Tod eines Tyrannen

 von Nikolaus Merck

Berlin, 18. Dezember 2009. Am Ende sind es ein paar verstreute Momente. Das Innehalten von Nicolae Ceaușescu bei seiner letzten öffentlichen Rede vom Balkon des Präsidentenpalastes in Bukarest, als sich im Volk zu seinen Füßen ein Rufen und Pfeifen erhebt, kurz bevor der grob gerasterte Videofilm abreißt. Das Bild, in dem der Hubschrauber mit den fliehenden Ceaușescus vom Dach des Palastes abhebt und die Kamera über die wogende Menschenmenge auf dem Vorplatz schwenkt und man Bruchteile von Sekunden lang die alle Widerstände hinwegspülende Macht von Volksmassen in Bewegung erahnt.

Oder die, trotz gelegentlicher empörter Ausbrüche, im Grunde unglaubliche Gelassenheit, mit der die schöne Victoria Cocias als Elena Ceaușescu den inszenierten Prozess verfolgt, den Offiziere der Armee gegen sie und ihren Mann im beengten Sitzungszimmer einer Kaserne irgendwo in Rumänien führen. Eine Gelassenheit, von der man lange vermutet, sie würde mit einem bitteren Erwachen enden, wenn Madame Ceaușescu erkennt, dass diese scheinheilige Tribunalfarce für sie tatsächlich mit dem Tod enden wird.

Tragische Helden eines Monumentalschinkens
Aber gerade dieser Blitzschlag bleibt aus. Elena und Nicolae Ceaușescu (Constantin Cojocaru) verhalten sich noch nach 35 Jahren nahezu unumschränkter Machtausübung wie das stalinistisch-gleißnerische Trivialbild von Revolutionären, die einst für ihre Überzeugungen im faschistischen Gefängnis saßen. Sie wehren sich zwar dagegen, gefesselt zu werden, doch nur weil sie aufrecht und, vor allem, gemeinsam vor das Erschießungskommando treten wollen: "Wir haben gemeinsam gekämpft und werden auch gemeinsam sterben." Die Hauptverantwortlichen für die Verwüstung eines Landes, in dem die Menschen zuletzt ohne Strom und Heizung im Dunklen vegetierten, bekommen so den menschlichsten Augenblick für sich.

So sind es am Ende nur wieder die klassischen Drehpunkte einer geschichts-mythisierenden Dramaturgie, die dem Berichterstatter bleiben. Der Moment, da der Tyrann vor aller Augen die Macht verliert, die Flucht, der stolze Gang in den Tod. Ganz einerlei dabei, dass die Ceaușescus nicht die tragischen Helden eines historischen Monumentalschinkens, sondern politische Verbrecher ersten Ranges waren.

Das Reenactment des Ceaușescus-Prozesses, das Milo Rau und sein International Institute of Political Murder in monatelanger Recherche, nach Dutzenden Stunden von Interviews mit Beteiligten an den Ereignissen rund um Weihnachten 1989 zusammengepuzzelt haben, sieht auf der Bühne im HAU aus wie eins der biographischen Dramen, wie sie etwa Michael Frayn als well made play verfertigt. Wir sehen in das detailgetreu nachgebaute Kasernenzimmer, eine Orgie in sozialistischem Holzersatz, ocker und braun mit dem Weiß der Sichtschutzgardine aus einem VEB Textil & Tapete, die dritte und vierte Wand fehlen. Die vage den historischen Akteuren ähnelnden Schauspieler bemühen sich, in Gestik, Mimik und Tonfall das auf Video gebannte Bild des Geheimprozesses nachzuahmen. Mag sein, dass diese magische Beschwörung eines historischen Ereignisses in Rumänien die angestrebte Wirkung eines Reinigungsrituals entfaltet. Es ist zu wünschen.

Symbolische Befreiung von politischer Schuld
Denn in Rumänien, so berichtet Rau im äußerst informativen Begleitbuch, werden die Umstände dieses Prozesses weitgehend beschwiegen. Kein Wunder, handelt es sich doch bei den selbsternannten Richtern um Teilhaber an Ceaușescus Macht und zugleich um seine Nachfolger. So diente der Conducator dem Herrschaftsapparat als klassischer Sündenbock. Seine Opferung befreite die Machthaber symbolisch von politischer Schuld. Wes Geistes Kind Ceaușescus Nachfolger waren, deuten Interviewstatements an, die als Filme dem Prozess-Reenactment vorangestellt werden. Nachgespielt von Schauspielern, erzählen Protagonisten, wie sie den revolutionären Befreiungsakt 1989 erlebt haben.

"Wir waren eine Handvoll Hysteriker", berichtet etwa Ion Caramitru (Mircea Rusu), prominenter Anführer bei der Erstürmung des staatlichen Fernsehsenders. Erst später erfuhren sie, dass die Securitate-Agenten, die sich auf die Seite der Revolutionäre schlugen, die Erstürmung des Senders heimlich auf Film aufnahmen, um für den Fall der Rückkehr Ceaușescus diese Bilder als Beweismaterial gegen die Rädelsführer verwenden zu können. Oder die groteske Situation, in der sich die lange verfemte Dichterin Ana Blandiana (Victoria Cocias) wiederfand, die offiziell als Mitglied der von der Front zur Nationalen Rettung gebildeten provisorischen Regierung firmierte, aber absichtlich nicht informiert worden war, wo sich dieses Kabinett aufhielt.

In Blut waschen
Während Rau versucht, den Prozess, der ebenfalls gefilmt wurde, von seinen Schauspielern bis in Gesten und Tonfall hinein minutiös nachzustellen, erlaubt er sich bei seinen auf sechs Rollkästen projizierten Filmen mehr Freiheiten. Seitenblicke und Körperhaltungen veranschaulichen die Beziehungen zwischen diesen Zeitzeugen, als stünden die Schauspieler gemeinsam auf einer Bühne. Wenn zuletzt General Stanculescu (Constantin Draganescu) seine Aussage macht, wenden sich alle anderen ab und ihr Bild erlischt. Stanculescu, später verurteilt als Verantwortlicher der Massaker von Temeswar, wo der Umsturz begann, glaubt heute, er diene seinerseits als Sündenbock für Ceaușescus Verurteilung und Ermordung.

Dabei spielte er tatsächlich den Judas. Stanculescu, gerade erst zum Verteidigungsminister ernannt, riet dem Herrscherpaar zur Flucht aus Bukarest und leitete den Prozess in der Provinz an. Dabei hatte sich der General nach seiner Rückkehr aus Temeswar eigens ein Bein in Gips legen lassen, um sich jeder weiteren Inanspruchnahme durch das Regime zu entziehen. Wirkliche Revolutionen, so heißt es, müssten sich in Blut waschen.

Als einzige der osteuropäischen Revolutionen von 1989 hielt sich die rumänische an diesen grausamen Lehrsatz. Doch weder der Tod des Tyrannen, noch die Videobilder, die fast lückenlos den Verlauf des Umsturzes dokumentieren, verbürgen die "Wahrheit" der Revolution. Dass wir trotzdem an die Bilder glauben und an die Magie des symbolischen Opfers, haben uns aufgeklärten Resteuropäern ausgerechnet die als Hinterwäldler und Barbaren verschrienen Rumänen demonstriert.

 

Die letzten Tage der Ceaușescus (UA)
Idee, Buch und Künstlerische Leitung: Milo Rau
Regie: Milo Rau und Simone Eisenring, Produktion und Dramaturgie: Jens Dietrich, Recherche: Milo Rau und Jens Dietrich, Video, Ton und Aufzeichnungsregie: Marcel Bächtiger.
Mit: Victoria Cocias, Constantin Cojocaru, Constantin Draganescu, Alexandru Mihaescu, Eugen Cristian Motriuc, Mircea Rusu.

In Koproduktion mit Teatrul Odeon Bukarest, HAU Berlin, Schlachthaus Theater Bern, Theaterhaus Gessnerallee Zürich, Südpol Luzern.

www.die-letzten-tage.com
www.international-institute.de
www.hebbel-am-ufer.de

 

Mehr lesen über Produktionen zum Jubliäum des Wendejahrs 1989? In Dresden ließ Armin Petras im Dezember 2009 in Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame Claire Zachnassian nach Ostdeutschland zurückkehren. In Bremen hielt Markus Heinzelmann im Dezember 2009 mit David Gieselmann Ausschau nach den berühmten Blühenden Landschaften.

 

Kritikenrundschau

Von einem quälend dichten, absurd detailgetreuen Theaterabend spricht Kai Luehrs-Kaiser auf Welt Online (21.12.2009). So "stickig, armselig, scheinbar authentisch und schauspielerisch kongenial das hier im ranzigen Tapetenwinkel" nachgespielt werde, so wohltuend ernsthaft bleibe der Abend. Rekonstruktion scheint für den Kritiker immer noch die beste Form der Dekonstruktion. Allerdings gibt er zu bedenken, dass Doku-Theater nur, wenn dieb Informationen auf einen fruchtbaren Boden fallen. "Im Berliner Hau 2 (dem Haus der alten Schaubühne) sitzen fast nur junge Leute. Ihr knapper Applaus lehrt: Ihnen sagen diese vor 20 Jahren erschütternd gewesenen Sachverhalte wenig. Bleibt der Sensationswert, der durch Pseudoobjektivität zugleich bedient und subtil unterlaufen wird."

Eine "beträchtliche Aufarbeitungsarbeit" attestiert Frank Kallensee dem Abend in der Potsdamer Märkische Allgemeinen (21.12.2009) "Auf den dritten Blick ist das Ganze aus seiner Sicht jedoch auch ein Abstecher in die Volkshochschule. "Mit dem Unterschied, dass der steife Zeigefinger der Geschichtspädagogik hier anderthalb Stunden lang von Klängen umwabert wird, die als Kunst gemeint sind, tatsächlich aber bloß die Synapsen strapazieren."

In der Berliner taz (21.12.2009) fällt es Doris Akrap schwer, zwischen dem Theaterabend und den Ereignissen zu unterscheiden, die ihm zu Grunde liegen. So empfiehlt sie den begleitenden Band zu dem Bühnenstück, der im Verbrecher Verlag erschienen ist. "Zum ersten Mal werden hier einem deutschen Publikum Interviews, Materialien und Dokumente präsentiert, die der Wahrheit hinter der rumänischen Tele-Revolution ein wenig näher kommen."

Kommentare  
Ceausescus: überästhetisiert und emotional gepusht
Die Idee, die Szenerie des Prozesses und der Hinrichtung der Ceaușescus als Reenactment auf die Theaterbühne zu bringen, ist gut und ließ Erwartungen aufkommen. Die Art der Umsetzung (und die technischen Fehlbarkeiten beispw. der Synchronisation der Übertitel) entwerten diese. Warum muss ein permanenter sphärischer Klang im Hintergund die ganze Szenerie ins Emotionale pushen? (Hat die Inszenierung so wenig Potential, dass man zu diesem Mittel greifen muss?) Worin liegt der Sinn der lästigen close-ups und der unmotivierten bzw. auf falscher Motivation beruhenden Überschneidungen des dokumentarfilmartigen ersten Teils? Dies erinnert eher an Guido Knopps ZDF-Histotainmentabende als an eine klare Sprache, die das Stück doch finden möchte oder zumindest sollte.
Insofern veranschaulichen die Mittel zwar den eigentlichen Charakter der Revolution '89 in Rumänien als Fernsehereignis, gleichsam ist dies aber die Grube, die sich die Inszenierung selbst gräbt und und die sie dann auch fällt.
Denn sicherlich ist es ein Weg, mit den Mitteln des Filmens und Schneidens den Charakter der schon im Moment des Entstehens aufs Videotape gebannten Revolution veranschaulichen zu wollen. Doch auf diese plakative, ja fast reißerische Weise schadet dieser mehr als er aufzuzeigen versuchen könnte. Die gut recherchierten Informationen gehen dabei unter oder werden durch eine überästhetisierte Vermittlung inhaltsleer. Und das ist einfach schade.
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