They call me Jeckisch - eröffnet die deutsch-israelische Theaterpartnerschaft
In fernem Land unnahbar euren Schritten
von Ralf-Carl Langhals
Heidelberg, 21. Januar 2010. Fünf Sekunden Stille. Etwa genau diesen Zeitraum braucht es im internationalen Smalltalk, bis im Kleinhirn die politische Korrektheits- wie historische Bewusstseins- und Gewissenschleife durchlaufen ist, nachdem die Frage "Where do you come from?" mit "Israel" oder "Germany" beantwortet wurde. Ob man will oder nicht, die Art und Weise, wie Israelis und Deutsche fast 65 Jahre "danach" einander begegnen, kommt ohne diese fünf Sekunden Stille nicht aus. SS-Opas, KZ-Omas, Geschichtsunterricht und Aussöhnungspolitik tanzen in dieser Zeit auf beiden Seiten einen verkrampften Ringelreihen auf möglichst politisch-korrektem und dennoch glattem Parkett.
In einer Zeit, in der nur noch wenige Opfer und Täter persönlich berichten können, sind die Bemühungen von Kulturvermittlern besonders stark, damit kommunikative Erinnerung in kulturelles Gedächtnis übergeht. Die zweijährige Kooperation "Familienbande" zwischen dem Teatron Beit Lessin in Tel Aviv und dem Theater Heidelberg, gefördert vom Fonds "Wanderlust" der Kulturstiftung des Bundes, ist ein solches Bemühen, das mit "They call me Jeckisch" nun an den Start ging.
Im Nerz bei Wagner
Fast möchte man sich fünf Minuten nehmen, um über deutsche Berichterstattungsdichte in Sachen israelisches Theater zu räsonieren, das immer dann besonders großartig ist, wenn Goethe-Institut oder andere rührige Kulturvermittler den immer gleichen Kollegen gerade wieder einmal eine Pressereise spendiert haben... Da spricht freilich der Neid des Daheimgebliebenen, und doch zeigt das besondere politische, journalistische und künstlerische Bemühen eines ganz deutlich: "Normal" ist das deutsch-israelische Verhältnis nicht, weil es dies aufgrund der historischen Ungeheuerlichkeit nicht sein kann. Vermittlung tut daher immer noch not.
Genau an dieser Unmöglickeit setzt das dokumentarische Theaterprojekt von Nina Gühlstorff und Nina Steinhilber an. Ute Baggeröhr schlüpft zu Wagners Lohengrin-Vorspiel vorsichtig in einen Nerzmantel. Er könnte Sinnbild der für Nahost-Temperaturen gänzlich ungeeigneten Kleidungsstücke sein, denen die "Jeckes", also Israelis mit deutschen Wurzeln, ihren Namen verdanken. Selbst bei großer Hitze trugen einst bürgerliche Flüchtlinge, die sich plötzlich im ländlichen Kibbuz wiederfanden, Jacketts und Gesellschaftskleidung, weil sie dies in der Heimat so gewohnt waren, sich in Hemdsärmeln unwohl fühlten. Später, bei Wagner, wird zu dessen Klängen in der sogenannten "Gralserzählung" von einem "fernen Land" die Rede sein, das "unnahbar euren Schritten" ist.
Von Fremde, Heimat, Ferne und Unzugänglichkeit ist alles geprägt, was Baggeröhr und ihre drei Kollegen auf die Bühne von Noa Tsaushu und Asaf Koriat bringen. Zwischen Entwurzelung und Traditionspflege recherchierte das Ensemble in Tel Aviv und trug aus 50 Gesprächen Erstaunliches, Berührendes und zutiefst Persönliches zusammen: Kindheitserinnerungen an die Heimat, Anlaufschwierigkeiten im Gelobten Land, Verdrängungen, preußische Militär- und Moralvergangenheit. Hadas Kalderon spitzt all dies in einer schauspielerisch glänzenden Studie einer Zeitzeugin zu, die einer Fernsehdokumentation entsprungen sein könnte.
Hinterm Leid der Großeltern versteckt?
Nur kurz bewegt sich der Abend auf dem Feld der gängigen Sensibilität, der in einen fatalen "Nostalgietag" mündet. Flapsigkeiten über Hitlers "blonden" Schäferhund und seine "braune" Freundin simulieren lockere Abgeklärtheit der Nachfolgegenerationen, die mit einem falschen Tonfall schnell bröckelt. Zu groß ist eben der Unterschied zwischen Betroffenheit und Betroffen sein, wie Ute Baggeröhr erfahren muss, als sie ihrer israelischen Kollegin Hadas Kalderon vorwirft, ihren 96-jährigen Großvater, den am Uraufführungsvorabend verstorbenen Lyriker Abraham Sutzkever, zu benutzen, sich hinter dessen im Ghetto Wilna erfahrenem Leid zu verstecken.
Vorwürfe werden laut. Vor allem in den eindringlichen Improvisationen Frank Wiegards und Michael Hanegbis kommen üble Gemeinheiten auf, die weder das Bild vom geizigen Juden noch das des arischen Übermenschen und Massenmörders auslassen. Ohne Hitler kein Israel - all das kennen wir, wenn auch nicht aus politisch-korrekten Theaterabenden zum Thema deutsch-jüdische Aussöhnung.
Gerade da, wo es weh tut, bricht der deutsch-englisch-hebräische Abend "They call me Jeckisch" in die Zukunft auf. Was haben sich zwei israelische und zwei deutsche Schauspieler Mitte dreißig auf Besuch im Land der jeweils anderen wirklich zu sagen? Man nimmt Städte wahr, fühlt sich gar wohl, stellt aber fest, dass es hier wie dort niemanden anzuklagen oder zu befragen gilt. "Nie sollst du mich befragen" gilt für manchen, ehrlich, aber nicht schonungslos zu fragen für viele andere, erinnern und nie vergessen für alle. Wer dann Gemeinsamkeiten sucht, wird sie finden.
They call me Jeckisch
von Nina Gühlstorff und Nina Steinhilber
Regie: Nina Gühlstorff, Bühne und Kostüme: Noa Tsaushu und Asaf Koriat, Dramaturgie: Nina Steinhilber.
Mit: Ute Baggeröhr, Hadas Kalderon, Michael Hanegbi, Frank Wiegard.
www.theater.heidelberg.de
Mehr zu deutsch-israelischen Theaterprojekten: Dritte Generation von Yael Ronen entstand beim Festival Theater der Welt im Sommer 2008 und ging als work in progress im März 2009 an der Berliner Schaubühne in die nächste Phase.
Kritikenrundschau
Anlässlich der Aufführung der Inszenierung beim Heidelberger Stückemarkt schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (6.5.2010): "Einigermaßen penetrant" sei die "politisch absolut korrekte Miene", die 'They Call Me Jeckisch' zur Schau trage, trotz des galgenhumorigen Zynismus der Nachgeborenen. "Bruchstückhaft" erfahre man von den Anlaufschwierigkeiten jüdischer Einwanderer aus Deutschland im "Gelobten Land," von "preußischen Prägungen, alten Gewohnheiten, Erinnerungen". Das vermische sich mit den "persönlichen Erfahrungen und Auseinandersetzungen der vier Darsteller" zu einer "etwas wirren emotionalen Performance-Gemengelage", die trotz der "behaupteten Spontaneität und Dynamik" total durchschaubares "deutsches Konstrukt" bleibe, dem man das "Bemühen um Lockerheit, Frechheit und Direktheit" anmerke. Die beiden Heidelberger Schauspieler Ute Baggeröhr und Frank Wiegard drückten der Sache "leider stark ihren deutschen Stadttheaterherkunftsstempel" auf. Während man bei Hadas Kalderon und Michael Hanegbi zweimal hinschaue: Da sei "was" da - "ein Anliegen, eine Wut, ein Aufbegehren". Gegenüber Yael Ronens „Dritte Generation", auf dessen Erfolgswelle "They call me Jeckish" reite sei Nina Gühlstorffs "konfliktreich aufgepumpte Inszenierung" allenfalls "gut gemeint".
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