Metropolentheater - und sonst gar nichts?

Berlin, 28. August 2007. 40 KritikerInnen von Rundfunk und Printmedien hat das Fachblatt Theater heute nach den Höhepunkten der vergangenen Theatersaison befragt. Mit großer Mehrheit, 18 Stimmen, wurde das Thalia Theater Hamburg zum Theater des Jahres gewählt.

Vom Thalia kommt auch die Schauspielerin des Jahres Judith Rosmair, die für ihre fulminante Putzschlampe Dorine in Dimiter Gotscheffs Salzburger "Tartuffe" und ihre singende Gudrun Elisabeth Ensslin in Nicolas Stemanns "Ulrike Maria Stuart" neun Stimmen erhielt. Elfriede Jelinek, Autorin dieses Terror-Schillers, wurde knapp vor Martin Heckmanns zur DramatikerIn des Jahres gekürt. Zum dritten Mal nach 1993 und 1998.

Schauspieler des Jahres wurde, wie allgemein erwartet, Joachim Meyerhoff, der für sein Hamlet-Virtuosenstück in Jan Bosses Züricher Inszenierung und für seinen Auftritt im Wiener "Viel Lärm um nichts", ebenfalls inszeniert von Jan Bosse, zehn Voten erhielt, gefolgt von Samuel Finzi mit acht und Wolfram Koch mit sechs Stimmen.

Genauso absehbar heimste Katrin Brack zum dritten Mal nach 2004 und 2005 den Titel einer Bühnenbilderin des Jahres ein, diesmal für die Konfetti-Kanonade in Gotscheffs "Tartuffe". Dimiter Gotscheff selbst erhielt für Die Perser am Deutschen Theater in Berlin die Auszeichnung Inszenierung des Jahres, nahezu die einzige Entscheidung, die von den Einladungen zum diesjährigen Berliner Theatertreffen abwich. Auch Andreas Kriegenburgs Münchner "Drei Schwestern", für die Andrea Schraad zur Kostümbildnerin des Jahres gewählt wurde, hatten im Mai in Berlin gastiert.

Das gleiche Spiel wiederholt sich bei den Nachwuchskünstlern. Julischka Eichel, der schon tout Berlin für ihre Darstellung der Lucy in Tilmann Köhlers "Krankheit der Jugend" zu Füßen gelegen hatte, bekam nach dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis des Theatertreffens nun auch das Krönchen als Nachwuchsschauspielerin des Jahres aufgesetzt. Derweil Stefan Konarske, der Orest aus Michael Thalheimers ebenso beim Theatertreffen gezeigter "Orestie", zum Nachwuchsschauspieler des Jahres gewählt wurde.

Mit seinem für den Mülheimer Stücke-Wettbewerb nominierten "Alter Ford Escort dunkelblau" gewann Dirk Laucke die Konkurrenz der Nachwuchsdramatiker, während Simon Stephens’ Motortown in der Kategorie Ausländisches Stück des Jahres über Yasmina Rezas gehobenes Boulevardstück "Gott des Gemetzels" obsiegte.

Allenfalls die Wahl von Jette Steckel zur Nachwuchsregisseurin des Jahres mochte überraschen. Für ihre Inszenierung von Darja Stockes "Nachtblind" in der Hamburger Gaußstraße erhielt sie sechs Stimmen und verwies damit Tilmann Köhler aus Weimar auf Platz zwei.

Schaut man sich die Auswahl insgesamt an, fällt auf, dass erfolgreich geführte, aber nicht sonderlich innovative Häuser wie das Thalia und das zweitplatzierte Deutsche Theater Berlin, das Erscheinungsbild des deutschsprachigen Theaters mittlerweile klar dominieren. Man kann sogar fragen, ob es überhaupt noch eine andere erfolgversprechende Strategie gibt, ein Theater zu leiten. Die meisten der ausgezeichneten KünstlerInnen arbeiten an diesen beiden Häusern. Wie überhaupt, soweit es nach den KritikerInnen geht, bemerkenswertes Theater nurmehr in den Metropolen Hamburg, München, Berlin, allenfalls noch in Wien und Zürich stattfindet. Es handelt sich dabei unverkennbar um ein repräsentatives, künstlerisch anspruchsvoll gearbeitetes, jedenfalls aber mehrheitsfähiges Theater. 

Theater in den Metropolen – und wo bleiben renommierte Häuser wie die in Bochum, Hannover, Leipzig, Essen, das gerade noch von nordrhein-westfälischen KritkerInnen zum Besten der Region gewählt worden war? Und wer spricht überhaupt noch von Moers und Darmstadt, von Meiningen oder Schwerin? Kann es sein, dass zehn Jahre rigider Kürzungspolitik die so gerne beschworene Qualität in der Breite der deutschsprachigen Theaterlandschaft zerstört hat?

(jnm)

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