Looking for what's next?

von Willibald Spatz

München, 29. November 2009. Für die eingeladenen Künstler dürfte Spielart ein dankbares Festival sein. Sie treffen dort auf ein Publikum, das Neuem aufgeschlossen ist, aber auch Halbfertiges und Gescheitertes akzeptiert, solange der Versuch, was Aufregendes zu zeigen, erkennbar ist. Das kann gleichzeitig auch zum Problem werden, da diese Erwartung zu Innovativem verpflichtet. Es gibt einige Theatermacher, die des Öfteren schon mit Produktionen zu Spielart eingeladen waren, deren Arbeiten kennt man hier mittlerweile. Neue Gesichter wären jetzt gern gesehen.

Shuttle-Bus zwischen den Ästhetiken
So gibt es innerhalb des Festivals in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Reihe, die versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen den etablierten und den kommenden Spielart-Artisten. Sie trägt nun die Überschrift "Connections" (beim der letzten Spielart-Edition hieß sie noch "What's next?" und war ein bisschen kleiner angelegt) und funktioniert so: Sechs Mentoren, darunter zum Beispiel Meg Stuart, Anna Viebrock, Tim Etchells und Kirsten Dehlholm, schlagen würdige Nachwuchskünstler vor, die dann fürs Festival eine Aufführung entwickeln, in Kooperation mit einer anderen Institution außerhalb Münchens. Und damit man als Zuschauer bequem möglichst viel von dem Neuen mitbekommen kann, verbindet ein Shuttle-Bus die über die ganze Stadt verteilten Spielstätten. Man pendelt so von einer Ästhetik zur nächsten.

Tatsächlich ist in drei der Produktionen dieses Gefühl des Betretens von Festival-Neuland auch zu Beginn zu spüren. Es kommen sowohl bei "Themselves already hop!" als auch bei "Dark Matter" und "Five People" zunächst einzelne Personen auf die Bühne und lassen diese Auftrittssituation eine Weile auf sich wirken, bevor etwas passieren darf. Vorsichtige Einstiege stehen abgesicherten Ausstiegen gegenüber: "Five Peolpe" und "Lucid Possession" lassen ihre Zuschauer nicht einfach mit dem Gesehenen allein, sondern integrieren das Publikumsgespräch gleich in die Show.

Mensch, Maschine und Video
Bei "Lucid Possession" zeigen die Macher sogar, wie sie arbeiten – was in diesem Fall in der Tat ganz hilfreich ist. Die Performance versteht sich als Work in Progress, die eigentliche Premiere ist erst im Jahr 2011 geplant. R. Luke Dubois hat eine Software programmiert, mit der sich ein Roboter von Leif Krinkle steuern lässt. Toni Dove dirigiert die Apparatur zusammen mit einer Geigerin und einer Sängerin. Deren Töne und Bewegungen werden auf eine für sie selbst auch nicht hundertprozentig nachvollziehbare Weise – das gestehen die drei im Gespräch hinterher – auf ein Video übertragen. Darin ist eine Frau zu sehen, die am Computer einen Avatar dirigiert, den wir wiederum live als Roboter sehen, auf den dann weitere Videobilder projiziert werden, die von den lebendigen Akteuren in ihren Lippen- und Körperbewegungen beeinflusst sind.

Das klingt nicht nur kompliziert. Toni Dove probiert zur Zeit noch und verspricht, im fertigen Produkt sogar eine Geschichte erzählen zu wollen. Was man jetzt im Ansatz erkennen kann, erinnert ein bisschen an einen japanischen Horrorfilm, hört sich schön an und sieht als Installation mit echten Menschen, Videowänden, Computern und Maschinen in verrückten Kleidern schon gut aus. Vielleicht wird das Endergebnis gar nicht mehr besser sein.

Picknick mit Zitteranfällen
Vier Personen, zwei Frauen und zwei Männer, mühen sich in Hermann Heisigs "Themselves already hop!" aneinander ab. Kommunikation mit Worten scheitert an der Unfähigkeit des Gegenübers, sich auf das Gesagte einzulassen. Deswegen wird der Weg zum anderen über Objekte gesucht: Sektgläser, Kekse, Teller – Zutaten eines Picknicks. An sich eine idyllische Angelegenheit, die jedoch von Zuck- und Zitteranfällen der Frauen gestört werden, die die Männer veranlassen, das Geschirr zwanghaft und umständlich in Sicherheit zu rücken. "Themselves already hop!" reflektiert teilweise komisch, ansatzweise poetisch Möglichkeiten und Unmöglichkeiten menschlichen Zusammenseins. Charmant.

Auch in "Dark Matter" spielen Gegenstände eine große Rolle, allerdings sind die verhandelten Themen viel größer, die größten überhaupt: Es geht ums Universum und die Geheimnisse der Existenz. Tim Etchells, dessen Gruppe Forced Entertainment mit zwei Produktionen bei diesem Spielart vertreten ist, hat Kate McIntosh eingeladen.

Großartig aufgemotzte Sinnlosigkeiten
Sie steht da im Glitzerkleid und erklärt die Welt. Dabei wird sie von zwei Herren im Anzug unterstützt, die Allegorien ihrer rationalen und ihrer irrationalen Seite darstellen. Die beiden sind wichtig, denn Kate McIntosh verliert schnell den Faden. Die entstehenden, unter Umständen peinlichen Lücken im Programm werden mit abenteuerlich einfachen, wunderbar dilettantischen Kunststücken gefüllt. Da werden zu Zirkusmusik Luftballonbündel und Mikrofone in der Luft gewedelt, Essig in Gläser gegossen, ein Mann mit Salz überschüttet, Bretter gefährlich geschwenkt und zu Wippen umfunktioniert. Im Rauch einer Nebelmaschine verschwindet Kate McIntosh in einer anderen Dimension, sie lässt die beiden Herren für etliche Minuten allein zurück. An der Rückwand glitzert ein Sternenhimmel, einer der Männer präsentiert seine in einer Papiertüte erzeugte absolute Dunkelheit.

Diese Aneinanderreihung großartig aufgemotzter Sinnlosigkeiten besitzt Witz und lotet die Grenzen aus, an die Theater beim Versuch, von der Bühne aus die Wirklichkeit zu erklären, gehen kann. Kate McIntosh entfernt sich demonstrativ unendlich weit von jeder Realität. Jeder Versuch, etwas aussagen zu wollen, mündet in hohler Affektiertheit. Schön und wahr.

Fünf Köpfe für ein Projekt
Dirk Pauwels ist der Meinung, dass das größte Problem der meisten Theaterabende die günstigen Bedingungen sind, unter denen sie zustande kommen. Deswegen hat er, um die Angelegenheit schwieriger zu gestalten, nicht einen Künstler, sondern gleich fünf eingeladen. Die sind sich vorher noch nie begegnet und sollen nun zusammenarbeiten, wobei einer anfängt, 15 Minuten vorbereitet, dann kommt der zweite dazu, macht was daraus, dann der dritte und so weiter, bis alle fünf was beigetragen haben. "Five People" heißt das Projekt.

Zum Auftakt lässt María Jerez Quintana in den Köpfen der Zuschauer fünf Personen auf leerer Bühne spielen. Das einzige, was stellvertretend für sie zu sehen ist, sind Boxen, aus denen Quintanas Stimme kommt, und High-Heels an den Orten, an denen sie sich aufhalten. Ein netter Einstieg – aus dem die Nachfolgenden dann immer weniger machen.

Phil Hayes' Beitrag ist lediglich sein Auftritt nach einer mehrminütigen Licht- und Nebel-Show. Hanneke De Jong lässt die anderen die Bühne mit bedeutungslosen Gegenständen vollstellen, und bei Jean-Baptiste Veyret-Logerias' erklären schließlich alle fünf simultan ihr Konzept, was nahtlos ins Publikumsgespräch überleitet. Die Zuschauer stellen durchaus ernstgemeinte Fragen, die fünf antworten albern synchron und unaufgeregt und amüsieren sich und die anderen damit.

Diese entspannte Atmosphäre ist charakteristisch wohltuend für die "Connections"-Reihe. Die hohen Erwartungen werden hier nicht enttäuscht, es wird mit ihnen im besten Sinne gespielt. Nichts ertrinkt in Pathos und Ernst, manches überrascht und verstört auch, und von allen diesmal Anwesenden sähe man durchaus gern mehr – bei Spielart und auch an anderer Stelle.


Connections – Festival im Festival
beim Spielart-Festival in München

Lucid Possession
Mentor: Kirsten Delholm
Konzept, Text, Regie und Edition: Toni Dove, Software Design: R. Luke Dubois, Roboter Design und technische Leitung: Leif Krinkle, Bildschirm-Design: Karen Young.
Performer: Toni Dove (V.J.), Mari Kimura (Musik, Komposition), Hai-Ting Chinn (Stimme).

Themselves already hop!
Mentor: Meg Stuart
Idee, Choreografie und Raum: Hermann Heisig, Musik: Andrew Pekler, Dramaturgie: Dennis Deter, Licht: Sandra Blatterer, Kostüm: Laura Leth Meilwang.
Performer: Elpida Orfanidou, Nuno Lucas, Esther Quade, Thomas Proksch.

Dark Matter
Mentor: Tim Etchells
Konzept und Regie: Kate McIntosh, Dramaturgie: Pascale Petralia, Licht: Minna Tiikkainen, Technische Produktionsassistentin: Sophie Durnez, Beleuchtungstechnik: Joelle Reyns.
Performer: Thomas Kasebacher, Kate McIntosh, Bruno Roubicek.

Five People
Mentor: Dirk Pauwels
Von und mit: María Jerez Quintana, Min Kyoung Lee, Phil Hayes, Hanneke De Jong, Jean-Baptiste Veyret-Logerias.

www.spielart.org

 

Mehr lesen zum Münchner Spielart-Festival im nachtkritik-Archiv: In diesem Jahr hat es den Schwerpunkt Argentinien. Im Programm laufen unter anderem La Mélancolie des Dragons von Vivarium Studio, Kathrin Rögglas publikumsberatung, Lola Arias' Mi Vida después.

 

 

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