Warum "Sein oder Nichtsein" und nicht "Noch ist Polen nicht verloren"

von Jürgen Hofmann

Berlin, 20. November 2009. Anders als noch vor Beginn der Spielzeit angekündigt spielt das DT heute nicht "Noch ist Polen nicht verloren" von Jürgen Hofmann (UA Lübeck 1989), sondern "Sein oder Nichtsein" von Nick Whitby (UA New York 2008) – ein Stück, das eben-falls auf dem Lubitsch-Film "To be or not to be" basiert.

Der Grund ist simpel: der britische Drehbuchschreiber hat von dem Filmkonzern 20th Century Fox jüngst die Bühnenrechte gekauft und setzt seitdem massiv durch, dass in Deutschland ausschließlich seine Fassung gespielt werden darf. 2008 in New York mit höchst mäßigen Kritiken bedacht, wurde sie sofort ins Deutsche übersetzt und vom Boulevardtheater-Verlag Lauke eilig dem Deutschen Theater aufgenötigt.

Kommt einem irgendwie bekannt vor? Ja, die Hochhuth-Variante. Man erwerbe Eigentumsanteile an einer Immobilie, einem Film usw. – und erzwinge so schlicht das, was freiwillig nicht geschieht: dass das eigene Stück gespielt werden muß! Den Schaden hat zunächst der Urheber der Idee, diesen Film für das Theater zu ge-winnen. 1984, als eine solche Praxis noch sehr unüblich war, deklarierte er seine über der Tragödie balancierende Komödie als Verbeugung vor Lubitsch und als Hommage ans Theater. 20 Jahre lang wurde das Stück dann erfolgreich auf vielen deutschsprachigen Bühnen gespielt (u.a. vom Berliner Renaissancetheater und, 1991, von Khuons Konstanzer Stadttheater).*

Den Schaden hat aber vor allem auch das DT – und mit ihm das Publikum. Erst im August dieses Jahres mit dem Rechtsanspruch des britischen Geschäftsmanns konfrontiert, sah das Theater sich nicht mehr in der Lage, eine andere Produktion  zu planen und ersetzte das schon vorbereitete Stück halbherzig durch das neue.
Die ursprüngliche Entscheidung für Hofmanns Stück hatte noch einen anderen Aspekt.

Wie der die polnische Nationalhymne anspielende Titel andeutet, ging es dem Autor in seiner politisch akzentuierten Version auch darum, dem polnischen Widerstand gegen die Nazis seine Reverenz zu erweisen – im sechzigsten Jahr nach dem deutschen Überfall auf Polen nicht der schlechteste Grund, diese schwarze Komödie zu spielen statt einer Boulevard-Comedy.

Nun mögen Publikum und Kritiker selbst entscheiden, was von diesen Ansprüchen von Film und Stück in einer aus den USA importierten Adaption übrigengeblieben ist, die sich ebenfalls einem sehr zeitgenössischen Motiv verdankt : der Profitgier.

Berlin 20.11.09

Jürgen Hofmann


* Nach Recherchen (und Unterlagen des Wiener Sessler-Verlags) konnte der Autor jahrelang davon ausgehen, dass der Hauptanteil am Drehbuch, also auch an den Bühnenrechten, dem ungarischen Dramatiker Melchior Lengyel bzw. dessen Erbin zustehe. Der Filmkonzern indes behauptet das Bestehen eines sog. buy-out-Vertrags.

 

Jürgen Hofmann, 1941 in Würzburg geboren, ist Schriftsteller und Dramatiker. Gemeinsam mit Oliver Bukowski leitet er den Studiengang Szenisches Schreiben an der Berliner UdK.

 

 

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