Vier Oscars für die Kulissenschieber

von Stefan Bläske

Wien, 20. Dezember 2009. Buhlend suhlen sich die beiden im Whirlpool, reiben ihre nackten Leiber mit Schaum ein und lassen sich höchst ungern vom Boten stören, der Nachricht bringt von der Welt jenseits der Wannenwonne. Wir befinden uns im Jahre 40 v. Chr. Der ganze Mittelmeerraum ist von den Römern besetzt ...

Ganz Mediterraneo? Nein! Ein Jahrzehnt muss noch vergehen, ehe Octavius Caesar (der spätere Augustus) mit seiner flotten Flotte siegen und frohlockend "mare nostrum" rufen kann. Es ist das Jahrzehnt zwischen dem Kennenlernen von Cleopatra und Antonius und ihrem Selbstmord. Eine der wenigen Lateinlehrerlektionen mit Sexappeal, und nicht von ungefähr Stoff für einen der teuersten Filme aller Zeiten.

Asterix meets Liz Taylor
Schon Shakespeare war nicht gerade sparsam: Der Plot erstreckt sich über zehn Jahre, umfasst mehr als 30 namentlich aufgeführte Figuren, dazu Boten, Soldaten, Wachen und Diener. Schauplatz ist – ganz lapidar – "das römische Imperium". Anlass genug für Stefan Pucher, im Burgtheater nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Herausgekommen ist ein Historien- und Monumentaltheater, eine Zitatenmaschine in der Ästhetik zwischen Asterix-Zeichentrick und Liz-Taylor-Hollywood-Schmonzette.

Kriegs- und Segelschiffe queren die Bühne, Pharaonen-Throne mit Elefantenskulpturen werden herumgeschoben, ebenso ein überdimensionales Caesaren-Gesicht und eine turmhohe KingKong-Statue als Redner-Tribüne römischer Machthaber. Welch Kulisse! Aber ach, was als großes Kino konzipiert ist, verkommt zum faden Faschingsumzug, zum kitschigen Karneval der Kulturen. Zu einer imperialen Love Parade, nur ohne Liebe.

Intimitäten für die Nachwelt
Dabei sollte es um die doch gehen. "Der Liebeswahn" hat den tapferen Feldherren Antonius "in den Narren einer Hure" verwandelt. Bei Shakespeare prallen einerseits zwei Kulturen, Römer und Ägypter, und andererseits zwei Machtmänner, Antonius und Caesar, aufeinander. "Verliere dich im Augenblick", ist die Devise des Lustmenschen Antonius, der sich mit der schönen Ägypterin schaumschlägernd vergnügt. "Nein, kontrolliere ihn", erwidert Caesar, der zur Seeschlacht rüstet und schlussendlich alles kontrollieren wird.

Stefan Pucher schlägt mit seiner so monumentalen wie hohlen Inszenierung folgende Lesart vor: Die Liebe zwischen Antonius und Cleopatra begreift er als reinen Wunschtraum, als "eine riesige Behauptung". Die Figuren seien allein damit beschäftigt, "um die Herrschaft über ihr Bild in den Geschichtsbüchern" zu kämpfen. Entsprechend stellen sie sich am liebsten an die Bühnenrampe und adressieren, selbst wenn sie Intimes miteinander besprechen, direkt das Publikum. Es geht ihnen weniger um den Menschen an ihrer Seite als um das Bild, das sie der Nach(richten)welt vermitteln.

Caesar, der Fuchs, und Antonius, der Wolf
Dabei hat jeder seine eigenen Inszenierungsstrategien: Cleopatra (Catrin Striebeck) sucht die großen Posen, nimmt als Tableau-vivant am liebsten symmetrische Haltungen ein, aufrecht und steif. Oft steht sie da wie eine schmucke Vase, noch öfter streckt die Leichtbekleidete ihre goldreifgezierten Arme von sich, zwecks Machtdemonstration oder sexueller Verführung. Urplötzlich kann sie aggressiv tun und fauchen wie 'ne Wildkatze, dann aber wieder elegant den Kopf ins Profil drehen. Was für eine Nase!

Auch Caesar, mit weißer Schärpe und silbernem Loorbeerkranz, streckt seine Gliedmaßen gerne von sich, aber viel vitaler, temporeicher, ein bisschen tuntig fast. Seine Nase hat er immer einen Tick zu überheblich in die Luft gereckt, und wenn er große Reden schwingt, dann schwingt er auch die Hüften. Alexander Scheer, der als Micha die "Sonnenallee", als Othello das Hamburger Schauspielhaus und zuletzt als Kean die Volksbühne zum Tanzen brachte, darf sich als Caesar nicht so richtig austoben, aber immerhin Singen, E-Gitarre und Harfe spielen. Für Begeisterungsrufe eines weiblichen Fans reicht das. Und auch für die Eroberung Ägyptens. Caesar ist der Taktiker, ein schlauer Fuchs, Antonius hingegen eher Wolf. Wolfram Koch gibt ihn bodenständig, als jemand, der sich zunächst noch nackt zeigt, Verletzbarkeiten riskiert, und dann als eine Art Wüstenkrieger in Gaddafi-Uniform auftritt, mit aufgesetztem Fotografenlächeln bei jedem Händeschütteln.

Der Schauspieler als Staffage
Sie alle schielen ins Publikum und auf ihren eigenen Nachruf. Die Figuren erscheinen als Abziehbilder, Schießbudenfiguren und Karikaturen ihrer selbst. Reiner Popanz! Das könnte ein interessanter Ansatz sein zur Spiegelung der Selbstinszenierung einer Glamour-Welt. Als dreistündiger Theater-Abend aber gerät es zur gähnenden Peinlichkeit. Die vielen Bauten, die schwerfällig repräsentativ und bedeutungsschwanger herumgerollt werden – sie bestimmen den Rhythmus, führen Regie in der langen ersten Hälfte dieses Abends, der sich anfühlt wie ein technischer Durchlauf. Schauspielführung bedeutet hier: Schauspieler fahren Pomp durch den Raum, sind Kulissenschieber und Staffage – Krieger, Diener, Hofdamen, die vor allem historisch auszusehen haben.

"Antonius und Cleopatra" ist sicher nicht Shakespeares stärkstes Stück. Aber es gibt kraftvolle Szenen wie den Botenbericht, bei dem Cleopatra angstvoll zwar die Wahrheit, aber doch nur die gute hören möchte, der Bote berufsmäßig bibbert zwischen Todesstrafe und reichlicher Belohnung. Derartige Gewissenskonflikte, ganz zu schweigen von den dramatischen Entscheidungen über Krieg und Selbstmord, werden an diesem Abend schlicht überrollt und übergangen. Ersatz gibt es allein durch viele bunte Kostüme mit reichlich Glitzer. Das ist fast wie Mankiewiczs Kostümschinken von 1963, der vier Oscars bekam: nicht für die Regie, sondern für Ausstattung und Kostüme, also Aufwand und Kosten. Die Filmkritik urteilte: "Mäßig unterhaltend, platter Kitsch". Für die Inszenierung an der Burg gilt dasselbe. Mindestens.

 

Antonius und Cleopatra
von William Shakespeare
Aus dem Englischen von Jens Roselt

Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Marcel Blatti, Video: Chris Kondek, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Wolfram Koch, Alexander Scheer, Catrin Striebeck, Marcus Kiepe, Peter Knaack, Oliver Masucci, Simon Kirsch, Michael Masula, Johannes Krisch, Bernd Birkhahn, Stefan Wieland, Dirk Nocker, Moritz Vierboom, Sven Dolinski, Hermann Scheidleder, Petra Morzé, Alexandra Henkel, Mareike Sedl.

www.burgtheater.at

 

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Kritikenrundschau

In Fazit, der nächtlichen Kultursendung auf Deutschlandradio (20.12.) berichtet Stefan Keim und schreibt später auf der Webseite von DLR): Pucher setze hemmungslos auf Schauwerte - zunächst. Er öffne "Assoziationsräume", zeige "keine stringente Interpretation des Stückes, sondern einen Flickenteppich der Fantasie".
Lasse man den "optischen Bombast" außer Acht, buchstabiere Pucher die komplexe Geschichten "in allen Einzelheiten" nach. Doch wirke die Aufführung "zwischen effektvollen Szenen"oft "bemüht", die Schauspieler kämen lange nicht über "comichafte Grobzeichnungen hinaus". Erst im Angesicht seines Untergangs entwickele Wolfram Koch als Antonius plötzlich eine verzweifelte Energie. Wild will Wolfram Koch als Antonius  "so lange vor die Wand rennen, bis die umfällt". Auch Catrin Striebeck als Cleopatra erkennt, dass es "für sie ums Überleben geht". "Beide, Antonius und Cleopatra, werden im Laufe des Stückes im fortgeschrittenen Alter erwachsen. Das wäre ein spannender Blick auf das Stück und die Charaktere, doch Pucher deutet ihn nur an. Wie so vieles." Ins "Zentrum der Aufführung" spiele sich Alexander Scheer als Octavius Cäsar. Er sei der "Herrscher der Theaterelemente, die Diktatorenvariante eines Prospero". "Manchmal musiziert Octavius mit seiner Rockband und gibt sich überhaupt nölig-outriert als großer Star."

"Beinahe alles spielt sich an diesem Abend im Wiener Burgtheater auf Bühnenwägelchen ab", so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.12.) und "darin aber erschöpft sich das Konzept auch schon wieder, von nun an macht Pucher den von ihm zu erwartenden und schon länger nicht mehr ganz taufrischen Versuch, das klassische Schauspiel zu zerlegen und im pejorativen Sinne vorzuführen." Zur Zerlegung trage auch die Textfassung von Jens Roselt bei, "angereichert um sprachliche Burgtheatermarotten jüngeren Datums, die jeden zweiten Satz mit 'So' oder 'So, was ist denn hier los?' einleiten." Catrin Striebeck hat Lhotzky gut gefallen, aber die "heroische Tat einer schauspielerischen Einzelkämpferin kann das Ruder des sinkenden Inszenierungsschiffes allerdings nicht mehr herumreißen, beschert aber zwei, drei schöne Momente, die den Abend vor der allzu leichtfertigen Verdammung schützen und die zahllosen Buhrufe ein bisschen unfair scheinen lassen."

Puchers "Antonius und Cleopatra" erkläre sich zur Gänze aus der Kleider-Mode, "die Kostüme sind kreischend und kess, blöde und bedeutungsschwanger und eine Zumutung", findet Stefan Hilpold in der Frankfurter Rundschau (22.12.). Kostümbildnerin Annabelle Witt habe sich im Geiste Gallianos am Grab von Tutanchamun, 60er-Jahre-Hollywood, Las Vegas und Herrn der Ringe abgearbeitet. Diesem postmodernen Sandalentheater ist Stefan Pucher bereitwillig gefolgt. "Das ergibt einige schöne und einige große Momente, aber auch viel Leerlauf." Wirklich ernst nehme Pucher seine Figuren nicht, aber "in der Darstellung von Machtmenschen hat das heutige Theater ja sowieso ein Problem. Es entdeckt zwar die Schwächen der Könige und Konzernkaiser, aber selten die Strahlkraft, die von ihnen ausgehen kann." Die besten Szenen des Abends beinhalten Film-Projektionen. "Die Schlacht zwischen Caesar und Antonius ist eine wilde Cinemascope-Fahrt, Cleopatras Grabkammer wird aus der Unterbühne gefilmt, der Biss der Schlange dagegen nur angedeutet. Zumindest da hat es Pucher geschafft, seine Phantasie in Schach zu halten."

"Stefan Puchers Deutung von Shakespeares 'Antonius und Cleopatra' missriet zum modisch gelackten Debakel. Von keinerlei Blässe des Gedankens angekränkelt, regiert der Ausstattungskitsch." Schon diese Unterzeile in der Rezension von Ronald Pohl im Standard (22.12.) findet deutliche Worte. Weiter heißt es: Nach dem Auftritt des Sehers fahre ein mit Plexiglas verkleideter Entspannungspool nach vorn an die Rampe und das Liebespaar feiere seinen wohlverdienten Wellnessurlaub. "Von dieser ersten Dummheit wird sich Stefan Puchers hanebüchene Inszenierung nicht mehr erholen." Und verkomme zur Offenbarungsleistung des übelsten Schaustellereigewerbes. Weltpolitik werde von ein paar Schreihälsen gemacht, "die sich, wenn sie nicht gerade einen Texthänger haben, wie Ziggy Stardust (Scheer) mit umgeschnallter Stromgitarre durch die 'Popkultur' klampfen. Natürlich müssen wieder einmal Videos für die 'mediale Vermittlung' unserer Wahrnehmung von Welt einstehen." Fazit: "Die zirka vorvorletzte Bühnenmoderne, abgefrühstückt zwischen Hamburg, München und Zürich, hat nun endlich das Wiener Burgtheater erreicht."

"Nach den ersten kurzen Szenen geht der Titelheld nackt an die Rampe, lässt sich von einem Boten aus Rom ein Handtuch reichen und beginnt sich abzutrocknen. Was will uns Regisseur Stefan Pucher mit diesem kleinen Strip sagen?", fragt Norbert Mayer in der Presse (22.12.). "Lange kann man nicht darüber nachdenken. Schon nähert sich das nächste skurrile Gefährt, und es folgen weitere, "ein Kobra-Cabrio, eine Galeere (könnte aus einem Asterix-Film stammen), ein leuchtender Caesarenkopf, ein Leiterwagen, ein Tretboot für den Boten und eine Plattform aus Stahl für die Strategen, aber sptestens jetzt mit Octavius Caesar auf einer Bühne für Rocker, sieht man die Schwächen dieser Inszenierung, nicht nur, weil Scheer beachtliche Texthänger hat, die er wegzublödeln sucht." Denn geboten wrd ein Catwalk von drei Stunden und fünfzehn Minuten, der sich am Ende in eine Orgie an Unübersichtlichkeit ergießt, mit seltsamen, überdimensionalen Videos, in denen Eros und Thanatos zum Slapstick werden.

Die Weihnachtsdeko vor dem Rathaus vis-à-vis sei nichts gegen diesen bombastischen Budenzauber, schreibt Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung (28.12.). Stefan Pucher betreibe hier "Kulissenschieberei im ganz großen Stil", weshalb der Abend für Schmidt "eine einzige großkotzige Geste, ein Themenpark für Vorwärtseinparker und andere Platzhirsche" ist. Allerdings ist der Preis für den Beeindruckungs-Effekt aus seiner Sicht hoch: "Die Schauspieler sind zunächst bloß Passagiere, ihr überlebensgroßes Image umhüllt sie wie eine chromblinkende Karosserie. So kommt die Inszenierung lange nicht über die Rampe, die vierte Wand ist aus Beton." Denn der Regisseur spiele zwar ständig mit dem Standgas, fahr jedoch nie los. Dem Eindruck des Kritikers zufolge begnügt sich der Regisseur nämlich schon "mit dem großspurigen Bild, der hybriden Behauptung." So wirkt es auf Schmidt dann tatsächlich sehr merkwürdig, "wenn die Schauspieler endlich herabsteigen von ihren Gefährten und festen Bühnenboden unter die Füße bekommen." "Wie klein sind sie auf einmal, aber auch wie befreit. Wo zuvor nur Posen an die Rampe gekarrt wurden, beginnt dann doch noch: ein Spiel." Doch erst als Koch und Striebeck einen sehenswerten Ehekrach hinlegen und Alexander Scheer einen - inszenierten? - Texthänger hat, reißt für Schmidt dann "die wie mit Botox aufgespritzte Oberfläche" des Abends wirklich auf, "bekommen die Klischees ein paar Kratzer, so dass Shakespeares Text schließlich doch noch seiner Californication widersteht." Sehe man einmal davon ab, dass Jens Roselt das Stück weitgehend ins Fernsehdeutsch übersetzt habe.

 

 

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