Experiment gelungen!

von Annegret Hahn

Halle, 12. Oktober 2009. Waren in der letzten Woche wirklich alle verblüfft, als die Spieler der Inszenierung ULTRAS über ihre Website "Saalefront.de" bekannt gaben, die Inszenierung nach dem Ende der ersten Staffel nicht weiter spielen zu wollen? Wie ist es dazu gekommen?

Autor und Regisseur Dirk Laucke hatte sich den Fans genähert. Nicht wie Wallraff verkleidet und inkognito, sondern mit offenem Visier, um der Fan-Gruppe – wie Luther – aufs Maul zu schauen und damit ins Herz. Lauckes Qualität – zu hören und zuzuhören, Sprache und Sprechen zu erkennen – verschaffte dem klugen, schmalen Autor neben den Berserkern Gewicht.

Lauckes Nähe zu dieser Fan-Gemeinschaft ermöglichte das Ergebnis: die Spieler sind authentisch und sie lassen die Hosen runter, zeigen auf, was sie dazu bewegt, immer wieder in den Fankurven der Stadien für den HFC sich stark zu machen und übers Ziel hinaus zu schießen. Der sofort einsetzende Vorwurf, dass die Figuren zu sehr in ihrer Wirklichkeit verhaftet bleiben, will die Stoßrichtung des Stückes kippen und den Machern und Verantwortlichen, also Laucke und mir, Unvermögen bescheinigen.

An dieser Stelle beginnt die Verunsicherung der Spieler. Diese Verunsicherung ist in den Vorstellungen nicht zu spüren. Hier genießen sie lustvoll, was die Autorität der Bühne mit ihnen macht, wenn sie s p i e l e n, dass man sich selbst darstellt. Über sich erzählen, schafft auch Distanz zum ehemals erlebten. Auch nach 7 Aufführungen bleibt die Inszenierung so, wie sie vom Regisseur mit den Spielern entwickelt worden ist. Kein Verrat auf der Bühne.

Aber die Ultras werden von ihrer Fan-Gemeinschaft zurückgepfiffen: unter dem Vorwand, Dirk Laucke hätte die "Familie" beleidigt, ziehen sie sich zurück. Sie können den Vorwürfen, antisemitisch und gewaltbereit zu sein, nicht standhalten und bestätigen mit ihrem Rückzug gerade diese Vorwürfe. "Jungs", möchte man ihnen zurufen, "ihr seid auf einem guten Weg, eigene Meinungen und Haltungen zu haben innerhalb eurer Fan-Gruppen. In der Kurve entwickelt ihr parallel zum Spiel eure Choreografie. Bei uns auf der Bühne seid ihr im Spiel gewesen. Ab jetzt seid ihr Spielverderber und habt euch selbst zu dem abgestempelt, was ihr nicht sein wolltet". Wenn es eine nächste Runde geben kann, dann muss jetzt der Ball an alle Mitspieler zurück:

Liebe Stadt Halle, euer kleines Thalia Theater hat mit Erfolg ein brisantes Thema in die öffentliche Debatte gebracht. Wir spielen den Ball ab und schlagen vor, einen "runden Tisch" zu veranstalten mit den Hauptakteuren: Vertretern des HFC, der Politik, der Stadt, der Presse, dem überregionalen Netzwerk der deutschlandweiten Fan-Projekte, den Ultras und einzelnen Experten, die sich mit dem Thema publizistisch und wissenschaftlich beschäftigen (s. Rahmenprogramm zum Projekt)

... und wenn ihr uns dabei haben wollt, dann sagt Bescheid.

 

Annegret Hahn

Intendantin Thalia Theater Halle

Halle, den 12. Oktober 2009

www.thaliatheaterhalle.de

Mehr Informationen? Hier schreibt der Dramatiker Dirk Laucke selbst über sein Projekt mit und über radikale(n) Fussballfans. Mehr über die Aufführung und die Debatte in Halle lesen Sie hier.

 

 

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