Wir alle spielen Demokratie

von Marcus Hladek

Mainz, 22. Januar 2010. Dass die Gefängnisse, Spitäler und Polizisten sich ihre Überwachten, Hospitalisierten und Verbrecher erst erschaffen, diesen Gedanken hätte die Generation vor Falk Richter mit postmarxistisch-intellektuellem Entzücken über die Konstruktion der Wirklichkeit und ihrer Ordnungen Michel Foucault zugeschrieben. Solches name dropping kommt Richter zwar nicht in den Sinn. Was er in einem Text zur Uraufführung über die Erfahrungen seiner Generation schreibt, geht aber eindeutig in diese Richtung.

Von seiner "Partygeneration" ist da die Rede, von Leuten, die "plötzlich" Karriere machten, Ecstasy probierten und es wie jedermann hinnahmen, dass mit George W. Bush ein durch manipulierte Wahlen ermittelter US-Präsident im Amt war. Und dass dieser einen "100 Jahre" währenden Krieg gegen den Terror begann, dessen "militärisch-industrieller Entertainmentkomplex" zu den "größten Auftraggebern an die Bildindustrie" zählt. "Wir sind die Popstars der Krisenregion", sagt im Stück der Kriegsberichterstatter Marc. Krieg als "Lebensform", verbunden mit der Erfahrung, dass die demokratischen Rechte jederzeit eingeschränkt werden können.

Lückenloses, raffiniertes Sounddesign

Schade, dass es Richter in "Krieg der Bilder" nicht gelungen ist, diesen sicher zu kurz gegriffenen, aber diskutablen Ansatz dramatisch auszuformulieren. Die männlichen Figuren tragen austauschbare Namen wie Marco und eben Marc oder Tim und Tom, die beiden Frauen (Laura und Julia) erinnern an eine verblichene Dramen- und Literaturgeschichte. Und in der Tat weist das Stück auch keine figurenspezifischen Sprechweisen auf, sondern kommt eher wie ein dramatisches Gedicht daher, wobei das Lyrisieren das inhaltliche Engagement sogar zu dementieren scheint.

Angesagt wie ein Musikstück ("Fertig? 3, 2, 1...") mit einem lückenlosen, raffinierten Sounddesign (Carolyn Downing), schüttelt Maria Åbergs Inszenierung eine gewisse Glätte der Popkultur zwar nie ganz ab. Trotzdem ist ihr und den sieben Darstellern zugutezuhalten, dass sie den verschwimmenden Figuren gegen den Text-Strich klarere Kontur verschaffen, auch wenn sie in den knapp sechzig Minuten des rasend entfesselten Spiels nur so weit über das Klischee hinauskommen, wie es der Text zulässt.

Naomi Dawson hat ihre Bühne an einer Längswand in der ganzen Breite eines modernen HDTV-Fernsehbildschirms als ortsbedingt gerümpeliges Redaktionsbüro einer Nachrichtenagentur angelegt. Der Fokus des Geschehens geht teils wellenartig von der Fotowand links vorbei an diversen Stahlschränken voller Leitzordner, Kaffeemaschine und Ventilator, am Arbeitstisch, einem Mikroständer für allfällige Monologpartien bis hin zum Holzverschlag mit Dartscheibe rechts und einem Bettgestell mit fleckiger Matratze rechts vorn.

Stakkatohaft rhythmisierte Merksätze

Am auffälligsten wird das gewollte Typisieren an Dawsons Kostümen, die aus Marco mit Trilby-Hut einen arroganten Ausstellungsmacher zwischen Engagement und Heuchelei (Daniel Seniuk) machen, der beim Dartspiel immer lange genug zielt, um den anderen Figuren Raum zur monologischen Selbstbesinnung zu geben. Mit seinem "System"-Gerede, das mutmaßlich nach Niklas Luhmann klingen soll, verbindet Richter vielleicht noch am ehesten so etwas wie eine Sprachrohrfunktion.

Laura ist die biestig-elegante Karrierefrau (Johanna Paliatsou), Julia (Ricarda Baus) ihr schulterfrei-legeres Gegenstück, Stefan der eingebettete Kriegsberichterstatter in Militaryjacke und Palästinenserschal (Zlatko Maltar), Marc der unsichere, leicht gemobbte, um Aufträge ringende Redaktions-Underdog, der vielleicht beharrlicher als die anderen nach einem Sinn sucht und deswegen bei den NGOs für den Aufbau landet (Marios Gavrilis). Und Tim der allzeit wohlfrisierte Medientrainer für Bundestagabgeordnete aller Parteizugehörigkeiten (Moritz Pliquet).

Ob sich die schwedische Regisseurin das stakkatohafte Schnellsprechen ein Stückweit von den Kunstsoaps eines René Pollesch abgeschaut hat, ist zwar schwer zu beurteilen. Jedenfalls findet sie darin, sehr bewusst rhythmisiert, ein brauchbares quasi-musikalisches Mittel, um das allzu selbstsichere Medienporträt Falk Richters über die nicht vorhandene Rampe zu bringen und seine klischierten Merksätze ("Die Konkurrenz ist hart... wir alle spielen Demokratie... Dass hier keiner von euch 'ne Haltung hat, kotzt mich so an...") mit aller Beiläufigkeit eines mutmaßlichen Redaktionsbetriebs zu erfüllen. Angesichts mancher Sätze und Rumpfdialoge ("Sag mal, hast du die erfrorenen Säuglinge irgendwo gesehen?" – „Nee, aber wenn du ein paar ersoffene Neger brauchst") fragt man sich freilich oft genug, ob der Zynismus im Betrachteten liegt – oder etwa doch nur beim Betrachter.

 

Krieg der Bilder, UA
von Falk Richter
Regie: Maria Åberg, Bühne und Kostüme: Naomi Dawson, Dramaturgie: Thomas Guglielmetti.
Mit: Johanna Paliatsou, Daniel Seniuk, Marios Gavrilis, Zlatko Maltar, Moritz Pliquet, Joachim Mäder, Ricarda Baus.

www.staatstheater-mainz.de

 

Zuletzt brachte Falk Richter Trust heraus (Schaubühne Berlin, Oktober 2009), weitere Links zu Nachtkritiken sowie biografische Informationen finden Sie im entsprechenden Glossareintrag von nachtkritik.de.

 

Kritikenrundschau

Es gibt Grund genug, Falk Richters "finstere Mediensatire" "Krieg der Bilder" aktuell zu finden, meint Johannes Breckner vom Darmstädter Echo (25.1.). So werde, wer die Mainzer Uraufführung gesehen hat, die Bilder aus Haiti "mit anderen Augen sehen". Der "dicht gearbeitete Text" gehe über die "schlichte Mediensatire rasch hinaus und dringt rasch vor zu Typenstudien". Johanna Paliatsou liefere als Laura "virtuos einen minutenlangen Monolog, der im Sprint-Tempo ihre Aufgaben und Erlebnisse aneinanderreiht, und während sich die Sprache allmählich vom Sinn entleert, blickt man in die innere Ödnis dieser Frau." Die Regisseurin Maria Åberg dringe "sehr umstandslos (...) zu dieser Tiefe vor", ohne dass die "seelischen Momentaufnahmen zu breit oder gar sentimental" ausgespielt würden. Nebenbei mache sie deutlich, "dass auch diese Darstellung der Medienwelt eine Inszenierung ist, deren Machart und Absicht man erkennen muss, um sie zu verstehen". Vielleicht etwas medienpädagogisch eifrig, findet Brecker, die "Verunsicherung unserer Wahrnehmung" bleibe jedoch "ein beunruhigendes Thema".


Die Schauspieler hetzten über die Bühne, agierten "in sinnloser Hektik". "Sie schreien sich an, verlieren sich in Endlos-Monologen, jagen sich Bilder- und O-Töne ab, als ginge es um ihr Leben", beschreibt Claudia Fuchs im Wiesbadener Tageblatt (25.1.) das Geschehen. Das "fast klischeehaft möblierte Redaktionsbüro spiegelt das Provisorische, in dem sich die ständig herumjettenden Kriegsreporter auf Dauer einrichten müssen." Richter "Schocksätze" vermittelten zwar Betroffenheit über den "Zynismus der medialen Kriegsmaschinerie", aber auch eine leise Ahnung, dass der 41jährige Autor "das Nachrichtengeschäft erbarmungslos überzeichnet". "Keine Zeit zum Innehalten in diesen siebzig Minuten Reizüberflutung mit kreischendem Sounddesign von Carolyn Downing, flackernden Lichteffekten und Dauer-Aktionismus". "Die Wirkung des Stücks beruht eher auf dem Gesamteffekt als auf der Entwicklung einzelner Figuren." Richter wolle "aufrütteln mit seinem Bild der gewissenlosen Bildermacher und setzt auf verbalen Dauerbeschuss" Normal 0 0 1 164 940 7 1 1154 11.1282 0 21 0 0 .

Dass Falk Richters "Krieg der Bilder" "ursprünglich ein Hörstück" gewesen sei, verlören Maria Aberg und Naomi Dawson bei ihrer Uraufführung "nicht aus dem Blick", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (27.1.). "Das Keuchen, Schimpfen, Strapazieren von Nerven und Gegenständen könnte auch in einem engagierten Hörfunkstudio stattfinden." Die Hauptfigur Laura sei "außen Geschäftsfrau, innen kurz vorm Zusammenbruch", was Johanna Paliatsou beides in einer "atemberaubenden Geschwindigkeit deutlich" mache. Da gebe es "natürlich Klischees", in denen aber doch "ein Kern Wahrheit" stecke. Ebenso wie in Richters "Fundamentalkritik: Die Bilder und die, die sie bestellen, (...) die, die sie abdrucken/senden, tragen längst selbst zur Verbreitung des Krieges bei". Allerdings gehe es weder Autor noch Regisseurin "darum, diesen Kern aus dem plakativen Handgemenge herauszuarbeiten. Es fehlt die Zeit nachzudenken, dem Publikum ebenso wie den Gehetzten auf der Bühne." Und weil die Schauspieler "mit Verve hetzen", trage das Ganze auch noch "zu unserer Unterhaltung bei".

 

 

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