Unterm Sternenhimmel

von Ulrike Gondorf

Bonn, 15. Dezember 2009. Gut zwei Jahre ist es her, dass Heaven (zu tristan) seine Uraufführung erlebt hat: Verfasst und inszeniert von Armin Petras, der sich als Autor aber Fritz Kater nennt. Die Aufführung, eine Koproduktion von Schauspiel Frankfurt und dem Berliner Maxim Gorki Theater, war starbesetzt und preisgekrönt. Und all das zusammen vielleicht so einschüchternd, dass sich lange keine Bühne zum Nachspielen entschlossen hat. Bis jetzt das Bonner Theater eine Neuinszenierung gewagt hat, in Zusammenarbeit mit der freien Gruppe fringe ensemble und mit der risikobereiten Entscheidung für einen jungen Regisseur: Jan Stephan Schmieding.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: ein knapperer, schlankerer, kargerer Abend als die Uraufführungsinszenierung, aber eine Aufführung, die mit klug reduzierten theatralischen Mitteln und außerordentlich gut geführten, überzeugenden Darstellern das Potential von "Heaven (zu tristan)" glänzend bestätigt.

Auch ohne DDR-Kontext ein dringliches Stück
Als einen Beitrag zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hat das Bonner Theater diese Auseinandersetzung mit einer Geschichte angekündigt, die von den Verlierern der Wende und ihren rückwärtsgewanden Utopien erzählt. Das Stück spielt in der Stadt Wolfen, die zu DDR-Zeiten dank ihrer Chemieindustrie florierte und seit 1989 nun unaufhaltsam leerläuft und ausblutet. Arbeitslosigkeit, Abwanderung, lähmender Mangel an Perspektiven bestimmen das Leben der handelnden Figuren: Anders, ein junger Architekt, wagt den Absprung, will nach Amerika und verlässt seine Freundin Simone, die daran psychisch zerbricht. Todkrank kehrt er schließlich nach Hause zurück. "Tristan und Isolde" in der Plattenbausiedlung, ein Abgesang auf ein sterbendes Land.

So kann man das Stück lesen, und so hat man es vielleicht mit Blick auf die DDR-Prägung des Regisseurs und Autors Armin Petras nach der Uraufführung zunächst einmal getan. Das wichtigste Ergebnis dieser Bonner Premiere ist: Der Text braucht diesen dominierenden Kontext gar nicht. Auch nicht den Anlass der 20-Jahr-Feiern des Mauerfalls.

Konkretion allgemeiner Abstiegsängste
Im äußersten Westen der Republik, realisiert von einem aus dem Ruhrgebiet stammenden Regisseur, der in der Schweiz seine ersten Inszenierungen erarbeitet hat, und mitten in einer Wirtschaftskrise, die Arbeits – und Perspektivlosigkeit und verödende Städte endgültig nicht mehr geographisch verorten lässt, zeigt sich deutlich, dass das Stück seine Autonomie und Lebensfähigkeit einem größeren, aktuellen, aber nicht mit einem einzigen historischen Datum verbundenen Thema verdankt: der Angst vor Abstieg und Beziehungsverlust, dem Versiegen der konstruktiven Kräfte, dem Zerbrechen von Lebensbedingungen, auf die man seine Zukunft gegründet hat. 1989 und die Folgen – das erscheint in der Inszenierung von Jan Stephan Schmieding nicht mehr wie das Thema selbst, sondern nur wie eine konkrete Einkleidung, die das existentielle Problem exemplarisch sichtbar werden lässt.

Lakonisch, ironisch, melancholisch
Die Figuren agieren auf einer weißen Spielfläche mit halbhohen Trennwänden, die mal Balkonbrüstung, mal Wohnküche, mal Schwimmbad suggerieren und mit Hilfe von Projektionen auch Sternenhimmel und Kosmos und die Alpträume einer schwarzen Romantik ins Geschehen holen kann. In lakonischem, manchmal bitter-ironischem, manchmal heiter-melancholischem Ton streiten sie mit sich selbst und miteinander. Nicht nur "Altmeister" wie Wolfgang Rüter und Tatjana Pasztor als Elternpaar balancieren hier virtuos über seelische Abgründe, auch die jungen Darsteller, drei aus dem Bonner Theater und zwei vom fringe ensemble, schaffen es, ihren Text aufzuladen und zum Schwingen zu bringen mit dem Ungesagten.

Und allen gelingt ein nicht geringes Kunststück: die gefährlich langen Exkurse, die Fritz Kater dem Umsturz des physikalischen Weltbilds durch Tycho Brahe und Kopernikus oder der zwischen Novalis und Edgar Allan Poe changierenden schwarzen Romantik widmet, befreien sie von allem Ballast der Sekundärliteratur und gestalten sie als lebendige und authentische Äußerungen ihrer Charaktere.

Dahinter darf man auch die konsequente und detailgenaue Regiearbeit von Jan Stephan Schmieding vermuten. Die schauspielerische Homogenität und Qualität der Aufführung mit Akteuren aus zwei Ensembles und die Leichtigkeit und unaufdringliche Tiefe des Abends sprechen entschieden für ein herausragendes Talent.

 

Heaven (zu tristan)
von Fritz Kater
Regie: Jan Stephan Schmieding, Bühne und Kostüme: Marlene Baldauf, Video: Patrick Durst. Mit: Philine Bührer, Justine Hauer, Tatjana Pasztor; Konstantin Lindhorst, Nico Link, Manuel Klein, Wolfgang Rüter.

www.theater-bonn.de
www.fringe-ensemble.de

 

Hier gehts zur Uraufführungsinszenierung von (Heaven) zu tristan vom September 2007. In Bonn wurde zuletzt Zwei Welten von Frank Heuel besprochen, nämlich im Oktober 2009. Und hier mehr über Armin Petras.

Kritikenrundschau

"Heaven" sei nicht unbedingt das beste Stück von Fritz Kater, wirke mit seinen vielen Anspielungen von Wagner bis Marietta Blau überladen und dramaturgisch schwach. "Vielleicht hätte Regisseur Jan Stephan Schmieding hier noch beherzter streichen sollen", so Hans-Christoph Zimmermann im Bonner General-Anzeiger (17.11.). Vielleicht fehle seiner Inszenierung aber auch der trockene melancholische Ton Katers, "das zeigt sich vor allem bei den jungen Figuren." Fazit: "Am Ende trotzdem ein gelungener Abend, auch wenn die Inszenierung nicht ganz der Gefahr des Illustrativen und gelegentlich auch Sentimentalen entgeht."

Kommentare  
Heaven (zu tristan) in Bonn: verquast, vordergründig
Ein verquastes Stück mit aufgepropften Versatzstücken aus der Vergangenheit (Odin, Tycho Brahe, Marietta Blau, Victor Hess) Bedeutsamkeit heischend aufgepeppt wird mit dem (noch dazu kostümierten!) Bezug zu (Wagners) Tristan & Isolde peinlich klamottenartig endend wird in der Bonner Inszenierung vordergündig ausgespielt. Die traurigen Verhältnisse in Ostdeutschland und das gute Ensemble hätten besseres verdient
Kommentar schreiben