Action acting und Apfelsaft

von Shirin Sojitrawalla

Wiesbaden, 8. November 2009. "Als commedia dell'arte zu spielen, leicht, rasch, eher karikaturistisch als naturalistisch, Tempo: allegro con brio." So lautet die Spielanweisung von Stefan Zweig, der Ben Jonsons Komödie "Volpone" 1927 neu übersetzte. Der Regisseur Herbert Fritsch hält sich in seiner Wiesbadener Inszenierung strikt daran und setzt noch manches drauf. Ein Abend in Dauererregung. Ein durchgeknalltes, buntes Spektakel, mit Karacho inszeniert und spielwütig auf die Spitze getrieben von einem außer Rand und Band und wie aufgezogen agierenden Ensemble.

Gespielt wird die derb fröhliche Fassung von Sabrina Zwach, die sich auf Zweigs Übersetzung stützt. Aus Jonsons Typen werden bei Fritsch groteske Knallchargen: Volpone selbst ist bei Rainer Kühn ein sabbernder Intrigant mit Nosferatu-Anmutung im Sträflingspyjama, der vor lauter Gemeinheit gar nicht merkt, dass er am eigenen Untergang bastelt.

11.000 Umdrehungen pro Minute

Ihm stets zur Seite ist Mücke, den Wolfgang Böhm als herrlich unmöglichen Narren im Strampelanzug gibt. Dabei spricht er so unwahrscheinlich schnell, dass man schon beim Zuhören ins Stolpern gerät. Er ist der willfährige Geselle, der eigentliche Fuchs, der die Erbschleicher anfüttert.

Die Herren Geier, Rabe und Krähe wollen alle an Volpones Geld, und da Volpone im Sterben zu liegen vorgibt, stehen sie flugs auf der Matte. Es sind Karikaturen ihrer selbst: Sebastian Muskalla als fingernagelkauender Piepmatz Geier, Franz Nagler als speichelleckende Superschwuchtel Rabe und Jörg Zirnstein als jünglingshaft eleganter Flatterling Krähe. Ihr Spiel: eine einzige Übertreibung. Theater im Schleudergang. 11.000 Umdrehungen die Minute. Laut und hysterisch. Da spritzen die Theatersäfte. Apfelsaft mimt dunklen Urin, und fix angerührter Kakao gibt einen Haufen Scheiße. Und so blöd das klingt, es funktioniert.

Spieldosenzauber und Gruselshow

Man ekelt sich gehörig, bis der theaterblutüberströmte Volpone als Abonnentenschreck geifernd an der Rampe steht und man um die eigene Kleidung fürchtet, zumindest in den vorderen Reihen. Im Hintergrund bewegen sich dazu geometrische Formen auf einer knallbunt aufscheinenden Leinwand, die später zu einem einzigen abstrakten Gemälde verschwimmen. Das erinnert dann an Jackson Pollock. Wie überhaupt Fritsch das "action painting" für die Bühne adaptiert zu haben scheint, auf jeden Fall wirkt es so: spontan, rauschhaft, maßlos.

Dabei kreuzt er das körperbetonte und akrobatische Spiel der commedia dell'arte mit der choreografierten Scherenschnittartigkeit von Robert Wilson und verquickt alles mit Slapstick à la Buster Keaton, Geisterbahngruselhorrorshow und boulevardeskem Spieldosenzauber. Es darf geturnt, gezappelt und gekaspert werden. Und es wird geschrien, was die Stimmbänder hergeben. Das nervt natürlich ordentlich, macht aber ziemlich wach. Die Gerichtsverhandlung gerät zum Stück aus dem Tollhaus, in dem Michael Birnbaum als grüngesichtiger Richter nicht nur mit den eigenen Magensäften kämpft.

Geschmolzener Vivaldi

Eva-Maria Damasko verkörpert die gute Celia, die sich herumschubsen lässt wie eine Puppe, und Monika Kroll ist die angejahrte Nutte Canina, die auf Kleinmädchen macht. Wäre noch Leo zu erwähnen, Rabes Sohn; Florian Thunemann spielt ihn als linkischen Clown, der immer wieder schön unvermutet ins Bild ragt. Lauter Witzfiguren – dekadent und degeneriert bis zum Geht-nicht-mehr -, die sich aufführen als sei das ganze Leben ein Comicstrip.

Für Zwischentöne sorgt an diesem Abend die Musik. Ingo Günther hat Vivaldis "Winter" aus den totgespielten "Vier Jahreszeiten" zerschmolzen und lässt mit ihm die Inszenierung dauerberieseln. Zum grandiosen Finale mit sensationell übergeschnappter Applausordnung schallt es dann frühlingshaft aufgekratzt aus den Lautsprechern. Und auch wir verlassen das Theater richtiggehend aufgeputscht. Irgendwie gut.

 

Herr Fuchs oder einfach: Volpone
von Ben Jonson
Übersetzung: Stefan Zweig, Fassung: Sabrina Zwach
Regie, Bühne, Video: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Ingo Günther.
Mit: Michael Birnbaum, Wolfgang Böhm, Eva-Maria Damasko, Rainer Kühn, Monika Kroll, Sebastian Muskalla, Franz Nagler, Florian Thunemann, Jörg Zirnstein.

www.staatstheater-wiesbaden.de

 

Mehr Fritschiaden gefällig? In Oberhausen machte sich Herbert Fritsch über Molières Tartuffe, Joe Ortons Beute und Eugène Labiches Pferd frisst Hut her, in Halle über Das Haus in Montevideo und den Raub der Sabinerinnen, und in Wiesbaden realisierte er bereits sein Projekt Spielbank.


Kritikenrundschau

In der Frankfurter Rundschau (10.11.) attestiert Judith von Sternburg der Inszenierung, eine "fabelhafte Mixtur aus Tüftelei und Enthemmung" zu sein. Und dabei auch noch philosophisch! Denn die Schauspieler liefen zwar "auf Hochtouren", als seien sie geradewegs "aus der Commedia dell'arte gehüpft". "Aber das trifft den Kern der Sache nicht. Den Kern der Sache trifft eher, dass diese Leute wahnsinnig sind und dabei herumgeschoben werden wie von Gotteshand, in echt aber von ihrer abgrundtiefen Schlechtigkeit. Wenn es eng wird, knäulen sie sich wie eine Herde Schafe. Der Mensch ist ein böses Tier."

 

Kommentare  
Fritschs Volpone: Kasperltheater für Arme
fand die übersetzung extrem schlecht und falsch geklaut von zweig...die inszenierung ein wenig kasperltheater für arme und die musik sehr schön, aber fehl am platz. ein bißchen wie die überschwemmung hier: eine große eruption, die alles gibt, aber einfach immer zuviel ist. eine zeitlang hält das, dann wird es langweilig. die schauspieler haben sich große mühe gegeben, aber wirkten auch ab und zu alleingelassen in ihren witzen, man merkte dann, dass es eben doch alle kleine herbert fritsch kopien sein sollten...mir hätte mehr individueller humor mehr gefallen...manchmal war es auch wirklich witzig und die musik war sehr sensibel dazugestreut wie das richtige gewürz..zum glück gab es wenigstens die musik...manchmal...aber eben nur manchmal...naja..
Fritschs Volpone: ach so
Ach, muss man in Wiesbaden Kasperltheater für Reiche machen?
Fritschs Volpone: wo Zorn ist, ist Liebe
lieber naja,
ich freue mich sehr, wenn man spürt, dass es in dieser verrotteten gesellschaft noch ZORN gibt. wo ZORN ist, ist liebe. aber muss dieser ZORN immer an einer solchen stelle so feige verspritzt werden? schauspieler geben sich keine mühe, sondern geben alles in VOLPONE, sie sind nicht kleine fritschs, sondern mutige kühns, zirnsteins, damaskos, birnbaums, thunemanns, naglers, muskallas, krolls und böhms. sie wissen nicht, ob das klappt, was fritsch inszeniert, sie müssen vertrauen. es ist leicht, hier unter pseudonym "NAJA" einen ZORN zu verbreiten, der persönlich gemeint zu sein scheint und niemals fundierte kritik an einer künstlerischen position ist. also, was genau ist ihre kritik, an VOLPONE?
und nur zur sicherheit: in wiesbaden müßte es - wenn schon - heißen: KASPERLETHEATER für REICHE!
Fritschs Volpone: niemals von der Übersetzung
Dass die Übersetzung von Stefan Zweig extrem schlecht ist, ist mir neu. Die Fassung kann höchstens extrem schlecht sein, aber die klaut niemals von der Übersetzung, weil sie auf der Übersetzung basiert...naja....hier rummotzen ist halt auch nicht so leicht, wie man denkt!?
Fritschs Volpone: nicht so zornig
kasperletheater für reiche wäre ja ein lob. meine kritik sollte aber zum teil kein lob. ich sprach auch nicht von pekuniärem reichtum, sondern von intellektuellem. sie war keinesfalls persönloch gemeint, meine kritik. ich klenne keinen der beteiligten persönlich. weshalb fühlen sie sich also persönlich betroffen? es war mein allgemeiner eindruck dieses abends. den darf ich doch äußern....er war nicht einmal besonders negativ. manchmal, wie geschrieben, manchmal fand ich ihn auch lustig. aber eben nur manchmal...ja..eben naja...so..hm...naja...so eben...ist doch nicht soo negativ....also, beruhigen sie sich...zorn ist ein viel zu großes wort, das lohnt der abend nicht...seien sie also mal nicht so zornig.,,ich bin ganz cool...nicht erregt...schade..ja..eben naja....
Fritschs Volpone: schlecht geklaut
ich habe nicht gesagt , daß zweigs übersetzung schlecht sei, lesen sie genauer. ich finde die übersetzung von zweig eigentlich wunderbar. ich habe geschrieben, daß SCHLECHT GEKLAUT wurde!!!!
Fritschs Volpone: rampensäuisches Kalkül
Das weiß man ja nun langsam, dass Fritschs Fassungen IMMER schlecht sind. Da weht kein Geist, sondern immer nur rampensäuisches Kalkül, was ein echter Jammer ist, denn der Mann ist an sich genial.
Fritschs Volpone: die Fassung ist von Sabrina Zwach
Zweig-Zwach-Verwirrung
Die "Volpone"- Fassung, die in Wiesbaden gespielt wird, ist nicht von Fritsch, sondern von Sabrina Zwach; sie basiert auf Stefan Zweigs Übersetzung.
Fritschs Volpone: verwirrend oberflächlich
mit schlecht geklaut meinte ich, daß frau zwachs fassung zweigs übersetzung nicht gutes angetan hat...sie ist etwas verwirrend-oberflächlicher in ihrem herausziehen der stränge als zweigs urversion mit seinem tiefgründigen feinen witz..das ist schade...
Fritschs Volpone: Herbert Fritsch dankt Sabrina Zwach
All die Bemerkungen zur Fassung werden nicht wirklich begründet und sind deshalb einfach nur dämlich. Widerlich, wie Sabrina Zwach hier angegriffen wird, weil anonym und nicht offen. Sie hat eine wunderbare Fassung geschrieben und damit der Aufführung Kraft, Geschwindigkeit und Witz gegeben. Ich danke ihr dafür.
Volpone in Wiesbaden: Psychedelik und Langeweile
Ein überraschend langweiliger Abend. Schade eigentlich; verblüffend, wie man Langeweile und Psychedelik verbinden kann.
Fritschs Volpone: das reine, unschuldige Spiel
langeweile? kam bei mir gar nicht auf, schon wegen dem bühnenraum und den darin bunt-schrill-gleitenden figuren. dass der abend keinen diskurs bedient ist vielleicht zu benennen, aber ich sage nur: gott, sei dank! endlich gehts um das reine unschuldige spiel.
Fritschs Volpone: platter Humor
finde auch, dass fritschs abende seltsam öde sind. da wird sich abgestrampelt, der humor ist platt bzw. dumm, das publikum zeigt beinahe null reaktion und ist gelangweilt. wieder so ein medien hype.
Fritschs Volpone: keine Zeit für Tiefsinn
an meinen vorredner...sie meinen also, die reine, glatte oberfläche loben zu wollen..das reine, glatte "unschuldige" spiel als sinn und zweck eines stückes zu nenen, das seinerseits höchst gesellschaftskritisch die lupe zum genauer hinschauen offerierte? wie armselig! da könnte man genauso gut im vorabendprogramm hängen bleiben-...und sich den eintritt sparen..nein! einspruch! ich bin für denken auf der bühne, besonders fürs hintersinnige denken..und auch wenn herr fritsch meint, sich hier lautstark für seine dramaturgin breitmachen zu müssen...ich schlage ihnen vor, beim nächsten mal genauer zu denken, intensiver und nicht oberflächlich zu inszenieren..meiner ansicht nach machen sie zuviel und nehmen sich keine zeit für tiefsinn...viele ideen bedeuten noch keinen wirklchen wurf an genialität...dies ist nur (m-)eine subjektive, ja!! anonyme!! meinung..
Fritschs Volpone: Vorschlag
Dann geh´ doch ins Kino!
Fritschs Volpone: echt fantastisch
Meiner Meinung nach war das, was die Schauspieler geleistet haben genial, sie haben erstaunlich gut gespielt wenn man die "Einengung" durch die Kostüme (die ich auch genial finde) betrachtet. Es war trotzdem sehr anstrengend dem ganzen zu folgen, weniger wegen dem Tempo, sondern eher aufgrund der Hintergrundprojektion, die ja schon irgendwie Kopfschmerzen auslöste und dem ständigen Geschreie auf der Bühne, was aber auch nicht hätte fehlen dürfen. Das Problem war eben, das ich persönlich nicht mal kurz abschalten konnte, da wir eine Arbeit über das Stück und commedia dell`arte schreiben. Was ich im allgemeinen von meinen Klassenkameraden gehört habe, stellt das Stück eher negativ da, das kann ich keineswegs verstehe, weil ich echt fantastisch finde, wenn man in der richtigen Stimmung dafür ist. Jeden Tag kann man sich das sicher nicht antun.
LG
Fritschs Volpone in Wiesbaden: anstrengend und platt
Es war anstrengend ! Die Texte teilweise schwer zu verstehen. Die Witze platt. Sicher schauspielerisch eine tolle Leistung. Nützt aber nix. Ein verlorener Abend...............
Kommentar schreiben