Wieviel Spektakel darf's denn sein?

von Felizitas Ammann

Zürich, August 2007. Eine laue Sommernacht, man hat Freunde getroffen, über die Tricks der Gaukler gelacht, ist erwartungsvoll Schlange gestanden und sitzt nun an seinem Platz: Vor sich die paar Bretter, welche die Seebühne bedeuten und dahinter das Wasser, die Lichter am anderen Ufer, darüber der Sternenhimmel. Wenn dann noch der Vollmond scheint und die chilenische Compañia de Paso durch die Luft fliegt – dann fragt sich keiner mehr, ob es das Theaterspektakel noch braucht, klagt keiner, er habe schon alles gesehen, ist nichts zu avantgardistisch und nichts zu populär.

Häufiger war in den letzten Jahren allerdings ein anderes Szenario: Endloser Regen, verbunden mit der unvermeidlichen Sinnfrage. Das ist nichts Neues. Natürlich hat sich das Zürcher Theaterspektakel – einmalig schön am See gelegen und zu einem der großen europäischen Sommerfestivals geworden – in den 27 Jahren verändert. Ein Blick zurück aber zeigt, dass viele Herausforderungen die gleichen geblieben sind und die heute diskutierten Probleme schon früh wahrgenommen wurden.

Anfänge

Erfunden wird das bunte Treiben 1980 von einer Handvoll Kulturaktivisten, unterstützt vom Zürcher Tages-Anzeiger und der Stadt Zürich. Die Zeit ist reif. Lautstark sind die Forderungen nach Raum und Geld für alternative Kultur, die Jugendunruhen gipfeln im Opernhauskrawall, man erkämpft sich die rote Fabrik als autonomes Jugendzentrum. Der soziale Austausch ist den Initianten des Spektakels ebenso wichtig wie die Kunst. Ein Volksfest soll das Spektakel sein, aber eines ohne Schützenhaus, dafür mit politischen Inhalten.

Die ersten Jahre sind improvisiert, chaotisch, wild. Doch erstaunlicherweise dauert es gar nicht lang, bis sich das Spektakel etabliert und der Betrieb normalisiert. Im Buch "Spektakel", das 1990 zum 10. Jubiläum erscheint, erinnert sich einer: "In den ersten Jahren des Spektakels war man manchmal echt gespannt, erwartete eine action, vielleicht, dass jemand eine Rauchbombe in ein Zelt wirft. Heute hat sich alles beruhigt. Die wenigsten mucken auf, wenn man ihnen das Essen im Zelt verbietet, kaum einer tituliert einen noch mit ‚Faschist!’ oder ähnlichem." Ein anderer schildert, dass die Zuschauer bald so manierlich für Karten anstanden wie die Bildungsbürger im Opernhaus. Viele klagen, dass die politische Schlagkraft der ersten Produktionen – im Straßentheater zum Beispiel – schnell abgeflaut sei.

Aus Hallen in Zelte
Dass das Theater neue Räume suchte, das war 1980 nichts Neues mehr. In Zürich war es vor allem Christoph Vitali, der Theater gastspielweise ins Schützenhaus und in Fabrikhallen brachte. Aber auch das Zürcher Schauspielhaus betrieb in den Siebzigern eine Bühne in einem Tramdepot. Am Spektakel waren es Zirkuszelte mit einfachster Technik. Diese wurde bald verbessert, und inzwischen stehen auf der Landiwiese einige stabile Zelte, die so professionell ausgerüstet sind wie die Häuser, die man einst verließ. Geblieben dagegen sind die vielen Gaukler, Jongleure und Feuerschlucker, die Jahr für Jahr mit den gleichen Tricks anreisen – was die einen freut und die anderen ärgert.

Plattform für freie Gruppen sollte das Festival sein, die freie Szene in der Schweiz aber war 1980 erst dabei, sich zu entwickeln und fand kaum Gnade vor den strengen Augen der Programmgruppe. Stattdessen tauchten – dank guter internationaler Vernetzung – schon früh Namen auf wie Laurie Anderson, Fura dels Baus, The Wooster Group, Josef Nadj oder Forced Entertainment. Auch dieser Einfluss förderte die Qualität der hiesigen freien Szene, die heute selbstverständlich ins Programm gehört. Inzwischen hat sich die Situation in Zürich grundlegend verändert: Es gibt einige alternative Spielstätten, das Schauspielhaus ist keine verstaubte Hochkulturbastion mehr, Häuser wie das Theaterhaus Gessnerallee und neue Festivals wie die Zürcher Festspiele zeigen auch internationale Gastspiele.

Die Ära Schwaegermann

In dieser Situation stellt sich die Frage nach der Legitimation des Spektakels unweigerlich. Maria Magdalena Schwaegermann konnte sie während ihrer künstlerischen Leitung 2001 bis 2007 nicht aus dem Weg räumen. Sie behielt den nouveau cirque bei, der sonst in Zürich kaum eine Bühne findet. Brachte Konzerte und Musiktheater, Schweizer Gruppen und neben ihren Schwerpunkten Australien und China viele europäische Gäste, von denen einige mittlerweile auch anderswo in der Schweiz zu sehen sind. Ihre Vorliebe für Spartenübergreifendes wurde letztes Jahr vom Tages-Anzeiger scharf als "Avantgarde von gestern" kritisiert. Für ihre letzte Ausgabe 2007 blieb Schwaegermann ihrem Konzept treu, hatte dabei allerdings keine sehr glückliche Hand. Nur wenige Produktionen vermochten zu begeistern. Ihr Ziel, das Spektakel mit einer Akademie zu ergänzen, konnte sie nicht verwirklichen.

Kunst oder Küche?

In der Dekade davor, unter der künstlerischen Leitung von Markus Luchsinger (1990 bis 2001) waren die Schwerpunkte ausgeprägter. Mit den Szenen in Osteuropa, dem Maghreb oder dem nahen Osten baute er einen kontinuierlichen Kontakt auf. Vielleicht wird es wieder in eine ähnliche Richtung gehen, wenn nun Sandro Lunin die künstlerische Leitung übernimmt. Der Zürcher hat selbst viele Jahre am Spektakel mitgearbeitet. Seit 1997 hat er am Theater Schlachthaus in Bern neben Schweizer Gruppen Schwerpunkte aus Südafrika, Schwarzafrika oder dem nahen Osten gezeigt.

Doch die Landiwiese ist nicht nur der Ort, an dem die internationale Theaterkunst auf Zürich trifft. Es war von Anfang an auch ein wichtiger Begegnungsort für die Stadt selbst. Und das ist immer noch so. In den letzten Jahren wurden 25.000 bis 30.000 Karten verkauft, auf die Wiese kamen aber jeweils um die 100.000 Leute. Das freut die Wirte und ärgert manchen Kulturmenschen, der klagt, dass sich das Interesse für andere Kulturen bei vielen auf das Kulinarische beschränke. Die Frage wird bleiben: Wieviel Spektakel verträgt das Spektakel? Auch das ist nichts Neues. Initiant Jürg Woodtli berichtete schon 1982: "Es läuft fast zu gut! Zur Freude über den Publikumsandrang kommt auch Angst hoch... Zuviele Leute kommen mittlerweile mit dem Saxophon, Gitarre und Trommeln hierher. Zuviel Miteinander stört sich, führt zu einem Jahrmarkt. Und im Zentrum sollte ja das Theater stehen."

 

www.theaterspektakel.ch

Kommentar schreiben