Abenteuer noch und nöcher

von Charles Linsmayer

Solothurn, 15. Januar 2010. "Sehen Sie, es ist ganz leicht", erklärt Barbara Grimm, in einem roten Kleid vorne auf der Rampe sitzend, dem Publikum. Flunkern nämlich, Theater spielen – und aus einer Tasche einen Hund, aus einem Zuschauer eine Palme und aus sich selbst eine 17jährige Schönheit namens Dulcinea von Toboso machen. Und mit den Worten "Alles, was Sie jetzt sehen werden, ist gelogen" zum Bühnenspektakel 'Don Quijote' überzuleiten.

Der 29jährige Daniel Pfluger, der für ein traumhaft-atmosphärisches Verwirrspiel zu Ovids 'Metamorphosen' 2009 den Körber-Preis als bester Nachwuchsregisseur erhielt, fischt in seiner Diplomarbeit für den Masterstudiengang Regie der Zürcher Hochschule für Künste auf intelligente Weise in dem 'Meer von Erzählung', wie Thomas Mann Cervantes' "Don Quijote" genannt hat.

Parabel über die Austauschbarkeit von Fantasie und Wirklichkeit

Er lässt den Hauptteil der Figuren weg und beschränkt sich auf die Kernhandlung von Don Quijotes komischen 'Aventüren' im Kampf gegen allerlei eingebildete Gegner und Gefahren. Und schafft es in hundert Minuten, während denen der Eindruck von Improvisation nicht eine Sekunde verloren geht und man sich doch immer wieder mitten in die Geschichte hinein versetzt fühlt, nicht nur den komischen Desperado in seiner Hilflosigkeit und Tolpatschigkeit zum Faszinosum zu werden zu lassen, sondern auch die Grundkonstellation des Romans nachvollziehbar und relevant zu machen: Dass nämlich aus einer komischen Parodie nach und nach eine nachdenklich stimmende Parabel über die Austauschbarkeit von Phantasie und Wirklichkeit und über die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens entsteht.

Pfluger hat am Theater Biel Solothurn ein ausgezeichnetes kleines Team zur Verfügung gestellt bekommen, das an der Entstehung der Inszenierung aktiv mitarbeitete. Das Gespann Don Quijote/Sancho Pansa, das den Abend mit seinen Dialogen und Spässen dominiert, findet in dem abgründig-komischen, Pathos, Bigotterie und Begriffsstutzigkeit wirkungsvoll miteinander vermengenden Spiel von Max Merker und dem witzig-intelligenten, schelmisch-überlegenen Parieren und Parlieren von Aaron Hitz eine wundervoll adäquate Verkörperung.

"Abenteuer noch und nöcher" sieht der vorsichtig taktierende Sancho Pansa salopp auf den "tapfersten und grössten Ritter, den er kennt", zukommen, und jedesmal, wenn der "im Namen der Schönsten der Schönen" gegen für Riesen gehaltene Windmühlen angerannt ist, eine Schafherde attackiert hat oder nach einem Kampf von Rosinante, dem mittels einer Bockleiter imaginierten "Ross der Rösser", gefallen ist, leckt er ihm fürsorglich die Wunden.

Zwischen Slapstick, Varieté und Dokumenartheater

Aber nicht nur die zwei komischen Helden, auch die teils imaginäre, teils reale Dulcinea, die Barbara Grimm nebst einer ganzen Reihe anderer, mit einem Nichts an Verkleidung realisierten Figuren zu spielen hat, prägt sich einem unverwechselbar und nachhaltig ein. Fast ganz alterslos und mit einer alerten, luftigen Leichtigkeit spielt sie ebenso die ideale ferne Geliebte des in seiner Liebesleidenschaft zum Narren werdenden Kriegers wie die theatrale Inkarnation des Traums und der Verwandlung.

Ihr Vorspiel vor dem geschlossenen eisernen Vorhang ist eine der ganz grossen, packenden Szenen des Abends, und obwohl sie sich mit einem (Fast-)Striptease in Szene setzt und mit ihren Lachanfällen immer wieder für Erheiterung sorgt, kann ihr die von der Schauspielschülerin Fernanda Rüesch gespielte jugendliche Konkurrentin im Ringen um die Sympathie des Ritters von der traurigen Gestalt – und um diejenige des Publikums ! – nicht das Wasser reichen.

Ganz locker, wie eine rein zufällige Improvisation und ohne je in Bildungsphilisterei oder Klassikerallüre zu verfallen, kommt die Inszenierung daher, entwickelt mit viel Bewegung und Körpersprache und witzigen Einfällen eine irgendwie zwischen Variété, Zirkus, Dokumentartheater und Slapstick angesiedelte Atmosphäre und führt dem am Ende begeistert applaudierenden Publikum doch Cervantes "Don Quijote!" in seiner ganzen Tiefe und in seinem eigentlichen Wesen vor Augen.


Don Quijote
nach Miguel de Cervantes, Bühnenfassung von Daniel Pfluger
Regie: Daniel Pfluger, Bühne und Kostüme: Flurin Madsen.
Mit Barbara Grimm, Fernanda Rüesch, Max Merker und Aaron Hitz.

www.theater-solothurn.ch

 

Zuletzt inszenierte Claudia Bauer im Dezember 2009 am Theater Magdeburg eine Don-Quijote-Variation.

 

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