Peymanns Geist in Hartmanns Burg

von Stefan Bläske

Wien, 14. Dezember 2009. Eine Burg ohne Gespenster wäre wie ein Käfig ohne Vogel. Und insofern darf man das Burgtheater wohl zu dieser gespenstischen Veranstaltung beglückwünschen: dem 1. öffentlichen Publikumsgespräch mit der Direktion und dem "Publikumsforum". Die Muse Thalia und der Geist Claus Peymanns wurden hier beschworen, gemeinsam blickte man herab auf den gegenüberliegenden Christkindlmarkt und so manches andere deutschsprachige Theater.

Souverän und humorvoll trat er auf, voller Charisma und mit reichlich Anekdoten im Gepäck. Man spürt: Matthias Hartmann, ist gut darin, seinem Gegenüber zu erzählen, was es hören möchte und dabei, geisterhaft gleichsam, das Gewünschte als Realität heraufzubeschwören. Das Wiener Publikum "lebe vom Theater", es brauche Theater "wie Essen und Trinken" (und Honig ums Maul), es sei verlässlich und komme kontinuierlich.

Ganz anders in Zürich, wo man nur das Event schätze, sich für keine Inszenierungsgespräche interessiere, und wo im übrigen bisher noch jeder Intendant rausgeflogen sei – bis auf Hartmann selbst, der von alleine ging. Natürlich nach Wien, wo das Publikum so treu und theaterbegeistert ist.

Gerichtet? Gerettet?

Vor lauter Begeisterung interessierte sich das graumelierte Publikum dann vor allem für sich selbst und das "Publikumsforum". Es tat wunschkonzertant kund, dass es die Grafik des Monats-Leporellos unübersichtlich finde und die von Johannes Schütz im Kasino eingebauten Bankreihen zu unbequem seien (dabei sind sie nicht nur totschick, sondern auch kuschlig weich gepolstert). Die wiederholten Erinnerungen, sich doch bitte auch mal für die Kunst auf der Bühne zu interessieren, führten schließlich zu der Frage, warum denn in Faust I am Ende "gerichtet/gerettet" gestrichen wurde.

Spätestens dann hat man volles Verständnis dafür, dass Matthias Hartmann das Gepräch nach einer Stunde charmant-bestimmt beendet. Ein bisschen bemitleidet man ihn fast für sein theaterbegeistertes Publikum.

Aber immerhin, es laufe alles sehr gut, die Vorstellungen seien "rappelvoll" – mit Ausnahme freilich der Übernahmen aus der letzten Spielzeit. Soll heißen: Mit Hartmann wird nun alles besser. Vorgänger Klaus Bachler wird beschrieben als der, der Hartmanns Zürcher Faust-Projekt erst boykottierte (indem er eine Koproduktion und Gert Voss als Darsteller verweigerte), um es in Wien dann selbst vorwegnehmen zu wollen. Also bitte, möglichst wenig von den (weibs)teuflischen Altlasten aus der alten Intendanz. Stattdessen fünf Übernahmen von eigenen Inszenierungen aus Bochum und Zürich.

Eitelkeit? Hybris?

Das habe, erläutert Hartmann rührend, rein pragmatische Gründe, "kommt nicht aus Hybris oder Eitelkeit". Es sei schon toll, wenn man seine besten Produktionen mitnehmen, die schlechten zurücklassen könne. Und ja, er würde die Stücke heute wieder so ähnlich inszenieren. Das hat er auch schon deutlich gezeigt. Zum Beispiel im Nebeneinander von Faust II und Christian Krachts "1979". Was Hartmann in seiner Bochumer Inszenierung von 2003 anwendet, findet sich fast ident in seiner Wiener Eröffnungsproduktion wieder – damit auch Goethe kracht!

Und warum Erfolgsrezepte nicht recyceln? Es sind die gleichen technischen Taschenspielertricks auf halbtransparenten Leinwänden. Wir staunen über die selben Kamera-Effekte (etwa das Gesicht, das im Videobild per Rorschach-Spiegelung zum Zyklop verzerrt wird), und sehen wiederholt das Kinderspielzeug, das per Kamera zum Männerspielzeug vergrößert wird. Mit Unterschieden immerhin: In "1979" ist's ein Panzer, bei "Faust II" wird gebaggert.

Die Video-Arbeiten stehen im Zeichen der Bildproduktion, Hartmanns andere Inszenierungen vor allem "im Dienst des Textes". Abonnentenfreundlich sanft und seicht wippen sie so vor sich hin und her, wie der Bühnenboden in Immanuel Kant und in Warten auf Godot.

Hamburg? Berlin?

Und ja, Gastspiele soll es – neben den quasi einverleibten Gastspielen der Needcompany, den bisher erfreulich erfrischenden Artist-in-Residence-Produktionen – auch geben. Man sei im Gespräch mit dem Thalia Theater Hamburg, auch mit dem Deutschen Theater Berlin. Es gehe um einen Austausch, und der sei das Problem: "Die wollen mehr von uns als wir von denen." Wien wolle nur zeigen, was sich lohnt, und wartet ergo noch auf etwas Sensationelles.

Man darf gespannt sein, wie lange es dauert, bis im deutschsprachigen Raum eine Produktion entsteht, die gut genug ist für ein Gastspiel an der Burg. Weniger wählerisch ist Hartmann, wenn es um Claus Peymann geht. Der wird sich an Silvester und Neujahr eine Hose in Wien kaufen (mit Beil und Bernhard), sein neues Buch Peymann von A-Z signieren, und dann auch noch seinen "Richard II." (Berliner Ensemble, 2000) für die Burg reanimieren. Mit Michael Maertens in der Titelrolle, der ja bislang erst in Bachmanns Lorenzaccio und Hartmanns "Amphitryon", Immanuel Kant sowie Warten auf Godot hauptrollt.

Hartmann! Und Peymann!

Peymann also wird wieder spuken dürfen an der Burg, und er tut das ohnehin in diesem Publikumsgespräch. Nicht nur von dem Herrn, der sich als "Teil des Peymann-Grüppchens" tituliert, bekommen wir zu hören, wie gut das damals alles war. Schließtage waren bei Peymann so selten, die wurden sogar in der Zeitung aufgelistet, und die Publikumsgespräche waren immer voll und lebendig!

Er dürfte sich freuen das zu hören, der Berliner Ensemblemensch, oder genauer: Selbstdarsteller. Aber er weiß ja ohnehin, dass er der Beste war und ist und sein wird. Stellen wir uns vor: "Claus Peymann verlässt Berlin und geht als Burgtheaterbespaßer nach Wien!" Da würde sich nicht nur Klaus Wowereit freuen. Und Peymann wäre dann schon ein gutes Stück weiter auf seinem Weg gen Italien, zu Berlusconi, mit dem er nicht nur das Alter gemein hat, und den sich Peymann nach dem "langweiligen" deutschen Kanzlerduett so sehr herbeigesehnt hat.

Ach! Alle wären glücklich. Berlin und Wien, Hart- und Peymann, und besonders die theaterbegeisterten Teilnehmer dieses ersten Publikumsgespräches. Gerichtet? Nein, gerettet!

 

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