Ein Volkseintopf

von Reinhard Kriechbaum

Linz, 19. September 2009. Flott kommt es daher, das Zwölfer-Grüppchen in roten Fahrrad-Dressen mit den Buchstaben "ÖGB" (Österreichischer Gewerkschaftsbund) auf der Brust: eine Art Antiken-Chor heutiger Betriebsräte. Keine Schauspieler, die so tun als ob, sondern echte "kleine Männer" (und Frauen). Menschen "von der Straße", dahergefahren mit Fahrrädern. Aber die stehen bald still, so wie die Räder der imaginären Firma. Hinter einem holzvertäfelten Bühnen-Rahmen sieht man die nackte Maschinerie der Linzer Kammerspiele.

Es wird ja gestreikt. Außer einer mobilen Toilette, die heruntergelassen wird und auf der sich der Firmenchef (auch er sportiv im Raddress) laut furzend nach oben verabschiedet, gibt es kaum Aktion. Der Chor steht, sitzt - und schreit sich die Seele aus den Betriebsratsleibern, aus denen er zusammengesetzt ist.

Eine von ihnen heißt Irmi (Franziska Sörensen), sie ist die einzige mit einem Namen in der Mini-Armee der Schreihälse. Öfters mal meldet sie sich als Individualistin zu Wort und erzählt eindringlich davon, dass ihr Betriebsrat-Engagement zu Mobbing geführt und ihr psychosomatische Spätfolgen eingetragen habe. Ein anderer, der "Bildungssekretär" (Georg Bonn) hat zwar nur Titel, aber keinen Namen. Doch auch er darf als Solist sprechen.

Kultur der Krise
Es hat schon was Stimmiges, in Linz ein Betriebsräte-Stück zu machen. Noch dazu wenn die Gewerkschaft (die dem Linzer Theater sonst Abo-Publikum zuliefert) Auftraggeber ist. Bevor aus der Stahlkocher-Stadt ein Ort mit ausgeprägtem Kultur-Image (und jetzt gar eine Kulturhauptstadt Europas) wurde, hat man die Krise – zuerst in Staatsbetrieben – stadtflächendeckend durchgespielt. Der frühere Bischof von Linz war über viele Jahre Sozial-Referent in der katholischen Bischofskonferenz Österreichs. Man hat hier die einschlägige Kompetenz gepachtet, jeder Linzer sollte zu Fragen von Arbeit und Sozialem gleichsam eine innige Beziehung haben.

Vielleicht sollte man Bernd Freytags Stück nicht in den Kammerspielen, sondern in einem Fußballstadion spielen, wirklich als "Volkstheater"? Die Lautstärke und der plakative Gestus legten den Gedanken nahe. Ein Theaterstück würde freilich auch dort nicht keins draus. Denn Bernd Freytag als recherchierender Impressionen-Sammler, Text-Kompilierer und schließlich Regisseur eines reichlich papierenen Konvoluts ohne rechte szenische Angebote, hat bloß ein Beobachtungskonstrukt geliefert.

Verschwommene Gesellschaftsutopien
Starke Sätze: "Der Körper ist kein Betrieb, kein Unternehmen, keine Arbeitsstelle. Er braucht Auszeiten" (Chor). Oder: "Man wird einsehen müssen, dass es pure Verständnislosigkeit ist zu meinen, dass man die Verwirklichung der Demokratie ohne Überwindung und Ausrottung der Grundwurzel erreichen kann, aus der immer wieder die Unterdrückung, Unfreiheit und Ungleichheit aufsprießen" (der "Bildungssekretär"). Ächz. Dabei ist das noch einer der kürzeren und blutvolleren Sätze. All das wird meist rasch, mächtig echauffiert und mit Wucht in den Raum geschleudert von rechten (pardon: linken) Frustwuchteln jener Profession, die auf dem Prüfstand steht.

Den "Betriebsräten" stehen gegenüber: eine Obdachlose (Karin Enzler), die offenbar das letzte Hemd eingebüßt hat und im Untergewand durch die Un-Szene geistert. Der Autor (Thomas Bammer), ein Mann im Anzug und mit großem roten Mascherl, der kritische Anfragen an den Chor stellt. Der Pfarrer (Joachim Rathke) zerredet reichlich verschwommene Gesellschaftsutopien. Und natürlich ist da der Unternehmer (Lutz Zeidler), ein Super-Vor-Radler, der aber dann, wenn es wirtschaftlich schlechter geht, offenbar in eine Schlammpfütze gefallen ist.

Wieder Erdreich ins Hirn tun!
"Einen Schritt weiter - im Auftrag  der Gewerkschaft" will kein Pasticcio aus Originalzitaten sein, sondern "verdichtetes Sprachwerk". Fürwahr, das ist's! Eine Phrasen-, Sentenzen- und Gedankenpampe sondergleichen. Das hübsche Wort "Volkseintopf" wird einmal geprägt, und der Betriebsräte-Chor mahnt den Autor: "Du musst mehr aus dem Bauch denken. Du musst Erdreich wieder ins Hirn tun." So einfach wär's, die intellektuelle Tektonik des arbeitenden Menschen umzukrempeln.

Und schon wäre sie da, die bessere Welt, die sich leider nur mühsam, wenn auch in wortschwall-reichen Denk-Bruchstücken abzeichnet im Lauf der 43 Szenen. In pausenlosen Fünfviertelstunden werden sie abgespult, aufgesagt, heruntgergeschrieen. Das Uraufführungspublikum spendete dem aus Amateuren und Schauspielern gemischten Ensemble freundlichen Beifall, hatte für den Autor/Regisseur aber kein Sonderlob (freilich: auch keine Missfallenskundgebungen) übrig.

Eine gute Sache: Statt eines Programmhefts gibt es eine dicke Broschüre mit viel einschlägigem Lesestoff. Unter anderem einer genauen Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung und dem Entstehen von Betriebsräten im 20. Jahrhundert.

 

Ein Schritt weiter - im Auftrag der Gewerkschaft (UA)
von Bernd Freytag
Inszenierung: Bernd Freytag, Bühnenbild und Kostüme: Carola Reuther. Mit Franziska Sörensen, Karin Enzler, Lutz Zeidler, georg Bonn, Thomas Bammer, Joachim Rathke.

www.landestheater-linz.at

 

Kritikenrundschau

Das dramaturgische Mittel des Chores passe hervorragend zu Bernd Freytags im Auftrag des Landestheaters Linz und der Gewerkschaft geschriebenen Stück "Ein Schritt weiter", meint Silvia Nagl in den Oberösterreichischen Nachrichten (21.9.2009): "Es geht um das 'Wir', das aus vielen 'Ichs' besteht, nur gemeinsam und wenn wir gleichsam mit einer Zunge sprechen, sind wir stark und können gemeinsame Ziele durchsetzen. Der Chor – beeindruckend exakt mit Laien und Schauspielern von Freytag einstudiert – spielt, flüstert, fragt, brüllt – Applaus!" Das Stück sei "ein wichtiger und aktueller Beitrag zur Arbeitswelt, umgesetzt in einer Form, die auch jene, die Theaterhäuser sogar von außen ignorieren, ins Gemüt treffen könnte".

Wolfgang Schmutz steckt im Standard (21.9.2009) den Rahmen inhaltlichen des Stücks ab: Zusätzlich zu den Erzählungen aus dem betrieblichen Alltag gelangten "auch Philosophie und Wirtschaftsethik an Bord, eine Prise Ideologiekritik kann nicht schaden." Doch aus den kontrastreichen Positionen werde nur "ein lauer Abend. Schöne Spitzen wie jene des Unternehmers, die Arbeitnehmer müssten durch Konsum erst wieder das Vertrauen der Wirtschaft erlangen, hätte man gerne von der Gegenseite gehört. Das Stück bleibt seltsam unentschlossen. Absicht? Jedenfalls ein weiterer Kompromiss, zum 90-jährigen Jubiläum der Institution Betriebsrat."

Den Einsatz von Laienchören in Freytags Inszenierung hält Birgit Thek im Neuen Volksblatt (21.9.2009) für einen "zwar akustisch anstrengenden, aber authentisch wirkenden Ansatz". Als Autor aber sei Bernd Freytag "jedoch weniger überzeugend: Nur in der Figur der gemobbten Betriebsrätin Irmi verleiht er einem einzelnen Inviduum etwas deutlichere, aber nicht wirklich berührende Konturen. Die gesellschaftlichen Positionen des Kapitals und der Kirche bleiben dagegen bloße Klischees". In der szenischen Umsetzung sei Freytag "noch weniger eingefallen: die Selbst-Entsorgung des Unternehmers mittels herabschwebendem, beflügeltem Baustellen-WC sorgt eher für unfreiwillige Komik."

 

Kommentare  
Freytags Ein Schritt weiter: keine Phrasendrescherei
zu beachten sei Chor und Sprache als Kunstwerk statt Phrasendrescherei. Vielleicht sollte man den Horizont erweitern.
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