Im Zwischenreich der Imaginationen

von Ralph Gambihler

Leipzig, 9. Dezember 2009. Der Abend beginnt durchaus harmlos und natürlich anders, als man erwartet. Es fängt damit an, dass man vor dem Einlass gebeten wird, die Schuhe auszuziehen und ein Paar von diesen putzigen Filzpuschen überzustreifen, die es dem Klischee nach dort gibt, wo Japaner oder Gartenzwerge zuhause sind. Erst dann betritt man den spärlich beleuchteten Bühnenraum, der gewiss auch ein Darkroom sein könnte, wäre da nicht dieser strahlend weiße Kunstfell-Belag, der den Boden fast ganz bedeckt.

 

Wie ein Riesenflokati liegt er da und leuchtet schön im Schwarzlicht. Ein einziger Gang mit dreckigen Schuhen und die weiße Pracht wäre dahin. Deshalb die Puschen. Man lässt sich nun kollektiv nieder, um der Vorstellung im Schneidersitz oder lässig fläzend entgegen zu sehen. Zunächst passiert wenig. Man hat Zeit, den Blick ausgiebig im Raum schweifen zu lassen. Ein Sling oder ähnliche Gerätschaften für den Hausgebrauch der BDSM-Gemeinde ist nirgends aufgebaut. Dafür steht in der Mitte eine Art Schwebebalken, der, wie sich zeigen wird, eine Zone der disziplinierten Annäherung ist. Alles in allem wirkt die Kulisse (Susanne Münzner und Clementine Pohl) zugleich einladend und kühl und ansonsten darauf getrimmt, Erwartungen sanft zu brechen. Dirty is nich! Nich hier!

Sadomaso im Flüsterton

Das gilt im Grunde auch für das Stück von Katharina Schmitt, das als Auftragswerk des Centraltheaters Leipzig entstanden ist und nun in der kleinen Spielstätte Skala zur Uraufführung kam. "Im Pelz" ist eine kühle Fantasie über Sado-Masochismus, ein Psycho-Kammerspiel für drei Personen, vorgetragen im Flüsterton. Manchmal erinnert der Text ein wenig an die Spielchen von Merteuil und Valmont in Müllers Laclos-Adaption "Quartett". Mit dem grellen Herr-und-Sklave-Auftritt von Pozzo und Lucky in Becketts "Warten auf Godot" hat er eher nichts zu tun.

Zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung, die eigentlich mehr ein Gespräch über mögliche Handlungen ist, wird ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau. Severin will die von ihm angebetete Wanda dazu überreden, ihr als Sklave dienen zu dürfen. "Ich will Amboss sein. Wollen Sie auf mich einschlagen?" Wanda will zuerst nicht. Bis sie dann doch Gefallen an ihrer Rolle findet. Es kommt zu einem Vertragsschluss, der die Bedingungen und Grenzen der Beziehung streng sachlich regelt, von der zeitlichen Inanspruchnahme bis zur Kleiderfrage (Pelze!). Und sowieso bleibt man beim förmlichen "Sie".

Keineswegs das Stück zur Novelle

Katharina Schmitt setzt sich in ihren Stücken immer wieder mit Gewalt und Machtverhältnissen auseinander. In Knock out, einem von Gerhard Richters Bilderzyklus "18. Oktober 1977" inspirierten, im Kontext der RAF angesiedelten Text, für den sie 2006 den Lenz-Preis der Stadt Jena gewann, geht es um Anziehung, Kampf und Terror. In Platz der Republik kreist alles um ein fiktives Attentat auf den französischen Premierminister. "Im Pelz" ist in dieser Linie zu sehen, allerdings bleiben konkrete politische oder utopistische Kontexte diesmal ausgeklammert.

Das Motiv von Dominanz und Unterwerfung, das sie zusammen mit den beiden Hauptfiguren aus Leopold Ritter von Sacher-Masochs Novelle "Venus im Pelz" (1870) heraus seziert hat, wird quasi unter Laborbedingungen durchgespielt: streng privatistisch, ohne jedes Störlicht von außen, mit Menschen von einer geradezu aseptischen Geschichtslosigkeit. Im Kern geht es dabei um Macht als Mittel der Kommunikation und um die Rolle der Sprache in erotisch-sexuellen Zusammenhängen. Zu Recht hat die Autorin vorab darauf hingewiesen, dass sie nicht das Stück zur Novelle geschrieben habe und dass sie auch nicht daran gemessen werden wolle.

Anders gesagt: Katharina Schmitt packt die Peitsche nicht wirklich aus. Sie betrachtet die labile Balance in der Beziehung von Herr und Sklave auf kleinste Verschiebungen hin und fragt nebenbei, ob sich die Liebe überhaupt vertraglich regeln lässt in Rechte und Pflichten. Gegen Ende führt sie mit einem "Eisbären" einen irritierend fremdartigen Nebenbuhler ein, der das Beziehungsbild ins leicht Obskure verwackelt, zumal mit Spiegelungen und Wiederholungen, die sich nun überlagern.

Aus der Diskretion in die Ironie

Der Text ist faszinierend feinnervig und sensorisch, um den Preis einer hohen Künstlichkeit allerdings. Was Regie und Darsteller kräftig fordert. Johannes Schmit löst die Aufgabe elegant und packend, arbeitet mit Brechungen, choreographiert das Verhältnis im Raum, mogelt sich aber auch um eine entschiedene Haltung gegenüber dem Text herum. Er folgt zunächst dem distanzierten Blick der Autorin, dem entrückten, diskreten Geflüster im Zwischenreich der Imaginationen, um die Sache dann gegen Ende doch ins Ironische zu kippen. Manches arbeitet er in der Akustik ab, etwa szenenweise wiederkehrende Atem- und Schleckgeräusche oder die große Peitschorgie, die irgendwann doch noch stattfindet, hinter der Kulisse natürlich.

Die Darsteller machen ihre Sache gut. Allen voran Anna Blomeier in der Hosenrolle als knabenhafter, gar nicht einmal so devoter Bubi mit aufgemaltem Schnurrbärtchen und Glattfrisur. Das paradoxe Spiel, das Severin in seiner Sklavenlust treibt, Wanda nämlich so zu beherrschen und zu manipulieren, dass sie die Rolle der Herrin annimmt, skizziert Blomeier unaufdringlich und prägnant. Melanie Schmidli nimmt man die Anti-Domina gerne ab. Ihre Wanda ist eine wonnige Frau, die eigentlich nichts Herrisches hat, bis die Herrin in ihr erwacht. Matthias Hummitzsch schreitet als dozierender, über Vertragstreue und Natur räsonierender Eisbär den geringen Gestaltungsraum, den seine Rolle hat, souverän aus. Am Ende: freundlicher Beifall für alle.

 

Im Pelz
von Katharina Schmitt nach Motiven von Leopold von Sacher-Masoch, UA
Regie: Johannes Schmit, Raum: Susanne Münzner und Clementine Pohl, Kostüme, howitzweissbach. Mit: Anna Blomeier, Matthias Hummitzsch, Melanie Schmidli und Christoph Wirth.

www.centraltheater-leipzig.de

 

Weitere Stücke von Katharina Schmitt: Im Februar 2009 wurde Platz der Republik in Oldenburg uraufgeführt, im November 2007 Knock out in Jena.

Kritikenrundschau

"Eine bemerkenswerte Inszenierung eines spannenden Stücks", sah Nina May in der Leipziger Volkszeitung (11.12.). Dass der Abend mit dem Thema Sado-Masochismus damit beginne, die Besucher in Hauspuschen steigen zu lassen, entbehre nicht der Ironie. "Und dieses sanft humoristische Brechen von Erwartungen zieht sich durch die Inszenierung". Dem Regisseur Johannes Schmit gelinge es so mit seinem ersten Skala-Werk dieser Spielzeit, einen Höhepunkt derselben auf die Bühne zu bringen. Das Bühnenbild treffe mit seiner strengen Schwarz-Weiß-Ästhetik den Umgangston zwischen Severin und Wanda. Katharina Schmitt habe inspiriert von Motiven Sacher-Masochs ein Stück mit großer Analyse-Kraft über Verabredungen, Verträge in Partnerschaften geschrieben. "Regisseur Schmit tappt nicht in die Bebilderungsfalle." Raffiniert lote er das Machtverhältnisse zwischen Severin und Wanja aus, indem er sie mit zwei Frauen besetzt.

 

 

Kommentare  
Im Pelz in Leipzig: Was sollen die Verlinkungen?
was soll genau die verlinkung zum bdsm-artikel? und zu sacher-masoch? warum werden dann nicht begriffe wie handlung, souverän oder meinetwegen auch theater verlinkt?

Antwort der Redaktion:
Hm. Man geht ja immer von sich selber aus. Und uns war die Abkürzung BDSM nicht geläufig. Da dachten wir, wir bieten denjenigen, denen das auch so geht, mal einen Link an, ohne die anderen mit integrierten Erklärungen zu langweilen. Verkehrter Ansatz? Unterschätzung des autonomen Lesers (der Leserin?)
Im Pelz in Leipzig: Dank für Verlinkungen
Herzlichen Dank für die Verlinkung.
Im Pelz in Leipzig: Abend hält nicht, was er verspricht
Die Inszenierung hält nicht, was sie verspricht. Das Stück beginnt verheißungsvoll: die Schauspieler durchmessen mit Körper und Stimme den Raum, während ihre Sprache wechselt zwischen Vortrag und Pflüsterton. Manchmal wird sie nur in den Raum gehaucht. Stimmen und Stimmungen tauchen in dem offenen Bühnen- und Zuschauerraum plötzlich auf - vor, neben, hinter einem - um wieder zu verschwinden und woanders wieder aufzukeimen.
Durchaus gekonnt ist das paradoxe Machtverhältnis herausgearbeitet, bei dem der devote Part die Regeln für seine Unterwerfung bestimmt. Doch dieses Wechselspiel mit der Wahrnehmung zwischen Sehen, Nicht-Sehen, Hören, Schweigen und all ihren Abstufungen in dem gelungenen Bühnen-Raum-Konzept kann nicht das gesamte Stück tragen. Nach der Exposition verflacht die Inszenierung zusehens, auch weil der Regisseur jegliche Stellungnahme, eine klare Handschrift verweigert. Blomeier trägt die Inszenierung mit ihrem recht facettenreichen Spiel - bis der ominöse dritte Mann, gespielt von M. Hummitzsch, auftritt. Ab hier erleidet das Stück einen Bruch, was sicher auch der dramaturgischen Tatsache geschuldet ist, dass eine eine wesentliche Figur erst so spät eingeführt wird. Diese Rolle "kräftig und dominant wie ein Eisbär" gibt mehr nicht her als ein paar Lacher, die Hummitzsch souverän auf seine Seite zieht. Von den leisen, unterschwelligen Tönen wie zu Beginn ist freilich nichts mehr zu hören. Als dann auch noch die Peitsche raus geholt wird, ist die Inszenierung endgültig auf dem Niveau einer Klammotte angekommen.
Schade.
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