Das Spiegelbild im Manufactum-Katalog

von Wolfgang Behrens

Berlin, 21. Januar 2010. Beim Zappen war's, einige Jahre ist es her. Ein schmieriger Conferencier kündigte bei der Kabarettsendung "Nightwash" Rainald Grebe als Wortkargen Wolfram an, und noch ehe ich wegschalten konnte, schob sich ein länglicher Kerl mit einem mehr als abwegigen Indianerschmuck auf dem Haupt ins Bild, setzte sich vor ein Keyboard, schwieg erst einmal und riss die Augen auf. Ich legte die Fernbedienung weg und schaute. Gebannt.

Ich persönlich bin ja der Überzeugung, dass Humor und Komik im Normalfall nichts Zeitloses an sich haben. O.k., Shakespeare und Cervantes mögen Ausnahmen sein, aber wer lacht denn heute noch ernsthaft über die Witze des Aristophanes? Selbst bei den Sketchen des großen Loriot würde ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, ob man sie auch zukünftig lustig finden wird: Irgendwann bricht vermutlich der Typ weg, der in ihnen karikiert ist. Und worüber wir uns in den 80er und 90er Jahren ausgeschüttet haben, darüber kann ich zum Großteil heute nur noch den Kopf schütteln.

"Das ist Kunst!"

Weil Komik meines Erachtens so zeit- und wohl auch ortsgebunden ist, freue ich mich wie ein Schneekönig, wenn ich auf einen Humor stoße, den ich für neu und zeit- und ortsgemäß halte. Der "Wortkarge Wolfram" war so etwas: Wortzusammenstellungen wie aus der Lyrik eines Durs Grünbein ("Sie schenkten ihm achtzehn Jahre Vollrausch voller Liebe und Akustik"), kombiniert mit Kalauern ("Wolfram ist kein Weiberschwarm, denn sein Gesicht ist ausdrucksarm") und dadaistischer Logik ("Ja die Welt ruft an und fragt dich, wie bist du denn drauf / Und du sagst, hier spricht das Imperium der Klötze"), das Ganze brüchig vorgetragen, im Unklaren lassend, inwieweit Rainald Grebe sich die Figur Wolframs anverwandelt oder nur von ihr erzählt. "Das ist Kunst", rief ich, vorm Fernseher sitzend, aus, "das ist Anarchie! Das ist Humor von heute!"

Später erfuhr ich mit einiger Verblüffung, dass dieser Mann vom Theater herkommt, an der "Ernst Busch" studiert und am Theaterhaus Jena als Dramaturg – als Dramaturg! – gearbeitet hatte. Mittlerweile kehrt Grebe gerne wieder in den Schoß des Theaters zurück: Am Centraltheater Leipzig präsentierte er die Revue Alle reden vom Wetter und erst kürzlich die Karl-May-Festspiele. Und nun ist er mit seiner "Kapelle der Versöhnung", verstärkt von drei wunderbaren Schauspielern (Britta Hammelstein, Johann Jürgens, Ronald Kukulies), am Berliner Maxim-Gorki-Theater zu erleben: gegeben wird "Zurück zur Natur. Ein Konzert für Städtebewohner".

Das ist es wirklich: ein Konzert zum einen. Und vor allem eines für Städtebewohner. Grebe und seine Mitstreiter umreißen mit schauerlicher Präzision einen Typus von heute, der in Berlin-Mitte ("Wir melden uns hier aus der Mitte des Lebens") oder Prenzlauer Berg wohnt. Und während man bei Loriot immer lachte und dachte: "Das bin doch nicht ich", so lacht und denkt man bei Grebe oft genug: "Oh, das bin dann wohl ich." Klaus etwa. Von Klaus wird gesungen: "Klaus hat heut seinen Stromanbieter gewechselt / Er hat jetzt sauberen Strom, nur Wind Wasser Sonne und Scheiße-Energie." Ja, stimmt. Auch ich bin natürlich seit Jahresanfang bei Naturstrom.

Liedzeilen um sich reinzulegen

Übrigens ist der Satz über Klaus gar nicht richtig witzig. Witzig wird er erst, weil Grebe ihn – wieder mit diesen so irre aufgerissenen Augen – mit einer rockigen Grundaggressivität vorträgt, als gelte es anzuklagen. Aber er klagt gar nicht an, er entlarvt nur durch schlichte Aufzählung einen Lebensstil, der schön bewusst sein will und doch nur stylish ist: "Vom Himmel fällt Holzspielzeug (…). Auf dem Nachttisch liegt die Bibel und der Manufactum-Katalog." Letzterer ist zentral: Ronald Kukulies liest daraus ein paar Produktanpreisungen vor, und jeder weiß sofort, um welches Leben es hier geht. "Alle sehn gleich aus – so individuell."

Es ist schon toll, wenn Grebe mit der Zeitgenossenschaft des aufs Korn genommenen Typus spielt und ihn flugs in die fernste Vergangenheit entrückt, wo er doch wiedererkennbar bleibt: "Meine Eltern ham in Höhlen gelebt / Was waren das für Zeiten / Ich lebe im Pfahlbau / Entdecke die Möglichkeiten", singt der Schlagzeuger Martin Brauer, und: "Euphorie in der Bronzezeit / Ahugahagahuga". Da leuchtet sie wieder, diese dadaistische Schönheit: "Euphorie in der Bronzezeit" – in solche Zeilen könnte ich mich reinlegen. Zumal Grebes Texte fast immer auch von – ironisch grundierter – Melancholie und Traurigkeit durchtränkt sind: "Früher gab es Popstars / Wo sind die heute / Begrabt mein Herz im Copy Shop / Und werft es unter die Leute." etc.

Ich glaube fest daran, dass der Städtebewohner – der Prenzlberger, der Mitte-Mensch – in 10, 20 oder 30 Jahren ganz anders aussehen wird. Auch dieser Typus wird verschwinden. Und dann wird man sich vielleicht fragen, warum man einmal über Rainald Grebes Songs gelacht hat. Humor ist vergänglich. Doch heute, hier und jetzt, da ist Rainald Grebe mit seiner Kunst, die Brüche des modernen Lebens abzumalen, humoristischer state of the art.

 

Zurück zur Natur. Ein Konzert für Städtebewohner
von Rainald Grebe
Leitung: Rainald Grebe, Songs: Rainald Grebe, Marcus Baumgart, Martin Brauer, Bühne und Kostüme: Janna Skroblin, Dramaturgie: Andrea Koschwitz, Musikalische Einstudierung: Jens-Karsten Stoll.
Es singen: Britta Hammelstein, Johann Jürgens, Ronald Kukulies, Martin Brauer, Marcus Baumgart, Rainald Grebe. 

www.gorki.de

 

Mehr zu Rainald Grebe im nachtkritik-Archiv, wo nachzulesen ist, was die Gase des Bösen so anrichten in der Revue Alle reden vom Wetter, Premiere war im November 2008 am Centraltheater Leipzig. Und im November 2009 entstanden dort die Karl-May-Festspiele Leipzig.

 

{denvideo http://www.youtube.com/watch?v=t13Kl8yRHs4}

 

Kritikenrundschau

Eigentlich, schreibt Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (23.1.2010) kenn ma ja die Klischees, von denen der Grebe seinen Honig bezieht. "Eigentlich" drohe "derartigen Klischee-Jongleuren" die "kulturelle Höchststrafe: mitleidiges Abwinken". Dann jedoch betrete Rainald Grebe mit seiner "Kapelle der Versöhnung" "nebst drei Schauspielern" die Bühne, singe über "Kinderyoga", "Biofeuerwerke", die "Castingallee" – "und man lacht sich tot!" Grebe & Co. verfügten über "begnadete Performance-Qualitäten", ein gerüttelt Maß an Misanthropie, "tolle Pointen" und "schräge Choreografien". Aber mehr noch: sobald Grebe den "peinlichen Ökostrom-Klaus" oder die "nervige Holzspielzeug-Trulla" an "den Lächerlichkeitspranger" stellt, stelle er "sich ganz selbstverständlich dazu". Wann immer die Rede auf die "alternative Kulturschickeria" komme, schiebt Grebe gleichsam "also wir" nach. Gorki-Schauspieler Britta Hammelstein, Johann Jürgens und Ronald Kukulies mischten beim "Konzert für Städtebewohner" so "erstklassig" mit, als verstärkten sie die "Kapelle der Versöhnung" schon seit Jahren.

Im Berlin-Teil der taz (23.1.2010) lobt auch David Denk die "Verdichtkunst" von Rainald Grebe. Weil Grebe Kabarettist sei, halte er es "in der Schwebe, ob er wirklich sich meint, wenn er 'ich' sagt". Es sei "höchst sympathisch" an Grebes Texten, dass er sich selten "ausschließlich über andere lustig" mache, immer meine er auch sich selbst, oder könnte sich selbst meinen. Das Konzert im Gorki habe ein Thema. Aber leider komme es nicht "über die Aneinanderreihung von Liedern hinaus", für einen Theaterabend "zu wenig". Es fehle "das Konzept", der "Spannungsbogen", die "Botschaft", etwas "zum Mit-nach-Hause-nehmen". Und so sei "Zurück zur Natur" immer "nur so gut wie der Song, der gerade gespielt wird". Die Perlen von Grebes Verdichtkunst verpufften im Gelächter.

In der Bühne zu Grebes Liederabend hat Christian Rakow von der Berliner Zeitung (25.1.2010) das Design der Friedrichshainer Astro-Bar bzw. eine "70er-Jahre-Retro-Oase" erkannt. Der Look sei natürlich auch nur eines dieser Berlin-Klischee, die Grebe "auf gewohnt unglamouröse, skurrile, hintersinnige Weise" auseinandernehme. "Zurück zur Natur" bleibe "trotz der Unterstützung von Gorki-Schauspielern (...) und trotz einiger aparter Tanzeinlagen von Britta Hammelstein (...) im Kern, was der Programmzettel verspricht: 'Ein Konzert für Städtebewohner'. Ein Grebe-Konzert, selbst noch, wenn die Mitstreiter den Gesang übernehmen." Der "Mann im braunen Karopullover mit dem betont abgekämpften Gesichtsausdruck" zeige sich hier "at his best!" und nehme genüsslich "die Landlust der Städter vulgo die neue 'Bio-Welle' und die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit auseinander". Dabei entpuppe sich der Abend schon bald "als ethnographische Studie über Berlin", die klar mache: "Die Eingeborenen sind wir; das merkwürdige Verhalten der Großstädter bei der Landpartie ist genauso gut im Prenzelberg wie in Märkisch-Oderland zu studieren."

 

 

Kommentare  
Rainald Grebe im Gorki: kunst-lose Kunst-Elite
Diese Kritik ist verblüffend. Verzweifelt auf der Suche nach etwas, dass offensichtlich fehlt; so erhebt sich die Kunst-Elite dieses Landes selbst in einen Status, der mit Kunst nichts mehr zu tun hat. Struktur, struktur - was wären wir nur ohne sie? Große Worte und viel verworrenes Gefasel, dass im Grunde nur der Selbstdarstellung dient. So subjektiv auch diese Meinung sein mag - wer nimmt sich denn heraus zu sagen, was gut, was schlecht und und was etwas "zum-Mit-nach-Hause-nehmen" ist? Nun ja.

-
Rainald Grebe im Gorki: Was wollen Sie sagen?
Hey, Manfred, wovon reden Sie? Von der Nachtkritik oder von der taz-Kritik mit dem "zum-Mit-nach-Hause-nehmen"? Und wer sind die Selbstdarsteller, die Kritiker oder andere? Wer macht die großen Worte? Wer ist die Kunst-Elite? Was genau ist verblüffend? Ich verstehe nichts. Schade. Es scheint doch so, als wollten Sie was Spannendes sagen.
Zurück zur Natur: aus ihren Gehirnwendungen pressen
Ich rede hauptsächlich von der taz-Kritik, die doch in erster Linie durch ihre leeren Phrasen besticht; eine habe ich ja bereits zitiert. Ab und an, lieber "Mann, Fred!", werde ich das Gefühl einfach nicht los, dass Menschen Worte lediglich aus ihren Gehirnwindungen pressen, um sich selbst als etwas zu zeigen, dass sie für sich als angemessen empfinden. Da darf es auch mal ausdrucksloses Geschwafel - dargestellt als Aneinanderreihung von Begriffen des Deutschunterrichts der siebten Klasse Realschule - sein, welches den verzweifelten und zittrigen Versuch charakterisiert, bloß in irgend einer Form kritisch zu wirken. Häufig kommen noch Wortspielereien hinzu, die das Bild des individuellen Kunstkritikers unterstreichen und abrunden sollen. Konstruktive und informative Kritik ist wohl nicht sonderlich gefragt; das ist verblüffend, wie ich finde. War das nun spannend? Ich bin mir nicht sicher. In jedem Fall ist mir das alles etwas zu künstlich - befürchte ich. Wortspiel! Haben Sie es gemerkt, „Mann, Fred!“? (& ich hoffe, dass dieser Text veröffentlicht wird. Man weiß ja nicht, ob man das schon als "persönliche Herabsetzung" werten könnte; es war jedenfalls nicht so gedacht - nur damit wenigstens das verstanden wird!)
Kommentar schreiben