gezimmert bekommen und da kann ich natürlich nur rein subjektiv für mich sprechen. Wenn ich ins Theater gehe, möchte ich gern inspiriert werden und dann auch gern über das Gesehene nachdenken und sprechen. In diesem Fall blieb für mich nur Konfusion und eine innere Ablehnung - auch das ist mein ureigenster subjektiver Eindruck.

Dieses Forum hier ist mir neu, ich habe keine Ahnung inwiefern hier Stimmung gemacht wird, als ich heute morgen Google anwarf war das einer der oberen Beiträge.

Nix für ungut
Elianne
Herbert Fritschs Labiche: für Herbert schreiben
das wichtigste ist bleibt: wahrgenommen werden. wir wisse, wir müssen Herbert hier durchsetzen und wir werden ihn hier auch durchsetzen, er ist einer von uns, er kommt von der richtigen Seite und er macht die richtigen Aufführungen. Schreibt weiter für unsern Herbert, er hat sich nichts vorzuwerfen, er hat alles richtig gemacht.
Herbert Fritschs Labiche: 20 Pointen pro Minute
ich checks nicht, was ihr da sagt, hoert doch mal auf mit zurechtweisungn. ich fands geil. hab nich alles kapiert,aber machtdoch nix. Schnelles stueck, 20 pointen pro minute, die ich auch nicht alle mitbekommen hab. macht aber nix. schoener abend.

natuerlich gabs ne pause. das stueck war drei stunden! in der halbzeit gabs doch nicht mal applaus.

uebrigens der applaus am ende war grandios, also wie die schauspieler das gemacht haben.
Fritschs Labiche: zu lang, aber erfrischend
Ich war am Premiereabend da und sehr begeistert, auch wenn ich das Stück als etwas zu lang empfand. Die Inzenierung war wirklich gelungen und Musiker und Schauspieler waren grandios und erfrischend. Das Stück fand ich sehr dynamisch und es kam kein bischen Langeweile auf. Die Umsetzung der Geschichte um dem "Florentinerhut" fand ich sehr witzig, komisch und durchweg gelungen. Danke Herr Fritsch. Ich werde es mir bestimmt noch einmal ansehen.
Herbert Fritschs Labiche: noch immer im Kopf
die songs, sollte man kaufen können. seit langem das erste stück, bei dem ich am ende den soundtrack gekauft hätte!....das mit etwas distanz, noch immer im kopf!
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