Kathrin Tiedemann – Forum Freies Theater Düsseldorf, Künstlerische Leitung

Welches war Ihr herausragendstes, schönstes, beeindruckendstes Theatererlebnis im Jahr 2009, am eigenen Haus oder an anderen Häusern? Und warum?

2009 war für mich kein Theaterjahr wie jedes andere. Im September 2009 feierte das Forum Freies Theater sein 10-jähriges Jubiläum mit einem rauschenden Fest. She She Pop verwandelten die Kammerspiele in eine "Traumfabrik" und viele Künstler, die dem FFT verbunden sind, Freunde und Förderer machten den Abend für mich zu einem der wichtigsten und gelungensten im zurückliegenden Jahr. Bereits im Juni hatten sich mehr als 300 Mitwirkende an unserem einmonatigen Fernseh-Reenactment mit der Gruppe New Guide To Opera beteiligt: "Wir sehen uns morgen wieder" war als kommunikatives Großereignis, das zahlreiche Partner in der ganzen Stadt und viele Orte außerhalb des Theaters in diese einmalige Kunstaktion integrierte, ein besonderer Höhepunkt in der Geschichte des FFT.

Daneben möchte ich zwei Erfahrungen herausheben, die ich auf keinen Fall missen möchte:Als sensationell im wörtlichen Sinne habe ich das von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen in Abidjan veranstaltete Festival Abidjan Mouvement (27.6. bis 4.7.2009, link hier) erlebt. Tanz und Theater als lebendige kulturelle Praxis zwischen Magie und Politik kennen zu lernen und dabei den eigenen Blick als fremd zu erfahren, war im höchsten Maße beglückend, verstörend und Erkenntnis fördernd zugleich.

Schwer beeindruckt war ich außerdem von Claudia Bosses Inszenierung 2481 desaster zone mit dem Ensemble des theatercombinat in Wien, dem Abschlussprojekt ihrer mehrjährigen Reihe "tragödienproduzenten", eine Montage aus "Die Perser", "Coriolan", "Phädra", "Bambiland" und weiteren Texten. Die Zuschauer wurden von den Darstellern auf kleinen, fahrbaren Tribünen in fünfer Gruppen durch eine post-apokalyptische, gnadenlos weiße Ödnis auf einer 2.000 Quadratmeter großen Fläche in einer ehemaligen Brotfabrik bewegt und so Teil einer gigantischen Raumchoreografie und Textlandschaft. Eine dreistündige, ergreifende Zeitreise durch die Geschichte der Tragödie bis in die Gegenwart und weitergedacht in eine Zukunft, die niemand kennt. Noch nie habe ich Text als verräumlichten Gedanken so präzise und klar formuliert erlebt. Ein Theaterabend, dessen Bilder und Stimmen sich dank der großartigen Leistung der Performer in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Ein großer Wurf! Danke!


Was man in deutschsprachigen Theaterleitungen über das Jahr 2009 sonst noch denkt, sagen: Andreas Beck (Schauspielhaus Wien), Karin Beier (Schauspiel Köln), Thomas Bockelmann (Staatstheater Kassel), Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg), Matthias Fontheim (Staatstheater Mainz), Elmar Goerden (Schauspielhaus Bochum), Markus Heinzelmann (Theaterhaus Jena), Jan Jochymski (Theater Magdeburg), Ulrich Khuon (Deutsches Theater Berlin), Sewan Latchinian (Neue Bühne Senftenberg), Julia Lochte (Münchner Kammerspiele), Enrico Lübbe (Theater Chemnitz), Joachim Lux (Thalia Theater Hamburg), Stephan Märki (Nationaltheater Weimar), Roland May (Theater Plauen-Zwickau), Barbara Mundel (Theater Freiburg), Amélie Niermeyer (Schauspielhaus Düsseldorf), Christoph Nix (Theater Konstanz), Elias Perrig (Theater Basel), Oliver Reese (Schauspiel Frankfurt), Friedrich Schirmer (Deutsches Schauspielhaus Hamburg), Holger Schultze (Theater Osnabrück), Wilfried Schulz (Staatsschauspiel Dresden), Kathrin Tiedemann (Forum Freies Theater Düsseldorf), Lars-Ole Walburg (Schauspiel Hannover), Barbara Weber (Theater Neumarkt Zürich), Hasko Weber (Staatstheater Stuttgart), Tobias Wellemeyer (Hans-Otto-Theater Potsdam), Kay Wuschek (Theater an der Parkaue Berlin).