Presseschau vom 10. März 2010 – Matthias Heine trauert ums ehemalige Volksbühnenensemble
Phantomschmerz
Phantomschmerz
10. März 2010. Die heutige Klage über die Zersprengtheit des einstigen Volksbühnenensembles erschallt von Matthias Heine in der Welt. Herbert Fritsch und Astrid Meyerfeldt in Oberhausen, Milan Peschel im Maxim Gorki, Sophie Rois mit Pollesch unterwegs oder in Leipzig, und Kathi Angerer, ach!
Jeder, der in den 90ern in Berlin ins Theater gegangen ist, kennt den Phantomschmerz. Auch die nachtkritik.de-Redaktion. Andererseits: Ist es nicht ganz schön hauptstadtprovinziell, das alles für sich allein haben zu wollen? Und wäre es allen denn lieber, die Volksbühne befände sich in der ewigen "Pension Schöller"-Zeitschleife, während Frank Castorf selbst sein Bier längst in Bochum oder Brasilien trinken würde? (peko)
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Interessanter als Nostalgie ist für mich die Frage, warum sich kein neuer Castorf, keine Himmelsstümertruppe zeigt, die so einen Laden übernehmen könnte. Brave Talente optimieren ihre Karrierechancen allüberall. Kein Funke in Sicht. Das Theatertreffen ein Schatten früherer Jahrgänge.
Wer belehrt mich eines Besseren? Was machen wir mit dem Betonkarton in Mitte?
In Wien geht es vielen so mit den Peymann-Jahren. Gott war da was los, war das ein Aufbruch, eine Diskussion, eine Energie, eine Freude. Theatererfolg national, Theatererfolg international. Dann wurde es wieder still, gestylt und mondän und wir natürlich immer älter. Die Sehnsucht nach solchen elementaren Theaterbeben bleiben aber wahrscheinlich für immer bestehen.
@berliner
Wenn Sie nur in die Volksbühne wegen der scharf angezogenen Frauen gegangen sind, ist da schon was falsch in der Denke. Im Übrigen gibt es die ja dort immer noch, nur Ihr Eindruck von früher hat sich verklärt. Versuchen Sie es ruhig mal mit dem Maxim Gorki Theater. In der Zwischenzeit wird sich schon noch jemand für die Volksbühne finden.
@Wienerin (Susanne Peschina)
Schätzen Sie Ihr Burgtheater nach Peymann nicht zu gering. Ich bin jedes Jahr für ein paar Tage zu den Festwochen in Wien und habe immer noch sehr interessante Inszenierungen an den Häusern der Burg finden können. Glauben Sie mir und seien Sie froh, dass Sie den Peymann los sind.
Na da spricht ein ganz Weiser....Er weiß ja natürlich wer welche Theatererlebnisse hatte...haben darf...alles nur "Alter"-trottelige Verklärung wie er in Ferndiagnose befindet.
Warum S i e natürlich zu etwas schreiben was Sie - wie Sie selbst anmerken - gar nicht erlebt haben, ist auch erhellend. Müssen Sie unbedingt infantil auf sich aufmerksam machen, damit andere ja nur nicht reden können?
1) Als ich anfing, ins Burgtheater zu gehen, war Peymann schon lange nur mehr ein Abklatsch seiner selbst. Dass sie Jahre zuvor vielleicht tolle Erlebnisse hatten, ist ja wunderbar. Dazu habe ich ja gar nichts gesagt. Aber: Das ist doch für das Theater heute irrelevant. Es hat ja auch vor 200 Jahren tolle Aufführungen gesehen, die wir beide nicht gesehen haben. Und, hilft uns das heute weiter? Nein.
2) Ich glaube aber tatsächlich, dass viele ZuseherInnen ihre Theatererlebnisse mit der Zeit verklären. Ich beobachte das ja sogar an mir (zu meinem Erschrecken). Meine Güte, wie viel Unsinn hat Peymann schon zu Wiener Zeiten produziert, die viele heute nicht mehr wahr haben wollen.
3) Wieso wissen Sie, was ich erlebt oder eben nicht erlebt habe? Worum es mir ging: Es gab auch danach unzählige Theatererlebnisse, die für viele ungemein prägend waren. Nur - und das Wort sagt es bereits - geprägt wird man in einer bestimmten Phase seines (Theaterzuseher)-lebens. Vielleicht waren und sind Sie für gewisse Prägungen nicht mehr offen? Ein wenig Selbstkritik wird doch wohl möglich sein.
4) Wer hat ihnen denn verboten, zu reden? Seien sie doch nicht immer so wienerisch "angerührt" ...
Sehr geehrter 123, 'n bissel merkwürdig ist das schon oder, wenn Sie schreiben, Sie kennten Herrn Heine, nennen aber Ihren Namen nicht? Wir haben keine Lust die Leiter zu halten, auf die Sie steigen, um den Großen Bruder zu geben, who is watching Matthias Heine.
aha..
und deiner meinung nach ist castorf nicht genauso zum mainstream geworden, der von den spießermamas und -papas bei starbucks und ikea mit volvo mit leuchtenden augen zitiert wird?? meiner meinung nach ist er genauso ein dinosaurier wie mick jagger auf der brigittetitelseite! warum probiert er sich nicht aus? warum bleibt er jahrzehnte auf diesem schalchtschiff sitzen und zieht nicht mal probewiese für n paar jahre wieder in ne andere stadt?? -- ich denke, alles wegen
der bequemlichkeit und kohle...ist doch n sicherer job, diese jahrzehntelange intendanz...und was aus der qualität wird..egal..der ruf stimmt ja.. --
ja, er war innovativ..ich habe ihn schon 1991 im langen ledermantel kennengelernt. aber: er war nicht der einzige damals, der die dinge aufgebrochen hat..da gab es vorher diese ganze performancebewegung aus den achtzigern, die woostergroup, ja, und sogar heiner müller mit seinem achtstundenhamlet plus integrierter hamletmaschine...ja, auch der kriegenburg war ein eigenständiger...nur wenig später, beileibe kein schüler. und die lauterbach. die letzteren sind versunken..immer wieder..aber castorf inziwschen auch. der ist nur bodenständiger und beharrlicher in seinem chefsessel siztzengeblieben. ..ja, möge ein sturm wehen und das schiff volksbühne wieder durchblasen..ich fürchte aber, die mode driftet in ne ganz andere richtung..warum poliert sich der alte herr nicht mal wieder so richtig durch, wirft alle alten mäntel ab und probiert was neues? einen neuen stil? ---ich denke, er ist einfach müde geworden..der zahn der zeit,...aber dann könnte er doch lehren..oder einfach anderen an seinem haus ermöglichen, super inszenierungen zu machen, neuen , ja, ganz neuen, jungen leuten...die er fördern würde...vielelicht als mentor im hintergrund...zum beispiel als ein nicht inszenierender intendant...loslassen..um sich wieder neu zu definieren...??
Sie holen ja hier zu einem Rundumschlag auf das deutsche Regietheater aus. Alles nur Nachahmer, Streber und Kommerzkasper? Wer ist den Ihrer Meinung nach überhaupt noch in der Lage gesellschaftlich relevantes Theater zu machen?
nein, sie haben mich nicht verstanden
castorf hat das nicht alles alleine erfunden, siehe oben. und ich zweifle daran, daß er mit absicht, resignation ausstellt. ich bin sicher, er kann nicht mehr anders gerade. ist einfach müüüde...alles andere ist ein reingeheimnissen in etwas, das nicht da ist. eine illusion..
was ich auch schade finde ist diese generelle diffamierung, sowohl der sekretärin, die tocotronic mag (warum dürfen sekreterinnen, und seien es auch alle, nicht tocotronic mögen?) als auch des volvo fahrers, der gern zu starbucks geht, klar man könnte sich subtiler schuldig am leid der welt machen, aber das hier so oft, so hemmungslos mit dem ersten stein geworfen wird, finde ich überheblich und nervend.
kann mal jemand definieren, was relevant am theater meint?
Meine Frage: Wie ist die Perspektive?
Die Gesamtlage der Berliner Theater finde ich derzeit so traurig, daß ich kaum Lust habe mir noch mehr anzusehen. Von Peymann muß man nicht mehr reden. Das DT wird immerhin noch bespielt. Das Maxim-Gorki ist zu Armins Billigmarkt geschrumpft. Die Schaubühne verdeckt mit hektischer Betriebsamkeit, daß das Haus im Grunde vakant ist. Castorf verweigert diesen Schein, aber trotzdem wehen da nur laue Bühnenlüftchen. Was ist los?!
Vorschlag 1: Die Volksbühne für Sascha Waltz & company.
Vorschlag 2: Die Volksbühne erst mal leer stehen lassen. Volksbühne rasa. Jeden Abend Vorstellung, aber es gibt nix zu sehen. Leere Bühne.
Ist es jetzt gerade an der Zeit, daß "Oberhausen" Berlin etwas zurückzugeben hätte ?, was für ein eigenartiger Gedanke überhaupt ! Nehmen wir "Oberhausen" einmal dankend an als stellvertretend für andere wie zB. Leipzig.
Wer nach Leipzig fährt und sich gerade auch die kleineren Abende antut, sicherlich lohnen aber auch Grebes "Karl-May-Festspiele", der sieht und erfährt, der erlebt und nimmt mit: eben, keineswegs (nur) Epigonales, sondern eine bemerkenswerte Variantenfülle an Schauspieler-theatermöglichkeiten: da ist Leipzig wirklich derzeit sehr stark, mit sich entwickelnden eigenen Handschriften junger Regisseure, die in der Tat über kurz oder lang verstärkt nach Berlin drängen dürften, von sich aus !!
Was will ich damit andeuten ? Ich verstehe da die Blickrichtung garnicht so besonders gut: Einerseits wird Herrn Castorf beinahe schon nahegelegt, verstärkt als eine Art Lehrer zu wirken oder gar eine tatsächliche Schauspiel-schulen-Dozentur anzutreten, das Regie-Führen sein zu lassen, andererseits wird den "Castorf-Leuten", die teilweise wie gute Lehrer etc. wirken, gerade das nahewegs zum Vorwurf gemacht, und schnell geht der Blick weg von den Regisseurinnen/Regisseuren, die allemal eigentlich auf gutem Wege sind, Volksbühnenabende zu stämmen: die Abende an der Skala "Hunger", "Idioten" und "Im Pelz" stimmen da -mich jedenfalls- eher zuversichtlich; und von Weimar kann ich ganz Ähnliches sagen: siehe
Schlocker-Abende!
Ich bin fernab davon, dieses "Immerjüngerding" zu propagieren, aber in diesem Falle sehe ich wirklich mehr den notwendigen Blick: nach vorn.
Was trübt diesen Blick eher ?
Genau ! Wenn Oberhausen dann plötzlich auf ganz andere Weise tatsächlich seine Leute freisetzen muß, dann gibt es weder Lehrer in der sogenannten Provinz noch Schüler, die behutsam auf Berlin zugeführt werden könnten, denn es ist natürlich so ein Hauptstadtzug da im Streben nach Kunst:
etwas Wettbewerbliches, Hierarchisches, Kämpferisches! Insofern sind die heutigen Signale vom Bühnenverein her erfreulich : die Chance, daß jetzt nicht das Verkehrteste "dräut" (wie Franz Wille zu den Kirschgärten ua. in Leipzig "spaßt"), ganz im Sinne einer prinzipiellen flächendeckenden Solidarität der Theater (ob Provinz, ob Zentrum, ob frei, ob stadttheatergebunden, ob dramatisch oder postdramatisch, Osten, Westen, Süden, Norden, Mitte (Frankfurt ??)), wie Sie im Editoral der Märzausgabe der "Deutschen Bühne" erscheint als Möglichkeit!
Wer immer häufiger seine besseren Theaterabende bei kleineren Produktionen ausmacht, und das ist bei mir der Fall, kommt schnell in eine eigenartige Melange von Spiegelstrich-sprachspielen, zu denen gehören könnte: "Wenn mir gerade diese kostengünstigen kleinen Abende so gut gefallen, dann geht Theater ja wirklich bedeutend günstiger ... ." "Spiegelstrich-sprachspiel" ua. deswegen, weil dergleichen sich ziemlich stante pede daherformuliert, ohne auch nur annährend Argumentqualität zu haben, denn das würde ja wirklich die meisten Theater-möglichkeiten, die sogar an das Religiöse rühren, bei dem noch verstocktesten Menschen, geradezu in herrlichen Zukurzdreisprüngen schlichtweg mit dem Bade auskippen. Nein, das Problem ist doch viel eher ein solches, daß immer weniger Neue auf schrittweisem Wege die Möglichkeit bekommen, sich auf wirklich großen Bühnen auszuprobieren ! Warum nicht einmal andersherum argumentieren: Das Schillertheater oder die Karlshorster Großbühne: das wäre etwas für Schauspielschulen, Jungschauspieler, Jungregisseure ! Wenn es soetwas gibt, dann ist es eine Frage der Zeit, und an der "Castorfbühne" wird es wieder allerlei Abende geben. Naiv ? "Man" kläre mich auf !!
ist es nur, wenn es dem einzelnen etwas neues aufzeigt, das er in seiner individualität nicht selbst erkennen konnte..das kann in einer politischen form sein wie es z.b. in der ddr als hilfreiches sprachrohr einer sonst zum schweigen verurteilten gesellschaft war - oder auch nur, wie in der brd praktiziert - in einem emotionalen erkennen, wenn bestimmte gefühlszustände nicht erlebbar sein dürfen...---manchmal ist es auch nur ein moment, ein gedanke, der aufblitzt und einen in weiteren tagen verfolgt..und oft..wenn es gut läuft..auch nur ein schönes bild, eine neuer, erstaunlicher raum, ein licht, das aufblitzt, eine situation, eine sprache, zwei zeilen..eben kunst, die einen begleitet und die man in der seele speichern kann für zeiten ohne theater...ein raum der freiheit der gedanken, der grausamkeit, der schönheit, des häßlichen, der poesie und auch der anklage..es gibt so viele verschiedene ansätze...---aber traurig und nicht relevant wird es, wenn deutlich wird, dass das team da vorne das theater nur aus eitelkeit, fließbandarbeit oder geldgier fabriziert, dann wird es nur langweilig..---aber alles andere ehrliche suchen ist kunst...warum lieben wir kunst? warum gibt es kunst? warum berührt uns kunst? das ist hier die frage...---und theater ist einfach wahnsinnig vielfältig, weil es alles beinhalten kann, aber nicht muß: installationskunst, bildende kunst, musik, sprache, tanz, bewegung...gefühle, politik, emotionen, rebellion..und es eigentlich so wahnsinnig vielfältig ist, tausend ansätze..und dann verharren da so eitle regisseure in ihrem einmal vor jahrzehnten gefundenen stil und exerzieren ihn durch bis daß der tod sie erlöst...aus markengründen..anstatt den mut zu haben, sich und das theater immer wieder neu zu suchen und zu finden...
Ja, Kunst soll und darf nicht stehen bleiben. Ich gestehe es Künstlern aber auch zu, sich innerhalb eines Rahmens zu bewegen und zu entwickeln - Gefundenes zu vertiefen und zu variieren; nicht geschichtsvergessen (auch seine eigene Künstlergeschichte) immer alles so schön neu machen zu müssen.
Zumindest in den Castorf Inszenierungen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, konnte ich das erkennen: Das "Aufblitzen", von dem Sie sprechen. Und das passiert mir selten.
Ob er Resignation dabei bewusst ausstellt oder das ganze aus seiner Müdigkeit resultiert, ist mir dabei herzlich egal. Ich für meinen Teil kann aus dieser Resignation in jedem Fall mehr - ich sage es jetzt mal pathetisch - Erkenntnisgewinn ziehen, als aus vielen anderen Theatererlebnissen. Insofern bleibt - zumindest für mich - Relevanz bestehen.
Außerdem werde ich immer skeptisch, wenn das Theaterpublikum so unisono zu einer Meute wird und einen Künstler partout abschreiben und fertig machen muss.
Er arbeitet am falschen Ende des Spektrums. Das ihm selbstauferlegte Utopieverbot in der Ästhetik ewig an sich selbst Agonie betreibender Revolte ist überkommen. Die Verweigerung von Ermunterung, von Versuchung und Ermutigung ist in der Hauptsache seiner eigenen Ermüdung zuzuschreiben. Er fügt uns nicht genügend Unwirkliches zu. Es fehlt ihm in jeder Weise an Idealismus. Er lebt auch erst seit zwanzig Jahren in der BRD. Ihm fehlt die historische Erfahrung der 68ziger oder der Grünen; wohl aber erlebt er die Rekonstruktion alter Sozialgefüge durch den Neoliberalismus, mal ins Grobe geredet.
Wir leben in einer Demokratie, die sehr wohl rechtlich verbrieften Einfluss auf ihre Gesellschaft zulässt. Theater könnten hier eine Vorreiterrolle spielen, neue Ideale entwickeln, statt selbstverordnete Resignation zu betreiben.
Die Beschreibung der Ohnmacht, ist noch nicht die Ohnmacht selbst, aus der man möglichst schnell erwachen will, wenn sie unfreiwillig daher kam. Die Diktatur kann nicht als Revolution überleben, hieß es bei Braun. Ebenso wenig die Demokratie im Dauerkoma. Das Abgehen jeglicher Vision, was auch oder anstatt sein könnte, ist die eigentliche Krankheit an der die heutige Kultur zu ersticken droht.
Dieser ewige Sauerstoffmangel in den verschiedensten Inszenierungen der Apologie des Niedergangs ist ätzend, zwar käuflich, von daher auch Produkt, aber kaum kommensurabel.
Castorf ist schlicht und ergreifend ungeübt in visionären, demokratischen Kunst- und Kulturäußerungen und versucht uns seinen persönlichen Befund als Kollektivdiagnose vor zu gaukeln. Im Kostüm des Idealismus sähe seine Müdigkeit eher wie subventionierte Faulheit aus. Der Mann könnte anders, wenn er mal den Schlafanzug von vorgestern ablegen würde, diese ewige Tracht der ästhetischen und dekonstruierenden Rebellion und endlich zu dem Aufklärer reifen würde, der er eigentlich sein könnte.
Einer, der Menschen mehr zutraut als müde auf Seesäcken zu lagern.
Grob gesagt, Castorf wäre doch ohne die Wende gar nicht denkbar. Und nun müssen die Dinge noch einmal gewendet werden. Er muss einfach in die Verlängerung gehen und endlich seine Resignation besiegen. Manche Vorgänge funktionieren nur mit künstlerisch und auch politisch ausdifferenzierter Kraft ohne den Zusatz von simuliertem Totentanz.
Da hilft hin und wieder auch der Selbsthinweis: Ich will nicht verrotten und mich selbst durch eine Pose entsorgen.
Vielleicht sollte er auch mal das Stalinbild in seinem Büro abnehmen, falls es dort noch hängt, und wenn er keinen Ersatz findet, den leeren, hellen Fleck ertragen. Wenn er einfach nur müde ist, soll er schlafen gehen, aber bitte nicht auf der Bühne oder im Zuschauerraum.
Wo sehen Sie einen Zusammenhang von fehlendem Idealismus und nur zwanzig Jahren BRD? Vielleicht ist der Frank Castorf ja gerade in den zwanzig Jahren verloren gegangen.
Es braucht keine historischen Erfahrungen der 68iger und Studentenrevolten um Ideen zu entwickeln. Gerade im täglichen Kampf mit sich selbst in einer totalitären Gesellschaft entstehen wirkliche Reibungsflächen und alternative Strukturen. Haben Sie die Ausstellung Poesie des Untergrunds im Prenzlauer Berg Museum gesehen? Also ich kann in Ihren Ausführungen keine echten Gründe für Frank Castorfs Resignation sehen.
Vielleicht muss ich jetzt einen Seesack-Blues schreiben. Aber ich glaube nicht, dass das hilft.
ich sage nicht, dass peymann jetzt relevantes theater macht, aber in den 70er und 80er jahren war es politish und gesellschaftlich relevant, genau wie castorf in der ddr enorm politisch war und nach der wende revolte, rebellion und postmoderne ein äthetisches und politisches gesicht gegeben hat. diese ironie, dieser wütende zynismus, diese wut auf die verhältnisse, war doch ein enormer politischer massstab für berlin und hat die stadt real verändert. das theater sowieso. wer hat denn eine wooster group gekannt ? das ist doch ein witz, castorf hat ein haus übernommen und freunde wie haußmann gleich das nächste. die neumann/castorf ästhetik ist von allen abgekupfert worden, vom einlaß bis zum spielplan, von der dramaturgie bis zur musik, von den kostümen bis zum programmbuch. nur die haltung wurde nicht übernommen. jetzt regiert die völlige beliebigkeit und die gier. ich habe gerade gelesen, das DT spielt pollesch, schlingensief, petras. das Dt in berlin ! das ist doch grotesk. bei allem verständlichen ehrgeiz und kaufmännischer pflicht zum namedropping, das grenzt an selbstdemontage. so ein haus mit so einer geschichte in so einer stadt. da fehlt nur noch castorf und peymann, die dort inszenieren, dann hätte das dt alle häuser in seinem haus.obwohl so eine spielplangestaltung oberflächlich gesehen unpolitisch daherkommt, ist sie enorm politisch. sie suggeriert, dass man in berlin ein oder 2 häuser auch schliessen könnte, zumal sie ja das gleiche spielen. und der wahnsinn ist, es stimmt sogar: das dt kann geschlossen werden, es würde-ausser kriegenburg-keine lücke entstehen. und bei allen flops, ohne castorf und peymann würde eine lücke enstehen, weil theater mehr ist als nur eine dosenfabrik. es hat was mit haltung zu tun und für eine haltung braucht man einen charakter. mag castorf noch so langweiliges zeug produzieren, er macht nie auf betriebsam, um diese derzeitige leere in der kunst und in der politik zu kaschieren, er stellt und hält sie aus.für mich ist das ein echo, eine künstlerische reaktion auf einen gesellschaftlichen istzustand. p.s.: deutschland ist gerade im krieg. bin gespannt was historiker später mal schreiben, wie das theater auf diese tatsache reagiert hat.
Liebe Redaktion, es gibt viele Möglichkeiten auf Idealismus und Opptimismus zu reagieren. Mit Ihrem "Steh auf" wählten Sie mal wieder den einfachsten Weg. Warum auch nicht. Wissen Sie, nach solcher Polemik nehme ich vielleicht ein heißes Bad und danach ist alles genauso wie vorher. Momentan brauche ich nicht einmal eine Zuflucht zu einer kleinen Depressionen. Da müssen Sie schon mit anderem Pulver schießen, falls Sie Lust dazu haben.
Liebe/r 123,
wie immer verstehe ich nicht ganz. Jedenfalls habe ich die Überschrift von "Steh auf ..." geändert. Ich wollte keine Polemik starten. Die Schalke-Fans meinen es auch nicht ironisch, wenn sie Kampf einfordern ("Steh auf, wenn du ein Schalker bist!"). Ich hatte Ihr: "er muss einfach in die Verlängerung gehen" tatsächlich als Aufforderung verstanden, zu kämpfen, es sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit bequem zu machen. War das falsch?
jnm
Sie wollen mich nicht verstehen. Sie haben auch bewusst meine Frage nicht beantwortet.
Aber das ist auch typisch, ich habe nichts anderes erwartet. Zwanzig Jahre nach der Wende werden immer noch konsequent Ost-Biografien negiert oder falsch gedeutet und allen Ossis eine Westsozialisierung aufgezwungen. Vielleicht denken Sie mal darüber nach und dann lassen Sie sich wieder zu Frank Castorf aus.
@ingeborg
eine wooster group kannten ne menge leute. nur zur info: die gab es schon VOR castorf. wenn sie sie nicht kennen/kannten, so sollten sie nicht von sich auf andere schließen...
Herzlichst
123
So und was haben zum Beispiel Joschka Fischer und Claus Peymann ihre 68ziger-Erfahrungen gebracht. Ellbogenmentalität und gute Posten. Idealismus sehe ich da nicht. Claus Peymann spielt immer noch den Möchtegernrevoluzzer, dabei leitet er schon lange kein innovatives Theater mehr sondern ein Gruselkabinett. Dagegen nimmt sich Frank Castorf nahezu jugendlich frisch aus.
Nö, liebe/r 123, ich will Sie nicht outen, ich weiß auch gar nicht, wer Sie sind. Ich weiß nicht mal, worüber Sie sich jetzt gerade aufregen. Aber, ehrlich, zwischendurch musste ich mal raus. Hat es Ihnen zu lange gedauert?
Gruß
jnm
" Nein, ich beuge mich; Sie haben Recht." Der soll seinen "Arsch" nicht liften. Er soll ihn lüften und hochkriegen. Bin ich Castorf ? Nein. Er hat die Möglichkeiten. Mach los Frank! Wie willst Du meinem Sohn dein Versagen in zehn Jahren erklären ? Der macht dich fertig. Den hab ich erzogen. Und er hat sich oft beklagt, aber nie seine Sehnsucht, seine Liebe aufgegeben. Liebster, ich verbeuge mich vor dir. Du weißt schon, was ich gerne schreiben würde.
Was ist Ihnen denn passiert? Tut mir leid wenn ich penetrant gefragt habe. Ich bin ehrlich an Ihrer Meinung interessiert. Ihre Erfahrungen stehen für mich nicht zur Debatte. Die haben Sie und die will und kann ich Ihnen nicht nehmen. Aber auch ich habe Erfahrungen, nur will die im Westen keiner hören. Das empfinde ich als Problem.
Wollen wir wieder auf eine normale Ebene des Gedankenaustausches zurück kehren? Ich würde das begrüßen.
Den Peymann vergessen Sie am besten ganz schnell, das war nur ein Beispiel, das sich hier in Berlin einfach aufdrängt.
Das ich nicht gleich geantwortet habe, liegt daran, das ich heute wieder einen Selbstversuch in der Volksbühne, also am Ort unserer Diskussion, unternommen habe. Und was soll ich sagen, es funktioniert auch Theater neben Castorf. Es hat heute auch keiner geschlafen.
Vielleicht überlegen Sie sich das noch mal. Bis dahin Ihr Stefan.
Schabbet Shalom...
Nett von Ihnen, Schimmelpfennig, dass Sie ab und zu hier reinschreiben. Und ich dachte zuerst, Sie seien Stadelmaier.
ich habe sie ja immer verteidigt, aber nun finde ich auch,daß sie etwas viel hier rumposten. dieses forum ist kein tagebuch. es geht hier doch nicht um monologe , sondern um dialoge...oder?? entschuldigen sie diese direktheit..
Die Illusion versoffen
Den Blick geradeaus
Die Achse ausgedengelt
Jetzt komm doch wieder raus
Der Schlaf hat dich erquicket
Wir warten alle schon
Den Arsch zusamm´gekniffen
Der Beifall ist Dein Lohn
Von Mayenburgs schlichte, unprätentiöse Inszenierung „Nibelungen“ an der Schaubühne war sicherlich annehmbar, aber wäre das gleiche Stück von Castorf in der Volksbühne gekommen, hätte es wohl Verrisse gehagelt.
Aha, 123 will unter Umständen die Fenster von Franks Büro putzen, wenn dass Stalin-Bild endlich verschwindet und es seiner Ansicht nach wieder besser wird. Warum Castorf nicht gleich den Hintern abwischen?
Immerhin gibt es außer den Castorf-Inszenierungen an der Volksbühne noch eine Menge anderer Projekte, neben Pollesch waren die „Seestücke“ sehr interessant, vor allem auch Schroeters „Antigone/Elektra“. Etwas abenteuerlich hingegen sind Silvia Riegers verquere, schräge Regiearbeiten, die auf die Befindlichkeiten des Publikums keine Rücksicht zu nehmen scheinen. Nun, unter der Fuchtel von Castorf war sie bislang immer noch erträglich oder etwas darüber.
Ein Segen, dass Anne Tismer auch mal in der Volksbühne aufgetreten ist.
"Unisono, zur Meute wird ..." ??
Offen gestanden, um es einmal mit Humor zu sagen,
wäre ich ein englischer Landlord mit all meinen Beaglen, auf Fuchs oder so, und die täten dann so "Meute" sein, wie Sie es hier in den Thread stellen, ich würde in der Tat nahe dran sein, nicht mehr auf den Fuchs zu gehen, sondern diesen fürchterlichen "Wurf" selbst zu erschießen. Also wirklich: Meute ! Das rennt buchstäblich mal gen Westen, mal gen Osten, was das Fatale ist, gleichzeitig, auf Fuchs nur noch, weil der auch überall sein könnte, das kommt mehr so von Süd-Nord, und offen gestanden,
ich sehe da noch keinen Frank Castorf woyzeckhaft
gehetzt daherkommen: im Gegenteil: werden hier ja garnicht wenige, natürlich auch nicht meutengerechte,
Sätze gepostet, die das Bild zum Stand der "Volksbühne" differenzieren: Meinen eigenen Beitrag,
§ 19, nur nicht mißverstehen ! Ich fand das, was ich die Jahre so von der Volksbühne vernahm, zB. "Die Zofen" oder Gotscheffs "Iwanow", ich nenne diese Abende als bewußtes Gegengewicht zu den obig genannten, die ich meist nur einfach nicht sah, komme zwei-dreimal nach Berlin in so einem Jahr und leider nicht nach Kroatien, Haifa etc., München war ja schon recht weit weg für meine Verhältnisse, keineswegs so grausam; und, ich glaube, es war am 18.2.2005, von Herrn Castorf selbst sah ich Dostojewsijs "Dämonen" ! Und die waren gerade für mich, der ich eher zum Wajda-Dostojewskij neige, außerordentlich einladend dahingehend, ein wenig mehr mit dem "Gorkij-Blick" auf Dostojewskij zu sehen: diese Arkadijs, Swidrigailow und Dolgorukij, gut, die kommen in den "Dämonen" nicht vor, aber "man" kann die auch einfach mal schlichtweg als irreversible Lustmolche oder kommende Lustbuben sehen und mit "Gorkij" ganz ursprünglich ein wenig über "Selbstmordraten" infolge von Romaninszenierungen nachdenken !!
Mag sein, daß die "Kritik" eher dem Umstand geschuldet ist, daß die "Volksbühne" als eine solche eben immer auch ein wenig dahingehend befragt wird,
inwiefern sie jetzt nicht auch "Bürgerbühne" geworden
ist: das ist in der Tat eine längere und verwickeltere Geschichte, der "man" ein wenig im Lux-Artikel der Märzausgabe von "Theater Heute" nachsinnen darf, denke ich. Genau solche Fragen werden von der "Volksbühne" freilich auch an sich selbst gestellt: was Anderes ist denn sonst der "Revolution-Abend", der hier besprochen wurde: Entgegen anderer Vorschläge muß ich sagen, daß es nur konsequent war, die Außenszenen unmittelbar vor dem Haus am Rosa-Luxemburg-Platz statthaben zu lassen !!
Könnte auch ne Ausschreibung für eine "Bürgerbühne"
nach Dresdner Muster einen ähnlichen Effekt haben
wie so eine Inszenierung.
Meute ?
Also, Hundebilder sind immer wieder ein Renner, liebes Forum, nun stelle Dir nur mal ne Pitbull-Meute vor !
Ich sah dergleichen, wenn auch ausgestopft, in der
Kieler Kunsthalle, 7 "Pitbulls" -ausgestopft- in einem Raum arrangiert, ja, das Kunstwerk heißt sogar "Meute", und auch der Aspekt, so einen "Arkadij" einmal anders zu sehen, fehlte nicht: Ich nahm die Ausstellungsführung wahr mit einem Freund, ein kleines Grüppchen: Ich sah einen der Tierheimhunde, und der rührte mich tatsächlich: "Was hat man mit Dir gemacht ??", so formulierte es sich mir ungefähr. Ich kniete mich neben diesen Hund: Eine ältere Dame, die in der Gruppe war, sagte ganz ernst: "Das ist ihr Hund". Herrchen eines ausgestopften Pitbulls, wenn das mich nicht
outet !!
Nein Ich trage keine Ossi-Fahne vor mir rum. Meine Reaktion auf 123 war ungewollt sehr heftig. Für mich persönlich ist das gar nicht so ein großes Ding. Ich beobachte aber gut alles was, so oft etwas gedankenlos, daher gesagt wird und fasse dann, für manchen ganz überraschend, einfach mal nach, wie das gemeint ist. Ich stelle dann immer wieder fest, das man sich im Westen gar nicht ernsthaft mit der ostdeutschen Vergangenheit auseinander setzen will. Das empfinde ich 20 Jahre nach der Wende als äußerst bedenklich. Ich setze mich sehr viel mit westdeutscher Geschichte auseinander und habe auch meine Vergangenheit noch nicht vollständig aufgearbeitet. Und liebe Rosa, Vorsicht „sympathische Ossi-Exemplare“. Es kommt manchmal einfach nur auf die richtige Wortwahl an. Vielleicht bin ich einfach etwas übersensibilisiert, aber ich denke es kann nicht verkehrt sein, gegenseitige Achtung zu fordern. Schauen Sie sich zum Beispiel mal Die Linke an. Kampf bis aufs Messer zwischen Ost und West. Und Sie fordern Brecht. Da sind wir noch weit von entfernt.
Auf Brecht habe ich aus dem Grund verwiesen, weil mit Brecht der utopische Raum offengehalten werden kann. Und darauf kommt es an.
Castorf als gehetzter Woyzeck, ja, aber nicht von einer Meute wildgewordener Kommentatoren. Er wird eher durch die Presse immer wieder in Frage gestellt. Damit musste er sich eigentlich schon immer auseinandersetzen. Seine ehemaligen Mitstreiter, Schauspieler wie Regisseure, haben anscheinend wo anders leichte Erfolge gefeiert. Castorf muss sich diesen jedes mal wieder neu erarbeiten.
Mäßige Aufführungen gibt es tatsächlich auch auf anderen Bühnen Berlins. Die Kritik geht in letzter Zeit aber eher mildtätig damit um, wie Flohbär hier richtig bemerkt, da sich Widerstand vor allem aus dem DT gezeigt hat. Das dürfte Castorf nicht berühren, gerade deswegen bietet er eine willkommene Angriffsfläche und M. Heine hat auf jeden Fall sein Ziel erreicht, es wird wieder über Castorf diskutiert.
@ Rosa L.
Nein, Klischees interessieren mich tatsächlich nicht. Ich möchte den Menschen dahinter sehen. Und Humor und Selbstironie sind meine liebsten Hobbys.
Also Ihre Interpretationen der Postings hier finde ich ja manchmal schon etwas aberwitzig. Macht kaputt was Euch kaputt macht? Ich besitze sehr viel Ironie, aber Ton Steine Scherben hatten da wohl was anderes im Sinn.
Nur einfach Brecht zu spielen hilft auch nicht weiter, oder nützt es dem BE, das es dadurch zur Bewahranstalt für müde Revolutionäre geworden ist.
Ich habe da auch keine Lösung parat. Castorf muss sich einfach wieder selbst finden, mit oder ohne Brecht.
Wenn Du Brecht sehen willst, nimm Dir Deinen Liebsten (oder wen Du sonst so magst) und geh in Peymanns Museum. Dort kümmert man sich noch intensiv um Brecht. Das DT hat ihn auch im Programm.
Lieber Stefan, vielen Dank für den Hinweis auf die Berliner-Zusammenhänge, werde wohl doch erst im Mai nach Berlin kommen, dann schaue ich mir die Berliner Verhältnisse vor Ort an und kann hoffentlich meine Eigenerfahrung mit der Volksbühne, die ich positiv bewerte, auffrischen, freue mich, daß Sie den neuen Pollesch dann im April auf den Zettel haben und würde mich auch an dieser Stelle freuen, nachtkritik de. ein wenig mehr "Nachkritik" zukommen zu lassen !
Lieber Flohbär, vielen Dank für die Übersicht an Beispielen, die helfen dürften bzw. sollten, ein differenzierteres Bild zu zeichnen von dem, was ua. an der Volksbühne vor sich geht, aber eben auch im Blätterwald, im Publikum.
Als wäre das Publikum, als wäre dieser Pressewald klüger !
Ja, ganz wichtig, denke ich, Ihr Hinweis darauf,
daß ein und derselbe Abend von einem Haus zum nächsten in der Kritik geradezu mutieren würde bzw.
könnte: So einen Satz überprüft die Leserin, der Leser eines solchen nicht einmal im Handumdrehen: auch hier tut ein Innehalten gut, und mancher Theaterabend arbeitet sogar schlichtweg an den Bedingungen der Möglichkeit, überhauptnoch innehalten zu können, ästhetische oder andere Erfahrungen zu machen -der neue Polleschabend in HH befragt ja die Möglichkeit zu Erfahrungen, was für mich im Stückheft besser rüberkam als im Stück selbst- ... .
Zerschlagen wird nun allemal genug (siehe Stadttheater landauf, landab), und tatsächlich wird mir auch nicht ganz klar, welche Bude, also tatsächlich die Volksbühne ??, er eigentlich zerschlagen möchte und warum, der Schauspielschüler (und wie schön, daß sich hier endlich ein solcher vernehmen läßt !!): läuft das so eklatant gegen seine schauspielstudentischen,vitalen Interessen wie zum Beispiel Bologna gegen ein
kulturfreundliches oder -offenes Bildungswesen (auch das theamatisiert jener Pollesch-Abend, der da auch nicht nur seine Schwächen hat, wie ich im Aufführungsthread bislang darstellte ..., ich sehe nur eine gewisse "jugendbewegte" Einseitigkeit, durchaus den Ernst der Ansätze, hier zB. mit Theatermitteln auf "Bologna et al." zu sprechen zu kommen, was im übrigen auch mit dem "Kriegsthema" (Holzgewehre) geschieht, um auf ingeborg b. Bezug zu nehmen, und dadurch, daß mir die Mädchen als Gruppe mit Gewehren irgendwie "vertrauter" erschienen als mit Diederichsen-Zitaten im Munde führend eigentlich auch stark genug akzentuiert erscheint (für mich ! und nicht unbedingt according road-map Pollesch !!) ??
Und weiterhin: Warum immer nur der Castorf-Ruf bei all der Vielfalt, die angedeutet wurde und ganz realistischerweise nicht ständig große Abende im Gepäck hat, aber allemal gut besprechbare !! Die "Basics", von denen Herr Brandenburg zum Schwerpunkt "Protestformen" in der "Deutschen Bühne" schreibt. Zu solchen Basics zählt freilich auch, daß Erwartungshaltungen an der Schaubühne und an der Volksbühne wirklich zumeist wohl andere sein dürften, es also nicht bloße Kulturpolitik sein dürfte, wenn ein und derselbe Abend anders wirken würde.
"Übergangsgesellschaft" !
Was sich mit diesem Titel verbinden läßt, ist zum Beispiel ein Punkt, in dem Ost-West-Themen bzw. solche wie "68er - Brecht - Volksbühnendada" (siehe Castofs Selbstcharaktrisierung seines Hauses zur Wahl zum Theater des Jahres 1993 in dem Jahrbuch dazu) konvergieren: Zu dem, was so "dräut", gehört unbedingt dazu meineserachtens: das ist !! ein offenes Feld und droht allenthalben ineins und plattgemacht zu werden, was so nahe liegt bei einem Feld.
Liebe Rosa, danke, da haben Sie mir eine Steilvorlage gegeben. Brecht an der Schaubühne, das hat ja Ostermeier vor Jahren auch schon mal ganz gut hinbekommen mit Mann ist Mann. Aber der gute Mensch von Sezuan, wozu das denn? Wird das eine Sozialschmonzette? Wie darf ich mir das vorstellen? Die drei Götter Prada, Gucchi und Boss kommen auf die Erde um ihre Schöpfung zu bewundern. Shen Te verkleidet als Guido Westerwelle muss sich ihrer faulen Hartz IV-Verwandtschaft, die ihr schickes Reihenhäuschen bevölkert, erwähren und verzweifelt am dekadenten Sozialstaat. Da hilft dann auch die Band Kante nicht mehr. Die Tiere sind unruhig.
Die zweite Brechtaufführung im April gibt es übrigens tatsächlich im Brecht-Museum BE. Ich übe mich schon im Mitsingen und Schunkeln.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Brecht. Aber gute moderne Brechtbearbeitungen sind eher selten.
Übrigens schmückt sich Peymann bei Arturo Ui mit fremden Federn. Den hat Heiner Müller 1994 gemacht. Die Aufführung wäre ohne Wuttke auch heute nicht mehr wieder zu erkennen.
Ach so, das hatte ich vergessen zu schreiben:
Daß die "Schüler" und "Epigonen" Frank Castorfs es wirklich leichter haben, das ist vermutlich jedenfalls nicht immer so, zumal es nicht von vornherein schrecken sollte, es wirklich hin und wieder leichter zu haben zB. als Lehrer: Wäre ja fatal, wenn die in Weißrußland politisch hochbrisante Sachen in Hinterhöfen spielen müssen, und wenn der Diktator dann irgendwann einmal weg sein sollte, ist da ein großes Haus: und alles zittert und fürchtet im Laufe der Jahre, anders relevant werden zu müssen als zuvor, wäre ja fatal, wenn Lehrer für eine Idee den Kopf und den Arsch riskieren, und die Schüler, die es doch in bestimmter Hinsicht leichter haben sollten, fallen in
Agonie !!
Aber nehmen wir Leipzig:
Ich weiß garnicht, ob Sebastian Hartmann, der immer wieder in den Schatten Castorfs und der Volksbühne gestellt wird, ob der das dann wirklich leichter hat: wage ich zu bezweifeln;
Kommentare hier und anderswo sind da eigentlich dann doch wieder recht beredt in Richtung Schonungslosigkeit, allerdings teilweise ebenso in Richtung fanmäßiger Affirmation. Der Grundeindruck bei mir ist dann teilweise schon eigentümlich,
und ich sehe mich plötzlich eher in so eine Art hintergründig schwelenden Sachsen-Preußen-Konflikt gestellt.
Da ist es ja schon fast wieder schwierig, beide Bühnen zu mögen samt der Nebenspielstätten, heißt dann schnell: Findet eh jedes Theaterchen fesch, der Kleinbürger Horbowsky.
Da ist auch ein Fünkchen dran; irgendwie mag ich schon desmeist die Häuser, und wenn da erst ne Bühne ist, ich glaube, da spiele ich dann schon zu sehr, um ganz unbefangen zu bleiben: Auch das Haus in Rendsburg ist wirklich sehenswert, Latchinians (!!) "Virginia Woolf" habe ich dagegen vorzeitig verlassen, um ein Beispiel zu nennen, ja, ich hatte im Schleswig-Holsteinischen Landestheater noch keinen Abend, der mir gefiel: aber auch das ist kein Grund so ein Haus, ja mehrere Häuser (Flensburg, Rendsburg, Schleswig, gelegentlich Neumünster, Itzehoe ...), zu schließen, aber das nur nebenbei.
Kam ja von Leipzig her: Die haben in Leipzig in der Tat ganz viel der Volksbühne zu verdanken, und mit diesen Stoffen, ua. denen, die sie der VB verdanken, verstehen sie zu spielen (!):
das schafft zu dieser Zeit gute und lebendige Abende; selten sah ich in Theaterräumen soviel Neugier wie in Leipzig, und selten gefiel mir der Anblick einer größeren Anzahl unter 30 Jähriger so gut wie in der Skala-Spielstätte ...; allerdings bin ich nicht in der VB sozialisiert, bin garnicht sonderlich im Theater oder durch Theater sozialisiert worden; gerade die verschiedenen Sozialisierungen machen ua. den Threads hier offenbar zu schaffen (siehe Ost-West), was teilweise freilich auch castorfscher 68er-Polemik zu verdanken sein dürfte, will "man" den Blick einmal wenden. Daß diejenigen, die unter Palitzsch-Selbstbestimmungsmodellen "sozialisiert" wurden,
die teilweise sogar an Theatergründungen im Westen (siehe Kampnagel zum Beispiel oder die "Theaterfabrik Barmbek", die es nur kurze Zeit durchhielt ..., ich weiß garnicht, ob das
schon ganz tot ist ..., um zwei HH-Beispiele zu nennen) mit Haut und Haar, auch finanziell (siehe dazu auch Tismer und Ballhaus Ost), beteiligt waren, einen anderen Blick auf die Volksbühne haben dürften als der 23 Jährige (Schauspielschüler) in diesem Thread, für den Ost-West weitestgehend Geschichte ist, oder ich, der ich 40 Jahre alt bin
und von Palitzsch beispielsweise nur historisch-lesend "weiß", liegt auf der Hand, macht es der arttypischen Kürze dieser Threadäußerungen freilich noch schwerer. Teilweise ärgert mich dann eine gewisse Haltung auch, zB. wenn Franz Wille zu den Kirschgärten schreibt, das Stanislawski-Tschechow-Problem um die Komödie sei spätestens mit Karge/Langhoff gelöst ...:
verflucht, da war ich 11, und seit mindestens zwanzig Jahren höre ich immer noch Diskussionen darüber ... .
"Von Kohl (Altkanzler) lernen heißt siegen lernen. Für mich ist der Kohl das Phänomen des Aussitzens [...] Ich habe immer weiter um meine Sachen gekämpft, also borniert behauptet: ich bleibe." (Castorf in "Freitag", 4.6.93).
Also wird Castorf bleiben, mindestens bis zum ersten Herzinfarkt. Sein Problem ist, dass ihm viele Schauspielergrößen davongelaufen sind und er nun verzweifelt versucht, geeigneten Nachwuchs heranzukarren, der seine Ideen umsetzen könnte.
Ostermeier in der Schaubühne hat ähnliche Schwierigkeiten. Ich war vor einigen Tagen in "Gerettet", und da war, abgesehen von Stefan Stern, eine Art Ersatzbank, eine Ergänzungstruppe präsent, und das im kleinen Saal vor wenigen Leuten, die Ostermeier per Handschlag und kurzem Plausch hätte begrüßen können. Auch die Schaubühne ist im Umbruch, weil einige ehemalige "Stars" sich entfernt haben. Nur wird Ostermeier viel mehr verziehen mit seinem bürgerlichen Gefälligkeitstheater, das jeden krassen Naturalismus meidet, um ja nicht zu schockieren. Dramen sollten gelegentlich aufwühlen, aber in der Schaubühne werden selbst scharfe Kanten geglättet und abgerundet, damit auch verbeamteten Witwen mit zart künstlerischem Anflug ein gemütliches Idyll geliefert wird.
Wie ich gelesen habe, wird das "Sezuan"-Stück nicht mit der 2.Garnitur bestritten. Blödsinnig, diese hierarchische Einteilung, was? Aber ich könnte auch eine von Pappelbaums legendären Couch-Garnituren meinen, von denen zumeist nur das leicht abgesessene Sofa zu sehen ist.
Danke, Sie haben die Kurve wieder hin zum eigentlichen Volksbühnen-Thread bekommen. Nachdem ich etwas im wieder verschneiten Berlin rumgestapft bin und dann noch gerade in der Schaubühne „Gerettet“ wurde, finde ich Ihre Ausführungen hier sehr interessant.
Die kleinen Theater in der Provinz werden doch immer wieder zu Unrecht völlig unterschätz. Vor der Wende in den 80ziger Jahren sind alle zu Castorf aus Berlin nach Anklam gepilgert, um sich frisches junges Theater anzusehen. In Schwerin hat Christoph Schroth (übrigens auch ein ganz altes Volksbühnengestein) 1979 mit seinen Faust-Inszenierungen für Aufregung gesorgt. Ich habe ihn dann leider erst in den 90ziger Jahren am Staatstheater Cottbus erlebt. Aus dieser Schule stammt übrigens auch Sewan Latchinian, der in Leipzig ja bestens bekannt sein dürfte und jetzt die Neue Bühne Senftenberg leitet. Viele bekannte Schauspieler haben sich an den kleinen Theatern ihre ersten Sporen verdient.
Vielleicht kommt ja doch wieder irgendwann aus der Provinz die Rettung für die verkrusteten großen Bühnen. Das klingt jetzt vielleicht wie die Verkündigung des Messias, aber etwas Glauben hat ja noch nie geschadet.
Weil Sie Karge erwähnen, muss ich noch eine Äußerung von weiter oben revidieren. Seine Brecht-Abende sind doch immer noch sehr nahe am Original ohne sentimental zu sein. Er ist für mich nach wie vor der unangepasste Provokateur. Ein ewiger Gilbert Wolzow eben.
Ich möchte niemanden beleidigen.
Gruß
123
Das war ehrlich nett gemeint. Ich schätze sehr, was Sie hier schreiben. Es tut mir leid, dass wir hier über eine Sache in Streit geraten sind, die anscheinend sehr viel für Sie bedeutet. Ich möchte das aber auch wissen. An Userbeleidigung ist mir nicht gelegen. Ein weiterer Austausch ist meiner Meinung nach möglich und nötig.
Prima, dann brauche in nur in Hellers "Sezuan" gehen, um mich mit mir selber bekannt zu machen. Vielleicht arbeitet man in der Schaubühne schon an einer Auflösung der Selbstentfremdung, indem man die Notwendigkeit der Selbstentfremdung darstellt.
Castorf hat das alles nicht mehr nötig, er hat schon im Kaff Anklam, zusammen mit der Rieger, ein Stadium der Selbstbekanntheit erreicht. Leider wurde jedes zweite Stück von der Zensur verboten, weshalb viele Leute umsonst hingepilgert sind.
In Peymanns Museum hingegen ist man vor lauter Brecht sich selbst ganz nahe. Peymann hat mittlerweile eine schillernde Identität mit sich selbst erreicht. Mit so durchschlagendem Erfolg, dass er bei "Aturo Ui" sogar Ex-Bundesumweltminister Töpfer angelockt hat. Vielleicht war er bei Brecht auch auf der Suche nach sich selbst.
Tratsch übers Theater? Glauben Sie mir, gerade das Theater ist ein großer Klatschbetrieb. Auch unter Schauspielern gibt es Eifersüchteleien.
Ich habe in meinem Leben schon mehr Brecht gelesen und gesehen, als Sie es sich vielleicht vorstellen können. Ich glaube zu wissen wovon ich Rede. Brecht ist aber kein Heilsbringer, wenn es einem Theater schlecht geht. Brecht sollte man nicht spielen, um ein Theater voll zu bekommen, sondern wenn man echt was damit bewirken will.
"Glotzt nicht so romantisch!" Nehmen Sie Brecht ernst, er ist kein guter Märchenonkel. Emotionalität und Illusionen raus, Sachlichkeit und Dialektik im Sinne von Diskurs zu bestehenden Widersprüchen rein. Stemann hat mit seiner heiligen Johanna durchaus einen Anfang gemacht, der tatsächlich nebenbei trotzdem noch unterhaltsam ist.
Meine drastische Darstellung zum Guten Mensch von Sezuan spiegelt die aktuelle Debatte in den Medien wieder, angezettelt von verantwortungslosen Politclowns, für die nichts dumm genug ist, die Meinungsbildung zu manipulieren. Ich war gestern noch in der Schaubühne und habe mir den Programmzettel zum Stück geholt. Ich bin der Meinung, dass das Team um Friederike Heller nicht auf diesen Zug aufspringen wird. „Ob unsere Gegenwart die Widersprüche zwischen der individuellen Moral und den Mechanismen des Marktes aufgehoben hat oder nur geschickter verschleiern konnte, kann im Brechtschen Modell über die Kosten der Arbeit und die Armut des unfrei seine Arbeitskraft verkaufenden Lohnabhängigen erkundet werden.“ Na dann los, bin gespannt was dabei raus kommt.
Nur ob brechtsche Verfremdungseffekte heute noch auf Menschen wirken können, um eine Selbstentfremdung zu bewirken, das setzt schon eine gewisse Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus. Habe dann auch noch Gerettet gesehen. Also eine 2.Garde Schauspieler habe ich da nicht gesehen. Da kann die Volksbühne sich noch ne Scheibe abschneiden.
Zurück zur Volksbühne, ich denke darum sollte es hier auch weiter gehen.
Liebe susi, Sie belächeln meine These von der Provinz. Außer Brecht haben Sie aber auch noch nichts zur Debatte beigetragen. Was ist so falsch daran, in die Provinz zu schauen, wo sich durchaus junge Talente abmühen bis zur totalen Selbstausbeutung. Es ist nicht alles nur verschnarchtes Stadttheater. Castorf kam nach der Wende auch aus der Provinz, wenn er zugegeben auch nicht ganz freiwillig dort war. Nun hockt er wie Buddha auf dem Thron.
In den Rezensionen der Inszenierung von Milan Peschels Glasperlenspiel am Gorki Theater kommt mindestens einmal der Name Castorf oder Volksbühnensozialisation vor. Er ist wie ein Übervater immer präsent. Sein Stil hat viele die mit ihm an der Volksbühne gearbeitet haben geprägt. Er hat auch kaum etwas anderes zugelassen. Leute wie zum Beispiel Thomas Bischoff und Sebastian Hartmann sind nur kurz als Hausregisseure geblieben, Sebastian Baumgarten, Johan Simons, Ulrich Seidl und Stefan Pucher haben kleine Gastspiele gegeben und waren dann wieder weg. Nur Leute mit starker eigenen Vita wie Kresnik, Marthaler, Gottscheff und Schlingensief haben es länger ausgehalten. So bleibt es dann eben bei der Achse Castorf-Pollesch.
Übrigens Frau Stegemann, Gräben kann man auch wieder zuschippen, wenn jeder ein Schaufelchen Sand mitbringt.
In "Gerettet" hat meines Erachtens mitnichten die "2. Garnitur" gespielt, das waren erstklassige Leistungen, vor allem von Stefan Stern und Marie Rosa Tietjen. Und wer Thomas Bading und Steffi Kühnert als "2. Garnitur" bezeichnet, der hat die Fähigkei verloren, die Schauspielkunst selbst wahrzunehmen und nicht bloß von vermeintlich "großen Namen" auf "große Schauspielkunst" zu schließen.
@ Stefan: Möglicherweise ist susis Haltung in dem Punkt naiv, aber ich habe und würde Brecht nie als "Heilsbringer" bezeichnen. Die epische Dialektik bzw. das Aufzeigen von Widersprüchen in seinen Stücken verhindern doch gerade diese vereindeutigende "Erlöserrolle", von der susi hier ganz offenbar träumt.
Liebe Frau Stegemann !
"Der große Graben" ?
Nehmen wir doch tatsächlich einmal die Neue Bühne
Senftenberg: Wo ist da der große Graben ?
Ach, da ist ja tatsächlich eine größere Anzahl von
größeren Gräben, und was soll ich sagen ? Einige davon werden auf hochinteressante und eigenwillige Weise bespielt: Und wo schon von Schalke die Rede war, da tobt dann der Schachtscheißer und nicht übel noch dazu (Schachtscheißer ist das Maskottchen von
Aue, aber auf die Region in der Niederlausitz -siehe
Glückauf-Festival- paßt das freilich gut), kein großer Graben, auch keiner zu tief, mehr ein großer Grabbe dann: Was soll also Ihr ziemlich haltloses Statement zu all den Langweilern
und Epigonen ??
Gut, Herrn Latchinians "Virginia Woolf" im fernen Rendsburg fand ich wirklich schlecht, aber was in Senftenberg so gemacht wurde in den vergangenen Spielzeiten, das wird hier von Mal zu Mal immer wieder
herausgestrichen, und ganz umsonst ist Senftenberg nicht "Theater des Jahres" geworden: lange ist das noch nicht her, hat sogar noch mehr erreicht in seinem
Metier wie der FC Energie Cottbus gleich nebenan.
Laberenz liefert mehr als bloßes Pollesch-Epigonentum,
ich erwähnte das bereits ausführlicher im Thread zu
"Idioten", und am Haus von Herrn Hartmann arbeiten noch andere interessante Regisseurinnen und Regisseure; das ist in den letzten Monaten mit so verschiedenen Abenden wie "Karl-May-Festspiele",
"Das Fest", "Hunger", "Im Pelz" und "Idioten", letztlich auch mit dem Thieme-Abend wirklich hinreichend klar
geworden: Die Theater-Neugier in Leipzig, Frau Stegemann, fahren Sie hin !!, die spricht wirklich für
sich und auch für Hartmann als Leiter eines Hauses,
währenddessen ich seine eigenen Inszenierungen noch für das Schwächste halte, was ich in Leipzig sah, aber dieses Phänomen gibt es bei regieführenden Intendanten auch immer wieder, und es ist eine schlechte Angewohnheit des Blätterwaldes, diese Chefsachen zur Chefsache zu machen und andere Akzente an einem Haus zu übersehen: nachtkritik de. hat schon geholfen, hier ein wenig Ausgleich zu schaffen, der dann leider oft, was die Kommentare angeht, noch nicht in erfreulichem Maße wahrgenommen wird.
Abende wie "Alles offen" in Rostock oder "Heimkehrer/Heimwerker" in Weimar, die Bürgerbühne
in Dresden, die diversen (!) Projekte in Halle, um weitere Städte im Osten zu nennen, der Petras-Abend
in Roßlau-Dessau ... : Haben Sie Ihre Sätze an dieser
Stelle ernst gemeint ?, ich bezweifele das !
Was die Wahrnehmung von Schauspielkunst anbelangt, brauchen Sie mich wirklich nicht zu belehren. Ich habe mir in den letzten sechs Jahren serienweise Off-Theater-Stücke angesehen, und da waren viele Talente dabei, aber keine großen Namen. Im Off-Theater sieht man viele gute Nachwuchskräfte, aber leider lassen sich die Intendanten der großen Häuser dort nicht blicken.
Bading und Kühnert sind zwar schon lange an der Schaubühne, doch sie rückten noch nie sonderlich ins Rampenlicht, vielleicht weil ihre auratische Kraft auf der Bühne wohl doch begrenzt ist. Nun gut, wenn die beiden ihrem individuellen Geschmack entsprechen, ist das ja o.k. Feiern Sie von mir aus deren artistische Leistungen, wenn Sie das so sehen. Mir hat Schwarz als Rocker-Darsteller noch am besten gefallen.
Wenn Sie mir die Fähigkeit zur Theater-Wahrnehmung rundheraus absprechen, entziehen Sie sich mit Ihrer apodiktischen Behauptung jeder Diskursivität. Belehren Sie lieber jemand anderen, z.B. 123, wenn er nicht aufgegeben hat.
Ganz nebenbei gesagt: Castorf hat immerhin noch einen Talentschuppen zur Verfügung
Zu Frank Castorf vielleicht noch, ich sehe ihn nicht so sehr als unbewegliche bereits erleuchtete Buddha-Figur, sondern eher als den noch meditierenden und um die Erweckung ringenden Siddhartha Gautama. Vielleicht wäre das ja mal ein Thema für ihn, nachdem er abendländische Religion und Santería schon hinter sich hat.
Das sind nun einmal Abende, die ich gerade erst gesehen habe und in diesem speziellen Falle in Verbindung mit dem "Epigonenthema" stehen sowie mit dem Thema, das Stefan aufwarf über die Berliner Situation hinsichtlich eines "Niederschreibens Castorfs" in etwa, der "These": "Schüler" hätten das jetzt leichter gehabt.
Ich habe mich allerdings - weiter oben - auch auf Volksbühnenabende bezogen: "Dämonen" und "Die Zofen"; ich hätte auch Marthalers "Geschichten aus dem Wiener Wald" heranziehen können, habe ich vorher auch nicht erwähnt.
Verstehe Sie aber nicht, ehrlich gesagt:
Was ist Ihr Problem mit mir?
Warum ist das nicht der Wortschatz eines 40-Jährigen ??
Und was wissen Sie über mein Gedächtnis ???
Es reicht immerhin hin, mich noch an Abende zu erinnern, die noch nicht lange her sind und sich für mich lohnten: Gut, die Auswahl mag Ihnen nicht gefallen, kritisieren Sie das,
ich werde dann wohl andere Sätze posten, vielleicht.
Wenn sich Kommentare von mir wiederholen, dann könnte das hin und wieder daran liegen, daß sich hier auch Themen etc. wiederholen, zumal ich in dem einen Thread nicht ständig voraussetze, daß auch ein anderer gelesen wurde.
Oder wollen Sie mir vorhalten, zu selten die Volksbühne anzusteuern ? Ich wohne nun einmal weder in Leipzig noch in Berlin, und die Theater in beiden Städten sind erheblich besser als in der Stadt, aus der ich zumeist schreibe.
Nein, Ihr "nie und nimmer", das geht mir nicht auf: Helfen Sie mir, erst recht, da ich doch wirklich 40 Jahre alt bin.
@ Stefan
Brauche ich Ihnen ja nicht sagen, gab zB. von "Flohbär" und "123" und Ihnen und anderen schon einige Striche zur VB und zum Umfeld; beides wird ja durch den Heine-Artikel begünstigt, der nun so stark nicht ist und sich gerade mit "Flohbärs" Sätzen ziemlich erledigt hat im Grunde.
Das ist doch die billigste Zeitgeistsau, die da durchs Dorf getrieben wird, eigentlich mal mit dem Namen DT, mal mit dem Namen Schaubühne, mal VB, mal BE, gelegentlich MG, immer wieder nur auf der Schiene jener ungesunden Gewohnheit, nach großen Würfen zu jaulen. Richtig, da wiederhole ich mich natürlich auch ! Schnee ? Tatsächlich, in Berlin wieder Neuschnee, Neuschneematsch vor der Volksbühne. Damit können die Zuschauer in der VB gewiß besser um als in Kiel, Bochum
oder Bautzen im Schnitt: mit Neuschneematsch. Das ist ganz sicher auch ein Castorf-Verdienst..
Also an Hesse hatte ich gar nicht gedacht, aber Sie bringen mich auf eine Wahnsinnsidee. So macht der Gedankenaustausch Spaß. Warum bearbeitet Castorf nicht das Glasperlenspiel? Das ist ja so ein Meister-Jünger-Ding mit viel Kulturpessimismus, alles drin was den Zustand der Volksbühne gut beschreiben könnte. Wer der Jünger am Ende die Nachfolge antreten wird und wie Castorf das umsetzt, darauf wäre ich sehr gespannt. Aber „Auf einfache Wege schickt man nur die Schwachen.“
Übrigens lassen Sie sich nicht von Rosa L. ärgern, sie klopft gerne die Leute vorher ab, ob es sich lohnt. Das mit dem „absolute Ironie und absoluter Ernst“-Quatsch ist doch nun wirklich alt.
Sie haben vollkommen Recht:
Es könnte hier und anderswo gewiß konstruktiver und freundlicher und weniger gesichtsverlustängstig zugehen, andererseits, ich bin seit Ende Oktober dabei, sehe ich eigentlich durchaus eine Entwicklung in dem einen oder anderen Thread: eine positive.
Ich kann mich da Stefan nur anschließen: Sie würden mir fehlen, ganz ehrlich !
Gut, "mondän", das kann ich halt so nicht, und ich schreibe teilweise wirklich zu Dingen, von denen ich nicht mehr als ahne, und ich muß mir sehr Vieles zurechtreimen, und natürlich greife ich auch nicht auf ein Riesenreservoir an Aufführungen zurück: Einige User hier, haben in Ihrem Leben Richard III. zB. schon mindestens 20 Male gesehen, ich sah ihn am Münchner Volkstheater zum ersten Mal, und so geht es nicht nur mit diesem Stück (darauf in etwa bezieht sich auch mein Karge/Langhoff-Hinweis); ich habe mich von den "Basics" des Herrn Brandenburg keineswegs großartig entfernt und bin an dieser Stelle (meiner Selbsteinschätzung nach) eben ein
"Bürgerforums"-Kommentator, so in etwa wie die Dresdner Bürger Schauspieler sind, wenn Sie im "Magazin des Glücks" auftreten, so bin ich "Fachmann", wirklich nicht anders.
Aber: ich habe das für mich entdeckt, mache Erfahrungen allerlei Art, beginne Gespräche zu Aufführungen und drumherum zu führen, denke, daß es sich lohnt, bei allen Schwierigkeiten, für dieses einmalige Theaterland zu kämpfen, und ich bin mitunter auch vorlaut und prätentiös, spielerisch oder schieße ins Blaue und bin genauso vorsichtig wie andere Leute auch, die ihren Namen hier nicht nennen: das Klima ist wirklich schwierig, nicht umsonst der Einstieg unter "Bandido",
und ich sehe das ja allenthalben, wenn Flohbär sich Flohbär nennt (nicht ohne Grund), Stefan (nur ?) seinen Vornamen, Sie eben "123": Auch da wiederhole ich mich natürlich, ich sehe das Nichtnennen oder Nennen von sogenannten "Klarnamen" (und die "Leiterszene" sowie Ihr "Outen" ging
wieder in diese Richtung, wie ich es auffasse) nicht als ein Mehr oder ein weniger an Demokratie; daß ich frei bin, das eine oder das andere zu tun, das hat mit demokratischen Gepflogenheiten und Errungenschaften zu tun.
Die Redaktion wird Sie ganz sicher nicht outen: das wäre in der Tat schlichtweg die Nennung Ihres Namens gegen Ihren Willen, wenn die Redaktion diesen wüßte, was möglicherweise halt wirklich nicht so ist.
Sollten Sie davon ausgehen, dann käme mir das auch nicht unbedingt schlüssig vor, es sei denn, Sie wären dort irgendwo persönlich vorstellig geworden: ansonsten würden Sie wohl annehmen, "man" könnte in der Redaktion bis 3 zählen, um aus Ihren teilweise biographischen Zusätzen allerlei Schnittmengen zu ziehen, die freilich falsch sein können, nur
das könnte dann halt nicht nur die Redaktion.
Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, falls meine "Stadereien" mit zu Ihrer Verärgerung beigetragen haben, was ich fürchte, da es die Redaktionsüberschriften ua. betraf, was Sie schrieben.
Ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich hatte da doch ein wenig zuviel von meinem Spleen, ja: diverse Anfeinder, den habe ich wohl, arbeite ich dran.
Komme mir in den Threads jetzt teilweise wie ein Anstandswauwau vor: Bin ich aber nicht, meine bulgarische Existenz zB. ist zwar wirklich biographisch induziert, da ich tatsächlich einiges von Herrn Dimitrow, der sich als Konzertpianist Alexander Horbowsky nannte, lernte, ihm, der verstorben ist und immer mehr "Haltung" und Konsequenz von mir verlangte, mehr Mut, mehr Künstlertum, denn ich wollte und will ja noch schreiben, habe ich dieses "Arkadijtum" gewidmet, ich sehe mich der Orthodoxie nahe, ich habe Philosophie studiert, allerdings nicht abgeschlossen,
währenddessen die Nennung meiner diversen Dozenten wieder dem Wahrheit-Teil von Dichtung und Wahrheit hier zugehört.
"Darum, wer unten sagt, daß es einen Gott gibt / Und ist keiner sichtbar / Und kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch / Den soll man mit dem Kopf auf das Pflaster schlagen / Bis er verreckt ist."
Eine Haltung fordert eine entschiedene Stellungnahme des Gegenübers heraus. Das ist kein lauwarmes Wasser. Denken ist voll angesagt, susi.
Ich wechselte nur von "Bandido" auf den vermeintlichen Klarnamen "Arkadij Horbowsky", weil ich der Meinung war, Herrn von Treskow dabei weitestmöglich unterstützen zu müssen, das 1:1 mit "TheaterEnttäuschter" herzustellen, was mir vielversprechend erschien (wenn auch höchst unwahrscheinlich). Ja, unwahrscheinlich, denn es war schon zu spüren, daß "TheaterEnttäuschter" postete, um dann wieder zu gehen: das ärgerte mich irgendwie. Ich verstehe so ein Vorgehen auch nicht sonderlich gut, offenbar kannte dieser Schreiber die Herren von Treskow und Ostermeier nur zu gut, ich fragte mich
an dieser Stelle, ob da nicht wirklich ein Telefonat nach Wuppertal geeigneter gewesen wäre; zum Teil betrifft diese Frage auch Postings in anderen Threads, und möglicherweise sollten Sie das im Falle Herrn Heines auch so halten; ich möchte Ihnen da aber nicht reinreden, schon garnicht auf Bulgarisch: das kann ich nur brockenweise, offen gestanden,
und in Sofia war ich nur zwei Wochen und vor zehn Jahren, traf dort aber wiederum zB. den Komponisten und Philosophen Trifon Szilianowsky: unvergeßlich für mich (und insofern war ja "Horbowsky" fast "echter" als mein Name als "Kieler Jung",
Tatsache: 40 Jahre alt, den ich hier auch nicht nenne).
Liebe 123, ich bitte Sie, mir mein verqueres Schreiben und vor allem mein Staderanteil (möglicherweise) an Ihrem Mißmutzu verzeihen. Ich habe Sie für all Ihre Beiträge schätzengelernt.
Ich werde jetzt bis Ostern persönliche Dinge ordnen, die ich schon lange vor mir her schiebe, den Roman "Hunger" von Hamsun lesen, den ich heute antiquarisch erstand, und mich fernerhin mit dem Namen melden, der mal mein Schriftsteller-
Pseudonym werden sollte, denn zu pseudonymer Schreibe war ich schon länger entschlossen: auch ein Doppelgängerthema; nur habe ich halt wenig zuwege gebracht. Hiernach gilt es für mich, die Threads hier "hausaufgabenartiger" anzugehen.
Ihr Arkadij Horbowsky
Dann lesen Sie aber auch das Programmheft zu Ende. „Unter den Merkmalen der neuen planetarischen Menschheit jene auszuwählen, die ihr das Überleben erlauben, die feine Scheidewand zu entfernen, die die schlechte Öffentlichkeit, die nur sich selbst mitteilt, trennt – das ist der politische Auftrag unserer Generation.“ Was halten Sie denn von Agambens Auffassung von der klassenlosen Gesellschaft?
Sicherlich, Castorf sollte man angesichts des Geschwätzes von der Dauerkrise verteidigen, er hat immer noch Innovationspotentiale - aber übertreiben Sie nicht ein bisschen?
@ susi:
Natürlich ist Castorf in die Jahre gekommen, er hat aber noch nicht einmal die 60er Schallmauer erreicht. Bei den heutigen medizinischen Errungenschaften ist das noch kein Alter. Wenn er genug Vitamin C schluckt, werden die Wände seiner Arterien auch nicht dünnhäutig und rissig, so dass auch keine Fettmoleküle zum Stopfen der Gefäßwände transportiert werden müssen, d.h. es setzt keine Verkalkung ein. Mit ihm ist also noch eine Weile zu rechnen. Susi, sehen Sie sich "Fuck off, Amerika" an, egal, was die Kritiker geschrieben haben. Meese wird wahrscheinlich nicht mehr auf der Bühne auftauchen und das Obst bringen. Spengler macht dann einen Fruchtmatsch daraus.
Wenn Sie Castorf für so alt halten, liegt das nicht daran, dass Sie noch ein bisschen jung sind?
@ Arkadij Horbowsky:
Sie sind zwar manchmal etwas weitschweifig, aber keineswegs nervig.
Ich verstehe diesen Programmheft-Auszug so: Die klassenlose Gesellschaft, das ist nach Agamben das "planetarische Kleinbürgertum", welches sich aber (noch) nicht über sein So-Sein definiert, sondern sich seine schwankende Identität zwischen den Polen des Konformismus (Aneignung des bürgerlichen Lebensstandards) und der Marginalität (des klassischen "Proletariats") suchen muss. Solange der sogenannte "Kleinbürger" sich also nicht als solcher, sondern immer nur zwischen dem öffentlichen Medienbild des untergegangenen Proletariats und dem ebenfalls schwindenden klassischen Bürgertum (und dessen "Statussymbolen" wie Auto, Fernseher usw.) verortet, haben wir die tatsächlich klassenlose Gesellschaft noch nicht erreicht.
@ Rosa L.
Zu Ihren Ausführungen über Agamben komme ich später noch, da muss ich erst noch länger in mich gehen. Das „mediale“ wollte ich natürlich nicht absichtlich unterschlagen.
Ich denke aber Agamben hat da was anderes im Sinn als die These der klassenlosen Gesellschaft von Karl Marx weiter zu spinnen.
Ich kann jetzt bloß von diesem Programmheft-Auszug ausgehen, wonach ich Agamben so lese, dass sich das "planetarische Kleinbürgertum" bzw. die kommende Gemeinschaft außerhalb der begrifflichen und medialen Konstruktion von Klassenschranken bewegen wird. Als Gegenbeispiel wäre hier das Treffen des Rappers Bushido bei Horst Seehofer zu nennen. Denn es geht nicht darum, sich in vermeintlicher Orientierung am Vorbild des konservativ-bürgerlichen Lagers seine medial inszenierte "Aufstiegsgeschichte" zu erzählen. Sondern es geht darum, sich außerhalb solcher Kategorisierungen und Markierungen zu verorten und sich somit den medialen Vereinnahmungstendenzen zu entziehen, welche entweder die "Aufstiegsgeschichte" oder die "gewaltbereite Unterschicht" ins Bild setzen und damit als vermeintlich "repräsentativ" fixieren.
Liebe susi, machen Sie ruhig auch was gegen Ihre Eltern, für anderes ist dann immer noch Zeit. Also das mit dem Regal ist doch schon ein guter Anfang.
Was Sie suchen, werden Sie aber in der Volksbühne zur Zeit nicht finden. Das ist da alles im Moment zu verkopft.
Im Gorki-Theater gibt es seit dieser Spielzeit ein Projekt das heißt „Über Leben im Umbruch“.
Junge Theaterleute versuchen anhand Wittenberge einer „schrumpfenden Stadt“ in der Prignitz Schlüsse zu den Herausforderungen unserer gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft zu ziehen. Das finde ich schon mal ganz interessant.
Das trifft es tatsächlich ziemlich genau, was Sie da schreiben.
Ja die mediale Verblödung, man braucht ja nur den Bushido-Film selbst zu nehmen. So lange die Medien und die Werbung den Leuten vorgaukeln, das sie sich aus ihrem Elend nur befreien können in dem sie aufsteigen und dieser Glauben an den Fetisch Konsum vorherrscht, wird der Hauptteil des nationalen Kleinbürgertums in seinem Traum nach bürgerlicher Größe verharren.
Das Ablegen dieser Identität, die Verweigerung jeglicher Individualität macht es erst zum planetarischen Kleinbürgertum. Agamben nimmt dafür den Begriff der „identitätslosen Singularität“. Wie man da hingelangen und diesen Prozess sinnvoll nutzen kann, beschreibt er meiner Meinung nach ganz gut im Profanieren. Der Mensch hat die Fähigkeit zum Spielen verlernt. Er muss lernen mit dem Nicht-Profanierbaren den Konsumobjekten zu spielen, also sie maßvoll zu benutzen, sich nicht abhängig von der Ware oder den Medien zu machen.
„Die Profanierung des Nicht-Profanierbaren ist die politische Aufgabe der kommenden Generation.“
Was ist nun das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft bei Agamben?
„Die klassenlose Gesellschaft ist nicht eine Gesellschaft, die jegliche Erinnerung an die Klassenunterschiede abgeschafft und verloren hat, sondern eine Gesellschaft, die deren Vorrichtungen zu entschärfen verstand, um einen neuen Gebrauch möglich zu machen, um sie in reine Mittel zu verwandeln.“
@Rosa L.
Sie wollen also mit dem Prekariat spielen. Viel Spaß. So lange das Bürgertum im Theater auf Unterschichten schaut und sich nicht selbst betroffen sieht, sondern nur ein Abbild gezeigt bekommt, um Betroffenheit zu heucheln zu können, wird man nach Hause gehen und weiter machen wie zu vor. Die Potenzierung der Gewalt in deren Darstellung durch die Medien, das trifft es. Hier nimmt sich das Stück Gerettet wohltuend zurück. Aber Len als zukunftsweisendes Element. Dafür taugt das Stück nicht. Er ist genauso in den Kreislauf von Liebe, Hass und Zerstörung verstrickt. Die bürgerlichen Träume sind ausgeträumt, darin muss die Einsicht der heutigen Gesellschaft liegen. Das zu akzeptieren fällt schwer und da hinkt die Vision der klassenlosen Gesellschaft von Agamben.
Zu "Antichrist": Den Film habe ich ganz anders wahrgenommen als Sie. Ich sehe darin nicht die "immer währende böse Kraft der weiblichen Sexualität". Ich sehe darin die männlich codierte Rationalität des Therapeuten, welcher das eigene innere Fremde (den Trieb/Todestrieb) auf die Frau projizieren und dort heilen bzw. am Ende bekämpfen muss. Oder: Die Dämonen, die er rief.
Zu "Gerettet": Die bürgerlichen Träume sind ausgeträumt? Nein. Es geht darum, diesen Prekariatsbegriff über das Spiel zu dekonstruieren. Es geht darum, über die Wahrnehmung der Abwesenheit von Sinn, Zivilisation und politischer Partizipation einen Denkraum für die Möglichkeit einer neuen Form von Gemeinschaft zu eröffnen. In einer Demokratie sind doch alle Menschen politische Bürger oder etwa nicht? Das Denken in Klassengegensätzen dagegen vergrößert die Kluft zwischen den Menschen und damit die Möglichkeit der offenen Kommunikation und Konfrontation.
Zudem zeigt diese Inszenierung meines Erachtens auf, dass es im Grunde jeden von uns treffen kann. Gewalt kommt plötzlich und unvorhersehbar aus dem Nichts. Dagegen kann sich niemand schützen. Niemand ist vollkommen sicher. Diese Illusion von Sicherheit über das Spiel auf der Bühne aufzubrechen und zugleich eine Alternative dazu offenzuhalten, das wird hier meines Erachtens demonstriert. Gerade über die Figur Len. Am Ende baut er einen Stuhl. Er beginnt, eigenhändig etwas zu konstruieren, anstatt sein Selbstbild über das medial konstruierte Fremdbild des "gewaltbereiten Unterschichtlers" aufzubauen.
keine klare definition. nirgendwo. ist das sowas wie trivial-bedürftigkeits-theater?
für: millionen-publikum am tv - serien -spektakel.
das könnte zutreffen auf j. kanns machwerk in stuttgart.
nichtmal mainstream. aber vieleicht sowas wie "befindlichkeitstheater"??? nix zu finden zu diesem begriff. hohl. j. kanns stück - schnell versenken! bitte.
ich habs´s gesehen - mainstream. pop-musik u.a. ist das einzig gute - doch nicht zehmal hintereinander. QUAL: machwerk. also das ist "BEFINDLICHKEITSTHEATER"?
dann ist das wie: des kaisers kleider!
Wir haben den Film Antichrist schon ähnlich wahr genommen. Lars von Trier ist ein Mann, also männliche Wahrnehmung der weiblichen Sexualität. Das wollte ich sagen. Diese Urangst des Mannes zieht sich durch die Jahrhunderte. Umsonst beschäftigt sich die Frau auch nicht mit Hexenkulten in ihrer Doktorarbeit. Der Mann deutet das falsch und projiziert seine Ängste auf sie.
Bei Gerettet mache ich schon ganz deutlich einen Unterschied von Stück und heutiger Inszenierung aus. Das Stück ist aus den 60ziger Jahren. Es ist durch und durch düster und zeigt die fortschreitende Verrohung der Gesellschaft durch die soziale Armut der unteren Bevölkerungsschichten. Bond hat hier seine eigenen Erfahrungen des Aufwachsens in den Londoner Vororten verarbeitet. Ihre Ausführungen zur Inszenierung sind so weit ausholend. Was Sie da immer alles sehen wollen. Benedict Andrews versucht, in Len einen Zukunftsverweis zu geben, das ist schon alles richtig. Ob das beim Publikum angekommen ist, ob es sich tatsächlich angesprochen fühlt, wage ich zu bezweifeln.
"Dass nichts an uns automatisch von Bedeutung ist, sondern dass wir entscheiden müssen, was wir sein wollen: ein Mensch mit heiligen Rechten oder eine Ratte, ein Gegenstand. [...] dass du dich immer und immer wieder als Mensch denken, als Mensch erschaffen musst, da du der Einzige bist, der dich überhaupt und jederzeit und bedingungslos als Mensch sieht, obwohl du dich jederzeit auch GEHEN LASSEN könntest."
Fazit: Es kommt immer wieder auf die Perspektive drauf an. Man muss die Welt auch mal wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
Der erste Teil Ihres Beitrags111 trifft es sehr genau. Befindlichkeitstheater wird disqualifizierend verwendet, um sich nicht näher mit der Sache auseinander setzen zu müssen. Aber ansonsten haben Befindlichkeiten des Regisseurs nichts in einer Inszenierung zu suchen. Es lenkt nur von der Sache ab und führt zu nichts, da das Publikum davon nichts wissen kann. In wie weit Sie sich in die Protagonisten auf der Bühne einfühlen, oder eher unbeteiligt sein wollen, hängt allein von Ihnen ab. Wie weit lasse ich mich überhaupt auf eine Sache ein? Muss ich meine Befindlichkeiten beim Betrachten eines Kunstwerkes beiseite legen, um objektiv sein zu können? All dies muss man sich immer wieder von neuem fragen. Das wird einem nicht geschenkt.
Bei Benedict Andrews ist das Spiel ganz klar als Spiel kenntlich gemacht, zum Beispiel schaffen die Akteure die Requsiten selbst heran, in und mit denen sie dann spielen. So wird dem Zuschauer zwischen Einfühlung und Distanz eine Lücke für das Mit- und Nach-Denken gelassen. Und darum gehts. Um das Dazwischen. Pure Vernunft darf niemals siegen.
Das ist so eine Sache mit dem Einfühlen und dem Fortschritt. Erkennen und Einsicht durch Distanz o.k., das wäre Brecht Aber worin wollen Sie sich einfühlen? Wenn Sie erst in der Figur drin sind, dann fällt reflektieren viel schwerer als mit der nötigen Distanz.
Sie reden mit dem Falschen. Hier geht zur Zeit einiges durcheinander. Ich glaube Flohbär fand die Maßnahme in der Volksbühne gut, aber im Gerettet-Thread. Das hier ist immer noch der Volksbühnen-Thread, glaube ich jedenfalls. Mit den Händen denke ich nicht mehr, das macht hässliche Schwielen und Scheintote sitzen
eigentlich bei den Ritterspielen im BE.
Sorry, ich habe versucht, die plötzlich auf Gerettet sich stützenden Kommentare aus diesem Thread dem Gerettet-Gespräch zuzuordnen. Wollte keine Confusio mentalis commentatoris schaffen.
jnm
Geschickt: Sie lassen also in Ihren Laptop, Ihr Handy tippen!
Und was soll das besagen, was Sie schreiben: Fair-trade-Computer statt "Bunnyhill-Projekt"??
Die Stadttheater, schließt Sie, Afrika wird aufatmen; und in der Bildenden Kunst ist diese Tendenz selbstredend???
Wenn ich von früher rede, gehe ich gar nicht so weit zurück, wie Sie vielleicht annehmen. Erst seit 2003 bin ich regelmäßiger Theaterbesucher und das erste Mal betrat ich den Laden 1990 (etwas von Peter Stein, glaube ich; mir wurde dabei schlecht, ich musste draußen gegen einen Baum kotzen und dann machte ich eine lange Pause).
Mein "früher" ist vermutlich für Sie noch ganz nah. Ich meine vor allem die Stücke "Nora", "Lulu", "Würgeengel", aber auch das Zeug mit der Beglau, "Drei Schwestern" und "Gespenster" und sogar "Trauer muss Elektra tragen" mit Schüttler, Thieme usw.
Den Weggang von Anne Tismer konnte Ostermeier nie verkraften. Viele Schauspieler/innen sind mittlerweile gegangen oder spielen kaum noch mit. Veritable, gute Neuzugänge sind die Roßmeier, Bormann und der Schweizer Migrant, dessen Name mir jetzt nicht einfällt. Also der mit dem starken Haarflaum am Oberkörper, wie bei einem Fall von Atavismus...
Ein optimales Stück und hervorragender Stoff für Ostermeier wäre die Novelle "Ein fliehendes Pferd" von Martin Walser. Ich meine nicht die Verfilmung mit Tukur und Noethen, die sollte er sich am besten gar nicht angucken. Der Stoff: die etwas plakative Gegenüberstellung von vita activa und vita contemplativa, von einem abenteuerlichen Machertyp und einem introvertierten Lehrer. Zwei Ehepaare mit den typischen Urlaubsstreitereien inklusive Fremdgehen. An derartige Themen wurde das Schaubühnen-Publikum sukzessive herangeführt, es bringt alle geistigen Voraussetzungen dafür mit.
Ich habe davon eine gute Inszenierung 1986 in München gesehen.
@ rosa:
Sie sind doch die Spezialistin für "Gerettet"... Hatte es für das häusliche Beisammensein irgendeinen übergeordneten Sinn, dass sich Pam permanent die Schuhe wechselte? Wahrscheinlich hat Ihnen auch das gefallen... Wenn sie allerdings Schuhfetischistin sind, brauchen Sie nichts weiter zu sagen.
In Michael Hanekes "Funny Games" gibt es eine Szene, in welcher eine von zwei wohlstandsverwahrlosten Jugendlichen terrorisierte Familie zurückschlagen könnte. Aber genau hier verweist der Film plötzlich auf seine eigene Medialität, indem Haneke den Film stoppt und den einen Jugendlichen direkt in die Kamera und damit an den Zuschauer gerichtet folgende Wette formulieren lässt: Wie wird das ausgehen? Wer wird gewinnen? Und natürlich fiebert man hier mit der Familie mit. Denn das wäre die gerechte Rache für die aus dem Nichts auftauchende, sinnlose Gewalt der Jugendlichen! Hier regiert also das (medial manipulierte) Gefühl bzw. der Affekt. Und was macht Haneke? Er ent-täuscht den Zuschauer entgegen seiner Erwartung und lässt die herbeigesehnte Rache scheitern, indem er den Film zurückspult und die Jugendlichen gewinnen lässt. Erst dadurch kommt der Zuschauer überhaupt ins Denken über seine eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten. Erst dadurch wird der Zuschauer einmal auf seine eigene Rachlust und zudem auf die Manipulation seiner Gefühle durch das Medium des Films verwiesen.
Im Theater verhält es sich da meines Erachtens ganz ähnlich. Es geht immer um die Erfahrung im Verzug, dass heisst, man fühlt sich in etwas ein und beginnt erst später, über das bereits Vergangene zu sprechen und nach-zudenken. Eine Ästhetik nach Brecht bzw. eine dekonstruktivistische und/oder montageartige Ästhetik gibt diesen Denkvorgängen bereits während einer Inszenierung mehr Raum. Ansonsten gilt: Wenn man in der Geschichte erstmal drin ist, dann ist man drin. Und fängt erst nach der Inszenierung an, das zu versprachlichen und zu reflektieren. Oder funktioniert das bei dir anders?
Aber jetzt erkenne ich auch, warum Sie zu "Gerettet" nichts weiter zu sagen haben. Sie interessieren sich ja bloß für die Schuhe (und wahrscheinlich sind Sie demnach selbst ein Schuhfetischist)! Es ist ja nun wirklich nebensächlich, aber das Stück spielt nunmal sowohl im Innen- als auch im Aussenraum. Da ist es doch wohl logisch, dass Pam "draussen" nicht mit ihren schlappenden Hauspuschen rumrennt. Aber vielleicht laufen Sie ja gern mit ihren Pantoffeln auf der Straße rum. Wohl möglich.
Na ich hoffe Sie haben sich vom Kotzen gut erholt und keine bleibenden Steinschäden.
Zadek und die Breth haben aber Ende der 90er auch noch ganz veritable Inszenierungen hinbekommen, da haben Sie vermutlich was verpasst. Der Hamlet mit Angela Winkler und Ulrich Wildgruber selig war schon ein Erlebnis. Ostermeier hat da aber auch eine gute Interpretation von hinbekommen. Das war aber tatsächlich seit Nora oder Lulu das einzige Stück, was mir von ihm gefallen hat. Ob das an Anne Tismer liegt, kann ich nicht sagen, Zerbombt mit Katharina Schüttler war dann jedenfalls auch noch mal ganz gut. Ansonsten überwiegt dieses bürgerliche Trauerspiel bei ihm nun schon seit Jahren und das langweilt mich total. Wir schweifen aber schon wieder zur Schaubühne ab. Haben wir denn nun außer susi keine wirklichen Ideen mehr für die Rettung der Volksbühne parat?
@ Rosa L. zu 133
Das widerspricht jetzt aber dem Möglichkeitsraum. Der geht doch nur im Spiel auf der Bühne auf. Ich finde gerade irgendwie den Gerettet-Thread nicht mehr. Was hatten Sie da noch geschrieben? Ist aber auch egal glaube ich, kann man auch schließen, wie den Möglichkeitsraum.
Mein letzter Kommentar war eigentlich für den Thread Gerettet/Schaubühne vorgesehen und ist durch ein Versehen von Herrn Behrens hier gelandet.
Midlifecrisis in "Ein fliehendes Pferd?" Umso besser, Ostermeier erreicht bald dieses Alter und bringt deshalb die nötige Empathie mit.
Jetzt aber im Ernst. Ihre Kritk hört sich an, als seien Sie noch nie in Ihrem Leben mit einer germanistischen/literaturwissenschaftlichen Interpretation in Berührung gekommen. Ihr Kommentar klingt eher wie eine oberflächliche "Brigitte"-Rezension. Die Novelle ist viel zu subtil angelegt für das Herauslesen einer Midlife-Crisis und behandelt wohl eher den Künstler-Bürger-Gegensatz wie in Thomas Manns "Tristan" oder "Tonio Kröger". ("Welcher Anblick wäre kläglicher als der des Lebens, wenn es sich in der Kunst versucht?")
Da es hier um die Volksbühne geht: für Castorf wäre das Denken in gegensätzlichen Haltungen zu langweilig. Ihm würde der schrille Effekt fehlen, das Provokative und Verstörende. Für mit Reflexionen beladenes Gemütlichkeitstheater ist er nicht zu haben. An "Tonio Kröger" reizt ihn bestenfalls - schon wegen seiner Russophilie - die Malerin Lisaweta Iwanowna. Aber ich weiß nicht, ob es früher in Anklam so etwas wie eine bohemehafte Ungebundenheit gab. Die Anklamer Linie - auch von Frau Rieger mitvollzogen - scheint zu sein, das Publikum gelegentlich etwas geistig zu quälen, aber subtil, derart, dass es noch auszuhalten ist und das Publkum sogar einen leisen Genuss daraus ziehen kann. Ich frage mich nur: was geht da in Castorfs Büro vor sich und wo holt er die Themen her? Hat er wie Schiller einen faulen Apfel als Inspirationsquelle auf seinem Schreibtisch liegen?
@ susi: Ich habe versucht, mir deine Argumentation anzueignen. Es ist mir leider nicht gelungen. Meine Perspektive ist eben einfach eine andere, wie dir ja auch schon aufgefallen ist. Wir kommen einfach nicht zusammen, liebe susi. Muss ja auch nicht.
Daß ich gelegentlich zur Konfusion neige, daß aus Hamsun schon mal "Hans-ums ... (Eck)" wird und dergleichen:
aber, ehrlich: Steht zu befürchten, daß jetzt der Umkehrschluß droht: Also die Volksbühne ist jetzt in
Oberhausen, und statt Oberhausen steht nun die
Volksbühne vor der Schließung ??
Das ist mitnichten so, aber stellt immerhin einen gehörigen Möglichkeitsraum dar: ja, eben noch eine
Ecke zynischer zu werden !
Nein, die Volksbühne ist auch jetzt und heute noch viel zu gut, als daß die versammelte Threadteilnehmerschaft hier nicht allerlei Wünsche, Hoffnungen, Ideen etcpp. versammelte, was "man" noch so alles gerne an der Volksbühne sähe: Haltung vielleicht, verfremdete Haltung bestimmt, und am liebsten tendenziell immer weniger die eigene: oder doch die, gerade die ???
Castorfs "Russophilie": Sehr gut, daß es die gab und wohl noch gibt, und auch jegliche "Russophlie" unterliegt gewiß den Befindlichkeitsänderungen: Der Weg (Put) von Rasputin zu Putin (raz "ras"), daß die DDR so brüderlich zur Seite stand, als der Prager Frühling zerschlagen wurde oder der Ungarnaufstand;
und gibt es sie nicht wirklich: die westlerische Tendenz, die Gründungsmythen der BRD-Affirmation: Wirtschaftswunder und "68", wirklich Gründungsmythen ??, dem geneigten Volk -gesamtdeutsch- aufzudrängen bei eben gleichzeitiger Unterdrückung der zwanzigten, vierzigsten oder gar sechzigsten Jahrestage der DDR: Ich sah da zB. schon sehr häufig die Bereitschaft, über Naziaufmärsche in Dresden, Leipzig oder Rostock, ich will das nicht verharmlosen !,
zu berichten beinahe als von einem "Ostphänomen",
und Lübeck ?, Solingen ??, 6 Republikaner im Europaparlament (1989) ???
Dann die auch sprachliche Schweinerei: die Anbindung
von 1989/1990 an 1982/1983 (Wendewahl) ... .
Irgendwo ging die Rede von Castorf und Wien !
Finde ich gut, Castorf hat diesbezüglich deutliche Worte über die Zerschlagung ! Jugoslawiens qua Österreich-Deutschland-Allianz gefunden; und ich hätte mir schon einen Marthaler gewünscht zu Handkes
Einbaumstück, aufgefüttert mit Srbljanoviczitaten beispielsweise:"Die internationalen Medien - wahrscheinlich wieder wegen der Begleichung alter
Rechnungen- berichteten von einer "Eskalation der
Auseinandersetzungen" und von "Zwischenfällen auf beiden Seiten", wobei sie schändlich verschwiegen, daß die Leidtragenden auch diesmal nur Angehörige einer ethnischen Gruppe waren." (TdZ Mai 2004, in der
sich auch das Castorf-Interview mit den Pitbulls ua.
findet)
Bitte tu's!
Ups, noch ein Hund, bestimmt so ne Art Vorstehhund, aus Weimaraner und Kleinem Münsterländer hervorgezüchtet: der Hund zur Nachwendezeit: Kürschner, weghören !!
Nein: Pollesch ist unschuldig, zumindestens nicht verantwortlich, richtig Rosa L., wenngleich sich Ihre Auslassungen zur Verantwortlichkeit für das eigene Handeln handlungstheoretisch eher sehr unterbestimmt ausnehmen, handlungspraktisch haben die Tschetniks und andere Gesellen schon genug per-
versen Kram erfunden, um Ihre Auslassungen in einem anderen Licht, vielleicht dunklerem, erscheinen zu lassen, für §141, das kann ich Ihnen versichern: "Polposition", so aus Nord-Süd ...,
also wirklich, lieber AH (Antizipierer-Hund), ich habe da gerade auf AZ (von Arkadij Horbowsky) gewechselt, nicht ohne Grund:
Ich bin nicht in der Lage, das Stück zu schreiben, von dem Sie jetzt schon ein Gespür zu haben scheinen; Sie sind der Hund:
versuchen Sie sich mit Pollesch kurzzuschließen betreffs des anvisierten Unternehmens; ich bin bereit, diesbezüglich weitere
"Kalauerlichkeiten" abzuliefern: nur sehe ich ansonsten gerne von den Kalauern ab, weil die mir das Leben sowieso mit einer Art Truman-Show-Vorschein versehen, und ich drohe dann, da wieder einmal kräftig mitzuspielen, weil ich so spielerisch halt bin, und "susi" hätte ich schon fast als "strolch" gepostet wie evelin aus eberswalde als adam aus angermünde (Anklam- "An-Klamm": Täuschung (klam) ist Gewinn, und sich zu täuschen, liebe susi, der sicherste Weg, mit LSDU zusammenzukommen ... - Klammkunst=Clamart, Handke und
Karsavin lauern, K. wird schweigen: True man !!, Anklam hatte ich damals, Weitschweifigkeit reduzierend, ich danke Ihnen, Flohbär, ich denke, Sie haben meine Befindlichkeit richtig eingeschätzt, "123" gegenüber geht es mir immernoch kaum besser, ansonsten aber schon, ernsthaft: vielen Dank, schon erwogen, kam dann auf Angermünde, wie gesagt, einen Castorf-Link vermeidend), bitte, haben Sie Verständnis, antizipieren Sie weiter !, haben Sie Verständnis, daß ich mich bei dem Projekt im Hintergrund halte: "Polposition" ist aber wirklich ein Titel, mit dem ich gerne auch fernerhin gerne in Verbindung gebracht werden möchte, denke ich. Schnee und entrückte Theaterausflüge, dergleichen: Polposition, ja !!
Wer Pollesch als McDoof-Theater abtut und Haneke so falsch versteht, hat mit dem Denken und Wissen noch gar nicht angefangen. Übergangslos in den Zynismus, das würde es treffen. Ich würde für Sie noch ein K-Wort hinzusetzen wollen: konsumieren, klatschen, kotzen!
@ antizipiererhund
Das wollte ich immer schon mal vorschlagen, ein Bühnenstück a la Pollesch über die Nachtkritik-Kommentatorengemeinde, damit würde die Volksbühne auf jeden Fall punkten.
Das Originalinterview (in französischer Sprache) finden Sie, wenn Sie in Ihrer Suchmaschine die Begriffe "dailymotion" "Haneke" "funny games" eingeben und die Videosuche starten.
@ happy meal: Für die, welche mitdenken wollen und können, ist Pollesch kein McDoof-Theater. Es kommt immer auf den Zuschauer drauf an. Der muss schon bereit sein, sich in seinen gewohnten Denkmustern und Erfahrungen irritieren zu lassen. Wer aber bloß sein unverrückbares Weltbild bestätigt sehen will, dem ist von Pollesch eher abzuraten.
Da haben Sie was falsch verstanden, ich bezog mich auf den letzen Absatz von 133, also aufs Theater, nicht auf Haneke. Hanekes Filme haben alle dieses Gewalt-Thema in sich, das zieht sich von Benny`s Video über Fanny Games, Wolfzeit bis Cachè und auch im neuen Film Das weiße Band zeigt er die Entstehung von Gewalt in der Gesellschaft. Da bin ich mit Ihnen einer Meinung.
@susi
Auch wenn Sie es vielleicht nicht lesen wollen. Selbstgespräche führen zu nichts. Ich fand es interessant, was Sie geschrieben haben. Machen Sie aber bitte trotzdem weiter.
@ rosa l. bei funny games bleibt der ansatz kontextuell, das ergebnis ist aber zynisch. haneke zeigt eben einen gewalt film, er kann das medium ja nicht verlassen, der zuschauer befragt keineswegs seine sehgewohnheiten, sondern empfindet die fragesteller eben als zynische figuren, da jede antwort eben folgenlos bleibt (im gegensatz zum medium theater). es kann keinen antigewaltfilm geben, der mit voyeurisitscher gewalt operiert. der zuschauer begreift die fragen der 2 gewaltfiguren nicht als real, da der fim qua seines mediums keine interaktive antwort hört. der film steht deswegen konsequenterweise auch in der trash gewalt ecke (ähnlich wie andere kritische gewaltfilme wie "man bites dog", "natural born killers" usw). im gegensatz zu robert bresson oder eben, ja, einem gewöhnlichen liebesfilm, der vielleicht die konsequentere form eines antigewalt films wäre.
zu pollesch: jeder der ein wenig foucault, agamben, butler gelesen hat, kennt die texte polleschs. nach dem dritten pollesch konnte ich nichts neues mehr erfahren, für mich ist das die fortstrickung einer masche. ich kann mich da natürlich auch irren, obwohl ich kein chor bin.
Sie spielen auf diese Wette an? In meiner Wahrnehmung der Wette im Kontext des gesamten Films wird darüber genau das hinterfragt, was einer konventionellen Krimidramaturgie entsprechen würde, nämlich, dass am Ende alles wieder in Ordnung kommt, indem das Verbrechen, einem simplen psychologischen Erklärungsmuster möglicher Motive folgend, aufgeklärt wird. In der Realität ist das aber eben oft nicht der Fall. Es gibt auch die grundlose Gewalt (siehe das Milgram-Experiment), es gibt auch Formen von Gewalt, welche (zunächst?) nicht unter Kontrolle gebracht werden können (siehe die Auswirkungen von 11/09). Und wenn dann von einem der jugendlichen Protagonisten formuliert wird, dass man hier den Unterhaltungsaspekt nicht vergessen solle, dann ist die Kritik doch bereits auf den Punkt gebracht, aber eben ex negativo. Auf diese Weise demonstriert Haneke die Mechanismen mancher Actionfilme, welche die Gewalt gewissermaßen banalisieren, um sie genießen zu können. In "Funny Games" passiert meines Erachtens genau das Gegenteil davon, hier vergeht einem sehr schnell der unreflektierte Konsum der Bilder. Hier ist man gezwungen, über die eigene Wahrnehmung mit- und nachzudenken.
Und warum sollte das im Theater so ganz anders sein? Da schreit doch auch niemand "nein" oder "stopp", sowas passiert doch nur im Kasperletheater. Ansonsten schauen Sie sich doch zum Beispiel auch "Die Orestie" oder "Medea" an, ohne sich interaktiv einzumischen. Der Unterschied im Theater könnten meines Erachtens aber die realen und verletzbaren Darsteller-Körper auf der Bühne sein, welche dem über den Schnitt hergestellten Filmrealismus entgegenstehen. Die Bühnenkörper können nicht wie im Film geschnitten werden, sondern hier geht der Schnitt offen und sichtbar hergestellt direkt durch die Körper. So kann der Verweis an die Verantwortung für die vor und über die eigenen Augen hervorgebrachten, re-präsentierten Bilder, an die Verbindung von ästhetischen und ethischen Fragen, im Theater vielleicht noch deutlicher ausgestellt werden als im Film. Aber auch Haneke spielt mit der Re-Präsentation und hinterfragt sie darüber.
Und ein Liebesfilm ist zwar immer schön und vielleicht auch wünschenswert, aber deswegen ist das noch lange kein Anti-Gewaltfim. Denn im Liebesfilm wird das auch Aggressive und/oder Widersprüchliche menschlicher Beziehungen überhaupt nicht thematisiert und also verdängt. Das ist der idealistische Verblendungszusammenhang.
Lieber Herr Ender !
Gut, daß jemand von Hunden und Haneke an dieser Stelle
wieder auf die Volksbühne selbst zu sprechen kommt !
Ich denke eigentlich nicht, daß es heute an Schocks
und Wirrnissen mangelt, und ich denke darüberhinaus,
daß Wirrnisse und Schocks es einfach mit sich bringen,
auf der einen Seite eher zu leicht ausmachbar zu sein,
auf der anderen jeweils aber ungemein viel Einzelauf-
wand für sich beanspruchen in ihrer Komplexität.
Gut, das halte ich eben für gleichsam analytisch in diesen Begriffen "Wirrnisse, Schocks" angelegt !
Aber, so möchte ich weiter fragen, war es nicht gerade
eine Stärke der Volksbühne, auch von den Aufführungs-
dauern her durchaus, und ist es bis heute, gerade ein
wenig an den Gewohnheiten, wieviel Zeit "man" sich so
nimmt für allerlei, gar hierarchisch Gliederbares ..., zu
befragen, wie dringlich etwas ist und welch undurchdringliches und spannendes Bollwerk schon der
Performer, der Raum "zwischen" ihm und dem "Stück",
aber dann wieder kaum zwischen ihm und den Zuschauern ..., Bollwerk: denn trotz all dieser vielen Bewegungen zB. in Castorfs "Dämonen" wohl kaum ein
Überfahrensein, kaum eine Überforderung, sogar immernoch genug Platz, um wie ich mit seinem Wajda-
Dostojewskij da heranzutreten: keine Übergriffigkeit.
Es war, wenn ich eine Volksbühneninszenierung besuchte, immer ! eine ungeheuer angenehme, von Neugier und einer gewissen "Voraussetzungslosigkeit"
geprägte Atmosphäre zu verspüren, etwas Luftiges
oder jedenfalls etwas, das immer Luft, "space between",
ließ: Ja, hat nicht der Volksbühnen-DADA bis heute nicht maßgeblich daran gewirkt, was zeitweise "Entschleunigung" hieß: und das bei all den teilweise
ungeheuren Geschwindigkeiten der diversen Bühnen-
geschehen !!
Nein, susi, finde ich eigentlich nicht, daß ausgerechnet an der Volksbühne ganz besonders mit Brecht gearbeitet werden müßte, ja, eher schon so: An der
Volksbühne müßte tendenziell eher so gespielt und inszeniert werden, daß die anderen Bühnen Berlins sich geradezu veranlaßt sehen, Brecht zu spielen, denn Brecht ist nicht derjenige Gewährsmann, anderen jene Luft zu lassen, die an der Volksbühne so angenehm war
und stilprägend und heute vielleicht in der Tendenz mehr Ersteres ...; daß eine Inszenierung dergleichen wiederum dann doch befragen könnte, mich überraschend, "lügen strafend", ist doch prima !!
Und wenn, Herr Ender, die Erlebnisse und Ereignisse
um 1991 so bedeutend anders zuhanden waren, warum sich nicht in heutiger Dramatik ein bißchen von Brechts
Zeiten auf heute zu bewegen ? "Alles Offen" in Rostock
greift zB. gerade auf die ersten DDR-Dänemark-Fährfahrten zurück, ... die im übrigen auch in meinem Leben eine Rolle spielten, und den Marthaler zum Handke-Stück, den hätte es eben gerade 2004 viel eher geben können als 1991, und es werden sich gewiß
noch weitere Beispiele nennen lassen.
Mehr Chancen, als Brecht spielen zu lassen, sähe ich schon darin, tatsächlich hin und wieder einen gewissen
"Vorsprung-Ost" der Volksbühne zu akzentuieren:
Warum nicht Stücke aus Georgien, Weißrußland, Trans-
nistrien meinethalben ??!
Möglicherweise beides, möglicherweise noch mehr.
Gut, ich gebe zu, das ist sehr kryptisch, dunkel formuliert, will aber auch nur darauf hindeuten, daß ich noch garnicht unbedingt das geschärfte und entwickelte Bewußtsein in der breiten Öffentlichkeit, bei mir selbst sehe, wie das alles und was da so vor sich gegangen ist zB. im Zuge dieser "friedlichen Revolution".
Das ging damals eigentlich recht rasch und überraschend und irgendwie, fast bin ich versucht, bei diesem Ausdruck zu verharren, "unwirklich" über die Bühne (?!).
Die DDR, mag sie auch explodiert sein hier, implodiert sein (zB. bei Personen wie Christa Wolf) dort, sie ist wohl jedenfalls ziemlich ausgeblutet, was Facharbeiter, Ärzte, "junge Menschen" angeht !
Sie ist insofern nicht "einfach" explodiert, denke ich, weil es nun keine geringe Anzahl von Personen gab, die aus dem Prozeß heraus den Ansatz zu verfolgen suchten, den "emanzipatorischen Gedanken" des "sozialistischen" Staatswesens gewissermaßen neu anzusetzen: eine Demokratie mit Staatseigentum, "made in GDR", war dann in einem Theater-Heute-Jahrbuch zu verwandter Zeit (hier der Bezug Volker Braun) zu lesen ... . Nun, wir wissen, daß auch ein Biedenkopf zB., der den Anschluß via §23 statt des verfassunggebenden Prozesses des § 146 GG ablehnte,
sich nicht durchsetzen konnte !!
Und dennoch: Es sieht mir jetzt schon so aus, als hätten die ganzen Sat 1-Produktionen zum zweiten Weltkrieg, zu der DDR-Zeit, zur "Wende" in etwa so
das geschichtsbildprägende Regiment übernommen wie
zB. "Der Untergang", "Speer und Er", "Der Baader-Meinhof-Komplex": eine fatale Entwicklung in Sachen
Mythenbildung meineserachtens, eine vollkommende Ausblendung der jeweiligen persönlichen Entscheidungen, Geschichten, Spannungen.
Mutige Menschen gab es in der DDR zuhauf, aber dieser "explosionsartige Prozeß", der kam mir dann doch wieder vor wie "gut gesponsort", wie ausgehandelt, wie kaum wirklich aus all diesen löblichen Einzelwiderständen sich zu einer Revolution formend: Ja, ich saß im Westen, im "Zonenrandgebiet", konnte DDR-Fernsehen empfangen, schwarz-weiß !, mir haben, glaube ich, Werke der Aufbruch-Literatur-Zeit oder "Spur der Steine", oder so manch ein tschechischer Film, der so im DDR-Fern lief, ein etwas personhafter getöntes Bild dieses Staates vermittelt, welches ich auch auf der Bühne vermisse !
Warum nicht dergleichen wie "Spur der Steine" oder, um von der DDR auf das Vorkriegsberlin zu kommen, das natürlich die Volksbühne nicht weniger umweht als die DDR !, das ist ein Teil ihres auch geschichtlichen Flairs !! (siehe "Instant-History"), die "Sebastian-Legende" von Herwegh (siehe das Buch von "Kautz" mit dem (zynischen ??) Titel "Das Ende der sozialen Frage"): Sebastian vom Wedding.
Eine "Konsolidierung" könnte auch eine Entschleunigung meinen, welche die Notwendigkeit von Entschleunigungen auf der Bühne in Frage stellt; dazu müssen, so schätze ich es ein, sehr viele Gewohnheiten des alltäglichen Lebens auf den Prüfstand: mit dem die Sahne abschöpfenden Vulgär-
sozialismus der Machart PDS ist keineswegs weitergeholfen; jeglicher kommunistischer Ansatz müßte sich wohl oder übel ein anderes Volk suchen: aber es geht nun einmal um dieses..
Sie haben völlig recht: Implosion, Explosion sind natürlich nur Bilder - vielleicht nicht die besten, um zu benennen, woher die Kunst, die Theaterschaffenden, die Volksbühne ihre Kraft die Verhältnisse zu spiegeln, zu befragen, vehement politischen ("Schein"-) Überzeugungen zu widersprechen nahmen. Viele konnten eben das 'Aufhören' der DDR benutzen und kreativ-produktiv künstlerisch wesentlich, relevant werden. Sicher gab es auch viele, denen diese Möglichkeit auf längere Dauer verwehrt war. (Sie haben auf Christa Wolf verwiesen, B.K. Tragelehn und selbst Heiner Müller ließen sich noch hinzufügen.)
Aber gerade in Berlin ließ sich diese ungeheure Kraft ausmachen. Für Jahre schien nichts in dieser Stadt unmöglich: Eines der größten Theater in Deutschland wurde über Nacht geschlossen, allein in Mitte!! wurden durch das Kulturamt des Bezirkes 95 Galerien gezählt - zu der Zeit mehr als in Soho, New York... Sicher noch immer erhalten Bund und Land in Berlin die meisten Theater und weitere Kultureinrichtungen in einer einzigen Stadt weltweit - aber es ist die harte (sicher nicht immer faire) Diskussion um Kunst mit künstlerischen Mitteln verloren gegangen. Es gab innerhalb von vielleicht fünf bis sieben Jahren nebeneinander: Castorf, Schlingensief, Schleef, Sasha Waltz, Kresnik, Marthaler, Ostermeier, Zadek, Breth, Barenboim, G.Friedrich ... (die waren/sind mir die Wichtigsten) und alle unverwechselbar! Und jetzt ...? Viel Kunsthandwerk!
Einem Aspekt, den Sie unter 152 ansprechen, kann ich nicht zustimmen (kaum ein
Überfahrensein, kaum eine Überforderung, ... keine Übergriffigkeit.
Es war, wenn ich eine Volksbühneninszenierung besuchte, immer ! eine ungeheuer angenehme, von Neugier und einer gewissen "Voraussetzungslosigkeit"
geprägte Atmosphäre zu verspüren, etwas Luftiges
oder jedenfalls etwas, das immer Luft, "space between", ließ...). Es sei denn, Sie beziehen sich auf spätere Jahre und nicht auf den Beginn? Gerade in der Volksbühne waren Abende wie "Kühnen 94 - Bringt mir den Kopf von Adolf Hitler", "A Clockwork Orange", "Murx", "100 Jahre CDU", "Rolling/ Kids" (und einige mehr) erhebliche, gewaltige Zumutungen. Das war für viele völlig neu und in der Tat für viel zu viel. Es hieß neu Sehen lernen. Mit "Dämonen", das Sie erwähnten, gab es dann, wahrscheinlich, das Theater-Wunder der letzten zwanzig Jahre schlechthin. "Endstation Amerika", "Erniedrigte und Beleidigte", "Meister und Margarita" u.m. folgten und waren nie ein Aufguss des vorherigen - immer Weiterentwicklung, immer intensiver fragen, bohren, suchen. Nocheinmal: das vermissen viele - so auch ich.
Wenn ich von Konsolidierung spreche, dann ist das zugegebenermaßen ein Euphemismus. Aber in erster Linie meine, hoffe ich, daß wir uns in einer gesellschaftlichen (nochmal das Wort) Konsolidierungfphase befinden. Anders kann ich mir die Bewegungslosigkeit nicht erklären. Und, mit Verlaub, allein mit Entschleunigung ist das nicht zu erklären. Dann, so vermute ich, eher mit WARTEN. Das meine ich auch, wenn ich von der Gefahr für die Kunst, das Theater spreche. Denn dann sind andere (Neoliberale, Extreme) schneller. Das große Thema "Globalisierung" halte ich für untauglich, denn "Globalisierung" im Sinne der Wirtschaft, der Politik gibt es etwa seit 200 Jahren. Die mediale, beschleunigte Globalisierung ist sicher "neuer". "Herz der Finsternis", "Öl", "Ozean" zeigen das.
So, da ist er jetzt also doch der "Phantomscherz" - also Abendessen oder Rotwein oder Beides...
Vielen Dank, Herr Ender, habe mich sehr über Ihre Antwort ge-
freut !
Sie vermuten ganz richtig, daß ich die Volksbühne nicht seit Ihrer Anfangszeit kenne, da also auch ganz Wesentliches aus
eigener Anschauung verpaßt habe: "Dämonen" war damals
tatsächlich der erste Abend !
Seitdem steht die Volksbühne, wenn ich in Berlin bin, immer
fest auf dem Zettel.
Was ich zu Brecht schrieb, könnte ein wenig wohl auch für die
Volksbühne zutreffen: Wenn sich jetzt einer irgendwo im Land
getraute, einen ganz neu gesehenen Dostojewskij zu machen,
das würde, glaube ich, wie ich es jetzt einschätzen lerne,
nicht ganz spurlos an Castorfs Haus vorübergehen !!
Im übrigen stehen "Der Jüngling" oder -möglicherweise für
Pollesch- "Helle Nächte" (glotzt nicht so romantisch ...) oder "Netotschka Neswanowa" (Mädchen ohne Uniform ...)
tatsächlich noch aus; da gäbe es wohl auch heute Entwicklungsspielraum; ich denke auch, daß dergleichen
kommen wird. Und ich weiß wahrlich nicht, warum mir der historische Blick, d.h. leider nicht eigenerfahrliche, auf das, was
zu "Rheinische Rebellen" (von Otto Sander seinerzeit) in einem Jahrbuch von Th aus jener Anfangszeit (da gab es ja zu all den
Genannten noch Leander Haußmann !!) geschrieben wurde,
den "Sebastian vom Wedding" freisetzte, aber irgendwie hat sich das bei mir festgesetzt, schon seit einiger Zeit: und immer mit der Anschrift "Volksbühne"; ich denke, ich werde einen riesigen Schreck bekommen haben, geschähe dergleichen
irgendwann.
"Entschleunigung" hatte ich nicht als Erklärung gedacht,
ich schätze die Lage eher so ein, daß diese für Vieles vonnöten ist, nicht zuletzt hinsichtlich des wirklichen Oberhausen zB.,
denn es passiert eine Menge in diesem Theaterland, daß es gerade jetzt auch in Oberhausen passiert, ist großartig und
setzt ein Aufrufungszeichen: Herrn Carp sei Dank !!
Mittlerweile betreibe der Österreicher „...eine florierende kleine Manufaktur für getanzte Andenkenpostkarten in der Provinz.“
Herrlich, das ist ja viel besser als der Phantomschmerz-Artikel. Es geht noch weiter, „Wer einen Lokalheiligen zu feiern hat, kann bei Kresnik ein grobgeschneidertes biografisches Theaterstück bestellen.“ Nun nehme er sich „...im Auftrag des Cottbusser Staatstheaters den Fürst Pückler-Muskau vor, dessen 225. Geburtstag mangels anderer Gelegenheiten zum Feiern am 30. Oktober im südlichen Brandenburg begangen wird.“ Dafür werden dann vom Theater nur „...Bodybuilder, Versehrte, Stripperinnen, Feuerschlucker, Transvestiten und eine junge Saxofonspielerin“ gesucht. Die Betonung liegt auf nur einer, da es doch 1995 in Hamburg für „Gründgens“ noch ein ganzes Saxofonistinnenquartett sein musste. Wahnsinn, von 4 auf 1 runter, das spart bestimmt enorm Kosten. Also auch Kresnik auf dem absteigenden Ast? Hat Herr Heine lange Weile, wer wird als nächster dran sein?
Leider ist der 100ste Geburtstag meiner Großmutter schon vorbei, so das sie nicht mehr für die von Herrn Heine in Aussicht gestellte „Tanztheateraufführung“ den „echten Kresnik für den einfachen Bürger“ in Frage kommt. Geleistet hätte ich mir das schon gerne.
Ob in den Fürst Pückler von Kresnik dann wirklich Nazis „irgendwie hineinprügelt“ werden oder nicht, geben würde es die ja in Cottbus schon, werde ich mir jedenfalls als alter Lokalpatriot nicht entgehen lassen. Und das Eis esse ich dann lieber kiloweise, als damit zu schmeißen.
Sieht sich das eigentlich jemand von der Redaktion an?