Von der Schicksal-Tolpatschigkeit des Menschen

von Lena Schneider

Edinburgh, 19. August 2007. Juno ist zornig. "Ich will Aeneas unter Wasser sehen", singt Kamala Sankaram auf italienisch, eine Säule im bodenlangen Kleid, unverrückbar in der Bühnenmitte des Royal Lyceum Theatre. Troja, Aeneas Heimat, liegt in Schutt und Asche. Nun will er in die Welt hinaus fahren, um eine neue zu finden. Aber die Sterne stehen nicht gut.

Denn Aeneas (John Young) ist der Sohn von Venus, das macht ihm Juno zum Feind: Sie ist von Eifersucht geplagt, seit der Trojaner Paris Venus und nicht sie zur schönsten Göttin kürte. Deshalb soll Aeneas jetzt vom Meer, das er bezwingen will, verschluckt werden. Schon zu Beginn von "La Didone" ist klar, dass der Mensch keine Chance gegen die höheren Gewalten hat, denen er ausgesetzt ist. Er ist nicht einfach machtlos, er ist ahnungslos; er kann, was geschieht, nicht ändern, weil er es nicht versteht.

Die Woosters in Edinburgh 

Die menschliche Ahnungslosigkeit um das eigene Schicksal ist ein, wenn nicht gar das, Thema von "La Didone". Die New Yorker Wooster Group gastiert dieser Tage mit einer erfrischend eigenen Fassung der Oper von Francesco Cavalli beim International Festival in Edinburgh – zum zweiten Mal, nach "The Road to Immortatlity (Part 2)" von 1986, einer Produktion, die Arthur Millers "The Crucible" mit einem LSD-Trip verquickte.

Für die Wooster Group, seit ihrer Gründung 1975 unter der künstlerischen Leitung von Elizabeth LeCompte, ist das menschliche Nicht-Wissen nichts nur Tragisches, sondern komisch, alltäglich. Die Regie von Elizabeth LeCompte zeigt uns diese Ahnungslosigkeit als kollektive Dauerkrankheit, das Stolpern im Dunkeln als in seiner Tollpatschigkeit liebenswerte Eigenschaft der Menschen durch alle Zeiten hinweg. So taumeln in die gebieterische Rachearie der Göttin Juno im Barockkleid unsanft drei Gestalten in aluminiumglänzenden Raumfahrtsanzügen (Kostüme: Antonia Belt). Auf Barock trifft Sechziger-Jahre-Chic, auf gesungenes Italienisch genuscheltes Amerikanisch: "Kannst du irgendwas erkennen, Burt?"

Die Astronauten in der Barock-Oper ratlos

Der Eindruck, plötzlich im falschen Film zu sein, trügt nicht: Die drei amerikanischen Raumfahrtshelden sind Charaktere aus "Planet of the Vampires", einem Science Fiction Streifen von 1965. Videoleinwände im Bühnenhintergrund zeigen Ausschnitte daraus, liefern sogar immer wieder die Vorlage für die Szenenkonstellation; die Schauspieler zitieren die übertrieben knarzigen Gesten zweitklassiger Hollywoodschinken, gesprochen und gesungen wird durchweg über Mikroports. Wie der antike Aeneas sind die drei auf einer Reise ins Unbekannte unterwegs und haben keinen Schimmer, was ihnen auf dem fremden Planeten, den sie gerade betreten haben, blüht. Und ahnen doch, wie der griechische Held: "Nichts hier ist Zufall."

Auf Erden? Im Abgrund? Im Paradies? 

Aeneas trifft auf Dido (Hai-Ting Chinn), die schöne Königin von Karthago, und verliebt sich in sie, was wiederum Iarbas, einen Verehrer Didos, in den Wahnsinn treibt. Parallel dazu werden die amerikanischen Raumfahrer von außerirdischen Energien bedroht, die sie sich nicht erklären können und verlieren darin (nahezu) den Verstand. Alle außer Juno tragen den silberfarbenen Raumfahrt-Look; obwohl die Protagonisten der verschiedenen Epochen einander nicht sehen, sind sie Teil der selben Geschichte, scheinen sich beide Seiten einer anderen Präsenz bewusst – und sind es doch nie ganz. "Bin ich auf Erden? Im Abgrund? Oder im Paradies?" singt etwa Dido, als sie sich ihrer Liebe zu Aeneas bewusst wird. "Wer ist da? Was ist das?" zischeln sich die verängstigten Raumfahrer zu, als sie nach und nach fremde Formen des Lebens um sich wittern.

In Oper und Weltraum: schmerzlich unfrei 

An einigen wenigen Stellen vermischen sich beide Welten vollkommen: Es sind Momente des Wahnsinns, des Außer-Sich-Seins, da Figuren über die eigene Geschichte hinweg sehen. Der liebestolle Iarbas (Countertenor Andrew Nolen) zum Beispiel findet sich im Duett zusammen mit einem Kosmonauten; und Dido greift zur Laserwaffe als sie sich aus Liebesschmerz das Leben nehmen will. Diese Berührungspunkte verlieren sich so rasch, wie sie geknüpft wurden.

Der Charme, der Witz der Aufführung liegt darin, dass die armen Teufel auf der Bühne so blind sind; dass sie ihre Rollen mit dem größten Ernst, der umfassendsten Sorgfalt darbieten, taub für die oft überlappenden Töne oder parallel gesungenen oder gesprochenen Passagen; dass barocke Oper und Sci-Fi Horror gleichwertig angesehen und gleichermaßen beschmunzelt werden können. Das geht nicht ohne eine gewisse Tragik: Indem die Figuren Filmszenen nachstellen, die Worte anderer Charaktere unwissentlich wiedergeben und in festgelegten Bewegungsmustern fest hängen, sind sie auf schmerzliche, alltägliche Weise unfrei. Auch ohne göttliche Einmischung. 

 

La Didone
nach Franceso Cavalli und Gian Franco Busenello
Regie: Elizabeth LeCompte, Regieassistenz: Jennifer Griesbach, Musikalische Leitung: Bruce Odland, Ausstattung Ruud van der Akker, Video: Zbigniew Bzymek, Anna Henckel-Donnersmarck, Reid Farrington.
Mit: Hai Ting Chinn, Ari Fliakos, Hank Heijink, Andrew Nolen, Kamala Sankaram, Scott Shepherd, Harvey Valdes, Kate Valk, Judson Williams, John Young.

thewoostergroup.org
www.eif.co.uk

 

Kritikenrundschau

Nicht so radikal wie gewöhnlich, aber zärtlich wie selten, fand Lyn Gardner vom Guardian (19.8.2007) das Edinburgh-Gastspiel der Wooster Group mit La Didone. Wenn man erst einmal den Schock überwunden hätte, dass eine Kapelle mit Akkordeon und E-Gitarre die barocke Musik zu Gehör brächte, und wenn man sich daran gewöhnt hätte, dass alle im silbernen Raumanzug auftreten, "it all makes a good deal of sense."

Interessantes wusste Mark Fisher schon letzte Woche im Guardian von einem Gespräch mit Wooster-Chefin Elisabeth LeCompte zu erzählen (9.8.2007). Wie bizarr auch immer der Zusammenstoß der (ästhetishen) Kulturen ausfalle, der Irrsinn der Regisseurin habe Methode. "Jungenszeug", sagt Frau LeCompte, "Jungenszeug". Wir zitieren die große alte Dame der Wooster Group im Original: "I attached right away to the idea of a big male journey in the opera La Didone," says LeCompte. "So I thought of space [in "Planet of Vampyre"], which is another male journey." In der Oper wie im Trash-Film gehe es um Weggehen und Heimkommen und in beiden sei der barocke Raum der nämliche, sagt wenigstens Frau LeCompte.

In er FAZ (22. 8.2007) nennt Gina Thomas die Verschmelzung von Oper und Film "brutal" und möchte die Barockarien  von Cavalli nicht von entleibten Stimmen und knisternden Maschinen der Außerirdischen überlagert hören, "nur weil die selbstgefällige Truppe aus New York meint, auf eine lustige Idee gestoßen zu sein." Auf "gegenwartsgerechtre Weise" solle gezeigt werden, dass der Mensch der höheren Gewalt unterliege. "Das alles soll humorvoll und ungeheuer tiefsinnig sein. Zum Mitlachen aber ist es ungeeignet."  

 

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