Jedermann im Bordell

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 11. Februar 2010. "Ich habe immer gewusst, wer ich bin", sagt Wessely gern, und im gleichen Atemzug versichert er: "Sonst machen sie mit Dir, was sie wollen." Gebetsmühlenartig wird der Mann diese Sätze wiederholen. Wessely ist Nachtclub-König, Besitzer von gleich elf Etablissements. Einer also, der es zu etwas gebracht hat. Einigermaßen clean scheint die Sache gelaufen zu sein. Familie und Beruf hat er immer strikt auseinander gehalten.

Aber schon der erste Akt in Götz Spielmanns Stück "Imperium" ist überschrieben mit "Es knistert im Gebälk". Zu oft hat Wessely seine Stärke allen gegenüber versichert, ob sie es hören wollten oder nicht. Die Razzien häufen sich, die 21jährige Tochter hat eine Liaison mit seinem engsten Mitarbeiter Ronnie. Und dann die niederschmetternde Botschaft nach einer Routineuntersuchung: eine rasch voranschreitende Krankheit. Vielleicht drei Monate, maximal ein Jahr hat Wessely noch zu leben.

Herr der Lage nur für begrenzte Zeit

Zwei Mal hat es der österreichische Filmemacher zu Nominierungen für den Auslands-Oscar gebracht, mit "Die Fremde" (1999) und "Antares" (2004). Er ist ein Spezialist im geradlinigen Erzählen von eigentlich Ungereimtem. Vermeintlich eindeutige Beziehungs-Konstellationen bekommen in Götz Spielmanns Geschichten Schräglagen, münden in Katastrophen, weil einer mutig wird, sich nicht hält an Konventionen, ausbricht aus dem Erwarteten. Das ist psychologisch ohne Brimborium gezeichnet.

Auch in dem 2007 in Linz uraufgeführten Stück "Imperium" wird nicht lang gefackelt. Einer muss erkennen, dass er doch nicht immer und schon gar nicht auf Dauer Herr der Lage sein kann. Dass sich die Welt verändert. "Im Krieg, da war man auf der einen Seite oder auf der anderen, dazwischen war nichts". So einfach war das, jetzt ist plötzlich nichts mehr einfach. Dramaturgisch löst Spielmann das mit einer Traum-Figur. Die Ordinationsgehilfin beim Arzt erinnert Wessely an Xenia, eine frühere Freundin, die sich das Leben genommen hat. Die taucht nun auf, geleitet Wessely auf seinen letzten Wegen und insistiert auf Einsicht. Sie sagt so gescheite Sachen wie "Du bist nichts, wenn Du nicht Teil von einem großen Ganzen bist."

Büßerhemd im Krankenhaus

Das ist recht gerade gestrickt. Bösartig könnte man sagen: Es fehlt in diesem Theatertext keine Plattheit. Positiver formuliert: Götz Spielmanns Figuren ticken einfach, denken wenig. Von solchen Leuten leben Boulevardzeitungen und Demagogen. Es berührt fast peinlich, so schlichte Typen auf der Bühne zu sehen. Für Wessely geht es jetzt darum, seine Begrenztheit, seine Endlichkeit vor sich selbst einzugestehen.

Am Ende wird er im weißen Krankenhaus dasitzen wie Jedermann im Büßerhemd, und Xenia wird sein Herz im Wortsinn anrühren. Fehlt nur noch der Auftritt von "Glauben" und "Guten Werken" … Da hat es Witz, wenn der Autor als sein eigener Regisseur im Grazer Schauspielhaus für die Rolle des Wessely den Salzburger-Langzeit-"Jedermann" Peter Simonischek einsetzt: Jedermann als Bordell-Kaiser.

Simonischek hat die nötige Bühnenpräsenz, um über viele Seichtheiten hinwegzutragen. Den vierschrötigen Kerl, der die längste Zeit in sich geruht hat und sich nicht so leicht verunsichern lässt, nimmt man ihm jederzeit ab. Die Gefühle überkommen diesen Typen nur allmählich. Er klinkt nie aus. Dieser Jedermann-Wessely verdient uneingeschränkt unsere Sympathie.

Gespür für den Szenen-Schnitt

In Simonischeks Sog und in der präzisen Regie von Götz Spielmann kommt es zu einer bemerkenswert schlüssigen Ensembleleistung: So eindimensional eine jede der Figuren auch sein mag, der jeweilige Typ passt. Andrea Wenzl als die junge Palucca, Steffi Krautz als Anita, Wesselys Freundin im Rotlichtmilieu sind deutlich mehr als Stichwortbringer. Eine Stärke der Inszenierung ist, dass sie Lokalkolorit eigentlich nur zart andeutet. Wessely könnte auch Manager in einem Konzern sein. Claudia Martini spielt Wesselys Ehefrau Lydia – keine Beziehung zwischen den beiden, wenig Worte. Auch Ronnie (Gustav Koenigs) hat nicht viel zu sagen. Verena Lercher ist Xenia, kathartische Traum-Figur im leicht altmodischen weißen Plisséerock.

Auch das sind Auftritte ohne Brimborium. – Irgendwie bekommt man den Eindruck, dass Götz Spielmann als Regisseur wieder gut macht, was ihm als Plot-Autor nicht so geglückt ist. Für die schlackenlos erzählte Geschichte hat Martin Warth ein simples wie effektvolles Bühnenbild gebaut: ein Halbrund aus Schiebewänden imaginiert unterschiedliche Räume, unterschiedliche Beleuchtungskörper kommen von oben, Tische und andere Versatzstücke werden von unten heraufgefahren. Da sind ultra-rasche Umbauten möglich, zu ein paar Takten Musik. Als Filmemacher hat Götz Spielmann ein untrügliches Gefühl dafür, wann eine jede Szene einen Schnitt braucht.


Imperium
von Götz Spielmann
Regie: Götz Spielmann, Bühne: Martin Warth, Kostüme: Sabine Volz, Dramaturgie: Rigena Guhl.
Mit: Peter Simonischek, Andrea Wenzl, Steffi Kautz, Verena Lercher, Claudia Martini, Gustav Koenigs.

www.schauspielhaus-graz.com


Mehr zu Produktionen an Schauspielhaus Graz: Im Januar 2010 inszenierte Anna-Sophie Mahler Peepshow von Marie Brassard. Oder: Im Februar vergangenen Jahres brachte Peter Konwitschny König Lear gelungen auf die Bühne.


Kritikenrundschau

Götz Spielmann liefere einen durchwegs starken Text über die harten Geschäfte des Lebens, schreibt Michael Tschida in der Kleinen Zeitung (13.2.2010). Peter Simonischek setze als "glatter Macho mit bröckelnder Fassade markante Akzente", lasse dennoch "dem sehr präsenten Haus-Ensemble viel Luft." Ein weiterer Star des Abends ist aus Tschidas Sicht "das kühl-poetische, nicht nur in seiner Funktion faszinierende Bühnenbild von Martin Warth samt atmosphärischer Lichtregie (Thomas Trummer) und sprechender Musik (Jörg Gollasch)."

"Dabei fragt man sich, wie man so großartige Filme wie 'Revanche' drehen und dann am Theater so scheitern kann,"  schreibt hingegen Colette M.Schmidt im Wiener Standard (13.2.2010) über den Abend, dessen Stoff ihr streckenweise wie "Philosophie für Einzeller" und kaum geeignet für "höherentwickelte Theaterformen" erschien. Schaudernd fasst sie den Plot zusammen, aus dem sie bald sogar "das Nebelhorn des 'Traumschiffs'" tönen hört. "Überhaupt vernimmt man diese Dialoge zwar oft von Zuhältern, Bardamen, gelangweilten Ehefrauen und aufmüpfigen Töchtern - allerdings nur in schlechten TV-Serien, nicht im Leben, das der Autor als Schule seiner Protagonisten behauptet. Viele Themen werden nur angekratzt: der Sinn des Lebens, die Frau, ein von Männern imaginiertes Zwitterwesen von Heiliger und Hure, die Halbwelt als Spiegelbild der Gesellschaft und schließlich Einsamkeit."

 

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