Presseschau vom 24. Februar 2010 – Oliver Reese schwärmt vom Berghain
Zur Garderobe umfunktionierte Darkrooms
Zur Garderobe umfunktionierte Darkrooms
24. Februar 2010. In der Frankfurter Rundschau berichtet Oliver Reese , wie er vor zwei Jahren zum ersten Mal ins Berghain ging, ein Tipp seiner sich gerade im clubfähigen Alter befindlichen Tochter. "Der erste Eindruck ist atemberaubend, überwältigend, unvergleichlich. Man wähnt sich eher in der Bronx als in der eigenen Hauptstadt, wie Herzog Blaubarts Burg, beleuchtet von David Lynch, liegt das ehemalige Heizkraftwerk auf einer Anhöhe im Nowhereland hinterm Ostbahnhof. Hat man es hinein geschafft, beginnt Phase 2 der Überwältigung. Der gigantische, absolut einmalige Ort ist durchgearbeitet bis ins letzte Detail. Kein Licht ist zufällig gesetzt, kein Zementsofa ohne Bedacht aus Fundstücken entworfen."
Das Berghain sei glänzend inszeniert. "Die Inszenierung beginnt bei der unfassbaren Schlange und hat einen ersten Höhepunkt beim tätowierten Gesicht des Türstehers. Sein Gesicht ist das Gesicht des Clubs, hinter dem sich die Macher gelassen verstecken können. So meiden sie die Öffentlichkeit, es gibt keine Fotos aus dem gesamten Club und sie geben keine Interviews. Die Dramaturgie der Nacht, der Wechsel von Dämonie, Sex (Eros?) und Wärme (z.B. der lauschige Biergarten, in dem die Partycrowd durchatmet!), ist scheinbar immer spontan und wirkt zugleich, als führte jemand mit glänzendem Gespür für Timing wie für Anarchie Regie."
Umso überraschter sei Reese gewesen, als er bei seinem Versuch, Theater im Berghain zu machen, "nicht auf verschlossene Hinterzimmer traf, sondern auf eine Offenheit, die durch subtile Kenntnis der Berliner Theaterszene abgerundet war." (Barrie Kosky inszenierte dort im Dezember 2008 Strindbergs Traumspiel, wir berichteten).
Dass ausgerechnet das bürgerliche DT Eingang in die Clubwelt fand und bei seiner Produktion die berüchtigten Darkrooms allabendlich zu Garderoben für die Schauspieler umfunktionierte, sei kein Versehen gewesen, "sondern das Ergebnis einer besonderen Lust an Reibung auf beiden Seiten." Dass das düstere, sagenumwobene Berghain nun im grellen Rampenlicht der öffentlichen Meinungsdebatte steht, sei "irgendwie sehr unpassend", schreibt Reese. "Aber wem, wenn nicht den Machern dieses Clubs, sollte zuzutrauen sein, sich selber wieder neu zu erfinden."
(sik)
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