Presserundschau vom 11. November 2009 – Frank Castorf nach der Sanierung der Volksbühne

Bekenntnis zur Selbstkritik

"Ich war das begabte Kind, das nur gespielt hat", so ist in der Süddeutschen Zeitung (11.11., frei zugänglich über jetzt.sueddeutsche.de) das Interview übertitelt, das Peter Laudenbach mit Frank Castorf geführt hat (und das weitgehend identisch bereits zwei Wochen zuvor im Berliner Stadtmagazin Tip veröffentlicht wurde). Der Volksbühnen-Chef spricht darin so deutlich über die Krise an seinem Theater und eigene Fehler, wie er es bisher noch nicht getan hat. "Ich habe früher nie gesehen, wie sich alle abkämpfen für dieses Theater (...) wie sich die anderen verbrennen, Matthias Lilienthal, der Bühnenbildner Bert Neumann, die Schauspieler Kathi Angerer, Henry Hübchen, Martin Wuttke, Bernhard Schütz. Wenn das aus traurigen Gründen wegbricht", wenn man erfolgreich ist, heißt es weiter, "ist es sehr anziehend, im Wohlstand zu leben. Wir werden auch nicht jünger. Bei den Jungen ist der Zwang zum Erfolg, der Überlebenskampf viel, viel schwieriger geworden, sie sind ängstlicher, müssen aber auch viel mehr investieren. Deshalb sind die Menschen so vereinzelt und vor allem mit Überleben beschäftigt." Castorf zeigt sich in dem Gespräch aber auch entschlossen an das, was mal wichtig war, anzuknüpfen. Was er an anderen Theater sieht, findet er jedenfalls auch ausgereizt. "Ich sehe überall Plagiate von Sachen, die ich oder Marthaler oder Schleef gemacht haben. Davon wird man so müde, weil das Originäre sich ins Kunstgewerbe entleert (...). Ich bin auch nicht sauer, wenn jemand etwas aus meinen Inszenierungen zitiert, aber meist sind es keine produktiven Auseinandersetzungen, es sind Plagiate. Aber auch das ist normal. Wie will man in der Ausgereiztheit, dass man alles kennt und gesehen hat, nochmal einen neuen Schub bekommen? Das geht vielleicht nur exterritorial." Deswegen sei er auch so gerne in Brasilien, Argentinien oder Kuba. "Wenn man woanders arbeitet, ist man wieder der Filibuster, der Korsar, man kann anders wildern. Als Fremder hat man es immer leichter."

Über Fehler, zum Beispiel in der Besetzung der Dramaturgie, drehte sich auch schon das Interview, das Stefan Kirschner mit Castorf und dem neuen Chefdramaturgen Stefan Rosinski für die Welt (29.10.) geführt hat. Darin wurde Castorf zwar noch nicht ganz so deutlich, wandte aber auch schon ein: "Seit Matthias Lilienthal ans HAU gegangen ist, haben wir nicht mehr so eine Aufrüstung der Dramaturgie erlebt wie jetzt. Wir haben zu lange gedacht, das ist ein Selbstläufer. Das war ein Fehler. Vielleicht haben wir diesen Bereich aus Eitelkeit, aus Selbstgefälligkeit, aus Gleichgültigkeit vernachlässigt oder weil es auch nicht notwendig war, solange hier Konzeptionisten wie Marthaler oder Schlingensief oder Kresnik gearbeitet haben. Aber von denen haben wir insgesamt zu wenige und deshalb muss mehr aus dem Zentrum des Theaters kommen – und das ist in Deutschland die Dramaturgie. Die Impulsgeber des Denkens."

 

Mehr zu Frank Castorf und Stefan Rosinski im nachtkritik-Archiv: Im November 2008 nahm die Volksbühne in einer Pressemitteilung offiziell Stellung zum "Krisengeflüster". Und im Juli 2009 sprach der neue Chefdramaturg Stefan Rosinski in einem Interview über seine Visionen für die Volksbühne.

 

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