Im Kabarett einer missglückten Kontextverschiebung

von Ralph Gambihler

Leipzig, 15. Oktober 2009. Ein genialischer Abend. Ein verkorkster Abend. Eine Unmöglichkeit. Wie man sich das vorzustellen hat? Zum Beispiel so: Thomas Thieme, der wunderbare Schauspieler und gelegentliche Regisseur, ist mit Büchner nach Leipzig gekommen, um die Sache der Revolution zu erkunden. Er zielt in die Tiefe, wo das aktuelle Gedenken in die Breite geht. Er will das Pandämonium, nicht das Pathos von 1989. Großes jedenfalls.

Und irgendwie scheint ja auch alles so schön zusammen zu passen: hier die Erinnerung an die Leipziger Montagsdemonstraten und ihre friedliche Revolution, da der historische Woyzeck, der 1824 auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet wurde, dort die Revolutionsgelüste der ostdeutschen Einheitsverlierer. Wenn das keine Konstellation ist.

Das haben wir davon

Der erste von drei Teilen, ein knapp 20minütiger Schwarz/Weiß-Film, ist eine realitätsnah anmutende Büchner-Fantasie über die Gegenwart. Nach dem Muster einer TV-Reportage begleitet die Kamera Woyzecks Kumpan Andres und dessen Freundin durch das Leipzig des 21. Jahrhunderts. Die beiden sind zutiefst empört über die Herrschaft des Geldes in ihrem Leben. Sie fühlen sich chancenlos, ausgegrenzt und verraten. "Die Miete kann ich nicht bezahlen … Das ist das Ergebnis der Revolution", schimpft die Freundin und fühlt sich von der Regierung "total verarscht".

Andres nickt, will aber möglichst schnell aus seiner Ohnmacht raus. Sein Ausweg heißt Gewalt. Schon begutachten die beiden bei einem Waffenhändler allerlei Schießgerät, wenig später ballern sie trainingshalber auf einem Feld herum – eine beklemmende, gespenstische Szene. Über dem Plan, Kugeln sprechen zu lassen, kommt es schließlich zu einem Riss in der Beziehung. "Du bist schwarz innen drin, völlig schwarz", sagt Andres' Freundin auf einmal, dunkel entsetzt über die rauschhafte Schießwütigkeit und das Blitzen in den Augen ihres Liebsten.

Es folgt: eine scharfe Kontext-Rolle rückwärts. Die Regie lässt, nachdem der Film vorbei ist, auf der Bühne einen Laienchor aus brav herausgeputzten Männern im Rentenalter Aufstellung nehmen. Es wird nun Liedgut aus den Zeiten der Weltrevolution abgesungen, feierlich und stocksteif wie bei einer Tagung des Zentralkommittees der SED. Der Kampf und der Stolz der Arbeiterklasse erklingt in Dur, inklusive DDR-Hymne und kleinem Trompeter.

Man schmunzelt ein bisschen

Dem Sozialdrama wird so gewissermaßen eine Stück des Geschichtsdramas untergejubelt, die Revolutionsduselei, der Agitationsschmalz, auch die große Hoffnung, die darin lag. Doch der Zündstoff verpufft in der Nummernhaftigkeit, mit der die Singeinlage daher kommt. Man schmunzelt bloß.

So geht es öfter in diesem 80 Minuten kurzen Büchner-und-Revolte-Dreisprung: Man spürt wohl die Umrisse von großem Theater, stellenweise sogar einen Hauch von Geniestreich. Auf halber Strecke sind sie aber steckengeblieben in Schwundstufen der eigenen Idee.

Wie halbgrandios und halbgar der Abend geraten ist, spürt man gerade im letzten Teil, dem eigentlichen Büchner-Drama in Form einer szenenweise ummontierten und verknappten "Woyzeck"-Version mit apliziertem DDR-Material. Es ist dies der große Moment von Jimmy Hartwig, dem EX-Fußballprofi, der die Bühne für sich entdeckt hat, unter anderem neben Ben Becker in Thiemes "Baal" von 2002 am Nationaltheater Weimar, vorübergehend auch im "Dschungelcamp" von RTL.

Offiziere im besonderen Einsatz

Jimmy Hartwig ist also Woyzeck, der Inbegriff des traktierten, ohnmächtigen Menschen. Scheinbar angewurzelt steht er vorn an der Rampe, stramm und ängstlich wie ein Soldat, der gleich rund gemacht wird. Er ist nackt bis auf die Unterwäsche, hinter ihm funkelt gülden und höhnisch das Bühnen-Dickicht aus 1001 Glitzergirlande, das Katrin Brack aus dem Schnürboden der Geschichte hängen lässt.

Man nimmt Jimmy Hartwig diesen eher gemütvollen als verhetzten Underdog, der rustikales Hessisch babbelt, gerne ab. Die Weichheit, die Ergebenheit, die paradoxe Körperlichkeit, die Jimmy Hartwigs noch immer imposanter, von drei überstandenen Krebsleiden keineswegs gezeichneter Astralkörper verströmt – es fügt sich.

Allmählich aber kommt eine zweite, nur zu bekannte Begriffsebene ins Spiel. Der aufbrausende Hauptmann (Thomas Lawinky) und der kaltschnäuzige Doktor (Hagen Oechel) räsonieren plötzlich über eine "12. Verwaltung". Der "Genosse" schleicht sich in die Anrede ein und die beiden Herren geben sich als "OibE Keiler" und "OibE Steinadler" zu erkennen, "Offiziere im besonderen Einsatz".

Woyzeck muss sich neben allen Originalgemeinheiten anhören, dass er keine "sozialistische Moral" hat, weil er an die Wand pisst. Schließlich erlebt er seine Ruck-zuck-Anwerbung als "IM Kongo". Handschlag. Vergatterung. Weitermachen. Da schlägt die Regie einen Bogen, den der Stoff nicht hergibt – und landet im Kabarett einer missglückten Kontextverschiebung. Bis Marie (Barbrara Trommer) schließlich einen ganz normalen Büchner-Tod stirbt, nur ohne Messer.

 

Büchner/Leipzig/Revolte (UA)
Nach Georg Büchner
Regie: Thomas Thieme, Ausstattung: Katrin Brack, Musikalische Leitung: Erik Schober, Video: Nikolai Eberth. Mit: Manolo Bertling, Jimmy Hartwig, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Barbara Trommer, Henrike von Kuick u. a., sowie dem Projektchor BÜCHNER/LEIPZIG/REVOLTE.

www.centraltheater-leipzig.de


Zuletzt verwandelte sich das Leipziger Centraltheater in einen Ballsaal: Das dänisch-österreichische Regie-Duo Signa eröffnete die Spielzeit 2009/2010 mit Germania Song.

Kritikenrundschau

Auf Figaro, dem Kulturradio des MDR, dankt Wolfgang Schilling (zum 16.10. runterscrollen), für einen wirklich "großartigen, bescheidenen, uneitlen und wahrhaftigen Abend". Den großen Themenkomplex habe Thomas Thieme "mit klugem Blick aufs Ganze", mit "einer ganz sicheren Hand für die Führung seiner hervorragenden Schauspieler", mit "Lockerheit und Witz, Gesang und Film" angerichtet. Beim Wiederhören der DDR-Nationalhymne (alle Strophen), vorgetragen von einem "alt gewordenen DDR-Männerchor, wie man ihn sich in seiner beige-beanzugten Pracht nicht besser vorstellen könnte", fand Schilling, dass dieses Lied eigentlich die richtige Hymne für das heutige Deutschland sei – "da ist ja was in Erfüllung gegangen". Jimmy Hartwig sei als Woyzeck "sehr gut", er brauche dafür nur seine "Präsenz und seine Fähigkeit, sich in dieses arme Würstchen Woyzeck hineinzudenken und zu –fühlen". Wenn plötzlich ganz andere Worte fielen, der Hauptmann vom Moskauer Exil erzähle, "vom Walter, dem Willi, dem Herbert, dem Verräter", und der Genosse Hauptmann den Woyzeck als "IM Kongo vergattere – "ja, da sind wir plötzlich in einer ganz anderen Zeit. Und wenn der im Leben echte 'IM Beckett' und heutige Schauspieler Thomas Lawinky das heute tut, dann zeigt das nur einen Teil des Verstricktseins eines jeden Einzelnen in die großen Zusammenhänge." Das alles erzähle Thieme "ganz entspannt und ohne jeden Zeigefinger und Anspruch auf Gerechtigkeit.

Nina May schreibt in der Leipziger Volkszeitung (17.10.): Büchner sei derzeit angesagt an deutschen Theatern, kein Wunder, stünde er doch noch immer für "einen Aufbruch in die Moderne, in eine Zeit, in der auch ein Mann aus dem Volk zum Tragödienheld taugt". Thomas Thiemes Verknüpfung von "Woyzeck" mit den Leipziger Montagsdemonstrationen und der Friedlichen Revolution erscheint May als ebenso "mutig" wie "dünn". "Dieser kühne Regieansatz gerate "im Laufe des Abends in Vergessenheit". - "Büchner/Leipzig/Revolte“ beginne "viel versprechend" mit einem Video-Vorspann, der "den Willen zur Revolte" zeige, der aber seine "Antagonisten" verloren habe. Im zweiten Teil ist die Revolution bereits zur "Goldgirlande" der herabhängenden "Lamettafahnen" verkommen. In einem "kongenialen Um-die-Ecke-Denken" werde "die auch schon revolutionäre Utopie eines Arbeiterstaates vor den Montagsdemos bloßgestellt." Mit "Woyzeck" jedoch verkomme das Thema "Friedliche Revolution" zur "löchrigen Folie, die am Büchner-Stoff nicht haften bleiben" wolle. Woyzecks Mord an Marie sei schließlich keine "Revolte gegen die Unterdrücker", sondern "die Tat eines Hilflosen". Hilflos wirke auch Jimmy Hartwig als Woyzeck. Trotz seiner Vitalität werde er von Oechel, Lawinky und Trommer "an die Goldgirlande gespielt".

Thieme sei bei seiner Inszenierung ein "kreativer Kurzschluss" unterlaufen, urteilt Andreas Hillger in der Mitteldeutschen Zeitung (17.10.). Der lokale Bezug und das Thema der "Zurichtung einer armen Kreatur unter diktatorischem Zwang" wären Stoff genug gewesen, um Büchner, Leipzig und die DDR zusammenzubringen, meint er. Aber Thieme ziehe mit einem Film zusätzliche Linien zu "Revolten-Attitüden der Nachwende-Kinder" und mache sich nicht nur mit "Agitprop-Folklore" aufwändig über die SED lustig, sondern schalte Büchners Drama und das Ende der DDR streckenweise sogar parallel. Zwar werde bei Jimmy Hartwigs Woyzeck "das Unzulängliche zum Ereignis" und auch Thomas Lawinky gelinge es, "den Kasernenhof-Ton von Woyzecks Hauptmann nahtlos in die gefährliche Vertraulichkeit eines Stasi-Offiziers zu überführen". Aber: "Wie sich Woyzecks Wahn mit der Wende und Maries Tod mit dem Triumph einer gewaltlosen Menge verbinden ließe – die Antworten auf diese Fragen bleibt der Abend schuldig."

In der Tageszeitung Die Welt (17.10.) stellt Matthias Heine fest: "Jimmy Hartwig als Woyzeck ist gar nicht schlecht." Sein hessischer Dialekt bewahre den "Amateurschauspieler Hartwig davor, so zu klingen wie ein darstellerischer Dilettant, der die Profis nachahmt". Einerseits. Andererseits verleihe er ihm eine "angenehme Natürlichkeit", die "paradoxerweise" noch dadurch verstärkt werde, dass Hartwig "meist steif mit dem Gesicht zum Publikum an der Rampe des Leipziger Centraltheaters steht". Doch die Inszenierung erschöpfe sich "in einem frechen Regieminimalismus, der niemals wie gewollt wirkt, sondern einfach nur wie nicht gekonnt." Es gehe bei dem Abend, so belehre der Programmzettel, "ganz allgemein um den ‚Mensch in der Revolte’ ". Die Montagsdemonstranten würden sich freuen, "mit einem tragisch irren Eifersuchtsmörder in einen Topf geworfen zu werden." - "Sein Regiehonorar sollte Thieme für verarmte Stasiopfer spenden oder davon Waffen für Rebellen kaufen. Es zu behalten wäre - um es in der Sprache der Revolte zu sagen - eine Systemschweinerei."

Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (17.10.) hat einen "unausgereiften, konzeptionell schwach und szenisch platt zusammengeschusterten Abend" gesehen, "der, statt ein kritisches, historisches Panorama zu bilden, in drei flaue Teile zerfällt". Erst der Film über zwei "Möchtegern-Revolutionäre", dann "nicht enden wollendes sozialistisches Liedgut" und schließlich "Woyzeck". Jimmy Hartwig in der Titelrolle tröste mit seinem angenehm authentisch-laienhaften, fränkischen Dialekt zwar ein wenig über "die Billigkeit hinweg". Dennoch gehe der Ansatz, Woyzeck "als Opfer der DDR und deren '12. Verwaltung'" zu zeigen, nicht auf.

In der Berliner Zeitung (17.10) verweigert Ulrich Seidler dem Thiemeschen Potpourri die Kritik, indem er die realsozialistische Besprechung eines Kulturprogrammes "zum 60. Geburtstag unserer Deutschen Demokratischen Republik performt ("Der Regisseur Thieme trug dem Fragment-Charakter der Vorlage Rechnung und vollendete dennoch die Thesen des allzu jung gestorbenen Büchner, indem er das Drama in ein kämpferisch-sozialistisches Nummernprogramm einbettete...."). Lustige Affirmation, die in der Passage mündet: "Büchners Erben in Anorak – waren sie nicht auch zur Stelle, als vor 20 Jahren 70 000 Unruhestifter in der Heldenstadt Leipzig die Abschaffung der sozialistischen Errungenschaften betrieben? Oder hab ich da was verwechselt?"

In der Berliner tageszeitung (19.10.) schreibt Johanna Lemke : Nach dem Vorfilm folge im Leipziger Tryptichon ein streitbares Intermezzo: "Dreißig Männer im Rentenalter" singen "emotionslos und gleichzeitig ergriffen - wie beim ordentlichen Fahnenappell - … DDR-Arbeiterlieder." Die "Irritation und Unruhe", die beim Publikum aufkommt, spräche "Bände": Worüber "wir uns einst definiert haben, berührt uns jetzt peinlich oder geht schlicht auf die Nerven." Für den folgenden "Woyzeck"sei der Hesse und Nicht-Schauspieler Jimmy Hartwig ein Glück. Er presse jeden Satz "in breitestem Hessisch hervor, unfähig, ihm eine Gestalt zu geben". In "unbeholfener Haltung", stehe er bewegungslos vorn an der Bühne. "Weil ein so weiches Seelchen in ihm wohnt, hat Woyzeck den massiven Leib auf Abwehr geschaltet - bis zur körperlichen Erstarrung." Wenn "die DDR", verkörpert durch Thomas Lawinky und Hagen Oechel, fortwährend Woyzeck verbal malträtiere, dann schaffe seine "unbändige Wut, die unter der Restriktion erstarrt", mehr "DDR-Geschichte, als es jedes Arbeiterlied vermag".

 

Kommentare  
Thieme in Leipzig: wozu die Euphemismen?
@ Ralph Gambihler
Ganz schlechter Stil!!
Wozu, im Übrigen, die Euphemismen: "Revolutionsgelüste der ostdeutschen Einheitsverlierer", "fühlen sich chancenlos, ausgegrenzt und verraten", "fühlt sich von der Regierung "total verarscht"? Ich denke, soziale Not, sozialer Verrat, Ignoranz in der Gesellschaft, politisches Desinteresse sind reale Fakten und keine individuellen Ge"fühle".

Darüber hinaus: Selbstverständlich haben Sie nicht damit begonnen, der Satz kam offensichtlich von der Bühne: "Du bist schwarz innen drin, völlig schwarz" (Konnte diesen Satz in meiner Ausgabe des "Woyzeck" nicht finden. Woher stammt er?). Aber Sie setzten fröhlich fort: "...dunkel entsetzt über die rauschhafte Schießwütigkeit..." Grundsätzlich ist alles, was unerklärlich, abgründig, häßlich, böse, gefährlich, amoralisch, falsch - diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen - schwarz, oder eben dunkel. Wie der Neger um die Ecke, der den Spätverkauf betreibt. Nachts, wenn es dunkel ist.
Thieme in Leipzig: selten wurde Stille so laut
Wenn sich der Rezensent nicht zwischen genial und verkorkst entscheiden kann, wenn er quasi selbst ein Urteil fällen muss, das ihm der Abend nicht abnimmt, wenn er sich dann, wie leider oft auf nachtkritik (die Ungnade der frühestmöglichen Kritik-Geburt) in hilflosen Umschreibungen und Aufzählungen verliert - dann muss der Abend irgendetwas verdammt nochmal sehr richtig gemacht haben. Ein Minute, eine gefühlte Stunde, bis sich das Publikum zum Schlussapplaus entschloss. Selten war Stille so laut und hat dem Abend, dem Chor, den Schauspielern, den gebührenden Respekt erwiesen. Eine Revolte der ganz eigenen Art im Zuschauerraum, dafür keine zerlegte Bühne. Büchner, Leipzig und die Revolte wurden so auf einen Punkt gebracht, auf dem ein grandioser Jimmy Hartwig stand.
Thieme in Leipzig: in der DDR noch zu klein
naja, das war nicht sehr aufschlussreich, aber trotzdem habe ich manchmal lachen müssen, ich war in der ddr noch zu klein um das heute zu kennen, nur die bühne war sehr gut.
Thieme in Leipzig: das viel größere Lob
Es werden wieder welche schreien, die sagen: Büchner? Wo war denn da Büchner? Aber dass mir, genau wie ihnen, Herr Gälach, das Lachen manchmal kam und manchmal im Hals stecken blieb, das gibt dem Abend sehr viel. Eine Gala-Bühne zum Thema Revolte - genau das ist es doch! Genau so feiern wir doch heute unsere überschaubaren politischen Heldentaten! Von und zu Guttenberg auf der Wetten-dass-Couch, das tägliche Bild von Frau Merkel und Herrn Westerwelle, die sich gegenseitig unter den Arm greifen und noch mal verschwiegen in die Ecke gehen um "ganz offen" die Koalition vereinbaren - und als absolute Geschmacklosigkeit noch das: zu einer Neonazi-Demonstration mit erwarteten 1000 Gleichversinnten am gestrigen Samstag in Leipzig fällt der ortsansässigen Tageszeitung und der BILD nichts anderes ein, als Artikel mit Hinweisen darauf, wie man mit seinem Pkw den (Zitat)"Demo-Stau" am besten umfährt; dieser wiederum, kommt laut Bild nicht einmal durch die Neonazis zustande, sondern durch Gegendemonstranten, die, unisono als linke Krawallmacher diffamiert werden! Soweit sind wir...! Da berührt Büchner/Leipzig/Revolte in mir wahnsinnig viel, weil er teilweise so eine extreme, spannende und auch anspannende Schieflage zu allen Erwartungen hat, mit denen man an in den Abend geht. Ich kann diese anderthalb Stunden, die manche, die sich sonst über fünfstündige Theaterabende aufregen, jetzt auch schon wieder als zu kurz kritisieren, nur empfehlen. Wenn Herr Gambihler von der Nachktkritik schreibt, der Abend sei genialisch und verkorkst, dann ist in meinen Augen verkorkst das viel größere Lob.
Thieme in Leipzig: keine große Idee dahinter
Ich würde mich eher für verkorkst entscheiden. Und zwar gründlich. Was Thieme da macht, ist ein hingerotzter Abend. Ich bin sehr für fragmentarische Arbeit, ich will kein Theater, das alles erklärt. Hier aber steht keine große Idee dahinter. Leipzig, Gewalt und Revolte taugen eben nicht, um all die Stoffe zu verknüpfen. Es fehlt ein emotionales Bild, das hängenbleibt. Es wird einfach nur alles zusammengeworfen, mehr nicht. Ein Rentnerchor singt viel zu lange alte Kampflieder, na toll! Was bleibt ist ein, wie ich finde, überforderter Jimmy Hartwig. Es ist dann doch nur Niveau Schülertheater. Das gibt es auch billiger.
Die schlechteste Inszenierung am Centraltheater seit langem!
Thieme in Leipzig: alte Berliner Seilschaft?
warum müssen menschen, die als schauspieler vielleicht sogar ganz gut sind, denn dann irgendwann auch runter von der bühne, um so tun, als ob sie auch regie könnten? oder ist da ne alte berliner seilschaft am laufen, herr hartmann, herr thieme ? ... wenn ja: holt uns der provinzielle osten mal wieder ein - und "hartmann", unser "hosentaschen-castorf" und "ober-ostzonlaer-identitäts-mohikaner" ist da sicher die beste adresse.
Thieme in Leipzig: zurückgefragt
..sehr, sehr alte berliner seilschaft, herr bernauer, in der tat. welche seilschaft klawittert denn hinter ihnen?
Thiemes Büchner in Leipzig: Woyzeck plötzlich fassbar
"Kabarett einer missglückten Kontextverschiebung" ist schon eine gute Beschreibung. Denn die Kontexte/Themenfelder selbst sind - im Sinne assoziativer Wirkungsmöglichkeit(en) - potentiell durchaus ergiebig, allerdings werden sie m.E. der Oberfläche, "Resultaten" geopfert. Kurzgedachtem, herbeigebürstet Tendenziellem (das Einschneiden von DDR in die Originaltexte), nicht funktionierende Provokation (der Chor, die abgeschmackte Hör-Szene Hauptmann/Marie), vor allem aber einer üblichen Konvention von Darstellung (jenseits der von Jimmy Hartwig).
Ansonsten Sprengstoff: Ein "richtiger" Mensch auf der Bühne, eine Biographie. Keine Hülle, keine Marionette. Woyzeck plötzlich fassbar.

Premiere im Oktober. Und schon abgesetzt. Unverständlich. Weil: Im Gegensatz zu anderen in Leipzig ein Abend der nachhallt, über den man Nachdenken kann.
Thiemes Büchner in Leipzig: leider wenig Zuschauer
Verstehe es auch nicht, wieso sich so wenige Besucher für dieses in meinen Augen sehr gelungene Werk interessiert haben. Irgendwie traurig und schade.
Thiemes Büchner in Leipzig: Mut nicht belohnt
Es ist so, wie Peter Bäcker im Tagesspiegel geschrieben hat: der Büchner-Abend am CT hat Kultpotential, aber leider nicht in Leipzig und wohl nirgendwo im Osten. Die Leute hier haben das Thema satt, Amnesie, Verdrängung, oder sind vielleicht auch dumm, um das Prozesshafte am Abend zu sehen. Also der Abend ist keine Sensation, aber er ist gut und gegen andere Osttheater eine echte Erweckung, deren langjährige Intendanten heute noch glauben, sie hätten maßgeblich zum Mauerfallen beigetragen. Will man also jetzt dem CT einen Vorwurf daraus machen, daß Büchner die letzte Vorstellung hatte? Oder richtet sich der Vorwurf nicht eher an die Zuschauer, die immer nur nach "Klassik! Klassik! Sprachkunst! Sprachkunst!" schreien, auch wenn sie "Büchner! Büchner!" und einen Abend wie den weiträumig umschiffen und lieber mit der LVZ zu Kevin Costner oder in Mamma Mia gehen? Hier wurde der Mut zu einer andern Darstellung von 89 einfach nicht belohnt. Das CT sollte aber trotzdem da weiter machen!
Thiemes Büchner in Leipzig: größere Plattheiten
Ja, was ist "Kult-Potential"? Das wittert der "von Becker-Westgermane" aus sicherer Entfernung. Zuschauer kann man sich nicht erfinden, und "klügere", "bessere" schon gar nicht. DIE "langjährigen Intendanten" wird es kaum geben. Und Thieme ist nicht das Centraltheater. Um nur mal die größten Plattheiten aufzugreifen.
Ach ja: Nicht nur Ostdeutsche rennen zu "Mamma Mia".
Thiemes Büchner in Leipzig: typisches Ost-West-Problem?
Lieber Spaltpiltz, die größte Plattheit verzapfen Sie doch wohl selbst, wenn Sie hier ein typisches (und typisch heißt langweiliges) Ost-West-Problem aufmachen wollen. Wo setze ich Thieme mit dem CT gleich? Wo führe ich Beckers Unebenheiten auf seine West-Vita zurück? Wo behaupte ich, daß die "langjährigen Intendanten" noch im Amt sind? Hmmm? Also ganz so einfach, wie Sie es sich Ihr SPALT-Pilz macht, ist es ja wohl nun wirklich nicht, auch wenn viele es sicher auf dem Level abgehandelt wissen möchten. Ich würde, anders als Herr Becker, auch gar nicht behaupten, daß der Thieme-Büchner übersehen worden sei, auch nicht von der Kritik. Die hat sich, siehe "Die Welt" oder die "Süddeutsche Zeitung", schnell darauf geeinigt, daß Thieme sein Regiegeld nicht verdient hätte, ist aber mit keinem Wort auf den Büchner-Abend eingegangen. Auch ein Problem, aber keines zwischen Ost und West. Schreibt Ihnen Muffin 82, Ossi.
Thiemes Büchner in Leipzig: über eine Parole nicht hinaus
Ost-West... ach was.
Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es - aus der Ferne des Feuilletons - oberflächlich ist, "Kultinszenierungen" auszurufen wegen ein paar blöden Liedern und herbeigeschriebenen DDR/Macht/Stasikontexten. Dass Sie/man nicht alle Intendanten über einen Kamm scheren sollte/n.
Und dass der (Gast)"Einrichter" Thieme eine sonst so nicht vorkommende Facette Centraltheater abdeckt(e); Ihr "Weiter so, Centraltheater" (ala "Ich trage eine Fahne") über eine Parole nicht hinauskommt. Die auch nicht mehr Menschen ins Theater locken wird.
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